Zurück zur Homepage

Wärmebedarf für den Raum

Klaus Peter Synnatzschke

Einleitung

Für die den Wohngebäuden zugeführten Energieträger, vorwiegend genutzt für Heizung, Warmwasser und Lüftung, werden die Preise auch in den kommenden Jahren weiter steigen. Insbesondere die Heizkosten gelten inzwischen als "zweite Miete". Energieeinsparung kann durch die Verbesserung der Energieeffizienz der Gebäude erzielt werden. Möglichen Mietern oder Käufern muss Einsicht in den Energieausweis des auserwählten Gebäudes erlaubt werden, um den gegebenen energetischen Zustand und damit indirekt die zu erwartenden Heizkosten vor Abschluss eines Miet– oder Kaufvertrages über den Daumen peilen zu können. [2]

Bevorzugt wird der bedarfsorientierte Energieausweis, der nach einem durch die Energieeinsparverordnung (EnEV 2007) vorgegebenen Berechnungsverfahren mit standardisierten Randbedingungen erstellt wird. Grundlage sind die geometrischen Abmessungen und energetischen Kennwerte des Gebäudes, das energetische Niveau der Heizanlage und gleiche Annahmen zur Dauer der Heizperiode und des Klimas.

Im bedarfsbezogenen Energieausweis werden Primärenergiebedarf (Gesamtenergieeffizienz), Transmissionswärmeverlust, Endenergiebedarf und für das Gebäude Empfehlungen zur Verbesserung der Energieeffizienz angeführt, vorausgesetzt solche Maßnahmen können kostengünstig durchgeführt werden.

Es ist ratsam, die Ergebnisse im bedarfsbezogen Energieausweis in Frage zu stellen, weil möglicherweise mehrere Aussteller für das gleiche Gebäude von unterschiedlichen Ausgangswerten für das Gebäudes und seiner Anlagentechnik ausgehen und hierdurch zu divergierenden Ergebnissen kommen könnten.

Insbesondere wegen der standardisierten Randbedingungen erlauben die angegebenen Werte keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Energieverbrauch, dafür aber die Vergleichbarkeit mit anderen Gebäuden, die auf gleicher Grundlage bilanziert wurden.

Der für das Gebäude angegebene Energiebedarf je Quadratmeter Gebäudenutzfläche lässt sich nicht auf die Wohnfläche anwenden. Die Gebäudenutzfläche einer einzelnen Wohnung kann nicht aus dem Energieausweis abgeleitet werden. Einzelne Räume können auch in einem energetisch ungünstigen Bereich des Wohngebäudes liegen. Die Angaben des Energieausweises lassen sich deshalb nicht mit Hilfe von Mietverträgen oder Heizkostenabrechnungen nachvollziehen.

Ziel der folgenden Abhandlung ist die Vorstellung eines vereinfachten Verfahrens zur experimentellen Ermittlung des jährlichen Heizwärmebedarfes für einen separaten Raum in einem bestehenden Wohngebäude.

Vertrauen ist gut, messen ist besser!

Die für eine "Messung über alles" erforderlichen Geräte können in einem Technikmarkt gekauft werden. Für die Auswertung der Messdaten und die Berechnung des Heizwärmebedarfes wird das entwickelte Java–Programm zur Verfügung gestellt.

Bilanz der Wärmeströme

Der dem Raum zugeführte Heizwärmestrom, um die Innentemperatur auf einen gewünschten Wert zu stabilisieren, ist ständig flüchtig. Die Transmissionswärmeströme durch die Bauteile, die linear abhängig sind von den Wärmedurchlasskoeffizienten der Bauteilflächen und den Temperaturdifferenzen, und der vom ausgetauschten Luftvolumen und der Temperaturdifferenz abhängige Lüftungswärmestrom (Fenster, Türen, Fugen) bilden die wesentlichen Wärmestromverluste.

Im Allgemeinen werden in der Wärmebilanz die in dem folgenden Bild 1 aufgeführten Wärmeströme berücksichtigt.

TaAußentemperatur
TiInnentemperatur des Raumes
T1,2,3, ... ,nInnentemperaturen der anliegenden Räume
ΦAWWärmestrom durch die Außenwand
ΦFWärmestrom durch die Glasflächen der Fenster
ΦHHeizwärmestrom
ΦLLüftungswärmestrom
ΦMWärmeabgabe durch Maschinen
ΦPWärmeabgabe durch Personen
ΦSWärmestrom durch Sonneneinstrahlung
Φ1,2,3, ... ,nWärmeströme von oder zu den anliegenden Räumen

Bild 1. Wärmeströme im Raum

Die Bilanz der Wärmeströme für den Raum (Bild 1) ergibt sich zu

Σ Φj = 0.

