CHRONIK
von
Sandersdorf (Kr. Bitterfeld)
Von Gustav Krug, Sandersdorf
1929
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Druck von Wilhelm Lauffs, Holzweissig - Bitterfeld
Abschrift
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Einführung.
Sandersdorf (Kreis Bitterfeld) liegt an der Eisenbahnstrecke
Bitterfeld–Stumsdorf, sowie an der Kreischaussee "Bitterfeld–Zörbig"
und 4 km westlich von Bitterfeld. Sandersdorf ist bekannt durch seine großen
Kohlenlager und seine Braunkohlengruben. Das Gelände ist sandig und flach.
Bodenerhebungen fehlen ganz. Gering ist daher auch der Ertrag der sandigen Aecker.
Gegen Westen zwischen Sandersdorf und Heideloh befindet sich der Stakendorfer
Busch. In dieses Gelände hinein wurde 1842 die erste Braunkohlengrube "Richard"
gelegt. Mit der Eröffnung des Bergbaues wurde aus diesem kleinen, Landwirtschaft
treibenden Ort ein großer Industrieort. Der "Alte" mit seinen kaum 300 zählenden
Einwohnern im Jahre 1842, ist heute auf 4500 Einwohner angewachsen. Wo soviel
Neues erscheint, und das Alte beiseite drängt, habe ich es für meine Pflicht
gehalten, wenigstens den Alten der Vergangenheit ein Andenken zu bewahren.
Leider ist aber über Sandersdorf in alten Akten oder Büchern sehr wenig zu
finden, da bei einem Pfarrbrand am 19. Oktober 1718 sehr viel alte Akten mit
verbrannt sind. Trotzdem ist es mir gelungen, das wenige, was noch über
Sandersdorf aus den vergangenen Jahrhunderten vorhanden ist, mühsam zusammen
zu tragen.
Bevor ich jedoch auf die Chronik unserer Gemeinde selbst eingehe, möchte ich
zunächst erst einmal auf die Menschen mit ihrem uns unbekannten Wesen unserer
Heimat eingehen. Wo kamen die Menschen her, und was hat sich in früheren
Jahrhunderten auf diesem Boden ereignet.
Weltbewegend sind allerdings die Ereignisse nicht, die sich in unserer engeren
Heimat abgespielt haben. War Sandersdorf sowie die umliegenden kleinen Dörfer
vor der Begründung der Braunkohlenfelder ein kleines, abgelegenes
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Bauerndorf, so war es auch in den früheren Jahrhunderten ein kleines abseits der
großen Heerstraße gelegenes Bauerndorf. So vollzogen sich die großen Ereignisse
der Geschichte außerhalb unserer Gegend. Aber doch blieb Sandersdorf von den
geschichtlichen Vorgängen nicht unberührt. In irgend einer Weise wirkten sie ja
doch auf die stillen Bauerndörfer zurück. Und gerade darin liegt der Reiz, daß
wir sehen, wie sich all diese Ereignisse, die wir teilweise auch aus der
Geschichte kennen, auf den letzten Winkel dieser kleinen Dörfer auswirkte.
Die geschichtliche Zeit, die in unserer Gegend etwa um 560 beginnt, führt uns
bis zu den Sorbensiedlungen und dem ersten Vorstoß des Deutschtums in die
Muldengegend. Die erste Urkunde von Sandersdorf selbst berichtet aus dem Jahre
1373.
II. Die vorgeschichtliche Zeit
Die ältesten Spuren der Anwesenheit von Menschen festzustellen, ist immer
interessant. Die geologischen Vorgänge unserer Erdoberfläche, die Kohlenlager
mit ihren oberen Sand- und Kiesschichten, können nur in kurzen Zeiträumen
entstanden sein. Und doch ist es der menschlichen Lebenszeit nach angemessen
eine recht lange Zeit, wenn wir die vorhandenen Spuren um etwa 4000 Jahre oder
noch mehr zurückverfolgen können. Nur wenig Spuren sind uns von unseren Ahnen
erhalten. Steinkistengräber, Urnenfelder oder Grabstätten, die sorgfältig in der
Erde gebettet, Jahrtausende gelegen haben, geben uns Aufklärung über all das
Gewesene. Leider sind es nur wenige solcher Reste, die Licht in das Dunkel der
schriftlosen Vergangenheit bringen. Deshalb muß jeder Fund sorgfältig
aufgenommen und behandelt werden, damit wir von dem Wenigen nicht noch mehr
verlieren.
Wir sind in unserer Umgebung in der glücklichen Lage, daß hier einige,
rechtansehnliche Funde uralter Zeit aufgedeckt und der Nachwelt erhalten find.
So fand man am 24. Sept. 1924 bei Landsberg drei Grabstellen und eine Wohngrube
aus der frühesten Bronzezeit, 2000 v. Chr. |
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Roitzschgen 1909 eine henkellose Urne mit Leichenbrand, 3000 Jahre alt.
Zörbig, ein 16 cm hohes Gefäß der älteren Bronzezeit, etwa 2000 Jahre v. Chr.
Glebitzsch, ein mandelförmiges Bronzebruchstück.
Groß-Möhlau, 2 Gräber, sowie 16 Gefäße, 2 Urnen und Scherben.
Jüdenberg, Gefäß mit 2 Henkeln und Scherben.
Stumsdorf, 14 Urnen.
Bitterfeld und Brehna mehrere Urnen.
Mühlbeck, Gerät aus Bronze.
Düben, ein Bronzebeil und 2 Urnen und so könnte die Aufzählung noch weiter
fortgesetzt werden. Alle diese Funde erzählen uns, daß schon vor Jahrtausenden
Menschen unsere Heimat belebt haben.
III. Aeltere Steinzeit.
Das erste Auftreten des Menschen in Deutschland fällt in die Eiszeit. In eine
Zeit, wo Rentier, Nashorn, Mammut und andere längst ausgestorbene oder nach dem
Norden gezogene Tiere unsere Heimat bewohnten. Aus Feuerstein fertigte man feine
Waffen und Werkzeuge, Untere engere Heimat hat bisher keine Funde aus dieser
Zeit aufzuweisen. Nur hei Holzweißig (Grube Leopold) wurden Knochen von Mammut,
Nashorn und Riesenhirsch, im eiszeitlichen Abraum über der Braunkohle gefunden.
Die Eiszeit und somit die Steinzeit fällt in die Zeit des Quartus (Quartärzeit),
in der unsere ganze menschliche Geschichtsüberlieferung steckt und in der wir
gegenwärtig noch leben. Die Tertiärzeit (Tertius) vor der Quartärzeit füllte
unser Europa mit einem Tropenklima aus, wie es heute in Afrika der Fall ist.
IV. Jüngere Steinzeit (4000–2000 v. Chr.)
Die ersten früheren Spuren des Menschen bei uns stammen aus der jüngeren
Steinzeit. Dieses beweist der |
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der Fund eines großen Scherbenstück eines Gefäßes bei Groß-Möhlau 1925.
Dieses Muster des bei Groß-Möhlau gefundenen Gefäßes haben wir allerdings auch
in den Funden bei Bitterfeld zu verzeichnen, ebenso bei Mühlbeck und Mescheide.
Die Menschen der jüngeren Steinzeit lebten in unserer Heimat als Ackerbauer und
Viehzüchter. Haustiere, wie Rind, Schwein, Schaf, Ziege, Pferd und Hund, waren
schon damals vorhanden. Auf den Feldern wuchs Hirse, Hafer und Roggen wurde
damals noch nicht gebaut! Um so mehr aber Weizen und Gerste. Metalle kannte
man noch nicht, und so behalf man sich mit Geräten aus Stein, Holz und Knochen.
V. Bronzezeit (2000 v. Chr.)
Als erstes Metall war in Deutfchland Kupfer bekannt. Sehr bald aber versteht man
das weiche Kupfer durch einen Zusatz von Zink zu härten. Diese Mischung ist die
Bronze. Die Bronzezeit reicht von etwa 2000 bis 800 v. Chr. und wird in
3 Perioden eingeteilt. Aus der ersten Periode (2000–1700 v. Chr.) fehlen
Funde in unserer Gegend vollständig. Aus der zweiten Periode
(1700–1400 v. Chr.) gilt als einziger Fund eine Bronzenadel von
Burgkemnitz. Die eigentliche Besiedelung setzt erst in der dritten Periode ein
(1400–1200 v. Chr.). Aus der Lausitz dringen Menschen über die Elbe vor,
Illyrier genannt, die an ihren Tonwaren mit spitzer Buckelverzierung (gefunden
wurden Gegenstände bei Pouch) erkenntlich sind. – Während der vierten
Periode (1200–1000 v. Chr.) ist diese lausitzer Kultur in unserer engeren
Heimat nur in Großmöhlau und Mescheide vorhanden. Aus der fünften Periode
1000–800 v. Chr.) sind einige Funde bei Gräfenhainichen und Mescheide zu
verzeichnen. Das Klima während der Bronzezeit soll erheblich wärmer als heute
gewesen sein. Es war eine Trockenzeit, die mehr als 1000 Jahre dauerte.
Infolgedessen war das Waldgebiet zwischen Saale und Elbe nicht so ausgedehnt
wie heute. Die Menschen der Bronzezeit bei uns lebten von |
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Ackerbau und Viehzucht, wie schon die Steinzeitleute taten. Der Hafer wird jetzt
als neues Getreide angebaut.
VI. Eisenzeit (800 v. Chr. bis Chr.. Geb.)
Mit Beginn der Eisenzeit setzt ein kühleres, feuchteres Klima ein. Das Eisen
findet Eingang in Deutschland und löst die Bronze ab. Die Eisenzeit wird in zwei
Abschnitte eingeteilt, eine ältere 1000–400 v. Chr. (Hallstattzeit) und
eine jüngere (400 v. Chr. bis Chr. Geburt) (Latènzeit). In unserer Heimat,
in der in der früheren Zeit bei uns die Illyrier saßen, zogen nun auch die
Germanen von Anhalt her ein, die, wie es scheint durch Kämpfe die Illyrier
verdrängten. Kennzeichen der anrückenden Germanen sind Hausurnen und
Steinkistengräber. Von letzteren wurden 1890 und 1900 einige Gräber bei Golpa
gefunden.
Aus dem zweiten Abschnitt der vorrömschen Eisenzeit sind Funde bei Pouch,
Mühlbeck und Muldenstein zu verzeichnen.
