Klaus Peter Synnatzschke
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt bei Sandersdorf die Gewinnung von Braunkohle, anfangs für die privaten Haushalte und für den Bedarf der den Braunkohlenwerken gehörenden Kesselhäuser und Ziegeleien, um 1900 für die in Bitterfeld und Wolfen entstehende Chemieindustrie. Der Anschluss der Gruben um 1900 an das Eisenbahnnetz ermöglicht den Absatz von Siebkohle und Braunkohlenbriketts in die größeren Städte. Die bisher auf die vorzugsweise Nutzung regenerativer Energien angewiesene Bevölkerung geht zum vorwiegenden Einsatz fossiler Energieträger über. Damit werden gleichzeitig bisher für die landwirtschaftliche Produktion genutzte Äcker, Wiesen und Wälder sowie über Generationen geschätzte Lebensräume dem Kohlenabbau geopfert.
Sandersdorf verändert sich von einem kleinen bäuerlichen Dorf zu einem großen Industrieort, der für viele in die umliegenden Betriebe zugewanderten Werktätigen zu einer neuen Heimat wird. Für die Zuwanderer werden ständig Wohnungen gebaut, dennoch herrscht über Jahrzehnte Wohnungsnot.
Die seit der Gründung des Ortes genutzten naturnahen Baustoffe Holz, Lehm, Kalk, Ton, Findlinge, Kies, Stroh und Schilf werden mit Nutzung der Braunkohle durch gebrannte Ziegelsteine, Dachziegel, Tonrohre, Zement, Dachpappe u. a. teilweise ersetzt.
Die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen für den Braunkohlentagebau führt zur Veränderung der Bevölkerung und der Wohnstruktur. In den ersten Jahrzehnten des Bergbaus gehen die Landarbeiter in die Braunkohlengruben. Sandersdorf verliert sein bisher landwirtschaftlich geprägtes Bild. Es werden von auswärts immer mehr Berg– und Industriearbeiter aufgenommen, von denen viele anfangs nur in Wohnbaracken oder Arbeiterkasernen untergebracht werden können. Sie suchen im Ort nach Wohnungen, um im Laufe der Zeit ihre Familienangehörigen folgen zu lassen.
Die für den Industrieort Sandersdorf typische Wohnbebauung ist das Wohnhaus mit Hofraum, Waschhaus, Stall und Garten. Der Garten dient als Ausgleich zur Arbeit in der Industrie. Obst und Gemüse aus den Gärten und Fleisch aus der Tierhaltung tragen zum Lebensunterhalt der Familien bei.
Nach 1990 werden neben der Erneuerung der vorhandenen Wohnhäuser weitere Wohn– und Geschäftshäuser, Wohngebiete mit Eigenheimen, Lebensmittelmärkte, Einrichtungshäuser, Sportzentrum, Gewerbegebiet, Sparkasse, Volksbank u. a. errichtet, was dem Dorf teilweise kleinstädtisches Aussehen verleiht.
Die romanische Kirche (Bild 1) wurde vermutlich im 12. Jahrhundert aus Findlingen, die aus der Umgebung zusammengetragen wurden, auf einer künstlichen Bodenerhebung errichtet. Sie ist das älteste und auch gut erhaltene Bauwerk in Sandersdorf. Als Wehrkirche schützte sie in Kriegszeiten die Bewohner des Ortes. Der Kirchenbau beginnt im Westen mit dem 26 m hohen Turm mit Satteldach, an den sich das Kirchenschiff in gleicher Breite anschließt. Der folgende Altarraum ist schmaler und schließt mit einer polygonalen Apsis. [1]
Spätere Veränderungen und Erneuerungen des Mauerwerks werden mit gebrannten Ziegeln ausgeführt (Bild 2).
Vom Ort selbst ist aus der Zeit des Kirchenbaus bisher nichts bekannt. Die erste Erwähnung für Sandersdorf lässt sich vorläufig für einen wesentlich späteren Zeitpunkt beweisen. Anhand der Findmittel im Ernestinischen Gesamtarchiv in Weimar kann bisher lediglich eine Urkunde von 1374 als spätere Abschrift nachgewiesen werden, die die Übereignung des Dorfes Sandersdorf an das Nonnenkloster Brehna beinhaltet. [2]
Wohngebäude aus der Zeit vor dem 19. Jh. sind im Ort nicht erhalten geblieben. Das älteste Haus, dessen Standort an der Ramsiner Straße (Nr. 28) war, ist als "Herrmannsches Haus" in Erinnerung geblieben.
"Das frühere Hermannsche Haus hinter der Badeanstalt der Louisengrube gilt als sehr alt. Am Treppenaufgang der alten Treppe war die Jahreszahl 1763 eingearbeitet. Im Garten dieses Grundstückes wurde viele Jahre später ein Topf alter Geldstücke bis in das Jahr 1326 zurückreichend gefunden." [3, S. 33]
Mitte des 19. Jahrhunderts listet der Ortsrichter August Reichenbach alle Einwohner zu Sandersdorf auf, nennt deren Namen, Alter, Tätigkeit, verwandtschaftliche Beziehung ersten Grades und die Nummer des Hauses, in dem sie leben. Im Jahr 1852 zählt er 310 evangelische Christen, davon 155 männlich und 155 weiblich, die in 69 Familien und in 50 Wohnhäusern leben. In Ehe leben 48 Männer und 49 Frauen. Für die 50 benummerten Wohnhäuser, 2 Fabriken/Mühlen und 144 Ställe, Schoppen, Scheunen gibt er keine Standorte an. [4]
Anlässlich des Volks– und Heimatfestes 1939 in Sandersdorf erstellt Gustav Krug nach eigenen geschichtlichen Vorstellungen das Modell vom alten Sandersdorf (Bild 3) [5].
An Baustoffen aus der unmittelbaren Umgebung stehen Findlinge, Sand, Kies, Lehm, Ton zum Brennen von Ziegeln, Holz und Stroh bzw. Schilf zur Verfügung. Am "Quetzer Berg" und am "Muldensteiner Berg" wird Porphyr gebrochen. Die wenigen aus der Zeit Anfang des 19. Jh. noch erhaltenen Gebäude, die bereits Spuren eines nahenden Verfalls andeuten, legen dadurch ihre Bauweise offen (Bild 4 bis 8).
In die Baugrube wird ein Kiesbett eingebracht, auf das mit Findlingen oder großen gebrochenen Porphyrsteinen die Grundmauern (Bild 4) gesetzt werden. Auf den Grundmauern werden die Wände aus luftgetrockneten oder gebrannten Lehmziegeln (Backsteine), die aus einem Gemisch von Lehm und Stroh geformt werden, errichtet. Auch die Stampflehm– und die Lehmwellerbau–Technik kommen zur Anwendung. Viel Aufmerksamkeit erfordert es, die Lehmwände immer allseitig vor Nässe zu schützen, da sie sonst ihre Festigkeit vollständig verlieren. Die Decken werden als Holzbalkendecken und die Dachkonstruktion in Holz ausgeführt.
Bild 4. Verputzte Lehmwand auf einer aus Findlingen gesetzten Grundmauer | Bild 5. Lehmwand mit aus Ziegeln gemauertem Ringanker |
Bild 6. Mit Lehm ausgefüllter Raum zwischen Lehmwand und Traufschalung | Bild 7. Mauer aus Lehm zur Umgrenzung eines Grundstücks |
Die Stellen des Abbaus von Lehm um Sandersdorf sind bisher nicht überliefert. Sie wurden bestimmt beim Abbau von Braunkohle überbaggert. Bekannt ist aber der Zeitpunkt, bis zu dem in der Gemeinde Lehm zur Verfügung stand. Am 16.06.1949 ersucht die Konsumgenossenschaft Bitterfeld das Bauamt der Gemeinde Sandersdorf um die Lieferung von 3 m³ Lehm. Der Lehm wird zum Umbau eines Ofens in ihrer Großbäckerei in Bitterfeld benötigt. In der Gemeinderatssitzung am 20.06.1949 wird der Überlassung von 3 m³ Lehm zum Preis von 5,-- DM je m³ zugestimmt. Ein nochmals gestellter Antrag zur Überlassung von 1 – 2 Fuhren Lehm kann in der Gemeinderatssitzung am 02.09.1949 nicht bewilligt werden, da jetzt in der Gemeinde kein Lehm mehr vorhanden ist. [6]
Sämtliche Straßen waren zunächst reine Erdwege. Mit Auflegen von Reisigbünden in aufgeweichte Stellen und das Ausgleichen tiefer Radgleise durch Sand, Kies und Schutt wurden damals die Wege befahrbar gehalten. Die zunehmenden Postfahrten auf den regionalen oder lokalelen "Communikationswegen" machten es notwendig, diese Wege in die staatlichen Baumaßnahmen einzubeziehen. Um die Mitte des 18. Jh. unterscheidet man im Sprachgebrauch meist nur noch zwischen den Poststraßen und den sonstigen Straßen. Letztere sind von untergeordneter Bedeutung und verbleiben meist in einem schlechten Zustand, was für Sandersdorf zutrifft. Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. beginnt in Sandersdorf der Ausbau der Straßen (Tabelle 5).