Die in den Raum hineinströmenden Wärmemengen werden den ausströmenden Wärmemengen gleichgesetzt.

Φzu = Φab

ΦH + ΦM + ΦP + ΦS = Σ Uj Aj ΔTj + ΦL

Σ Uj Aj ΔTj ist die Summe der Transmissionswärmeströme durch die Bauteile.

Periodisches Erwärmen und Abkühlen

Grundsätzlich wird die Zuführung der Heizenergie geregelt. Mit einem im Raum günstig angeordneten Thermostat lässt sich beispielsweise die Heizquelle bedarfsgerecht zu– und abschalten. Hierbei wird die Innentemperatur in ihrem zeitlichen Verlauf von einem unteren und oberen Grenzwert gekennzeichnet. Phasen der Erwärmung und der Abkühlung wechseln sich einander periodisch ab (Bild 2).

eRegeldifferenz
tZeit
TPeriodendauer
TtTotzeit
T1Zeitkonstante der Innentemperatur
xhLeistungsüberschuss (100%)
xoAmplitude
wSollwert
ΦHoKonstanter Heizwärmestrom

Bild 2. Periodisches Erwärmen und Abkühlen eines Raumes

Überschreitet die geregelte Innentemperatur Ti den Führungswert w, bleibt der zugeführte Heizstrom ΦHo infolge der Hysterese des Reglers (2 xo) noch bis zum Punkt A(w + xo) eingeschaltet. Die Innentemperatur steigt vorläufig noch weiter an und sie fällt erst nach Ablauf der Totzeit Tt ab. Der Heizstrom wird beim Unterschreiten des Wertes w − xo erneut zugeschaltet, sodass die Innentemperatur im eingeschwungenen Zustand dauernd mit der Periodendauer T und der Amplitude xo um den Sollwert w pendelt. [1]

Das geregelte Heizen des Raumes, wobei ein Thermostat einen konstanten Heizwärmestrom ΦHo periodisch zu– und abgeschaltet, ermöglicht die Bestimmung der Einschaltdauer tEIN des Heizwärmestroms (Bild 2).
Ersetzt der Heizwärmestrom ΦHo die Differenz aus der Summe der zugeführten und abgeführten Wärmeströme in Abhängigkeit der Temperaturdifferenz ΔT = Ti − Ta, stellt sich im beheizten Raum die um den gewünschten Sollwert schwingende Innentemperatur Ti ein (Bild 2).

Für diesen Vorgang wird vereinfachend unter stationären Bedingungen die folgende Grundannahme formuliert:

ΦHo = KWR · ΔT
ΦHoHeizleistung in W
KWRWärmedurchlasskoeffizient für den untersuchten Raum in W ⁄ °C
ΔTTemperaturdifferenz aus mittlerer Innen– und Außentemperatur in °C

Experimentelle Ermittlung des Wärmedurchlasskoeffizienten

Der Wärmedurchlasskoeffizient KWR wird für den untersuchten Raum mit einer "Messung über alles" bei den gegebenen Randbedingungen ermittelt. Da "über alles gemessen" wird, sind in dem Wärmedurchlasskoeffizient neben der Transmissionswärme auch Lüftungswärme und Wärmegewinne enthalten. Die während der Messung bestehenden Randbedingungen sollten aufgeschrieben werden.

Die andernfalls für das Heizen des Raumes installierten Heizkörper werden rechtzeitig abgeschaltet, sodass sie während der Messung keine Wärme abgeben. Für das geregelte Heizen während der Messung wird ein transportabler Elektroheizkörper konstanter Wärmeleistung ΦHo verwendet.

tZeit in hh:mm
Ta(t)Außentemperatur in °C, gemessen in den Zeitpunkten des Zu– und Abschaltens des Heizwärmestromes ΦHo (Bild 2).
Ti(t)Innentemperatur in °C, gemessen in den Zeitpunkten des Zu– und Abschaltens des Heizwärmestromes ΦHo (Bild 2).

Bild 3. Messanordnung zur annäherungsweisen Ermittlung des Wärmedurchlasskoeffizenten eines Raum mit einer "Messung über alles"

Nach der Anheizzeit geht das periodische Erwärmen und Abkühlen in einen quasi stationären Zustand über (Bild 2). In den Zeitpunkten des Zu– und Abschaltens des Heizwärmestromes ΦHo werden über wenige Perioden obere und untere Werte der Innentemperatur Tio,iu (t) und die Außentemperatur Ta(t) gemessen. Danach werden die arithmetischen Mittelwerte von Heizzeit tEIN, Abkühlzeit tAUS, Innentemperatur Tim und Außentemperatur Tam berechnet.