VII. Frühgeschichtliches.
Sandersdorf wird zum ersten Male in den Urkunden des Klosters zu Brehna 1373
erwähnt. Von da an ist also unser Ort, sowie die meisten anderen der näheren
Umgebung, geschichtlich bezeugt. Von da an können wir für unseren Ort die
geschichtliche Zeit rechnen. Was vorher geschah, kann nur aus Vorgängen
erschlossen werden, die sich auf beiden Seiten der Mulde abgespielt haben und
über die eine genaue geschichtliche Kenntnis vorhanden ist.
In den ersten Jahrhunderten bewohnten die Hermunduren (Thüringer) das Gebiet
zwischen Saale und Elbe. Als aber im Jahre 531 der Thüringerkönig Hermanfried
von den nach Osten vordringenden Franken unter Mithilfe der Sachsen bei
Burgscheidungen geschlagen worden war, zerfiel das Reich der Thüringer und
damit ein Bollwerk der Germanen gegenüber den von Osten nachdrängenden Slaven.
Langsam nahmen die Sorben die ganze Gegend |
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bis an die Saale in Besitz, die nun bis ums Jahr 800 zum Grenzfluß von
Germanen und Slaven wurde.
Bis zur Zeit Karls des Großen hatten die Sorben dies neue Gebiet inne.
Aus dieser Zeit wissen wir nur wenig. Aber die vielen Städte und Dörfer mit
sorbischem Namen sagen uns, wie weit slavische Siedlungen ausgedehnt waren.
Im Kreise Bitterfeld und Delitzsch ist berechnet, daß hier noch etwa
210 Dörfer den sorbischen Namen tragen. Diesem stehen nur je 50 deutsche Namen
gegenüber. Die Abstammung der Namen erkennt man zumeist aus der Endung.
Die Dörfer auf itz, itzsch, auch, ig, ik, igst, ebenso owe, ow, aw, au sind
sorbischer Abstammung. Solche Dörfer mit sorbischem Namen unserer Umgebung
sind Renneritz, Roitzsch usw.
Wann die Sorben in unsere Gegend gekommen sind, ist nicht genau festzustellen.
Sie besetzten zunächst die von den germanschen Völkern verlassenen waldfreien
Niederungen und die Flußrinnen. Erst später sind sie in unser Gebiet
eingedrungen, welches damals riesige Waldbestände hatte. Etwa um 600 wird
angenommen, daß unsere Heimat von den Sorben besiedelt worden ist. Lange
Zeit müssen sie dieses Gebiet zwischen Saale und Elbe besetzt gehalten haben.
Doch zur Zeit Karls des Großen begannen die Grenzkämpfe zwischen diesen beiden
Nachbarn. Etwa 100 Jahre währte der Kampf um die Grenze. Karl der Große stieß
805 bis 806 bei Bernburg nach Südosten über die Saale vor und besiegte die
dort wohnenden Slaven. Als später in Ostfrankenreich große Unstimmigkeit
herrschte, drangen die Slaven wieder über die Saalegrenze nach Westen vor.
So gab es in diesem Jahrhundert dauernde Grenzkämpfe um die Saale.
Daraus ist zu schließen, daß eine Ansiedlung von Deutschen östlich der Saale
der Gefahr wegen noch nicht stattgefunden hat. Erst um die Jahre 950–980
scheinen die deutschen Siedler an der Elbe und Mulde entlang sich vorgeschoben
zu haben.
Mit der Besitznahme des Landes durch die Deutschen sanken die sorbischen
Landbewohner immer mehr zu Hörigen herab, deshalb wurden auch die Mönche und |
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Priester der Deutschen nicht gerade freudig begrüßt. Allerdings war die Kultur
der Sorben damals eine weit niedrigere als der Deutschen.
Im Jahr 983 brach ein Slavenaufstand aus, dem eine Reihe von Kriegen zwischen
Polen und Deutschen folgten. Erbitterung und Grausamkeit herrschte auf beiden
Seiten. Besonders schlimm waren die Verwüstungen durch die Polen bei Zerbst
und Leitzkau. Mehr als 100 Dörfer wurden in unserer engeren Heimat verwüstet,
von der Bevölkerung mehr als 9000 Männer und Frauen gefangen fortgeführt.
Wer infolge Alters und körperlicher Schwäche nicht imstande war, dem Sieger
in die Knechtschaft zu folgen, wurde niedergemacht.
Nach all diesen jahrelangen Kämpfen begann um das Jahr 1100 eine neue
Siedlungsarbeit. Deutsche Fürsten holten aus den altdeutschen Ländern Siedler
in die Gegend zwischen Elbe und Saale und ließen neue Orte schaffen.
So ist anzunehmen, daß die Orte mit der Endung "dorf", also Sandersdorf,
Beyersdorf, Stumsdorf und viele andere, durch fränkische Bauern um die
angegebene Zeit entstanden find.
Im Jahre 1159 erließ Markgraf Albrecht der Bär einen Aufruf in die Niederlande,
indem er für seine Länder Siedler suchte. Der Ruf Albrechts war nicht vergeblich.
Die Flamen oder Fläminger kamen in Scharen und setzten sich an der Elbe und
Mulde entlang fest, wo sie Flamenkolonien bildeten. So wurde dieses durch die
vielen Kriege verödete Land langsam wieder besiedelt. Auch wurden mehrere große
Dörfer und Siedlungen gegründet. So sind Bitterfeld, Schmiedeberg, Wittenberg,
Kemberg als Flamensiedlungen anzusehen.
Daß außer den Franken und Flamen auch Deutsche andere Stämme, wie Sachsen,
Thüringer, Schwaben ins Sorben- und Wendenland kamen, bezeugt die Klage des
Wendenfürsten Pribislaw vom Jahr 1164: "Wir sind vertrieben aus dem Lande
unserer Väter und des Erbes unserer Väter beraubt. Der Herzog hat uns das
Erbe genommen und überall Fremdlinge eingesetzt, Flamen, Holländer, Sachsen
und Westfalen und andere Nationen." Eine große deutsche Kolonisationszeit
war die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts. |
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Die Klage der bisherigen Bevölkerung, die hier Pribislaw ausspricht, mag
vielerorts berechtigt sein. Aber durch die Besiedelung des Landes durch die
Deutschen war ein ungeheurer Fortschritt zu verzeichnen. Die Kultur des
Landes wurde auf eine ganz besondere Höhe gebracht. Und erst seit dieser
Zeit kann man die alte Sorbengegend unsere engere Heimat, als deutsches Land
ansprechen.
Mit der Besiedelung unserer engeren Heimat durch fremde und deutsche Stämme
ist es verständlich, daß die Ortsnamen unserer Umgegend so verschiedenartig
lauten und ebenso verschiedenartiger Herkunft sind. Unter den Begriff
Ortsnamen werden nicht nur die Ortsnamen im engeren Sinne, die eigentlichen
Siedlungsnamen, zusammengefaßt, sondern alle geographischen Namen, die einen
Teil der Landesoberfläche benennen, Flurnamen, Wassernamen, Wald und Bergnamen,
die ihrem Wesen nach geeignet sind, gelegentlich zur Bezeichnung eines
Wohnplatzes zu dienen.
Es gibt nun Ortsnamen, die ihrem Sinne nach nichts anderes ausdrücken als
schon den Bestand einer richtigen Siedlung am Wohnplatz z. B. Dorf
(Sandersdorf), heim (Talheim), hausen (Sangerhausen), usw. . Dazu gehören auch
die Namen besonderer Gattungen von Siedlungen, etwa kirchlicher, z. B. -kirchen,
-zell, ferner gewerblicher Art z. B. mühl, diese ganze Gruppe liefert
naturgemäß einen Hauptteil der Siedlungsnamen. Auch Namen die an menschliche
Kulturtätigkeit anknüpfen, an die Bearbeitung des Bodens z. B. acker, ried,
schwand, an Tierzucht, an Grenzen und Schutzanlagen, z. B. burg, oder die
Wege und Sammelpunkte des Verkehrs zwischen den einzelnen Siedlungen bezeichnen
z. B. markt, straße gehören hierzu.
Die hier gegebene Uebersicht über die Ortsnamen läßt für sich allein schon
einen Blick in die Bedeutung der Ortsnamen tun. Neben ihnen gibt es zahlreiche
andere, für deren Wortbilder unsere heutige Sprache keine Bedeutung mehr findet.
Unsere Ortsnamen gliedern sich also in ältere und jüngere Schichten, deren
Elemente im Allgemeinen um so |
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mehr verblassen und um so schwieriger festzustellen sind, je länger der Weg
ist, auf dem sie zu uns kamen.
Die ersten Ansiedler an einem Orte belegten alles was ihrem nächsten Interesse
galt mit einem passenden Namen, das Wasser, das Tal, das Feld, den Wald, kurz
alles was sie interessierte und so entstanden die verschiedenartigen Namen,
z. B. Sandersdorf wird angenommen ist von den ersten Siedlern nach seinem
sandigen Boden genannt, jedoch besagt der frühere Ortsname "Alixanderisdorf",
daß dieser Name nach einer Person, vielleicht des ersten Siedlers genannt ist.
Auch besteht die Möglichkeit, daß unser Ort, der früher mit einer Lehmmauer
umgeben, eine Hufeisenform annahm, wendischen Ursprungs ist und, daß die ersten
Siedler durch die Franken verdrängt wurden, die sich nun hier niederließen und
dem Ort den Namen Alixanderisdorf gaben, der später in "Sandersdorff"
abgeändert wurde.
Bitterfeld ist gegründet 1153 durch die Flamen. Im Jahre 1280 kam es bei
"Piterwelt" (Bitterfeld) zu einem Treffen zwischen dem Erzbischof Bernhard von
Magdeburg einerseits und den Wettinern, dem Grafen v. Brene, dem Markgrafen von
Landsberg und anderen Schlössern andererseits. Nach hartem Ringen hatten die
Magdeburger das Treffen verloren.
Am 4. April 1489 wurde Bitterfeld von einer großen Feuersbrunst heimgesucht,
wobei 36 Höfe in Asche gelegt worden sind.