Bevor weiter berichtet wird, werden hier alle bisher nachgewiesenen Wohnbaugebiete zur besseren Übersicht in zeitlicher Folge dargestellt (Bild 9, Tabellen 1 bis 4).
Außer der Erschließung größerer Wohnbaugebiete werden ständig einzelne Gebäude abgerissen, modernisiert, neu gebaut und die Substanz verändert. Diese einzelnen Vorgänge werden hier nicht erfasst.
Deutsches Reich 1871 – 1918 | |||
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Nr. in Bild 9 | Baugebiet | Bauzeit | Neubau/ Bauherr |
1 | Teichstraße 1 und 3 | 1876 – 1878 | 3–geschossiges Wohn– und Geschäftshaus |
Teichstraße | 1878 – | Ein– zweigeschossige Wohnhäuser mit Hofraum und Hausgarten, Waschhaus, Schweine–, Ziegen– und Kohlenstall | |
Teichstraße 11 | 1895 – 1896 | Wohn– und Geschäftshaus (Bäckerei) | |
Teichstraße 9 | 1898 – 1899 | 2–geschossiges Wohn– und Geschäftshaus, kleine Markthalle | |
Teichstraße 4 | 1900 | Wohn– und Geschäftshaus (Fleischerei), Nebengebäude | |
Teichstraße 12 | 1906 | Armenhaus mit Hofraum und Stall, 8 Wohnungen, Arestlokal/ Gemeinde [8] | |
2 | Bitterfelder Straße | 1893 – 1898 | Ein– und zweigeschossige Wohnhäuser, Geschäftshäuser, Hofraum, Hausgarten, Stall. Die Mehrzahl der Häuser wird im Zeitraum 1912 – 1938 gebaut [7]. |
3 | Bahnhofstraße | 1898 – | Zwei– und dreigeschossige Wohnhäuser, Geschäftshäuser, Hofraum, Hausgarten, Stall |
4 | Zscherndorfer Straße 1, 3, 5, 7, 9, 11 | 1900 – 1903 | 2–geschossiges Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Schweine– und Kohlenstall, Waschhaus [3, S.43] |
Weimarer Republik und Nationalsozialismus 1919 – 1945 | |||
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Nr. in Bild 9 | Baugebiet | Bauzeit | Neubau/ Bauherr |
5 | Greppiner Str. 32, 34, 36, 36a, 38, 40 Glückauf–Siedlung (Wolfswinkel) 2, 3, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 12, 13 |
1921 | Bergarbeiterhäuser: Wohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Bergmannswohnstättenverband für den Bezirk Bitterfeld Anhalt G. m. b. H. in Bitterfeld |
6 | Greppiner Str. 12, 14, 16, 17, 18,
19, 20, 22, 24, 26, 28, 30 |
1922 – 1925 | Bergarbeiterhäuser: Wohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Bergmannswohnstättenverband für den Bezirk Bitterfeld Anhalt G. m. b. H. in Bitterfeld |
7 | Zörbiger Str. 2, 4, 6, 8, 10, 12 Bergmannswinkel 1 bis 10 |
1923 | Bergarbeiterhäuser: Wohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Bergmannswohnstättenverband für den Bezirk Bitterfeld Anhalt G. m. b. H. in Bitterfeld |
8 | Ramsiner Str. 1/3, 5/7, 9/11, 13/15, 17/19 | 1921 – 1925 | Häuser für Grubenbeamte: Doppelwohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Bitterfelder Louisengrube Kohlenwerk und Ziegelei A. G. |
9 | Ernst–Borsbach–Straße 1 bis 45 | 1926 – 1929 | Wohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Baugenossenschaft Sandersdorf e. G. m. b. H. |
10 | Eigenheimstr. 1 bis 33 | 1929 – 1930 | Wohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Gemeinnützige Baugenossenschaft Eigenheim e. G. m. b. H. |
11 | Nordstraße 1 bis 20 | 1930 – 1931 | Wohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Baugenossenschaft Sandersdorf e. G. m. b. H. |
12 | Feldstraße 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21 | 1931 | Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Wirtschaftsgebäude/ Baugenossenschaft Sandersdorf e. G. m. b. H. |
13 | Thalheimer Str. 24, 26, 28, 30, 32, 34 | 1932 | Zweigeschossiges Wohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Landgemeinde |
14 | Siedlung Fritz-Reuter-Str. 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23, 25, 27, 29, 31, 33, 35, 37, 39 |
1934 |
Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Stallgebäude/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. in Magdeburg, Treuhandstelle für Wohnungs– und Kleinsiedlungswesen |
Fritz-Reuter-Str. 4, 6, 8, 10, 12, 14, 18, 20, 22, 24, 26, 28, 30, 32, 34, 41, 43, 45, 47, 49, 51, 53, 55, 57, 59, 61, 63, 65, 67 | 1935 | Wohnhaus mit Anbau, Hofraum und Hausgarten/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. in Magdeburg, Treuhandstelle für Wohnungs– und Kleinsiedlungswesen | |
Fritz-Reuter-Str. 36, 38, 40, 42, 44, 46,
48, 50, 52, 54, 56, 58, 60, 62, 64, 66 Freiligrathstr. 1 bis 64 |
1936 | Wohnhaus mit Waschküche und Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. in Magdeburg, Treuhandstelle für Wohnungs– und Kleinsiedlungswesen | |
Friedensstr. 21, 25, 27, 29, 31, 37, 39, 41, 43, 46, 47, 49, 51 | 1938 | Ab Nr. 37: Mitteldeutsche Heimstätte G.m.b.H., Treuhandstelle für Wohnungs- und Kleinsiedlungswesen | |
Friedensstr. 2, 4, 6, 8, 10, 12, 18, 20, 22, 24, 26, 28, 30, 32, 34, 36, 38, 40 | 1939 | Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Schuppen/ Mitteldeutsche Wohnungsbaugesellschaft m. b. H. in Magdeburg | |
Goethestr. 1 bis 25, 27, 29 bis 48, 50, 52, 54, 56, 58, 60, 62, 64 | 1939 | Wohnhaus mit Waschküche und Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. | |
Heinrich-Heine-Str. 1 bis 21, 23, 25, 27, 29, 31, 33, 35 | 1939 | Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Stall/ Mitteldeutsche Wohnungsbaugesellschaft m. b. H. in Magdeburg | |
Schillerstr. 1, 3, 5 bis 29, 31 | 1939 | Wohnhaus mit Waschküche und Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. | |
Uthmannstr. 1 bis 20 | 1939 | Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Stall/ Mitteldeutsche Wohnungsbaugesellschaft m. b. H. in Magdeburg | |
Walther-Rathenau-Str. 1, 4, 6, 8, 12 | 1939 | Wohnhaus mit Waschküche und Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. | |
Friedrich-Ebert-Str. 1, 3, 5, 7, 9, 11, 18, 20, 22, 24, 26, 28, 30, 32 | 1940 | Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Waschküche mit Stall/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. | |
Goethestr. 26, 28 | 1940 | Wohnhaus mit Waschküche und Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. | |
Heinrich-Heine-Str. 37, 39, 41, 43, 45, 47, 49 | 1940 | Wohnhaus mit Waschküche und Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H | |
Mittelweg 5, 7, 9, 11, 13, 15, 17, 19, 21, 23 | 1940 | Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, Waschküche mit Stall/ Mitteldeutsche Heimstätte G. m. b. H. | |
15 | Thalheimer Str. 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18, 20 | 1938 – 1939 | Zweigeschossiges Wohnhaus mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten/ Baugenossenschaft Sandersdorf e. G. m. b. H. |
Deutsches Reich 1871 – 1918 | Nachkriegszeit und DDR 1945 – 1989 | ||
Weimarer Republik und Nationalsozialismus 1919 – 1945 | Deutschland nach der Wiedervereinigung ab 1990 |
Nachkriegszeit und DDR 1945 – 1989 | |||
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Nr. in Bild 9 | Baugebiet | Bauzeit | Neubau/ Bauherr |
16 | Sandersdorf Nord I Südwestlich der Thalheimer Straße | 1964 – 1965 |