Die mittlere Temperaturdifferenz während der Messzeit beträgt     ΔT = Tim − Tam.

Aus der Wärmebilanzgleichung        ΦHo · tEIN = KWR · ΔT · (tAUS + tEIN)
folgt für den Wärmedurchlasskoeffizient des untersuchten Raumes in W ⁄ °C:

KWR = (ΦHo ⁄ ΔT) · (tEIN ⁄ (tAUS + tEIN))

Heizwärmebedarf eines Raumes

Nachdem der Wärmedurchlasskoeffizient KWR für den untersuchten Raum durch eine "Messung über alles" ermittelt wurde, wird der jährliche Heizwärmebedarf für den Raum berechnet.

QR = GTZ · tTag · KWR
GTZGradtagzahl
Die Gradtagzahl stellt den Zusammenhang zwischen der gewünschten Raumtemperatur und der Außenlufttemperatur dar. Mit ihrer Verwendung kann der Wärmebedarf eines Wohnraumes bestimmt werden.
Bei der Ermittlung der Gradtagzahlen geht die VDI–Richtlinie 2067 (VDI Verband Deutscher Ingenieure) von einer Heizgrenze bei 15 °C und einer Innentemperatur bei 20 °C aus. Die Heizgrenze kennzeichnet die an einem Tag gemessene mittlere Außentemperatur, unterhalb der die Heizungsanlage eingeschaltet wird, um die Innentemperatur auf einen gewünschten Wert zu halten.
 z
GTZ20/15 = Σ (Ti − Ta)
 1
z    Anzahl der Heiztage im Zeitabschnitt
Ti    mittlere Raumtemperatur von 20 °C
Ta    mittlere Außenlufttemperatur eines Heiztages

Für langjährige Vergleiche verwendet die VDI–Richtlinie 3807 (2006) den Mittelwert der Jahre 1951–1971 von Würzburg, diese Gradtagzahl beträgt 3883 K d ⁄ a (Kelvin day ⁄ anno    oder vereinfacht    °C Tag ⁄ Jahr).

Der DWD (Deutscher Wetterdienst) ermittelt für viele Stationen — eine davon ist bestimmt in Ihrer Nähe — die Gradtagzahlen. Diese gibt es für jeden Tag, auch summiert für jeden Monat, jedes Jahr und teilweise für jede Heizperiode. Zudem wird die Zahl der Heiztage angegeben.
Aktuelle monatliche Gradtagzahlen und die vergangener Jahre (nach VDI 2067) von 28 ausgewählten Stationen stehen im Internet kostenfrei zur Verfügung. [5]

In der Regel beginnt die Heizperiode frühestens am 1. Oktober und endet spätestens am 31. Mai [2]. Bleibt die Heizungsanlage in den Monaten Juni bis September ausgeschaltet, gehen die Gradtagzahlen dieses Zeitraums nicht in die Berechnung des jährlichen Heizwärmebedarfs ein.

tTagHeizzeit je Tag

Der jährliche Heizwärmebedarf eines Raumes in einem bestehenden Wohngebäude wird schließlich mit der folgenden Gleichung berechnet.

QR = GTZ20/15 · (24 ⁄ 1000) · KWR
QRHeizwärmebedarf des Raumes in kWh ⁄ a
GTZ20/15Gradtagzahl in K d ⁄ a bzw. °C Tag ⁄ Jahr
KWRWärmedurchlasskoeffizient für den untersuchten Raum in W ⁄ °C

Mit dem Faktor (24 ⁄ 1000) werden 24 h für die Heizzeit je Tag gesetzt und der Wärmestrom von W in kW umgewandelt.

Ein niedriger Heizwärmebedarf signalisiert einen geringen Wärmeverlust.

Energiebezugsfläche

Der absolute Energiebedarf für unterschiedliche Räume ist nicht vergleichbar. Deswegen wird der Energiebedarf auf eine vergleichbare Einheit, die sogenannte Energiebezugsfläche, projiziert. Auf diese Fläche beziehen sich dann alle Vergleichswerte und Energiekennzahlen.

Es ist davon auszugehen, dass dem Anwender des vorgestellten Verfahrens zur Ermittlung des Heizwärmebedarfs lediglich die Wohnfläche AW des Raumes bekannt ist. Deshalb wird hier als Energiebezugsfläche die Wohnfläche AW des Raumes bei konstanter Raumhöhe hR verwendet.

Es folgt für den jährlichen Heizwärmebedarf je Quadratmeter Wohnfläche des Raumes:

QAW = QR ⁄ AW
QAWHeizwärmebedarf des Raumes in kWh ⁄ (m² a )
QRHeizwärmebedarf eines Raumes in kWh ⁄ a
AWWohnfläche des Raumes in m²

Für den zuvor ermittelten jährlichen Heizwärmebedarf QAW eines Raumes in einem bestehenden Wohngebäude sind keine direkten Vergleichswerte vorhanden.