VIII. Chronik.
Wie schon einmal gesagt worden ist, sind die wichtigsten Akten und Urkunden,
die zur Aufstellung einer Chronik benötigt würden, bei einem Pfarrbrand am
19. Oktober 1718 vernichtet worden. Aber ich glaube, daß es mir doch gelungen
ist, fast alles noch Vorhandene zusammenzutragen. Diese Chronik ist
zusammengestellt aus alten Kirchenakten sowie aus alten Familienakten und
folgenden Werken:
Die Nonnen des Klosters zu Brehna (v. Schmidt)
"Golpa, im Wandel der Jahrhunderte." |
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Sandersdorf (Alixanderisdorf)
ist gegründet von fränkischen Bauern etwa um 1110 bis 1160. Seit 1531 ist es
freies Amtsdorf, bis dahin gehörte es zum Kloster Brehna. Die Flur von
Sandersdorf raint nach Norden mit Thalheim, nach Osten mit Bitterfeld, nach
Süden mit Zscherndorf, gegen Westen mit Heideloh und Ramsin. Dazwischen liegen
die "wüsten" von noch vor und während des 30jährigen Krieges untergegangenen
Ortschaften: nördlich Kolpin, westlich Stakendorf und Krondorf oder Krottendorf,
südlich Odeley und Eckeln;
letzteres lag ganz in Sandersdorfer Flur. Südlich von Zscherndorf lag
Hungersdorf, südöstlich Gräfendorf. Die Flur nordöstlich von Sandersdorf hieß
der Oberbruch, die angrenzenden Wiesen die Herzogwiesen, südlich die Eckelmark
und westlich der Brand, dieser gehörte zum Rittergut Ramsin und war früher
Laubwald.
Sandersdorf ist ein altes Pfarrdorf,
wozu bis 1575 noch Zscherndorf, Stakendorf, Greppin, Reuden, Thalheim und Wolfen
gehörte. Bei der eingehenden Visitation i. J. 1555 wird die Sandersdorfer Parochie
beschrieben: Sandersdorff und seine Filial Tscherndorf, Stakendorff, Kreppin,
Reuden, Thalheim, Wolfen.
Zwanzig Jahre später wurde die Parochie Sandersdorf aufgelöst.
Die Gemarkung Sandersdorf ist zirka 4000 Morgen groß. Zu Sandersdorf gehören:
"Grube Richard, Vergißmeinnicht, Marie, Antonie, Hermine, die Hälfte der
Deutschen Grube, sowie das Forsthaus Stakendorf, die Säurefabrik und Werk 1
(Süd)". Sandersdorf gehört zum Kreis und zur Ephorie Bitterfeld. Die ältesten
kirchlichen Akten von Sandersdorf datieren von 1663.
Sandersdorf wird verkauft.
Am 2. Juli 1373 traten die beiden Brüder Rudolf und Heinrich von Zwochau auf
Zschernitz dem Kloster |
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zu Brehna die beiden Dörfer Kolpin und Sandersdorf für 30 Schock neue Kreuziger
Groschen ab.
Herzog Rudolf I. hatte Kolpin und Sandersdorf an von Zwochau verpfändet, und
die Dörfer nicht zur festgesetzten Frist eingelöst, sodaß sie dessen freies
Eigentum geworden waren.
Bestätigung fand der Verkauf der beiden Dörfer am 2. Februar 1374 durch Herzog
Wenzel zu Sachsen, der sich aber dabei das Recht der obersten Beschirmung und
Herrschaft vorbehielt.
Etwa 40 Jahre waren die von Zwochau Besitzer beider Dörfer; folgendes
Schriftstück besagt: "Dafür wir gar wohl bezahlt sind und haben darauf ihn und
seine Bürger ledig und los gelassen. Wie nun unsern Eltern und wir daselbst
unser Gut länger denn vierzig Jahr gehabt haben ohne Ansprache also weisen wir
es auch fort an das Gotteshaus zu Brehna." Zwischen den Sandersdorfer Bauern
und den Flämingern (Bitterfelder) scheint stets ein gutes Einvernehmen gewesen
zu sein. Dieses geht daraus hervor, daß die Bitterfelder die Sandersdorfer
öfters gegenüber dem Herzog in Schutz nahmen.
Bei dem ausgedehnten Landbesitz des Klosters waren Streitigkeiten mit den
Nachbaren nicht zu vermeiden. So beschwerten sich im Jahre 1490 die Nonnen des
Klosters zu Brehna beim Kurfürst Friedrich dem Weisen (1486–1525) über
die Bitterfelder, weil sie sich einige Güter in der Mark Sandersdorf, die dem
Kloster gehörten, angeeignet hatten.
Die Bitterfelder gedenken dasselbige Gut mit Freiheit und Gewalt uns armen
Klosterjungfrauen zu einem merklichen Schaden vorzuenthalten, das dann uns arme
Jungfrauen schwer zu tragen ist unseres Dorfes halber, das deshalb verwüstet
wird. Deshalb bitten wir ew. Fürstliche Gnaden demütiglich als unsern gnädigsten
Herrn uns gnädigst zu erhören, daß die von Bitterfeld uns von Jahr zu Jahr in
unsere Güter greifen. Deshalb haben wir sie an E. F. G.-Gericht gewiesen, bis
die Sache zum Austrag kommt und bitten E. F. G. als unsern gnädigen Herrn und
Landesfürsten E. F. G. wolle denen von Bitterfeld gebieten, daß sie uns armen
Jungfrauen unsere |
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Güter überlassen. Würde aber E. F. G. erkennen, daß wir solche Güter nicht haben
sollen, so wollen wir armen Jungfrauen uns damit zufrieden geben.
Am 27. März 1491 fällte der Kurfürst auf die Beschwerde der Klosterjungfrauen
folgendes Urteil:
"Nachdem die Würdigen und Innigen, unsere Lieben Andächtigen, Priorin und
Sammlung des Jungfrauenklosters zu Brehna, einesteils und unsere Bürger zu
Bitterfeld, genannt die Fläminger anderseits, lange Zeit gegeneinander in Irrung
gestanden, der sie nun durch unsern Landvogt zu Sachsen, Rat und lieben Getreuen,
Ern Heinrich Löser, Ritter, auf unsern Befehl, durch Wechsel und anderes
Uebereinkommen gütlich geschieden und vertragen sind, nämlich, daß die genannten
Klosterjungfrauen zu Brehna die Viehtrift und die Wiese von Sandersdorf herab,
das man den Oderbruch nennt, neben den Herzogswiesen bis an den Graben, der vom
Kahlen Berge an die Herzogswiesen geht und fortan dieselbigen Wiesen schneidet,
mit den Stücken, so die Fläminger von der Landwehr bis an den Ort haben,
behalten und gebrauchen sollen ohne Irrung und Hindernisse durch die Fläminger.
So sollen die Flaminger ihre Stücke, zwischen der Landwehr und der genannten
Wiese gelegen, einesteils die Streitländer genannt, nach ihren Malen gebrauchen
wie vormals und von alters Herkommen ist, dazu sollen ihnen die Klosterjungfrauen
geben eine Wiese, bei der Hainrinne gelegen, die einer, genannt Puchel zu
Mühlbeck, bisher gehabt, so weit und so fern sie der genannte Puchel gebraucht
und genossen, die nun die gedachten Fläminger genießen und gebrauchen sollen und
mögen. Auch sollen die von Sandersdorf in offener Zeit, so man die Wiesen nicht
heget, auf den genannten Wiesenwachs mit ihrem Vieh treiben, desgleichen die von
Bitterfeld wiederum auch also tun mögen."
Im Jahr 1486 war amtlich festgestellt worden, daß das Kloster Brehna, dem
Sandersdorf gehörte, auch auf den Dörfern das Halsgericht habe, das heißt das
Recht über Leben und Tod. 1525 wurde auf Befehl des Klostervogts in Sandersdorf
ein Mann hingerichtet. |
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Der Bitterfelder Amtsmann Heinrich erhob sofort Einspruch, worauf der Kurfürst
am 14. Oktober 1525 die "Fronstätte" durch den Bitterfelder Amtsmann abbrechen
ließ und dem Kloster verbot weitere Blutgerichte auszuüben.
1543 beklagte sich der Klostervogt Busch zu Brehna auf das neue bei dem Kurfürst,
daß der Bitterfelder Amtsmann sich das Obergericht in Zscherndorf angemaßt habe.
In der Schenke zu Sandersdorf seien Vergehen vorgekommen, die unter das Gericht
des Klosters fallen. Es sei aber kein Stock vorhanden, um die Sünder gebührend,
bestrafen zu können. Der Kurfürst möge daher gestatten, daß das Kloster einen
solchen aufstelle, oder, daß der Bitterfelder Amtsmann dies tue.
Dieser Einspruch aber wurde von dem Kurfürsten am 20. Januar 1543 bis auf
weiteres abgelehnt.
Sandersdorf hatte um diese Zeit viel Weinberge, sowie große Fischereimöglichkeiten.
An das Kloster mußten viele Jahre Zinsen und Abgaben an Vieh, Früchten usw.
abgeliefert werden. Ebenfalls mußte Sandersdorf Prädels Mark bei Odeley abtreten.
Sandersdorf und Brehna hatten an das Kloster zu entrichten jährlich aus ihren
Schäfereien: 73 Schock, 11 Groschen, 9 Pf.
Aus einer Niederlage zu Sandersdorf war zu entrichten: 1 Schock, sowie 60 Schock
Garben Weizen oder Gerste.
Zscherndorf wurde ebenfalls wie Sandersdorf an das
Kloster zu Brehna verkauft
wie folgendes Schriftstück besagt:
"Das Kloster Brehna erhielt am 25. November 1310 alle unsere Güter zu Sernigk
(wüster Kirchenort in der Flur Bitterfeld. beim "Johannislober") und Czerndorf,
in Hüfen, Aeckern, Hufen, Wäldern, Hölzern, Wiesen, Weiden und Fischereien,
in alten und neuen Wegen." Es zahlte dafür 120 Mark in Silber und bar. |
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Der Bauernkrieg.
Das Jahr 1525 war außerordentlich unruhig. Die Wogen des Bauernkrieges drangen
auch über die Grenzen Thüringens hinaus. Ist es auch nicht überall zu offenem
Aufruhr gekommen, so war doch die Furcht vor diesem bei allen Grundbesitzern
groß. Der Haß der geknechteten Bauern ließ das Schlimmste befürchten. Nicht
einmal die Klöster und Kirchen waren vor ihnen sicher. Die Achtung, die man im
Mittelalter vor den Insassen der Klöster gehegt hatte, war lange dahin
geschwunden und vielfach in das Gegenteil verkehrt. Man sah in ihnen meist nur
Tagediebe und Faulenzer. Auch in unterer Gegend gingen die Wogen der Erregung
hoch. Am 10. Februar 1526 wandte sich der Rat des Klosters an den Kurfürsten.
Er klagte "wie sich nächstvergangen zwischen Pfingsten und Ostern an etliche
Orte Aufruhr begeben" und bat um Schutz, der dem Kloster später auch in vollem
Maße gewährt wurde.
Die Reformation.
Die Reformation in der Parochie Sandersdorf.