15 Wohnblöcke mit 850 Wohnungseinheiten (WE): 5–geschossige Wohnungsbauten mit steilem Pfettendach Typ IW 65 – Q6 Z55 bzw. Z56. |
17 | Feldstraße | 1964 – 1966 | Vier 4–geschossige Wohnungsbauten mit steilem Pfettendach (anfangs noch mit Ofenheizung) |
18 | Platz des Friedens | 1967 – 1968 | 11–geschossiges Hochhaus mit 132 Wohneinheiten nach einem Projekt, wie es für Halle–Nord verwendet wurde. |
19 | Platz des Friedens | 1968 – 1969 | Flachbau für Dienstleistungseinrichtungen (Ambulanz, Waschstützpunkt, Textilreinigung, Friseur, u. a. ) |
20 | Ring der Chemiearbeiter 66 | 1969 – 1970 | Polytechnische Oberschule (POS) II "Arthur Becker" (20 Klassen) |
21 | Ring der Chemiearbeiter | 1970 – 1971 | Kinderkombination "Glückspilz" (200 Plätze) |
22 | Platz des Friedens | 1976 – 1977 | Kaufhalle |
23 | Sandersdorf Nord II Nördlich der "Straße der Neuen Zeit" |
1979 – 1983 | Wohnkomplex 445 Wohnungseinheiten (WE): 5–geschossige Plattenbauten mit Flachdach |
Straße der Freiheit | 1979 – 1980 | 2–geschossiger Plattenbau für Dienstleistungseinrichtungen (Kinderkombination II mit 216 Plätzen, Poststelle, Volkssolidarität, u. a.) | |
Straße der Freiheit 6 | 1979 – 1981 | Polytechnische Oberschule "Augustin–Farabundo–Marti" mit Turnhalle und Schulsportgelände | |
24 | Straße der Freundschaft | um 1980 | Drei 6–geschossige Plattenbauten "Schwedenblöcke" mit Wohnungen für Monteure des CKB (Chemisches Kombinat Bitterfeld) |
Deutschland nach der Wiedervereinigung ab 1990 | |||
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Nr. in Bild 9 | Baugebiet | Bauzeit | Neubau/ Bauherr |
25 | "Am Wäldchen" Ahornweg / Akazienweg / Buchenweg / Lindenplatz / Rosenweg | 1992 – 1996 | Wohnanlage: Einfamilienhäuser |
Buchenweg 2 | 1992 – 1994 | Grundschule | |
26 | Poststraße/Hauptstraße | 1993 – 1996 | 4–geschossiges Wohn– und Geschäftshaus mit Sozialwohnungen |
27 | "An der Hermine" | 1994 | Erschließung des Gewerbeparkes |
28 | Straße der Neuen Zeit 30 – 37 | 1994 – 1995 | Wohn– und Geschäftshaus Behler |
29 | "An der Richard" ("Pferdekoppel") | 1994 – 1995 | Wohnanlage: Einfamilienhäuser und ein 3–geschossiges Mehrfamilienhaus |
30 | Finkenhain | 1998 – 1999 | Wohnanlage: fünf 3–geschossige Mehrfamilienhäuser |
31 | Neuer Weg / Ginsterweg / Holunderweg / Weißdornweg | ab 1999 | Einfamilienhäuser |
32 | Amselstieg | 2000 | Wohnanlage: vier 3–geschossige Mehrfamilienhäuser |
33 | Straße der Neuen Zeit 38a–c, 39a–d, 40a–c, 41a–d | 2000 – 2001 | 4–geschossiges Wohn– und Geschäftshaus (Oktogon), Haus I und II |
Straße der Neuen Zeit 42 | 2001 | 4–geschossiges Wohnhaus (Oktogon), Haus III (30 Wohneinheiten für Senioren) | |
34 | Louisenweg / Marienweg | 2004 – | Wohnanlage: Einfamilienhäuser und ein 2–geschossiges Mehrfamilienhaus |
35 | Charlottenweg | 2004 – | Einfamilienhäuser |
Deutsches Reich 1871 – 1918 | |
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Name der Straße | Bauzeit |
Kreischaussee nach Bitterfeld [3, S 54] | 1868 – 1869 |
Kreischaussee nach Zörbig [9] | 1869 – 1878 |
Zörbiger Straße [3; S. 44] | 1875 |
Teichstraße [3, S. 43] | 1876 – 1878 |
Greppiner Straße [3, S. 44] | 1880 |
Ramsiner Straße [3, S. 44] | 1880 |
Hauptstraße [3, S. 43] | 1893 – 1895 |
Bitterfelder Straße [3, S. 43] | 1893 – 1898 |
Bahnhofstraße [3, S. 43] | 1898 – |
Zscherndorfer Straße [3, S. 43] | 1900 – 1903 |
Seit 1928 geht von Sandersdorf die neu angelegte Straße in gerader Linie vom Bahnhof nach Thalheim. Bis dahin befand sich zwischen beiden Orten das tiefe Kohlenfeld der Grube "Karl Ferdinand". Um diese Grube herum führte damals ein Weg nach Thalheim. [3, S. 31] Die Straße Sandersdorf – Thalheim wird 1951 auf die Kippe des Tagebaus "Thalheim–West" verlegt, um den Tagebau "Karl–Ferdinand–Nord" ("Hermann Fahlke") restlos auskohlen zu können [10, Bd. III, S. 104].
Braunkohle wird, in der Grube "Richard" 1842 beginnend, mittlerweile rund um Sandersdorf gefördert. Um unmittelbar vor Ort die aus den Gruben geförderte Kohle verwerten zu können, entstehen betriebseigene Kesselanlagen, Brikettfabriken und ab 1879 Ziegeleien. In den Kesselanlagen wird der für die Produktion benötigte Dampf erzeugt, der auch die Dampfmaschinen antreibt. Die Ziegeleien verarbeiten den im Deckgebirge über dem Kohleflöz enthaltenen Ton. Der wirtschaftlich wertvolle, die Braunkohle überlagernde Ton wird beim Abraum als Nebenprodukt des Braunkohlenbergbaus gefördert und zunächst auf Halde geschüttet [11, S. 61]. Die daraus hergestellten Ziegel prägen im ausgehenden 19. Jahrhundert die Fassaden der entstehenden Industriebauten und der einfachen Wohnhäuser im Ort, die unverputzt ihre verfugte, gefleckte Ziegelfassade zeigen (Bild 10 bis 12).
Ziegel im Blockverband | Ziegel im märkischen Verband | |
Bild 10. Fassaden mit Mauerziegel in Sandersdorf |
Fassaden von Industrie– und Wohngebäuden mit unverputzten Mauerziegeln | |
Bild 11. Kesselhaus und Scheune der "Bitterfelder Louisengrube" in der Ramsiner Straße | Bild 12. Wohnhaus mit Laden um 1920 in der Hauptstraße 45 |
Über die Herstellung der Mauerziegel berichtet RUDOLPH [11]:
"Selten sind Tonvorkommen so mächtig und rein wie bei Bitterfeld. Der Ton wird hier ohne erhebliche Kosten beim Abräumen der Braunkohlenflöze gewonnen. In der Braunkohle hat man billigen Brennstoff; fast alle Braunkohlengruben haben sich Ziegeleien angegliedert; sie gewinnen Roh– und Brennstoff in einem Betriebe, brennen sie doch den Ton mit der ihn unterlagernden Kohle. Die Anschlußgleise der Braunkohlengruben leiten die Ziegel zu dem wichtigen Bahnkreuzungspunkt Bitterfeld." [11, S. 68]
"Eine Verbesserung im Erzeugungsgang, wie sie nirgends so leicht angewendet werden kann, sicherte den Bitterfelder Ziegeln Absatz in ganz Deutschland: Anstatt mit anderen Magerungsmitteln mischt man in Bitterfeld den fetten Ton mit gesiebter Braunkohle, die man in demselben Betrieb gewinnt. Im Ofen brennen dann die Braunkohlenteilchen aus: der Stein ist porös." [11, S. 68]
Aus dem weißen Ton werden zuerst gelbe Klinker gebrannt und ab 1890 poröse Ziegel, der 2 kg schwere Bitterfelder Vollstein und der 1,25 – 1,5 kg leichte Bitterfelder Lochstein. Diese Mauerziegel werden aufgrund der hohen Festigkeit und der geringen Masse in die nahen Städte, insbesondere nach Berlin, abgesetzt. Dem Verein "Bitterfelder Industrieller" sind 1925 9 Ziegeleien angeschlossen, von denen 8 Nebenbetriebe von Braunkohlengruben sind [11, S. 68]. Auch zu den beiden Braunkohlenwerken in Sandersdorf gehört jeweils eine Ziegelei. Die Dampfziegelei (etwa 1870 – 1940) der "Grube Richard" Schmidt & Comp. G.m.b.H. am Pfingstanger produziert Klinker, poröse Voll– und Lochsteine [3]. In der Dampfziegelei (etwa 1870 – 1959) der "Bitterfelder Louisengrube A. G." in der Ramsiner Straße werden insbesondere poröse Vollsteine hergestellt.