Der Gebrauch der Wohnfläche AW steht in Widerspruch zu der in der Energieeinsparverordnung bestimmten Gebäudenutzfläche AN als Energiebezugsfläche.

Die sogenannte Gebäudenutzfläche AN, eine fiktive Fläche, wird aus dem beheizten Volumen und der durchschnittlichen Geschosshöhe des Gebäudes bestimmt [2].

Ist die dem Raum entsprechende Gebäudenutzfläche AN nicht bekannt, kann sie vereinfacht wie folgt aus der aufgemessenen Wohnfläche AW ermittelt werden [4, S. 6–7]:
Für Ein– und Zweifamilienhäuser mit beheiztem Keller
AN = AW · 1,35
Für alle sonstigen Wohngebäude
AN = AW · 1,2

Der im Energieausweis für Wohngebäude angegebene Wert für den Endenergiebedarf enthält die jährlich benötigte Energiemenge für Heizung, Lüftung und Warmwasser. Der Endenergiebedarf kann als Maß die Energieeffizienz eines Gebäudes und seiner Anlagentechnik aufzeigen. Vergleichswerte für den jährlichen Endenergiebedarf werden im Energieausweis angegeben (Bild 4) [2].

Der Energiebedarf für Warmwasser in Wohngebäuden ist bei der Berechnung des jährlichen Endenergiebedarfs mit 12,5 kWh ⁄ (m² a) (DIN V 4701-10: 2003–08, geändert durch A1 : 2006–12) anzusetzen [6, Blatt 1531].

Mit einer der Wohnfläche des Raumes anteilig zugedachten Gebäudenutzfläche und eines spezifischen Energiebedarfs für Warmwasser kann der jährliche Endenergiebedarf je Quadratmeter Gebäudenutzfläche vereinfacht berechnet werden.

QEnd = (QR ⁄ AN) + 12,5
QEndEndenergiebedarf des Raumes in kWh ⁄ (m² a )
QRHeizwärmebedarf eines Raumes in kWh ⁄ a
ANDem Raum entsprechende Gebäudenutzfläche in m²

Die drei Werte

sollten Sie prüfend gegeneinander abwägen.

Der Endenergiebedarf einzelner Räume im Wohngebäude kann stark differieren, weil er von deren Lage im Gebäude abhängt.
Eine Prognose auf den künftig zu erwartenden Verbrauch ist nicht möglich, da die Verbrauchsdaten von der jeweiligen Nutzung, vom individuellen Verhalten und vom lokalen Klima abhängig sind.

Der berechnete jährliche Endenergiebedarf ermöglicht die Ermittlung der Energiekosten [2].

Vergleichswerte für den jährlichen Endenergiebedarf

Die modellhaft ermittelten Vergleichswerte beziehen sich auf Gebäude, in denen die Wärme für Heizung und Warmwasser durch Heizkessel im Gebäude bereitgestellt wird. Diese Vergleichswerte können Anhaltspunkte für grobe Vergleiche der Werte des untersuchten Gebäudes mit den Vergleichswerten ermöglichen. Es werden ungefähre Bereiche angegeben, in denen die Werte für die einzelnen Vergleichskategorien liegen. (Bild 4) [2]



Bild 4. Vergleichswerte für den jährlichen Endenergiebedarf je Quadratmeter Gebäudenutzfläche [2]

Beispiel

Programm zur experimentellen Ermittlung des Heizwärmebedarfes
Zum Programm Wärmebedarf
Quellenverzeichnis:
[1] W. Weller: Anwendung der Mikroelektronik in der Prozessautomatisierung. RA 187, VT Berlin.
[2] Informationsbroschüre: Energieausweis für Gebäude – nach Energieeinsparverordnung (EnEV 2007). Herausgeber: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 11030 Berlin
[3] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Bekanntmachung der Regeln zur Datenaufnahme und Datenverwendung im Wohngebäudebestand vom 26. Juli 2007
[4] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Bekanntmachung der Regeln für Energieverbrauchskennwerte im Wohngebäudebestand vom 26. Juli 2007
[5] Deutscher Wetterdienst, Abteilung Klima– und Umweltberatung, www.dwd.de/gradtagzahlen
[6] Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden (Energieeinsparverordnung). Bundesgesetzblatt Jahrgang 2007 Teil I Nr. 34, ausgegeben zu Bonn am 26. Juli 2007
Bildnachweis
Bild
1, 3 K. P. Synnatzschke
2 [1]
4 [2]

Letzte Änderung: 18. September 2008

Zurück zur Homepage