Seit 1539 durchzogen diese "von dem Kurfürsten Johann den Beständigen
eingesetzten Visitationskommissionen" das Land. Zum ersten Male kam eine solche
in den Bitterfelder Bezirk im Jahre 1531. In Bitterfeld leitete 1531 der
Wittenberger Probst und Rektor der Universität Jonas die Verhandlungen, ihm zur
Seite stand ein Jurist, der kurfürstliche Rat Johann von Taubenheym, Herr von
Steinlausigk und Pöplitz und der Amtmann zu Bitterfeld.
Folgendes Schriftstück lautet:
"Freitag nach Judica, dem 31. März 1531 fand die erste evangelische
Kirchenvisitation in Bitterfeld statt, wobei dasiger Pfarrer zum Superintendenten
für den Kirchenkreis Bitterfeld berufen wurde. Das Kloster Brehna, dem die
Patronats-, Lehns- und Gerichtsherrschaft u. a. auch über Sandersdorf und
Zscherndorf zustand, wurde zur |
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allmählichen Auflösung bestimmt, womit besagtes Recht von selbst aufhörte und
diese Klosterdörfer zu Amtsdörfern sich umwandelten.
Aus dem Sandersdorffer Visitations-Protokoll von 1531 heißt es:
"Sandersdorff": diese pfarr ist der Domina und closters zu Brena lehen, hat ein
filial und volgend eingepfarrt Dörfer, nemlich: Sandersdorf 11 Hufner, 9 gertner;
Kreppin, mit 2 rittersitz, 3 Hufner, 13 gertner;
Czerndorff, mit 8 Hufner und 8 gertner.
Der bisherige Pfarrer blieb seiner alten Kirche jedoch treu, was im Protokoll so
ausgedrückt wird: Der Pfarrer jetziger Zeit ist ein ganzer "Papist", auch
ungelehrt und ungeschickt befunden, hat die "Papisterei" bis auf diesen Tag mit
Trotz getrieben; darum ist er der Pfarre entsetzt und ein anderer 4 Wochen
vorläufig an seine Stelle geordnet. . . . Doch soll er vom Ostertage an vier
Wochen in der Pfarre geduldet werden, damit er sich in dieser Zeit "versehe";
ferner sind ihm auf 2 Jahre 30 Scheffel jährlich zum Unterhalt zu gewähren.
Bessert er sich in dieser Zeit und wird zur Verkündung des Evangeliums geschickt
befunden, mag er sich wieder um ein Pfarramt bewerben.
Bei der zweiten Visitation im Jahre 1533 klagt der Pfarrer über außerordentliches
liederliches Leben innerhalb des Kirchspieles und selbst "unter den Predigten
lasse die Schwelgerei nicht nach", was den "Bauern mit ganzem Ernst untersagt
wurde", bei Vermeidung der Strafe und churfürstlichen Ungnade".
Von großem Umfang wird die Parochie bei der eingehenden Visitation i. Jahre 1555
beschrieben: Sandersdorff und sein filial Tscherndorf, Stakendorff, Kreppin,
Reuden, Thalheim, Wolffen. Sandersdorff ist das lehen der Domina und closters
Brena gewesen.
Kreppin ist der Edelleut Andres und Hansens der Quasen und Hansen Jochim Preuß,
hat 23 wirt, ist die Kirch abgebrannt am Freitag vor Pfingsten dieses 55 jars,
waren die Edelleut wol zufrieden, das dis Dorf mit der selsorg gen Bitterfeldt
geschlagen wurde. Reuden ist des |
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Hansen Schilling, Thalheim ist Hansen Zandierers, hat 36 wirt, 6 Hufner.
Wolffen gehört ins ampt Bitterfeldt, hat 6 Hufner und 14 gertner, ist ein neu
Dorf, vor 4 1/2 jahren erbaut,
Neuen Jeßnitz ganz nahe, könnt mit der selsorg daraus am bequemsten versehen
werden.
Tscherndorff gehört ins closter Brena, hat 16 wirt.
Stackendorff ist der Preußen zu Kreppin, hat 9 wirt, ist auch neu erbaut.
1575 gehörten zu Sandersdorf nur Greppin, Zscherndorf und Stakendorf als "Filial".
Noch 1575 und später heißt es von Zscherndorf, daß es "dem Kloster Brena gehört",
d. h. in polizei- und gerichtlicher Beziehung wurde es von, dem zunächst weiter
bestehenden Klosteramt in Brehna mit verwaltet; 1598 jedoch gehören Sandersdorf
und Zscherndorf ins Amt Bitterfeld, Stakendorf dem Edelmann Jochim von Preuß und
Greppin dem Rat von Bitterfeld.
1531 werden schon mehrere "Tongruben" erwähnt, von welchen der Pfarrer jährlich
20 Groschen zu seinem Einkommen bezieht. Näheres darüber fehlt jedoch.
Dem Hussitenkrieg 1419–1436
fielen eine ganze Anzahl Elbe- und Muldedörfer anheim und wurden zerstört.
1446–1451 bekriegten sich die Brüder Herzog Wilhelm und Kurfürst Friedrich
von Sachsen. Die Leute auf den Dörfern fühlten sich in ihren ungeschützten,
einsamen Weilern nicht mehr sicher und verzogen sich hinter die schützenden
Stadtmauern. So kam es, daß all die kleinen Orte in der Nähe einer Stadt
verschwanden und ihre Gemarkungen zur Stadtflur kamen. Auch unsere Gegend wurde
in dieser Zeit arg mitgenommen, und Städte und Dörfer zugrunde gerichtet, in
diese Zeit fällt sehr wahrscheinlich der Untergang der Dörfer bei Sandersdorf
und Zscherndorf: Eckeln, Gräfendorf, Hungersdorf, Kolpin, Kronendorf, Odeley,
Predel?, Ramsin und Stakendorf, von welchem nur die beiden letzten, wie auch die
beiden etwas entfernter liegenden Orte |
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Wolfen und Zschepkau, um 1555 wieder aufgebaut und besetzt worden sind. Von der
2. Zerstörung im 30jährigen Kriege konnte sich Stakendorf jedoch nicht wieder
aufrichten, da auch die Bewohner verschollen blieben.
1544 wurde das Kloster zu Brehna (erbaut von der Witwe des Grafen Friedrich von
Brehna, der Gräfin Hedwig im Jahre 1201) aufgehoben, jedoch die Sandersdorfer
wüsten Teichanlagen blieben dem Verwalter des Klosters für den Staat zur längeren
Benutzung. Diese Teichanlagen waren bekannt als die fischreichsten der Umgebung
bis vor etwa 50 Jahren.
Dr. Martin Luther als Gönner des erden evangelischen
Pfarrers zu Sandersdorf mit Zscherndorf.
Luther und Johannes Bugenhagen legten 1536, anfangs Juli beim Landesherrn
Kurfürst Johann Friedrich eine Fürbitte ein um "Besserung der Pfarrgüter" zu
Sandersdorf im Amt Bitterfeld. Nach ihrer und des Sandersdorfer Pfarrers Mathäus
Steigener Vorstellung beschloß der Kurfürst, daß die zwei zur Pfarrei gehörigen
wüsten Hofstätten zwei redlichen Bauern mit je 2 Hufen, deren die Pfarre 7
innehatte, zum ordentlichen Anbau ausgetan werden sollten, wofür diese dem
Pfarrer jährlich 2 Scheffel Korn, 6 1/2 Groschen Zinsen und 4 tägige Fron zu
verwilligen hatten. Laut Verfügung vom Tage Margarete, den 13. Juli 1536 an den
Amtmann zu Bitterfeld.
Durch unsere Gegend ist Luther oft gezogen, so 1519 zur Disputation nach Leipzig,
im April 1521 zum Reichstage nach Worms. Er ritt oder fuhr dann die alte
Heerstraße entlang über Halle, Wittenberg. Sandersdorf ist niemals von ihm
besucht worden. Der erste Ev. Pfarrer wurde 1531 in sein Amt eingesetzt, dieses
war der Pfarrer Mathäus Steigener.
Der 30 jährige Krieg 1618–1648.
Daß fast alle unsere Dörfer während des Krieges schwer gelitten haben, dürfte
bekannt sein. Nach alten |
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Urkunden und Kirchenrechnungen zu urteilen, geht allerdings das Leben bis 1637
seinen gewohnten Gang. Man merkt fast nichts von Rückwirkungen der Schlacht in
unserer Nähe, an der Dessauer Elbbrücke 1626 oder der Schlacht von Breitenfeld
1631, vor der sich die Heere von Schweden und Sachsen in Düben trafen, oder bei
Lützen 1632. Nachdem der schwedische Feldherr Banér sich aus Sachsen und Pommern
zurückgezogen, wohin ihm die vereinigten kaiserlichen und sächsischen Truppen
gefolgt waren, war ganz Sachsenland von Räubern und Freischützen angefüllt.
Auch in der hiesigen Gegend hausten solche Banden, in den dichten Wäldern
sicheres Versteck findend. Eine dieser Horden hatte sich hinter der zwischen dem
Dorfe Niemegk und der Mulde in der Saulage gelegenen Leiseringsschanze
festgesetzt und von da aus längere Zeit Raubzüge unternommen, bis endlich
9 Reiter den Befehl erhielten, das Raubnest zu zerstören. Die Soldaten fanden
aber harten Widerstand und mußten die Flucht ergreifen; an der Lachenbrücke
wurden sie jedoch von den sie verfolgenden Räubern eingeholt, umringt und
niedergemacht.
Wie die Stadt Bitterfeld, so ist im 30jähr. Kriege auch die Pfarramtspflege
Sandersdorf furchtbar heimgesucht worden; das um 1555 neuerbaute Dorf Stakendorf
mit seinem Edelhof und 8 Bauerngütern, total vernichtet, ist heute noch Wüstung
und bildet als solche einen staatlichen Forstbezirk. Nur ganz allmählich konnten
sich Sandersdorf, Zscherndorf und Greppin wieder erholen; als der Bitterfelder
Amtsschösser nach wiederholt ergangener, amtlich öffentlicher Vorladung der
verschollenen Besitzer endlich die wüsten Güter unterm 18. November 1661
öffentlich feilbot, um solche "wegen der gnädigsten Herrschaft Interesse wieder
an gewisse und ordentliche Besitzer" zu bringen. Da verzeichnete die
veröffentlichte "General-Subhastation u. a. als besitzerlos"
in Sandersdorf
1. Jonas Bergers Guth
2. Christoph Reichenbachs sen. Guth |
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3. Lorentz Burckhausens Guth
4. Georg Strobels Guth
5. Heinrich Sacks Guth
6. Georg Plodens Guth
7. Georg Zanders Guth
8. Valtin Hesens Guth
9. Hans Crausens halbe Huefe.
Furchtbar müssen in unserer Umgegend die Schweden sowohl wie die kaiserlichen
Truppen gewütet haben. Vom 13. Februar bis 27. Februar 1637 wurde Sandersdorf,
besonders die Schäferei mit seinen über 1000 Stück Schafvieh zerstört, 14 Tage
lang hausten hier die Schweden. Der alte Kirchhof im Dorfe mit seinen dicken
Mauern war die letzte Zufluchtstätte der schwer gedrückten Bevölkerung.