Die "Greppiner Werke" stellen rötlich gelbe Verblendziegel und Terrakotten in der charakteristischen gelbbraunen, mitunter auch lederbraunen Farbe im Zeitraum 1871 – 1912 her, die in jener Zeit zu den Besten auf dem deutschen Markt gehören. Terrakotten werden in der Historismus–Architektur, nach 1900 vom Jugendstil abgelöst, reichlich verwendet. Greppiner Verblendziegel, Friese, Gesimse, Ornamente, Verzierungen, Figuren u. a. schmücken die Fassaden der damals entstehenden größeren staatlichen Gebäude, Bahnhöfe, Kasernen, Schulen und auch die vieler Bürgerhäuser. Nachdem die Aufträge für größere Bauten in den Großstädten ausbleiben, werden Gebäude mit Greppiner Verblendziegeln und Terrakotten ab etwa 1885 auch im Kreis Bitterfeld gebaut. [10, S. 138 – 167] [11, S. 68]
In Sandersdorf entstehen um 1900 in der Bitterfelder Straße, Bahnhofstraße, Ramsiner Straße, am Kirch– und Schulplatz und an anderen Stellen Häuser mit Greppiner Verblendziegel, die auch heute noch so unverwechselbar erscheinen. Die Fassaden überstehen nicht nur die Witterungseinflüsse, sondern auch die starken Luftverschmutzungen des 20. Jahrhunderts. Beispiele für Gebäude mit Greppiner Verblendziegel, einzelne auch mit Terrakotten, sind die evangelische Schule (1887) am Platz der Deutschen Einheit 7, der Bahnhof (1898), "Gasthof zur Eisenbahn" in der Bahnhofstraße 26, die katholische Schule (1899) in der Greppiner Straße 9, die alte Post in der Poststraße 6, die Villa Lehmann (erbaut 1897–1900; umgebaut 1908) in der Ramsiner Straße 24, und viele andere.
Bild 13. Greppiner Verblendziegel und Terrakotten an Fassaden Sandersdorfer Gebäude |
Fassaden von Industrie– und Wohngebäuden mit Greppiner Verblendziegel | |
Bild 14. Von Gustav Möhring 1902 erbaute Sandersdorfer Rübensaft– und Syrupfabrik in der Ramsiner Straße 4 | Bild 15. Grubenbesitzer Lehmann erbaut 1900 ein zweigeschossiges Wohnhaus mit klassizistischer Fassade in der Ramsiner Straße. 1908 wird es durch ein Obergeschoss mit einem Turm erweitert, das Merkmale des Jugendstils zeigt. |
In fast 50 Jahren, von 1871 – 1919, wächst die Einwohnerzahl von 550 auf 3856 Einwohner. Die für den Betrieb der Braunkohlengruben und chemischen Werke benötigten Arbeitskräfte ziehen größtenteils von außerhalb zu [12, S. 390]. Ausländische, meist ungelernte, Arbeiter aus Polen, Galizien, Kroatien, Russland, Italien und der Slowakei werden angesiedelt. Ihre Unterbringung erfolgt anfangs in Wohnbaracken mit sehr primitiver Ausstattung. Wohnbaracken bzw. Arbeiterkasernen, im Volksmund "Bullenkloster" genannt, gibt es in den Kohlenwerken "Louise" und "Richard" [7], teils mit untragbaren Zuständen.
Die Stuben werden mit 8 – 20 Personen belegt. Jeder Arbeiter besitzt eine Bettstelle, einen Strohsack, ein Kopfpolster und eine Wolldecke. Für die Unterkunft werden je Woche 25 Pfennig gezahlt. In der Kaserne der Grube "Louise" wird das Trinkwasser einem offenen Graben entnommen. Nach einer Mitteilung vom 03.07.1899 leben in den Arbeiterkasernen der Grube "Richard" 29 Arbeiter (davon 10 Polen und 19 Deutsche) und der Grube "Louise" 29 Arbeiter (davon 22 Polen, 4 Galizier und 3 Deutsche). [10, S. 391 – 392]
Ausländer in der Belegschaft um 1900 für die Werke auf Sandersdorfer Flur (Auszug) [10, S. 390, nach W. BELLMANN]:
Werk Beleg- davon anteilig zur schaft Ausländer Belegschaft
Grube Vergißmeinnicht 189 21 11,1 % Grube Louise 150 68 45,3 % Grube Marie 51 13 25,5 % Grube Karl-Ferdinand 69 32 46,4 % Grube Richard 125 28 22,4 % Grube Erich 33 3 9,1 %
Im Ort sind keine freien Wohnungen vorhanden, es herrscht Wohnungsnot. Mehrgeschossige Wohnhäuser mit einfachen Mietwohnungen werden gebaut.
Die für den Bau eines 3–geschossigen Wohnhauses notwendigen Unterlagen
bestehen im Jahr 1900 aus [13]:
1 vorgedruckte zweiseitige Bauerlaubnis
1 Zeichnung auf Karton im Format A2 mit
Lageplan, Ansichten und Schnitte für Wohnhaus und zwei Stallgebäude
1 Seite handschriftliche Baubeschreibung des Bauunternehmers
1 Seite handschriftliche Auflagen des Königlichen Kreisbaudirektors
Anschlüsse für Wasser, Abwasser, Elektroenergie und Telefon werden erst in den folgenden Jahren oder Jahrzehnten gelegt.
Stube 21,7 m² Küche 5,0 m² Kammer 8,5 m² 35,2 m² | |
Bild 16. Mietwohnungen für Arbeiterfamilien mit Kindern um 1900 |
Baubeschreibung des Bauunternehmers
Beschreibung über Neubau eines Wohnhauses und zweier Stallgebäude für ... "1. Wohngebäude. Fundamente und Umfassungsmauern sollen massiv von Mauersteinen in Kalkmörtel aus- geführt werden, die Scheidewände werden theils massiv, theils als Fachwände hergestellt. Die Kellerräume werden mit 1/2 steinstarken Kappen überwölbt. Die Schornsteine werden 25/25 cm im Lichten weit, mit 1/2 steinstarken Wangen, lothrecht, nach den gesetzlichen Bestim- mungen ausgeführt und erhalten in den Reinigungsöffnungen eiserne Schieber. Die vordere Seite - Mansarde - wird mit Schiefer, die hintere Dachseite mit Dachpappe gedeckt. 2., zwei Stallgebäude. Fundamente, Umfassungs- und Scheidewände sollen massiv von Mauersteinen in Kalkmörtel ausgeführt werden, beim Stall I werden die Hofwand und beide Giebel als Brandmauern hergestellt. Die Pultdächer werden mit Dachpappe gedeckt." [13] Zscherndorf, den 5. April 1900 Friedrich Pobbig Bauunternehmer
Der Königliche Kreisbauinspektor fordert zusätzlich:
Delitzsch, den 12ten April 1900 "1. Der Stall an der linken Grenze muß mit seinen beiden Giebeln mind. 2,50 m von dem gegenüberliegenden Wohnhause bezw Stelle entfernt bleiben, oder der Zwischenraum zwischen den Gebäuden muß überdacht werden. 2. Für die Küchen sind Wrasenrohre anzulegen. 3. Die Scheidewand der beiden Vorderzimmer muß 25 cm stark werden. 4. Die Treppe ist unterhalb zu wehren und zu putzen." [13]
Im Jahr 1900 leben in dem von mehreren Braunkohlengruben umgebenen Ort bereits 2600 Menschen auf engem Raum (Bild 17).
Nur der um 1900 vorhandene Ortskern, die Bahnstrecke mit Bahnhof, die Bitterfelder und die Zörbiger Straße, die Brikettfabrik und Ziegelei der Grube Richard am Pfingstanger (Bild 17, (1)), die Brikettfabrik der "Bitterfelder Louisengrube AG" (Bild 17,(2)) in der Ramsiner Straße und der 1901 angelegte kommunale Friedhof stehen auf vom Bergbau unberührten, gewachsenen Boden (Bild 17). Alle größeren Erweiterungen des Ortes in den folgenden Jahrzehnten werden auf den planierten, nach über mehr als zwei Jahrzehnten im Untergrund natürlich verdichteten, Abraumhalden stillgelegter Tagebaue errichtet. Die ursprünglich bis ins Tertiär der Kohlenflöze reichende Schichtenfolge ist hier nicht mehr vorhanden (Bild 18).
Gewachsene Bodenschicht, unverritzt | † | Friedhof | |
Vom Braunkohlentagebau beanspruchte Fläche | 1 | Brikettfabrik und Ziegelei "Grube Richard" Schmidt & Comp. G.m.b.H. | |
Bebaute Fläche | 2 | Bitterfelder Louisen-Grube, Kohlenwerk | |
Eisenbahn | 3 | Bitterfelder Louisen-Grube, Ziegelei | |
Westlich dieser Linie befindet sich unter Sandersdorf eine Tonschicht [9] |
Eine Schicht pleistozäner Kiese und Sande von 5,3 bis 6,3 m und das darunter liegende tertiäre Braunkohlenflöz mit einer Mächtigkeit von 13,2 bis 14,7 m befindet sich unter der Rasensohle in der Ortslage von Sandersdorf [15] (Bild 18).
Die Bevölkerung in Sandersdorf wächst im Zeitraum 1919 – 1946 von 3856 auf 7470 Einwohner. Die zunehmende Wohnungsnot wird mit der Errichtung größerer Siedlungen gemindert.
Der "Bergmannswohnstättenverband für den Bezirk Bitterfeld Anhalt G. m. b. H." errichtet für die Familien der Bergarbeiter die so genannten "Bergarbeiterhäuser" von 1921 – 1925 in der Greppiner Straße, Glückauf–Siedlung, Zörbiger Straße und im Bergmannswinkel. Gebaut werden 2–geschossige Doppel– und Reihenwohnhäuser mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten (Tab. 2, Bild 9 Nr. 5 – 7 u. Bild 19). Kurze Zeit nach der Fertigstellung werden die Häuser an die betreffenden Mieter aufgelassen [16].