Aber auch die Kirche, sowohl wie der Kirchhof war vor diesen mordend und
brennend durch das Land ziehenden Truppen nicht sicher, auch hier wurde die
Bevölkerung niedergemacht. Greueltat auf Greueltat häuften die Schweden auf ihre
Schulter, nicht achtend ob die Bevölkerung Papisten oder Protestanten waren.
Die ganze Umgegend (besonders in den Wäldern) wimmelte es von schwedischen
Kriegstruppen unter dem Befehl des schwedischen Feldherrn Banér.
Wie die Schweden und die kaiserlichen Truppen in unserer Gegend gewütet haben,
zeigt folgender Brief von Zörbig an den damaligen Herzog Christian I.:
"Gnädigster Fürst und Herr,
Welcher gestallt. – Nun ist gnädigster Fürst und Herr, notorium und
Landkündig, was für schwere und unerträgliche Einquartierung, unzehlige viele
Einquartierungen, mit Raub und Brand, von 1636 bis in das 1645. Jahr, von
Freunden und Feinden, wegen des Passes ins Fürstenthum Anhalt, wir über uns
ergehen lassen, erdulden und ausstehen haben müssen und wie so gar unbarmherzig,
barbarisch und tyrannisch, allermeist von der kaiserl. Armee, mit uns armen
Unterthanen gehandelt und umgegangen worden, daß es mit Worten nicht genugsam
zu exprimiren, es auch fast kein Heide oder Türke grausamer und abscheulicher
machen, noch vor die |
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Hand nehmen können; also gar, daß auch ob solcher unmenschlichen Tyrannei und
unchristlichen Proceduren, kein einziger Mensch sich in der Stadt mehr aufhalten,
sondern wir alle insgesamt, mit Weib und Kind, etliche viele Mal davon fliehen,
und in der Fremde, zu 10, 15 und 20 und mehr Wochen aneinander, in Hunger und
Kummer, Frost und Kälte uns aufhalten, die Stadt, unter Hab und Gut und ohne das
Geringste, Armut, mit dem Rücken ansehn und alles zu Raub, Plünderung und Brand
hinter uns lassen müssen. Und geruhen Ew. Hochfürstl. Durchlaucht gnädigst,
nachfolgende Specialien, wie mit uns armen Leuten, in den über uns ergangenen
vielen Plünderungen, umgegangen in Gnaden zu erwegen und zu beherzigen :
denn erstlich sind nicht allein wir, die Rathspersonen, sondern auch die meisten
von der Bürgerschaft, so nicht alsobald davon geflohen, theils bis auf die Hemden,
theils aber gar splittersasen nackend ausgezogen, etliche aber mit Prügeln also
jämmerlich geschlagen und zugerichtet worden, daß man auch nicht eine heile
Stätte an ihrem ganzen Leibe finden können, sondern alles mit Blut unterlaufen,
daß es abscheulich und ohne Thränen nicht angesehen werden mögen. Etliche haben
sie mit schwedischen Tränken und Einfüllen von Mistfützen und anderen Unflaths
in den Leib, theils mit Rütteln der Köpfe, daß die Augen, als Hühnereier groß,
herausgetreten, etliche mit Anlegung der Daumstöcke an die Hände und Füße;
auch theils mit Zusammenbindung der Finger und folgendes Zusammenrütteln
derselben, dermaßen gepeinigt und gequält, daß es einen Stein in der Erde
erbarmen möge, und solches einzig und allein um Geld und andere Sachen zu
bekommen. Dabei haben sie es aber nicht bleiben lasen, sondern die Bürgermeister
und theils Rathspersonen, sind von den schwedischen Völkern gefänglich mit
hinweggeführt, teils Bürger gar erschossen worden, auch, nachdem sie etliche
Kinder, welche die Eltern zurücklassen müssen und die ihnen in der Flucht nicht
folgen können, ergriffen, haben sie Feuer in |
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die Backöfen gemacht, die Kinder davor gestellt, mit Bedrohung, wo sie nicht
sagen würden, wo die Eltern das Geld vergraben, daß sie dieselben stracks hinein
in das Feuer stecken und dann verbrennen wollten. Theils alten Weibern und
Kindern haben sie Stricke um die Hälse geworfen, damit aufgezogen und erhängen
wollen. Unsere Häuser sind nicht allein zu Grund ausgeplündert, alles aus den
Böden und in Scheuern noch vorhandene wenige Getreide, als unsere Lebensmittel,
ganz und gar ausgedroschen, die Betten ausgeschüttelt und samt allen häuslichen
Vorrathen an Pferden, Kühen, Schweinen und anderem Vieh, dermaßen hinweggeraubt
worden, daß auch in der ganzen Stadt nicht soviel übrig geblieben, davon ein
einziger Mensch seinen hungrichen Magen sättigen mögen. Daher viele Rathspersonen
und Bürger haben sterben müssen. Die Thüren, Fenster, Ofen und alle anderen
Mobilien haben sie zerschmissen und zerschlagen und muthwilligerweise ins Feuer
geworfen. Die Bücher der Kirche, der Geistlichen und anderer Leute Bücher haben
sie auf Wagen geladen und mit sich hinweggeführt. Und Summa, die Stadt so
verderbet, daß einem ein Grausen angekommen und alle Haare gen Berge gestanden,
wenn man darein gehen sollen. Und solches alles ist vom Jahre 1636 bis 1641 in
den Plünderungen, hintenan gesetzet die dabei mit unterlaufenden schweren
Einquartierung also ergangen.
Zörbig, den 6. October 1654.
Der Rath zu Zörbig."
Aus diesem Schriftstück ist zu ersehen, wie schwer die Bevölkerung in diesen
Jahren unter den im Lande herumziehenden Schweden zu leiden hatte. Ueberall wo
Banèr mit seinen Kriegstruppen gewütet hatte, waren Dörfer, Städte und Fluren
verwüstet und zerstört. Menschen gemordet, ein Bild des Grauens bot sich dem
Auge wohin es blickte. Um dieselbe Zeit, wo die Städte Zörbig, Bitterfeld,
Gräfenhainichen usw. verwüstet wurden, ist auch Sandersdorf ein Opfer der
Schweden geworden. |
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Das ehemalige Pfarrgericht zu Sandersdorf hatte nur noch 3 Unterthanen, 2 Bauern
und 1 Kosaht, wurde aber trotzdem selbständig verwaltet. Die noch nicht abgelöste
Schutzgebühr betrug von ersteren je 2 Zinshühner und 4,67 Mk. Dienstgeld, von den
Kosahten 1 Mk. Schutzgeld.
1661 lag Sandersdorf noch ganz veröd. Zum Beispiel dachte an die Wiederaufnahme
der Schenkgerechtigkeit kein Mensch, sodaß die Schenke mit Feld öffentlich
verkauft werden mußte. Als Käufer fand sich Elias Ochse, der die wüste Baustätte
mit Garten, 2 Hufen Feld, 2 Gemeindestücken und sonstige Gerechtsame für
40 Gulden == 105 Mk. erwarb. Die alte Schenke, die ganz verwüstet war, wurde nun
auf derselben Stelle wieder neu errichtet. Die alte Schenke befand sich gegenüber
der Kirche in der Schenkgasse (jetzt Poststraße Haus Nr. 4). Rings um die Schenke
war alles Acker, auch einige kleine Waldstücke sowie Wiesen mit fruchtbarem
Ertrag befanden sich hier.
Gleich nach Beendigung des 30jährigen Krieges brach in den bewohnten Gegenden
wo die Schweden gewütet hatten Hungersnot aus, wobei auch unsere Heimat nicht
verschont worden ist.
1582 wütete in unserer Gegend schon einmal die Pest und die Cholera, die eine
Anzahl Menschen dahinraffte. Die Leute mußten ihre Angehörigen oft selbst
beerdigen, da sich wegen Ansteckungsgefahr niemand mehr aus den Häusern wagte.
Da eine geregelte Beerdigung nicht stattfand, wurden die Leichen vereinzelt,
aber auch in Massengräber verscharrt. Die Kirchhöfe, die vielfach zu klein waren
um die vielen Toten aufzunehmen, reichten deshalb nicht immer aus, sodaß die
Vergrabung der Leichen sehr oft auf dem Felde vorgenommen wurde. Hierdurch
gerieten die Gräber mit der späteren Zeit vollständig in Vergessenheit.
Bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der Handels- und Völkerverkehr auf der
alten Heerstraße von Nordosten her abgewickelt. Diese ging durch die Flur Brehna,
die sogenannte Lößebene zwischen Roitzsch und Brehna. |
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Später ist der alte Heerweg zur 12 m breiten Landstraße umgebaut. Auf dieser
Straße befanden sich auch einige Schlagbäume sowie Wohnhäuser für den
Chausseegelderheber.
Diese Straße ist von den Sandersdorfer Bauern viel benutzt worden. Seit Urzeiten
diente diese alte Heerstraße dem Verkehr und mancher Fuhrmann mußte Vorspann zu
Hilfe nehmen, weil er in der ungepflasterten zerfahrenen Straße stecken geblieben
war. Welche Wohltat die jetzige schöne ebene Straße für Post- und Frachtverkehr,
für Tiere und Menschen ist, bedarf keiner besonderen Ausführung.
Stakendorf wurde 1555 neu erbaut.
Im "Husitten-Krieg" 1419–1436 scheint es schon einmal zerstört worden zu
sein, aber 1555 neu erbaut. 1637 ist es zum zweiten Mal zerstört. Es bestand
damals aus einem Edelhof und 8 Bauerngütern. Stakendorf war nach Sandersdorf
eingepfarrt.