Bild 19. Bergarbeiterhäuser in der Greppiner Straße erbaut 1921 | Bild 20. Wohnhäuser für Grubenbeamte in der Ramsiner Straße erbaut 1921 – 1925 |
Die "Bitterfelder Louisengrube A. G." baut für ihre Grubenbeamten 5 Doppelwohnhäuser mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten von 1921 – 1925 in der Ramsiner Str. 1/3, 5/7, 9/11, 13/15 und 17/19 (Bild 9 Nr. 8). Bei den Häusern 13/15 und 17/19 wird mit den halbrunden Erkern und der Betonung der Mitte des Doppelhauses sowie den gelben und roten Ziegeln eindrucksvoll eine progressive Bauweise umgesetzt [17] (Bild 20). Eine gemeinsame Mauer, die aus roten Ziegeln gemauerten Pfeiler stützen weiße Zaunfelder mit vertikalen Stäben aus armiertem Beton, begrenzt die Vorgärten (Bild 20).
Die "Baugenossenschaft Sandersdorf e. G. m. b. H." errichtet Doppelwohnhäuser mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten von 1926 – 1929 an der neu angelegten Ernst–Borsbach–Straße 1 bis 45 (Bild 9 Nr. 9). Die Finanzierung erfolgt mit eigenen und mit Mitteln des Staates. Diese Straße wird nach dem langjährigen Mitglied der Gemeindevertretung (1905 – 1910 [18]) Dr. phil. Ernst Borsbach, um 1926 Vorstandsmitglied der IG–Farben und Leiter der Werke Bitterfeld der BG Mitteldeutschland, benannt. Er unterstützt in freundlicher Weise die Gemeinde und die Baugenossenschaft. Das der Chemischen Fabrik Griesheim–Elektron bisher gehörende Baugelände wird der Baugenossenschaft für 10 Pfg. pro Quadratmeter übereignet [3, S. 60] (Bild 21).
Anschließend baut die "Gemeinnützige Baugenossenschaft Eigenheim e. G. m. b. H." Doppelwohnhäuser mit Stallanbau, Hofraum und Hausgarten von 1929 – 1930 in der Eigenheimstraße 1 bis 33 (Bild 9 Nr. 10).
Die "Baugenossenschaft Sandersdorf e. G. m. b. H." errichtet auf ehemaligem Grubengelände nördlich des Sandersdorfer Bahnhofs 2–geschossige Reihenhäuser mit Stallanbau / Wirtschaftsgebäude, Hofraum und Hausgarten 1930 – 1931 in der Nordstraße 1 bis 20 (Bild 9 Nr. 11), 1931 in der Feldstraße 1 bis 21 (Bild 9 Nr.12 und Bild 22) und 1938 – 1939 in der Thalheimer Str. 2 bis 20 (Bild 9 Nr. 15 und Bild 23).
Bild 22. Wohnhäuser in der Feldstraße erbaut 1931 | Bild 23. Wohnhäuser in der Thalheimer Straße 2 – 20 erbaut 1938 – 1939 |
Die Landgemeinde baut 2–geschossige Reihenhäuser mit Stallanbau / Wirtschaftsgebäude, Hofraum und Hausgarten 1932 in der Thalheimer Str. 24, 26, 28, 30, 32 und 34 (Bild 9 Nr. 13).
"Die Wohnungsnot hat die Gemeinde gezwungen, an Bauwillige einen Bauzuschuß von 1000 Mark pro Wohnung zu verleihen" [3, S. 86].
Das Gelände südlich der Straße nach Bitterfeld, auf dem ab 1934 die "Vorstädtische Kleinsiedlung in Sandersdorf" entsteht (Bild 9 Nr.14), wurde vom Tagebau "Deutsche Grube" (1878 – 1934) ausgekohlt und anschließend verfüllt [10, S.126]. Ausführlich behandelt der Autor in [19] die Geschichte der Siedlung.
Die Durchführung der Siedlung wird der Mitteldeutschen Heimstätte, Wohnungsfürsorgegesellschaft m. b. H. Magdeburg, Zweigstelle Merseburg, übertragen [20].
Die Siedlungshäuser werden als Doppelhäuser einheitlich nach den folgenden Vorgaben ausgeführt:
Dachgeschoss: kleine Kammer 10,86² große Kammer 12,52² zusammen: 23,38² Erdgeschoss: Wohnküche 14,05² Schlafstube 12,20² Kammer 8,20² zusammen: 34,45² Keller 15,35² [20] [21] | |
Bild 24. Zeichnung Hausquerschnitt [21] |
Anbau: Wirtschaftsraum 6,65² Abort 1,15² Stallraum 10,19² |
Für Familien mit vielen Kindern sind die Wohnungen in den neu gebauten Siedlungshäusern bereits zu klein, wie die folgende Verhandlung zeigt.
Verhandelt, Sandersdorf, den 20.9.1934 Freiwillig erschienen: 1. der Arbeiter August M., 9 Kinder im Alter von 3 - 20 Jahren, 2. der Arbeiter August S., 4 Kinder im Alter von 4 - 15 Jahren und erklären: "Wir sind Siedler in der vorstädtischen Kleinsiedlung beim II. Bauabschnitt in Sandersdorf. Unsere Heimstätten sind bereits fertiggestellt. Wir haben 9 bzw. 4 Kinder im Alter von 3 - 20 bzw. 4 - 15 Jahren und gelten somit als Kinderreiche. Aus diesem Grunde stellen wir hiermit den Antrag, daß im Obergeschoß unseres Grundstückes ausgebaut wird. Da wir in 3 bis 4 Wochen einziehen wollen und die Innenarbeiten im Hause bis dahin vollkommen erledigt sein sollen, bitten wir um beschleunigte Behandlung unseres Antrages." [22] v. g. u.
Als Reichsheimstätte geht das Grundstück in das Eigentum des Siedlers über.
Bei der Bauausführung ist Selbsthilfe — freiwilliger Arbeitsdienst —
unter Leitung der Mitteldeutschen Heimstätte vorgesehen [20].
Die Gesamtkosten einer Siedlerstelle betragen [20]:
a) Darlehn aus Reichsmitteln 2500,-- RM e) Wert der Selbsthilfeleistung 750,-- RM
Bau- und Einrichtungskosten für eine Stelle 3250,-- RM
Für Verzinsung und Tilgung des Reichsdarlehens in Höhe von 2.500,– RM werden für die Zeit vom 1. Januar 1934 bis zum 31. Dezember 1936 jährlich 75,-– RM in monatlichen Teilbeträgen von 6,25 RM und für die Zeit vom 1. Januar 1937 bis zum 31. Dezember 1977 jährlich 125,— RM in monatlichen Teilbeträgen von 10,42 RM nachträglich zum 1. des folgenden Monats an die hiesige Gemeindekasse gezahlt [23].
Für kinderreiche Siedlerfamilien werden Zusatzdarlehen zur Verfügung gestellt [20].
Der Beginn der Errichtung der Siedlung ist auch die Zeit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Deutschen Reich.
Das Konzept vom Siedlungshäuschen mit dazugehörigem Nutzgarten hat seinen Ursprung in der Gartenstadtarchitektur am Ende des 19. Jahrhunderts. Der soziale Siedlungsbau, der in den Jahren um 1925 mit der Errichtung von sogenannten Erwerbslosensiedlungen — zur Behebung der Not von Volk und Reich — beginnt, wird unter den Nationalsozialisten weitergeführt. Den Nationalsozialisten dient der Siedlungsbau als Instrument der Indienstnahme des Volkes im Sinne der nationalsozialistischen Politik und Ideologie. In diese Zeit fällt die Errichtung der Siedlung in Sandersdorf. Das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit der gemachten Versprechungen ist unübersehbar. Die Anzahl und der Standard (Größe des Wohnraumes für kinderreiche Familien, Entsorgung des Abwassers und der Fäkalien, Ausbau der Straßen, u. a.) der errichteten Häuser bleibt weit hinter den Bedürfnissen der Siedler zurück. [24]
Am 09.05.1933 unterstellt sich der "Schrebergartenverein Volkswohl e. V." dem Reichsbund der Kleingärtner und Kleinsiedler Deutschlands e. V." Jeder Siedler wird vertraglich zur Mitgliedschaft verpflichtet. [25]
In der Anlage "Kleingärtner und Kleinsiedler unter nationalsozialistischer Führung" aus dem Jahr 1933 wird u. a. festgelegt [20]:
"Zunächst werden die Verbände, Bünde, Organisationen und Vereine — die in den Reichsbund aufgenommen werden — entsprechend dem Führerprinzip eingegliedert. Die einzelnen Mitglieder dieser Organisationen werden sodann mit den Aufgaben des Reichsbundes vertraut gemacht, die darin bestehen, das Kleingarten– und Kleinsiedlungsland nach dem Darrè'schen Gedanken von Blut und Boden als Verpflichtung zu Volk und Staat in der Idee
» Gemeinnutz geht vor Eigennutz «
zu nutzen."