Die Stakendorfer hatten ihren eigenen, heute noch vorhandenen Begräbnisplatz auf
dem Sandersdorfer Kirchhof. Derselbe ist sowohl im Grundbuche, als örtlich vom
Gottesacker zu Sandersdorf gesondert, obwohl beide nebeneinander und innerhalb
einer und derselben Einfriedigung liegen. Tote dürfen darauf nicht beerdigt
werden, sondern steht die Nutzung vom Stakendorfer Gottesacker dem Pastor zu
Sandersdorf, observanzmäßig zu. Um 1506 wohnte in Stakendorf ein Nikolaus von
Brand, vermählt mit Margarete von Helldorf. 1555 war das adel. Gut im Besitz
derer von Preuße; noch 1633 am 10. April stand der Junker Ludwig v. Preuße aus
Stakendorf bei Meister Duches Kind zu Bitterfeld Gevatter. 1637 geschah die
Zerstörung des Ortes, und, da die Einwohnerschaft verschollen, vielleicht
gemordet war, so ging die wüst gewordene Mark an den Fiskus über, der den Acker
mit dem 1637 fiskal gewordenen Rittergut Greppin vereinigte, später mit Holz
bepflanzte. Seit 1881 befindet sich hier ein Försterhaus. Die Stakendorfer
hatten an den Sandersdorfer Pfarrer Abgaben zu entrichten. |
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Diese wurden von dem Fiskus übernommen, aber im Jahre 1859 abgelöst.
Der Stakendorfer Busch, 900 Morgen groß, ein fiskalischer Forstbezirk, gehört
jetzt zur Oberförsterei Zöckeritz. Im Stakendorfer Busch befindet sich jetzt
noch eine Vertiefung, hier soll der Stakendorfer Gemeindebrunnen gestanden haben.
Ueber der Gemeindefläche steht jetzt noch Wald, es ist möglich, aber nicht
bestimmt, "daß", wenn auch hier einmal der Abraum-Bagger angesetzt wird, noch
alte Ueberreste von diesem Dorf zu finden sind. Ob allerdings noch Ueberreste
der Bewohner zu finden sind, ist fraglich, da die Stakendorfer Bewohner in
Sandersdorf auf dem Kirchhof beerdigt wurden. Während und auch nach dem
30jährigen Krieg hat in vielen Orten der Umgegend die Pest schrecklich gewütet,
sodaß die Bevölkerung teilweise in den nahen Wäldern Zuflucht suchte. Unter der
Heideloher Windmühle hielt man 1680 die Taufen sowie den Gottesdienst ab, da die
Geistlichen sich nicht mehr in die verpesteten Dörfer hineinwagten.
Der Schwed' im Land, der Schwed' im Land!
Der bringt dem Bauer Schimpf und Schand!
Der bringt den Bauern sicheren Tod!
Hui, he, nun helf' dem Bauer Gott!
Dieser Vers mag von der gedrückten Bevölkerung wohl sehr oft gebraucht
worden sein.
Wann Kolpin (nördlich) und Krottendorf oder Krondorf untergegangen sind, läßt
sich nicht feststellen. Dieses ist aber lange vor dem 30jährigen Krieg geschehen.
Laut mündlicher Mitteilung haben 23 Sandersdorfer die aus 3 Lehnshufen bestehende
Krottendorfmark von dem Rittergut Ramsin gekauft und hatten dafür zusammen
1 Scheffel Roggen an die Pfarre zu entrichten. Krondorf lag westlich von
Sandersdorf, ungefähr dort, wo sich die Kantine der Bitterfelder Luisengruhe
befindet, rechts von der Straße nach Ramsin. Dieses Gelände ist ausgebaggert und
ist Eigentum der Bitterfelder Luisengrube.
Im Jahre 1918 wurden beim Ausbaggern des Abraumgeländes ein noch fast gut
erhaltener Brunnen freigelegt, dem aber sehr wenig Achtung gezollt worden ist. |
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Da das Holz des Brunnens Eiche war, ist es verständlich, daß es sich so lange
gehalten hat.
Odeley und Eckeln lagen südlich von Sandersdorf.
Auch diese zwei Orte sind wahrscheinlich in dem "Husitten-Krieg" genau wie die
Orte: Predel, Gräfendorf und Hungersdorf (die zwei letzteren südlich von
Zscherndorf) untergegangen.
Odeley.
Wüstes Dorf, dessen Marke im nördlichen Teile der Zscherndorfer Gemarkung liegt.
Unter den Gütern des ehemaligen Klosters zu Niemegk bei Bitterfeld, welche nach
Aufhebung des Letzteren 1150 dem Petersberger Kloster überwiesen wurden, befinden
sich laut Schenkungs-Bestätigungsurkunde Markgraf Konrads von Meißen vom
30. November 1156 8 1/2 Hufen in "Odeley".
Herzog Wenzel von Sachsen und Graf von Brehna schenkt laut Urkunde von 1385 den
geistlichen Jungfrauen des Klosters zu Brehna "das Dorf, genannt die Odeley",
mit Aeckern, Wiesen unter Vorbehalt des Rechts der obersten Beschützung und
Herrschaft. Mit der Schenkung irgend eines Ortes oder einer Flur an das Kloster
erwarb sich der betreffende Landesfürst oder Landeshauptmann die besondere Gunst
der Klosterinsassen; diese zogen aus dieser Schenkung ihren Nutzen und brachten
es somit sehr oft zu beträchtlichem Vermögen.
Gräfendorf (südöstlich) und Hungersdorf, (südlich von Zscherndorf) ebenfalls im
"Husitten-Krieg" untergegangen, lagen in der zum Gutsbezirk Ramsin gehörigen Mark.
Im Jahre 1553 verkaufte der Edelmann Peter von Reibitzsch mit Einwilligung
seiner Mitbelehnten etzlichen Leuten zu Zscherndorf 9 Hufen Landes in
Gräfendorfer Mark erb- und eigentümlich.
1557, Freitag nach Laurenti (10. August) verkaufte Aßmus Westregel aus Ramsin
siebendehalben Hufen Landes, |
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jede Hufe 18 Acker (39 Morgen) gerechnet, auf Hungersdorfer Wüstenmark, die er
ihrer weiten Gelegenheit halben für seine Haushaltung nicht weiden konnte,
"den Leuten zu Zscherndorff", so sie vorhin laßweise von ihm innegehabt, erblich
für Lehn und eigentümlich als an Claus Zscherndorff 1/2 Hufen für 21 Gulden.
Michael Lange 1/2 Hufen für 21 Gulden
Paul Grube 1 " " 42 "
Gregor Fraundorf 1 1/2 " " 63 "
Vinzens Lange 3 " " 126 "
1 Gulden == 21 Groschen oder 2 Mark 62 1/2 Pfennig. Zusammen um 273 Gulden
je 21 Groschen an guter Meißnischer Währung; dergestalt, daß diese Hufen weder
von denen zu Renertz (Renneritz) noch von seinen Untertanen zu Ramsin "mit
sollen betrieben noch sonsten mit Gräserei beschweret" werden. Die Käufer und
ihre Nachfolger waren verpflichtet, an Westregel und dessen Besitznachfolger
jährlich auf Martini von jeder Hufe 1 Scheffel Korn und 1 Scheffel Hafer zu
zinsen und endlich in jedem Lehnsfall 21 Groschen. "zu Lehnware zu
geben". Geschehen zu Bitterfeld in gegenwart Walten Schellers Amptschössers
nach Christ unsers liben Herrn und seligmakhers Geburt zum xv. C. 1500 vnd lvij
57 Jahre Freitagk nach laurentij.
Beim Ausbaggern des Abraumgeländes der Grube "Vergißmeinnicht" zwischen
Zscherndorf und Sandersdorf legte der Bagger 1914 eine Anzahl Gräber frei. Der
Umriß des Sarges war an den schwarzen Streifen noch gut zu sehen. Das Alter der
Knochen wurde auf 1000 Jahr geschätzt. Es soll dieses der Kirchhof von
Hungersdorf gewesen sein. Auch ein noch gut erhaltener Brunnen ist später hier
gefunden worden.
Zscherndorf.
(Czerndorf, Czscherndorff, Tscherndorff, Zschernendorff, Zscherndorff) wurde
ebenfalls wie Sandersdorf im Jahre 1637 zerstört und verwüstet. Am 18. November |
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1661 waren noch 13 Bauerngutbesitzer für verschollen erklärt und die Güter
öffentlich verkauft.
Aßmus Westregel versetzte etlichen Bauern zu Zscherndorff aus seinem Rittergut
Ramsin 9 Hufen Landes auf Gräfendorfer Mark auf Wiederverkauf, jede Hufe um
35 Gulden.
Später behaupteten die Zscherndorfer gegen Aßmus Westregel, daß diese 9 Hufen
erblicher Besitz sei, daher ihnen bei der Kirchenvisitation 1575 aufgegeben ward,
von jeder dieser Hufen 2 Scheffel Korn an den Sandersdorfer Pfarrer jährlich zu
entrichten.
Pfarrabgaben.
Zscherndorf ist nach Sandersdorf eingepfarrt und hat an die Pfarre zu entrichten
im Jahre 1555 44 1/2 Scheffel Korn, gibt ein itzlicher von
1 Hufen 2 Scheffel, ausgenommen Ulrich Han, der dem Pfarrer nur 1/2 Scheffel
darreicht; ferner 15 Bratwürste und 4 Groschen ungefähres Opfer. Es sollen
u. a. auch die zu Tscherndorff von der Mark "Grevendorff" und "Trudeley"
(Odeley) von jeder Hufe 1 Scheffel Korn geben.
Bis etwa 1822 gingen die Zscherndorfer Kinder nach Sandersdorf zur Schule;
dann hielt die Gemeinde sich selbst einen Lehrer, welcher in den Wohnstuben der
Eltern lehren mußte. Später mietete man eine Stube, in welcher der Lehrer fast
20 Jahre lang gleichzeitig wohnte und unterrichtete. 1842 endlich wurde ein
Schulhaus gebaut. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts soll im Dorfe ein königliches
Forsthaus – vielleicht für Stakendorf – gewesen sein.
Die katholischen Kinder von Zscherndorf besuchten die Schule in Sandersdorf
bis 1910. Da die Zahl der kath. Kinder in Sandersdorf sich fortgesetzt steigerte,
waren Schulbauten und die Anstellung eines neuen Lehrers erforderlich. Diese
erheblichen Schullasten weigerte sich die Gemeinde Sandersdorf zu tragen;
deshalb ist in Zscherndorf den katholischen Kindern ein Klassenzimmer zur
Verfügung gestellt worden. Als erster katholischer Lehrer wurde in Zscherndorf
Herr Lehrer Johannes Finke berufen. |
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Wolfen
gehörte in kirchlichen Beziehungen früher zur Parochie Sandersdorf. Da der
Pfarrbezirk für einen Pfarrer zu groß war, beklagten sich die Orte "Wolfen,
Reuden, Thalheim gelegentlich einer im Jahre 1555 abgehaltenen Kirchenvisitation",
wie der Pfarrer sehr langsam zu ihnen komme, wenn er ihnen das Sakrament reichen
soll. Erst bei der 1575 abgehaltenen Kirchenvisitation ordnete man namens des
Kurfürsten von Sachsen die Teilung der Parochie Sandersdorf an: Greppin,
Stakendorf, Zscherndorf blieben bei Sandersdorf, Reuden aber wurde neuer Pfarrort
mit den Tochterkirchen Thalheim und Wolfen; das erst neuerbaute Zschepkau kam zum
Kirchspiel Reuden.
Laut Vertrag vom 14. Juni 1581 kaufte "Ein Ehrbarer Rath und ganze Gemeine zu
Bitterfeld" von Heinrich von Gleißenthals hinterlassenen Söhnen Hans, Ernst und
Siegmund das Rittergut Greppin mit dem Dorfe Wolfen, der Schäferei zu Sandersdorf,
Vorwerk Wachtendorf und sonstigen Zubehör für 30000 Gulden.
Thalheim.
Bis 1575 war es Tochterkirche von Sandersdorf. Die aus Bruchstein errichtete
Kirche soll um 1200 gebaut sein und in frühester Zeit seinen eigenen Pfarrer
gehabt haben. In der Matrikel der Reudener Pfarrer von 1555 steht wörtlich:
"Auch ist zu Thalheim ein pfar Hufen, welche vorzeitten von andechtigen Leuthen
zur pfar testiert und von Bauern untterschlagen ist, besag einer sehr alten
schrifft. Inn einem pergamenen Meßbuch von 1369".
Thalheim wurde im 30jährigen Krieg im Jahre 1640 zur Hälfte zerstört; viele
Bauern wurden vertrieben und das Kirchenvermögen geplündert.
Als die Teilung des großen Sandersdorfer Pfarrbezirks im 16. Jahrhundert schwebte,
richteten sowohl die Herren von Zanthier als auch deren Thalheimer Unterthanen
an den Landesherrn, die Bitte "vmb etliche Stemme Bauholz vnd ein steuer von Geld",
damit die zerfallene |
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Tochterkirche wieder aufrichten könnten. Man wollte erreichen, daß Thalheim
durch den "Wiederausbau der Kirche Pfarrsitz würde, wozu noch Wolfen und Reuden
kommen sollte.
1575 kam die Teilung zustande, jedoch wurde die Pfarre Reuden zugeteilt.
1751 ist die Kirche vergrößert worden. 1822 größere Reparatur im Innern der
Kirche.
Den 6. Oktober 1825 brannten in Thalheim 6 Gehöfte, darunter die Schenke und die
Schule ab.
1827, den 24. Juni brannten nochmal 15 Wohnhäuser, 3 Auszugshäuser, 23 Ställe
und 15 Scheunen, zusammen 56 Gebäude nieder.
Thalheim liegt 4 km nördlich von Sandersdorf und ist ein sehr langgestrecktes
Dorf. Seit 1928 geht von Sandersdorf die neuangelegte Straße in gerader Linie
vom Bahnhof nach Thalheim, bis dahin befand sich zwischen beiden Orten ein
tiefes Kohlenfeld der Grube "Karl Ferdinand", um diese Grube ging bis dahin der
Weg nach Thalheim.
Rechts der Thalheimer Straße hat die Baugenossenschaft "Sandersdorf" mit dem Bau
mehrerer Häuser begonnen. Im Herbst 1928 wurde der erste Spatenstich zu diesen
Häusern getan.
Johann Gottfried Schnabel
Schriftsteller und Verfasser der deutschen Robinsonade "Insel Felsenburg", ein
Sandersdorfer Pfarrerssohn. Im Pfarrhaus zu Sandersdorf wurde dem Pastor
M. Johann Georg Schnabel am 7. November 1692 ein Sohn namens Johann Gottfried
geboren, welcher als Schriftsteller der deutschen Literaturgeschichte angehörte
und bis etwa 1750 gelebt hat. Sein unter dem Autornamen "Gisander" verfaßtes
Hauptwerk ist die berühmte deutsche Robinsonade "Wunderliche Fata einiger
See-Fahrer" (Insel Felsenburg), Nordhausen 1731–1743, ein einst
vielgelesenes Buch, welches auch zur Jugendlektüre Goethes gehört hat. Seine
Mutter, Hedwig Sophie geb. Hammer |
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ist die Tochter von seines Vaters Amtsvorgänger in Sandersdorf, des Pastors
Gottfried Hammer, gewesen.
1701 wurde die Kirchweih (Kirmes) von dem damaligen Pastor (Karl Otto) wie folgt
festgesetzt: "Das Kirchweih oder Kirmesfest" fällt in Sandersdorf nach Martini,
fällt der Martini ins Dezember aus Montags, so ists doch 8 Tage darauf. Die
Greppiner Weihe oder Kirmes ist 8 Tage nach der Sandersdorfer und wird der
Pfarrherr und Schulmeister durch Pferde und Wagen von Bauerngut daselbst geholet
und auch wieder rüber gebracht.
1713 brach in Bitterfeld ein großes Feuer aus, welches in 2 Stunden 92 Häuser
und das Rathaus zerstörte und der Kirchturm ausbrannte.
1715 am 12. Juni wurden in Glebitzsch durch einen schweren Sturm 6 Wohnhäuser,
20 Scheunen und viele Ställe zerstört.
In Sandersdorf hat der Sturm weniger Schaden angerichtet.
1718 ist eingezeichnet: "Das uralte Kirchenbuch, wie auch hier vorgebrachte
Nachrichten, Pfarrakten und dergleichen und was bey dem Pfarrgericht vorgefallen,
welches itzo sehr nötig wäre, ist in dem großen Brande 1718, den 19. oktobris
alles verbrand, so daß man itzo, wenn wegen des eingeäscherten und nun wüsten,
ehemals aber hier eingepfarrten Stackendorf etwas gesucht wird nichts zu finden
weiß". Am 19. Oktober 1718 brannten also in Sandersdorf 18 Bauernhöfe nebst
Pfarrhaus ab, wobei Pfarrarchiv nebst Bibliothek verloren gingen. Dieser Brand
ist wohl einer der größten gewesen der Sandersdorf heimgesucht hat, fast das
ganze Dorf ist dabei vernichtet worden, dieses ist bei dem damaligen Baustil mit
Strohdächern nicht verwunderlich.
1751 gleich nach dem Johannisfest war hier eine große Ueberschwemmung. Ganz
Greppin war unter Wasser gesetzt, nur der Kirchhof ist trocken geblieben.
Die Menschen mußten in die oberen Etagen fliehen. Der |
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Sandersdorfer Pfarrer mußte bei Ausübung seines Amtes bis an die Knie im Wasser
waten.
Um diese Zeit scheint auch das Hermannsche Haus hinter dem Bad der Luisen-Grube
erbaut zu sein. Am Treppenaufgang der alten Treppe war die Jahreszahl 1763
eingearbeitet. Im Garten dieses Grundstückes wurde viele Jahre später ein Topf
alter Geldstücke bis in das Jahr 1326 zurückreichend gefunden.
Am 3. September 1751 wurde hier ein Brautpaar vom Petersberge getraut. Der
Bräutigam war seiner Länge wegen den preußischen Werbern aufgefallen und sollte
von diesen bei seiner Trauung in der Kirche auf dem Petersberge weggehascht
werden. Der Anschlag war noch rechtzeitig verraten und hatte sich das Brautpaar
durch die Flucht nach hier ins Sächsische gerettet, wo sodann auch ihre Trauung
vollzogen wurde. Es waren dies Karl Friedrich Mäerker, Sohn des Königl. Preuß.
Amtmannes auf dem Petersberge und Jungfrau Maria Christine Berg, Tochter des
Gastwirts daselbst.
1753 großes Viehsterben in Sandersdorf und Zscherndorf; in beiden Orten fielen
141 Stück Rindvieh, 309 Schafe, 18 Schweine, 12 Bullen. Auch der Pfarrer verlor
seine 12 Kühe.
1754 wurde bei einer Ueberschwemmung die ganze Ernte vernichtet.
1755 hat die Mulde ebenfalls alles überschwemmt. In diesem Jahre war ein sehr
kalter Winter mit viel Schnee. Das Vieh ist im Stalle erfroren.
Am 29. September 1755 wurde auf hohen Befehl anläßlich des Religionsfriedens
am 25. September 1555 ein Jubelfest veranstaltet. Von 12 bis 1 Uhr wurde mit
allen Glocken geläutet. Die Sandersdorfer Bauern nebst Kinder nahmen im
Festtagsgewande daran teil. In der Kirche fand ein Gottesdienst statt.
Von der sittlichen Strenge damaliger Zeit legt folgende Eintragung in das
Kirchenbuch Zeugnis ab.
"Am 20. April 1755 hat Judith Hirschfeldin weyl Martin Hirschfelds gewesenen
Einwohners in Zscherndorf |
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hinterlassene jüngste Tochter ein unzeitig Hurkind, ein Knäblein, geboren,
welches Tags darauf, abends in der Stille auf dem Kirchhof verscharret wurde.
Dieses böse Mensch war an eben diesem Tage Dom. Jubilate zum heil. Abendmahl,
nachmittags 4 Uhr kriegt sie das Kind in der Stuben ihres Dienstherrn Joh.
Friedrich Voigt, Anspänner allhier in Sandersdorf und da dieser mich abends spät
ersuchte, zu dieser Hure zu kommen, weyl selbiche sehr krank, so verfügte ich
mich dahin und erfuhr mit Entsetzen, daß der Verführer ein Ehemann, namens
Dornack, welcher Bösewicht vor 2 Jahren allhier Nachtwächter gewesen, zu der
Kirmeß aber allhier in der Schenke sich eingefunden dieses Mensch zum
Branntweintrinken forneret und daselbst im Garten Unfug getrieben. Ich habe
sofort an Herrn Superintendenten berichtet und durch den Ortsrichter es der
weltl. Obrigkeit anzeigen lassen, die sich Tags darauf hierher begeben und
durch den Chirurgium besichtigen lassen und gefunden, daß das Kind ungefähr
5 Monate alt und die Aussagen eintreffen. Gott wende die Obrigkkeit zur
Gerechtigkeit und behüte diesen Ort und Gemeinde vor dergleichen Sünde."
1757 Mittwochs vor dem Trinitatis 13. Juli lies der gerechte Gott in der Filial
Greppin ein Feuer kommen, es brach aus abends 5 Uhr als alle Leute auf dem Felde
waren und zerstörte 6 Häuser, es war eine große Dürre und Hitze. 1757 war eine
überaus gute Korn-Ernte, der Scheffel kostete 2 1/2 Thaler.
1758 am 15. September wurde eine Kindermörderin Dorethea Magdalena Rathmann in
Bitterfeld hingerichtet, wobei der Sandersdorfer Pfarrer sie nach der Richtstätte
begleiten mußte.