Der Bitterfelder Landrat schreibt am 11. August 1934 an den Herrn Gemeindeschulzen in Sandersdorf:
"Eine der wesentlichen Aufgaben der Gemeinden im neuen Staat muß es sein, mit dafür zu sorgen, daß den minderbemittelten arbeitenden Volksgenossen, insbesondere den kinderreichen, ausreichende Wohnungs– und Siedlungsmöglichkeiten gegeben werden, um einmal durch den Besitz eigenen Grund und Bodens ihre soziale Lage zu heben und zum anderen durch die Erträge des von ihnen zu bewirtschaftenden Landes ihren Lebensstandard zu bessern." [22]
In einem Schreiben des Landrates an den Regierungspräsidenten in Merseburg vom 15. August 1934 [20]:
"Sandersdorf befand sich mit rd. 1000 Unterstützungsempfängern in größter Notlage. Ich bin glücklich, die von mir betrauten Arbeitslosen bis auf 50 untergebracht zu haben." [20]
Die neuen Siedlungen werden außerhalb des Ortes gebaut. Im Ortskern verbleiben noch lange die Bauten landwirtschaftlicher Betriebe (Bild 25).
Sozial schwache oder obdachlose Familien können ein Behelfsheim erwerben, das jeweils auf einer größeren Parzelle errichtet wird, auf der sie Obst und Gemüse anbauen und Kleintierhaltung betreiben können. Die spätere Übereignung dieses Grundstücks mit "Wohnlaube" wird ermöglicht.
Der Preußische Minister für Berlin W.9, Wirtschaft und Arbeit den 20. Sept. 1933 Sofort Betrifft: Errichtung von Not- und Behelfswohnungen im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms "Auf Grund des §1 des Gesetzes zur Verminderung der Arbeitslosigkeit vom 1. Juni 1933 werden Arbeitsschatzanweisungen bereitgestellt, um die Errichtung von Not- und Behelfswohnungen zur Unterbringung wohnungsloser Familien zu ermöglichen." ... "In den Vordergrund zu rücken ist der Bau einfachster Flachbauten mit Gartenzulage, etwa nach Art verbesserter Wohnlauben. Dadurch wird die obdachlose Familie schlechten Einflüssen entzogen und wieder in gesunde Verbindung mit dem Boden gebracht. Zugleich wird ihr durch die Betätigungsmöglichkeit bei der Erstellung der Bauten und später im Garten ein neuer Lebensinhalt geboten." ... [20]
Das Behelfsheim sollte ein behelfsmäßiges Heim und kein Wohnhaus sein. Um die Herstellung möglichst schnell und kostengünstig zu realisieren, wurde die Größe mit 5,1 x 4,1 m bei einer mittleren Raumhöhe von 2,50 m festgelegt. Kasernenmäßige Baracken oder ähnliche provisorische Bauten sollten jedoch nicht gefördert werden. In Bezug auf Baustil und Materialien orientierte man sich an den örtlichen Gegebenheiten.
In der Schillerstraße — von der Rathenaustraße bis Mittelweg —
werden von 1932 – 1933 vorerst "Wohnlauben" (Behelfsheime) gebaut.
Am Waldesrand (östlich) werden von 1944 bis 1945 zwei Doppelhäuser mit Dachziegel
bedecktem Satteldach gebaut. Im gleichen Zeitraum werden die Häuser 3,4 und 5
errichtet. Da die Dachziegel gestohlen wurden, bekommen diese Häuser ein Flachdach.
Die weiteren Häuser 6, 7 und 8 werden nur noch mit Betonspannplatten und
Flachdach als Behelfsheime ausgeführt. Um 1970 werden einige Behelfsheime
erweitert und ausgebaut, andere abgerissen und durch massive Wohnhäuser ersetzt.
[25]
Bis in die letzten Wochen vor Ende des II. Weltkrieges werden noch Genehmigungen zur Errichtung von Behelfsheimen erteilt, um die wohnungslosen Menschen aus den zerbombten Städten unterzubringen. Der Bau dieser Behelfsheime sollte von einzelnen privaten Bauherren in Selbst– und Gemeinschaftshilfe getragen werden.
Unmittelbar nach dem Ende des Krieges werden ab Sommer 1945 zur Minderung der Wohnungsnot weitere Behelfsheime gebaut. Diese Behelfsheime werden von den Bauwilligen in Eigenleistung auf bisher unbebauten Grundstücken errichtet. [25]
Zitiert aus dem Protokoll
Besprechung am 6.8.1945 mit der Mitteldeutschen Heimstätte Magdeburg:
Besprechungspunkt 1. Unbebaute Grundstücke Scharnhorststr. (24 Stellen) "Auf Grund der vorliegenden Wohnungsnot hat der Bürgermeister von Sandersdorf angeordnet, 24 Siedlerstellen in der verlängerten Scharnhorststr. mit Behelfsheimen in der Form der Wirtschaftsgebäude, wie sie von der Mitteldeutschen Heimstätte vorgesehen sind, (Bautyp Neumann) und nach deren Zeichnungen zu bebauen. Auf Grund des Materialmangels darf nur mit bereits vorhandenem Material gebaut werden. Ein Siedler kann nur eine Parzelle inne haben und bebauen. Inhaber des Behelfsheimes muß die Wohnung selbst bewohnen. Diese Parzellen sollen vorwiegend von Sandersdorfern belegt werden. Die Belegung der Parzellen bestimmt der Bürgermeister." [25]
In der DDR findet kein Neubau von kompletten Siedlungen statt. Im Rahmen des Anfang 1970 beschlossenen Wohnungsbauprogrammes entstehen auf bisher nicht bebauten Parzellen der Siedlung Eigenheime, z. B. in der Uthmannstraße von 1954 – 1973 8 Eigenheime (Nr. 22 bis 36). Einige Häuser werden ausgebaut und aufgestockt. Auch die Anbauten werden zu Wohnungen umgebaut und dabei vergrößert [25] [26, S. 21 – 22].
Die Wohnungsmieten werden staatlich verordnet so niedrig festgelegt, dass mit den Einnahmen die Ausgaben für Wartung, Instandsetzung und Modernisierung nicht aufgebracht werden können. Der volkseigene Wohnungsmarkt wird subventioniert. Der private Hausbesitzer erhält für seine vermieteten Wohnungen keine Zulage.
Der Rat der Gemeinde Sandersdorf 24.9.1955 Frau Anna H. Sandersdorf Friedrich-Ebert-Straße Ib/Ja/Wa Betr.: Mietpreisfestsetzungsbescheid ----------------------------- Laut Schreiben des Rates des Kreises Bitterfeld, Abt. Finanzen, Referat Preiskontrolle, vom 17.9.55, wird die zulässige monatliche Miete wie folgt festgesetzt: Für 3 Wohnräume von insges. 30,70 qm a qm 0,60 DM = 22,42 DM " 1 Garten mit Obstkulturen v. insgesamt 800 qm a qm jährlich 0,06 DM = 48,- DM : 12 = 4,-- --------- insgesamt: 26,42 DM ========= Für die Wohnung F. wird die Miete für 2 Mansardenzimmer von insgesamt 22 qm a qm 0,50 DM = 11,-- DM festgesetzt. [27]
Die Zahl der Einwohner wächst im Zeitraum 1946 – 1981 von 7470 auf 8943. Das ist die höchste Einwohnerzahl, die Sandersdorf bisher erreicht hat. Danach sinkt die Einwohnerzahl auf 7898 im Jahr 1989.
Über die Wohnungsnot in Sandersdorf berichtet die Arbeitsgemeinschaft Natur– und Heimatfreunde in einer Denkschrift aus dem Jahr 1965 [34]:
"Sandersdorf, obwohl überwiegend von Industriearbeitern bewohnt, ist einer der Orte mit der größten Wohnungsnot. Der Wohnraummangel ist katastrophal. Viele Sandersdorfer Bürger wandern ab, weil sie anderswo Wohnung finden. Damit ist aber für unseren Heimatort die Wohnungsfrage nicht gelöst. Abwanderung der Bürger bedeutet auch heute noch Niedergang, Mißstand und Not.
Wohl sind seit Kriegsende einige Häuser gebaut worden, aber noch kein einziges für die Arbeiter. Die Neubauten gehören ausschließlich freiberuflichen Handwerkern, Gewerbetreibenden und Angestellten.
In den ersten Jahren nach dem Kriege verstand man unter Wohnungsnot den Wohnraummangel. Heute ist unter Wohnungsnot nicht nur der Wohnungsmangel, sondern auch der menschenunwürdige Zustand einer Wohnung zu verstehen. Es ist eine tief zu bedauernde Tatsache, daß gerade diejenigen Menschen, die die schwerste, ungesündeste, aber wichtigste und werteschaffende Arbeit für die Volkswirtschaft leisten müssen, in den schlechtesten Wohnungen hausen. Gerade in Sandersdorf ist die Zahl der menschenunwürdigen Wohnungen sehr groß, was die kürzlich durchgeführte Wohnraumzählung einwandfrei bewiesen hat. Viele Häuser sind reif zum Abbruch, werden aber trotzdem als gleichwertiger Wohnraum vergeben und geführt. Dieser unhaltbare Zustand wird geändert werden müssen im Zeitalter des modernen Wohnungsbaues und des technischen Fortschritts. Auch Sandersdorf darf an dieser Notwendigkeit nicht vorübergehen, denn im schönen sozialistischen Dorf darf es keine Elendswohnungen mehr geben." [34]
Die Gründung des Neubaugebietes Sandersdorf Nord I wird vorbereitet:
VEB Braunkohlenwerk Freiheit Bitterfeld, den 2.8.1964 An den Rat der Gemeinde Sandersdorf Kündigung von Pachtland an der Thalheimerstraße ----------------------------------------------- "Für die Errichtung der Wohnbauten für die Teilortsverlegung Niemegk ist es notwendig, das hierfür vorgesehene Gelände westlich der Thalheimerstraße in einer Tiefe von etwa 80 m ab Herbst des Jahres freizumachen." Das Gelände ist zur Hälfte in kleineren Parzellen als Acker verpachtet. [28]
Die Bezirksstelle für Geologie beim Rat des Bezirkes Halle schreibt am 08.06.1964 über das künftige Baugelände [28]:
"Das Baugelände ist durch Braunkohlentagebau verritzt. Die natürliche geologische Schichtenfolge ist hierdurch bis in eine Tiefe von ca. 20 m verloren gegangen. Das Tagebauloch ist mit Abraum wieder verkippt.
1964 steht das Grundwasser bei 78,2 m über NN (vor dem Kohleabbau 79,4 m über NN). Das Gelände liegt zwischen 82 und 85 m über NN."
Das Entwurfsbüro für Gebiets–, Stadt– und Dorfplanung des Rates des Bezirkes Halle begründet am 21. Juni 1964 den Standort wie folgt [29]:
Erläuterungen zum Bebauungsvorschlag Sandersdorf Nord ------------------------------------------------------ "Die Auswahl des vorliegenden Standortes nördlich der Bahnstrecke Bitterfeld – Stumsdorf im Bereich des Bahnhofes Sandersdorf erfolgte auf Anregung und intensive Bemühungen der Werktätigen und der Leitung des Elektrochemischen Kombinates Bitterfeld. Der Aufbau von Sandersdorf Nord soll den dringenden Wohnungsbedarf für das EKB sichern. Die vorgesehene Baufläche ist ehemaliges Grubengelände, das landwirtschaftlich nicht genutzt wird. Strandbad, wechselnde Aufforstungen, optimaler Wohnort in der günstigsten Windlage. Verkehrsmäßig erschlossen: Thalheimer Straße, Bahnhof. Zwischenlösung für die Abwasserentsorgung: vorläufige Einleitung der geklärten Wässer in die Grube Hermine." Bedarf an gesellschaftlichen Einrichtungen: 1 Polytechnische Oberschule, 20 Klassen 1 Kindergarten 144 Plätze 1 Kinderkrippe 69 Plätze als Einzelstandorte Im Kompaktbau des Zenrums sind unterzubringen: - Lebensmittelkaufhalle 180 - 220 m² - Klubgaststätte mit ca. 100 Gastplätzen - Friseurbetrieb mit 10 Plätzen, 200 m² Gesamtfläche - Stadtambulanz mit Arzt- und Zahnarztpraxis und Gemeindeschwesternstation Geplant sind Wohnblöcke für insgesamt 750 Wohnungen mit Folgeeinrichtungen für das EKB. [29]
Die 5–geschossigen Wohnhäuser werden nach dem Wohnbautyp IW 65 – Q6 Z55 bzw. Z56 mit einer Setzungsfuge ausgeführt (Bild 27 u. 28). Das Wohngebiet entsteht auf dem verkippten Gelände eines ehemaligen Braunkohlentagebaus. Die Verkippung wurde um 1924 beendet und der verfüllte Tagebau etwa ab 1948 als Acker genutzt. Das Gelände ist mit einem Höhenunterschied von ca. 1,0 m ungefähr eben und besitzt Höhenkoordinaten zwischen 85,5 und 86,5 m NN. [30]
Das 11–geschossige Hochhauses (Bild 29) wird nach einem Projekt, das bereits für Halle–Nord verwendet wurde, gebaut. Der Standort liegt westlich der Verlängerung der Feldstraße auf unverritztem Gelände.
Bild 28. Wohnblöcke in der Feldstraße erbaut 1964 – 1966 | Bild 29. Hochhaus am Platz des Friedens erbaut 1967 – 1968 |
Wohnung mit Zimmeranzahl 1 2 2 1/2 3 1/2 m² m² m² m²
Wohnzimmer 15,72 15,72 19,53 19,53 Schlafzimmer 15,72 12,92 12,92 1. Kinderzimmer 10,45 10,45 2. Kinderzimmer 15,72 Küche 6,74 6,74 6,74 6,74 Bad und WC 4,50 4,50 4,50 4,50 Flur 4,86 4,86 4,45 4,45
Summe 31,82 47,54 58,59 74,31 Die zu den Mietwohnungen gehörenden Keller haben eine Fläche von 3,3 bis 7,77 m² [30].
Das Kesselhaus der am 30.06.1965 stillgelegten Brikettfabrik "Hermann Fahlke" übernimmt das Chemiekombinat Bitterfeld. Es wird zum Heizwerk für das Neubaugebiet Sandersdorf Nord I umgebaut.
Die Gaststätte "Förstergrube" im Wohngebiet Sandersdorf–Nord, im Bebauungsvorschlag als Klubgaststätte aufgeführt, wird erst im Oktober 1981 eröffnet, nachdem deren Bau mehrere Jahre dauerte. Bewirtschaftet wird sie von der Konsumgenossenschaft, auch "Schülerspeisung" wird angeboten. [31]
Mit der weiteren Ansiedlung von Industriearbeitern verliert Sandersdorf seine bisher landwirtschaftlich genutzten Gebäude. Die Landwirtschaft wird so weit zurückgedrängt, dass sich am Ende des 20. Jahrhunderts kein landwirtschaftlicher Betrieb mehr im Ort befindet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden immer mehr Beschäftigte der umliegenden Bergbaubetriebe und der Chemieindustrie hier ihr Zuhause. Mit den errichteten Neubaugebieten Sandersdorf Nord I und Sandersdorf Nord II vollendet Sandersdorf seine Entwicklung zu einer großen Siedlung der Werktätigen. Im Volksmund auch als "Industriearbeiter–Wohnsitzgemeinde" bezeichnet.
Bild 32. Blick aus einem Wohnungsfenster 1987 | Bild 33. "Schwedenblöcke" an der "Straße der Freundschaft" im Jahr 1981 |
Bild 34. Plattenwand — Qualitätsbauweise der Neuzeit 1983 | Bild 35. Blick aus einem Schlafzimmerfenster — 1986. |
Beinahe zwei Drittel der Einwohner leben in den Neubauten von Sandersdorf–Nord, die überwiegend an die Fernheizung angeschlossen sind. Die Wohnungen in den Neubauten haben Fernwärme, Warmwasser, Bad und Innen–WC, viele sind mit einem Balkon versehen. Für viele Familien sind diese Wohnungen erstrebenswert.
Viele ältere Häuser im alten Dorf und in der Siedlung, teilweise in den vergangenen Jahren mit Zentralheizung, Bad und/oder Innen–WC nachgerüstet, sind hinsichtlich der Dächer, Fassaden und Fenster sanierungsreif, in den Wohnungen sind Heizung, Elektro– und Sanitärinstallation überaltert. Trotz des beständigen Mangels an Finanzierung, Material und handwerklichen Dienstleistungen bemühen sich die kommunalen und privaten Eigentümer um die Reparatur ihrer Häuser. Durch ihre eigenen Leistungen bewahren sie die Häuser vor dem Verfall.
Zwischen den neu gebauten Wohnungen und den Altbauten klafft ein immer größerer Unterschied. Im alten Dorf leer gezogene Wohnungen können infolge ihres sanierungsbedürftigen Zustandes erst nach längerer Zeit oder überhaupt nicht mehr belegt werden. Ein Grund dafür, weshalb sich die Zahl der Wohnungssuchenden kaum verringert.
Bis zum Ende der DDR unterliegt der gesamte Bestand an Wohnraum der staatlichen Vergabe. Ein freier Wohnungsmarkt ist nicht zulässig. Wohnraum wird dem zukünftigen Mieter erst nach vorausgegangener Antragstellung und –genehmigung durch das für die Wohnraumlenkung zuständige Organ (Wohnungsamt) zugewiesen.
Seit 1981 verringert sich die Einwohnerzahl in Sandersdorf. Die merkliche Abnahme im Jahr 1990, meist jüngere Bürger finden Arbeit und eine neue Heimat in den alten Bundesländern, lässt den über seit Jahrzehnten bestehenden Mangel an Wohnungen verschwinden. Die staatliche Wohnraumlenkung verliert ihr Arbeitsgebiet. Wohnungen werden auf dem freien Wohnungsmarkt gehandelt.
Seit 1990 ist im Überfluss das gewünschte Material rund ums Haus im Angebot, das die Hausbesitzer anregt, ihre Häuser je nach den finanziellen Möglichkeiten zu erneuern. Die Dächer werden neu eingedeckt und erhalten eine Wärmedämmung. Mauerwerk wird saniert und trocken gelegt, bauliche Veränderungen oder Erweiterungen vorgenommen. Die Fassaden werden mit wärmedämmendem Material verkleidet. Farbige Anstriche lösen das "Einheitsgrau" ab. Fenster mit höherer Wärmedämmung werden eingebaut. Umweltfreundliche Öl– oder Gasheizungen, zunehmend mit Nutzung der Sonnenenergie und Erdwärme, lösen die veralteten Kohleheizungen ab. Veraltete Sanitär– und Elektroinstallationen werden erneuert. Je nach Bedarf nutzen die Einwohner ihre Gärten als Nutz– und/oder Erholungsgärten. Auf den Grundstücken sammeln sie Regenwasser und nutzen es zum Gießen oder zum Füllen ihrer naturnahen Gartenteiche.
Ab 1990 werden Wohngebiete für den privaten Wohnungsbau erschlossen (siehe Tabelle 4). Wohn– und Geschäftshäuser und viele Eigenheime werden in den folgenden Jahren gebaut (Bild 36 bis 43).
Bild 37. Wohnanlage "An der Richard" erbaut 1994 – 1995 | Bild 38. Wohnanlage am Amselstieg erbaut 2000 und 2007 |
Bild 40. Wohn– und Geschäftshaus an der "Straße der Neuen Zeit" 30 – 37 erbaut 1994 – 1995 | Bild 41. Wohn– und Geschäftshäuser an der "Straße der Neuen Zeit" 38 – 41 erbaut 2000 – 2001 |
Die üblichen Angebote für Mietwohnungen in Sandersdorf im Jahr 2007 lassen
sich zusammenfassend wie folgt angeben [32]:
Kaltmiete 4 bis 6 € /m²
Die üblichen Wohnflächen 40 bis 80 m² bei 2 bis 3 Zimmer
Wohnfläche für Einfamilienhäuser 100 bis 140 m²
Kaufpreis für ein einfaches Einfamilienhaus (Typ Bungalow) im Jahr 2007:
Erschlossenes Baugrundstück ungefähr 50 € /m²
Eigenheim (100 m²) auf Bodenplatte, Fertigbau ungefähr 150000 €
Die durchschnittliche Größe der Wohnungen in der Gemeinde steigt von 65,4 m² im Jahr 1997 auf 70,8 m² im Jahr 2005 [33].
Der Gemeinde wird ein Rückgang der Bevölkerung von 20 % am Ende des Zeitraums 2005 – 2025 vorausgesagt. Für die letzten vor 2007 liegenden Jahre werden jährlich um die 60 Geburten festgestellt. Die Zahl der Fortzüge ist größer als die der Zuzüge. Diese Zahlen werden das Verhältnis von Neubau und Abriss von Wohnungen beeinflussen. [33]
Die Gemeinde wird künftig Wohnflächen innerhalb des Ortes erschließen, um die Forderung nach schonendem Umgang mit Grund und Boden zu erfüllen [33].
[1] | www.kirche–sandersdorf.de/kir_sand.html |
[2] | ThHStAW, EGA, Reg. Oo pag. 98 Nr. 13 |
[3] | Krug, Gustav: Chronik von Sandersdorf (Kr. Bitterfeld), Druck von Wilhelm Lauffs, Holzweissig–Bitterfeld, 1929 |
[4] | Liste der sämtlichen Einwohner zu Sandersdorf Nr.1 bis 310 Aufgenommen am 18. Dezember 1852 von Ortsrichter August Reichenbach LHASA, Abt. MER, Rep. C50 Bitterfeld IIIa 267, 266, 265, 264 und 263 |
[5] | Festschrift: Volks– und Heimatfest in Sandersdorf |
[6] | Sitzungen der Gemeindevertretung, Protokolle 1949 – 1951. Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Sandersdorf, Signatur 41 |
[7] | Abschrift der Gebäudesteuerrolle der Gemeinde Sandersdorf v. 15.6.1911, Bd. I und II, Gemeindearchiv Sandersdorf |
[8] | Errichtung des Wasserwerkes 1898 – 1904. Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Sandersdorf, Signatur 1 |
[9] | LHASA, Abt. MER, Rep. C50 Bitterfeld B 1044 |
[10] | Chronik des Braunkohlenbergbaues im Revier Bitterfeld. – Technik und Kulturgeschichte in zwei Jahrhunderten – 1998 – Band III – 2004 Herausgeber: Bitterfelder Bergleute e. V. |
[11] | A. Rudolph: Die Wirtschaftsgeographie des Kreises Bitterfeld Druckerei Carl Meyer, Westerland–Sylt, 1928 |
[12] | Chronik des Braunkohlenbergbaues im Revier Bitterfeld, Herausgeber: Bitterfelder Bergleute e.V. 1998 |
[13] | Bauerlaubnis A. Braust, Sandersdorf |
[14] | Voigt: Die Wasserverhältnisse in Sandersdorf Bitterfelder Louisengrube, im März 1902, Druck von F.E. Baumann Bitterfeld |
[15] | Hydrologie des Bitterfelder Grubenbezirks, Blatt 2,
Profil AB, Dr.–Ing. G. Thiem, Leipzig 1921 Lichtpause bei H. J. Sudhoff, Sandersdorf |
[16] | Braunkohlenverwaltung – Gruben, Grundvermögens– und Hauszinssteuer, Sandersdorf 1923–1960, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 221 |
[17] | K. Synnatzschke: Die Geschichte der Ramsiner Straße, Historisches aus der Gemeinde Sandersdorf. |
[18] | LHASA, Abt. MER, Rep. C50 Bitterfeld B 383, B 384 und B 705 |
[19] | K. P. Synnatzschke: Die Siedlung, Historisches aus der Gemeinde Sandersdorf. |
[20] | Vorstädtische Kleinsiedlung Sandersdorf 1933–1934, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 231 |
[21] | Siedlungswesen Mitteldeutsche Heimstätte 1937, 1941. Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Sandersdorf, Signatur 59 |
[22] | Bau von Kleinwohnungen (Eigenheimen), Eigenheimsiedlung, 1934. Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Sandersdorf, Signatur 60 |
[23] | Schrebergarten Volkswohl e. V. 1934, 1936. Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Sandersdorf, Signatur 61 |
[24] | Anna Teut: Architektur im Dritten Reich – Der soziale Wohnungsbau |
[25] | Richard Leiter, Sandersdorf, Nachlass |
[26] | R. Schilling: Zur Geschichte des Siedlungswesens auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Herausgeber Deutscher Siedlerbund e. V.. Gesamtverband für Haus- und Wohneigentum, Neefestraße 2a, 53115 Bonn |
[27] | Diverse Unterlagen Chronik, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 4722 |
[28] | Flurkarten, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 6240.09 |
[29] | Entwurfsbüro für Gebiets–, Stadt– und Dorfplanung des Rates des Bezirkes Halle. Flurkarten, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 6240.09 |
[30] | Wohnkomplex Sandersdorf, Projekt 1966, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 634 |
[31] | "Freiheit", Organ der Bezirksleitung Halle der SED, Okt. 1981 |
[32] | www.immobilienscout24.de |
[33] | Flächennutzungsplan der Gemeinde Sandersdorf, Entwurf Juli 2007 |
[34] | Chronik der Ortsgruppe Sandersdorf des Kulturbundes, Arbeitsgemeinschaft Natur– und Heimatfreunde, Gemeindearchiv Sandersdorf |
Bildnachweis | |
Bild | |
1 | Verlag S. Panniger Sandersdorf |
2, 4, 5, 6, 7, 10, 13, 14, 15, 36 bis 43 | K. P. Synnatzschke, Sandersdorf |
3 | G. Krug, Sandersdorf |
8, 27, 29 | Akten der Sekundarschule "Gisander", Gemeindearchiv Sandersdorf |
9, 17 | Gezeichnet von K.P. Synnatzschke, Sandersdorf |
11, 28, 31, 33 | R. Leiter, Sandersdorf |
12 | H. Schmitz, Ariquemes RO, Brasil |
16 | A. Braust, Sandersdorf |
18 | Hydrologie des Bitterfelder Grubenbezirks, Blatt 2, Profil AB, Dr.–Ing. G. Thiem, Leipzig 1921 |
19, 20 | Fotokopie bei Gerda Volk, Sandersdorf |
21, 25 | G. Pufahl, Sandersdorf |
22, 23 | Bau von Kleinwohnungen (Eigenheimen), Eigenheimsiedlung, 1934. Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Sandersdorf, Signatur 60 |
24 | Siedlungswesen Mitteldeutsche Heimstätte 1937, 1941. Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Sandersdorf, Signatur 59 |
26, 30 | Entwurfsbüro für Gebiets–, Stadt– und Dorfplanung des Rates des Bezirkes Halle |
32, 34, 35 | F. Erben, Sandersdorf |
Letzte Änderung: 30. September 2008
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