Der 7jährige Krieg 1756–1763
ist auch an Sandersdorf nicht ganz spurlos vorübergegangen, wie folgende
Kirchenbuchsnachricht besagt: "Am 30. November 1758 abends 9 Uhr rückten allhier
450 Bäckersknechte und Tragenknechte von der Kgl. Preuß. Armee, welche der Graf
von Donah kommandierte, |
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und hinterließen als sie einen Tag. Rast gehalten und von den Einwohnern
beköstigt und mit Fourage versehen 3 Tote zurück, welche mir zur Beerdigung
übergeben werden. Ich habe solche bei itzig lamentoser Zeit und da ich von ihrer
Religion sowohl, als ihrer Bereitung zum Tode nichts erfahren können,
am 3. Dezember vor dem 1. Adventus von den hiesigen Einwohnern auf hiesigem
Kirchhof seitwärts, nachmittags 4 Uhr zur Erde bestatten lassen, jedoch ohne
Geläute und in der Stille. Ihre Namen wurden mir von obgedachten Kommissario
folgendermaßen angegeben :
1. Joh. Lindemann, ein Bäckersbursch aus Altbrandenburg.
2. Joh. Gottfried Jäckel aus Königsberg in Preußen, auch ein Bäckerbursch.
3. Chridoph Widder, ein Tragenknecht aus dem adlichen Gut Liedkeufersin in Preußen.
1759 am 16. Februar wurde eine alte 76 jährige Frau wegen Mordes an einem
4jährigen Kind in Renneritz hingerichtet. Zuerst wurde sie gefoltert, dann
enthauptet und an ein Rad geflochten.
Am 2. Pfingsttag, den 4. Juni 1759 ging über Sandersdorf ein schweres Gewitter
nieder, der Blitz schlug in Lorenz Schmids Wohnhaus und zerstörte es vollständig.
Das gegenüberliegende Bauerngut von Christoph Möbius wurde ebenfalls eingeäschert.
1759 kommen preußische Kriegstruppen durch Bitterfeld, die auch Sandersdorf
streiften.
1760 am 21. September nahm das 17000 Mann starke Herzogliche Württembergische
Korps rings um Bitterfeld Quartier. Die Kavallerie wurde auf den Dörfern
untergebracht. In Sandersdorf und Greppin lag ein Regiment. In der hiesigen
Pfarre waren der Obrigstleutnant von Chame und Obrist von Eyl sowie 7 Pferde
untergebracht. Die Truppen kamen aus der Richtung Halle und rückten nach kurzem
Aufenthalt wieder in Richtung Wittenberg weiter, wo sie an der Schlacht bei
Torgau teilnahmen. |
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1761. Die Mulde ist übergetreten und hat weit und breit alles überschwemmt.
1763. Ueberall ist großer Jubel. Der Friede wurde am 21. 3. auf dem Jagdschlosse
Hubertusburg geschlossen.
1764 am 18. Mai wurde die seit dem 17. Oktober 1762 in Untersuchungshaft
befindliche Anna Christine Blom wegen Diebstahl und Brandstiftung in Wolfen
lebendig verbrannt; der Wolfener Richtplatz befand sich in Wolfener Marke am
Wege nach Thalheim.
1766 am 8. Juni ertrank im Bauernteich beim Baden der Bauernsohn Johann
Christian Schmidt, 17 Jahr alt.
1795 brach hier ein großes Feuer aus, welches die Querreihe Haus 2–6 am
alten Schulplatz, sowie die große Linde einäscherte, hierbei sind 9 Stück
Rindvieh und vieles andere Vieh umgekommen.
1797 am 13. April (grüner Donnerstag) entstand in Zcherndorf ein großes Feuer,
wobei mehrere Gehöfte und Vieh verbrannten, darunter auch das Wohnhaus, Stall
und Scheune von Gottlieb Chasmanns.
1798 am 16. Februar mittags um 1 Uhr brach hier ein Feuer aus, das das Gehöft
von Schmidt – Rudolf – Schulze und August Prautzsch in Asche legte.
Am 17. Februar 1798 brannten ebenfalls wieder einige Häuser ab.
1763 machte unsere Heimat schon einmal eine Inflation durch. Das preußische
Kriegsgeld fiel auf 1/3 des Wertes. Für ein Achtgroschenstück gab es nur
3 Groschen. Der Scheffel Korn kostete 14 Taler, eine Kanne Butter l Taler
10 Groschen.
1770, 71, 72 war in Beyersdorf, Glebitzsch und Köckern eine sehr große, ganz
außerordentliche Wassersnot, entstanden durch großen Schneefall und Regen. Auch
war in diesen Jahren eine sehr schlechte Ernte, dazu kam noch Hochwasser,
welches das Getreide auf dem Felde vernichtete. Der Scheffel Korn kostete
8 Taler. In vielen Gegenden war die Teuerung so groß, daß die Leute Stroh
schnitten zum Brotbacken. |
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1785 war der Winter so stark, daß die Bauern zu Ostern mit dem Schlitten zur
Kirche fuhren. Der Lohn für einen Maurer oder Zimmermann betrug um diese Zeit
von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends – 7 Groschen. Der Scheffel Korn kostete
2 Taler 4 Groschen, Weizen 3 Taler 2 Groschen.
1804 – 1805 war eine große Teuerung. Roggen kostete der Scheffel 4 Taler,
Weizen 6 – 7 Taler, Gerste 3 und Hafer 2 Taler 4 Groschen. In Delitzsch
kostete der Scheffel Weizen 18 Taler.
1813 am 23. Oktober, 10 Uhr früh, kamen. Se. Majestäten der König, die Königin
und Prinzessin Auguste von Sachsen, viele Minister, Generäle und Hofbediente
durch unsere Gegend. Als Eskorte der Fürst Gallicin nebst 100 Mann Kosacken.
Die Königsfamilie waren Gefangene, sie reisten über Aken nach Berlin weiter.
In der Tabakfabrik von Jäger in Zörbig nahmen die Herrschaften auf kurze Zeit
Quartier.
Aus der Kriegszeit 1806– 1815
wo in unserer Gegend das Durchziehen von Militär nicht aufhörte, war während der
vielen Durchzüge die Ruhr ausgebrochen, woran in Zörbig 150 Kinder und Erwachsene
starben. Die Einwohner wollten keine Einquartierung mehr annehmen, ebensowenig
wollten die Soldaten nach Zörbig, weil von einer ganzen Kompanie preuß. Garde,
die von der Ruhr hier angesteckt worden, wenig Leute am Leben blieben.
Am 17. Oktober kamen die bei Jena und Halle geschlagenen Preußen flüchtend durch
unsere Gegend.
Am 21. Oktober mittags 12 Uhr kam Napoleon mit einem Armeekorps von 60000 Mann
und der gesamten Garde am Halleschen Thore vorbeimarschiert und zog nach
Radegast zu.
Die Befreiungskriege 1813–1815.
Am 17. Februar 1813 kamen die ersten retirierenden Franzosen aus Rußland zurück;
das 7. und 10. Kürassier–Regiment, |
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die beide auf 200 Mann zusammengeschmolzen waren, lagen 16 Tage in Zörbig.
Das 7. und 20. franz. Chaffeur-Regiment lag 10 Tage in Zörbig.
1813 lagen vor Sandersdorf und den umliegenden Dörfern mehrere Tage die Russen.
Zwischen Thalheim und Sandersdorf am "Kulich" hatten sie ihr Lager aufgeschlagen.
Während dieser Zeit hatte die Bevölkerung unter den Kosacken, die sehr schmutzig
gewesen sein sollen, schwer zu leiden. Den Bauern wurde das Vieh aus den Ställen
geholt und abgeschlachtet. Bei den Bäckern wurde Brot und Mehl geplündert.
Wo die Tore nicht gleich geöffnet wurden, halfen die Pferde nach. Die Einwohner
fühlten sich in ihren Häusern geschweige denn auf der Straße nicht mehr sicher.
Der "Kulich" der damals noch ein größeres Ausmaß hatte als heute diente als
Mittelpunkt des Russenlagers, heute ist er nur noch ein kleines Stück wüstes
Gestrüpp. Im April hatte auch Zörbig starke russische Einquartierung.
Am 22. September machten die Kosacken einen Ausfall nach Heideloh zu einer
Attacke gegen die im Stakendorfer Busche stehenden Italiener, kamen aber
unverrichteter Sache wieder zurück.
Am 10. Oktober lag die ganze 150000 Mann starke Nordarmee mit 15 Generälen und
500 Offizieren auf unseren Nachbardörfern. Die einzelnen Regimenter lagen vom
Petersberge bis Reuden und hatten sich größtenteils verschanzt, weil Napoleon
bei Düben ihnen gegenüberstand. Zörbig hatte die Ehre, in dieser Nacht die
Prinzen Wilhelm und August von Preußen, den Prinzen von Hessen-Homhurg,
Generalfeldmarschall Blücher, die Generäle York, Bülow, Gneisenau zu beherbergen.
So war unsere nähere Umgegend durch das Hin- und Herwogen der Kämpfe auf beiden
Seiten, zum Mittelpunkt dieser beiden Heere geworden. Militärs aller Gattungen
und aller Länder sowohl die höchsten Führer und Generäle lernte unsere Umgegend
kennen.
Wie sich der Aufmarsch zu den weiteren gewaltigen Kämpfen vollzog, zeigt
folgender Bericht.
Die Nordarmee bestand aus Preußen, Russen und Schweden. Der |
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Kronprinz Karl Johann von Schweden, der frühere französische Marschall Bernadotte
hatte das Oberkommando. Die 2. schlesische Armee, ungefähr 100 000 Mann stark,
bestand aus Preußen und Russen und wurde von dem General von Blücher kommandiert.
Am 3. Oktober rückte Blücher bei Elster über die Elbe nach Düben vor.
Am 9. Oktober räumte Blücher Düben, da Napoleon mit starker Heeresmacht von
Dresden kommend nach Düben vorrückte. Am 10. Oktober zog Napoleon in Düben ein;
mit der Absicht, dem Feldmarschall Blücher einen überraschenden Schlag
beizubringen. Dieser zog sich jedoch bei Annäherung der großen Armee auf das
linke Muldeufer gegen Zörbig zurück. Napoleons Absicht soll gewesen sein,
möglichst Blücher und die Bernadottesche Nordarmee zu vernichten und die
Hauptarmee im ebenen Gelände zwischen Düben und Leipzig zum Hauptkampf zu
erwarten. Nachdem Blücher und Bernadotte in Düben den Entschluß gefaßt hatten,
Napoleon auszuweichen und gemeinsam über die Saale zu gehen und sich bei Halle
aufzustellen, zog die Nordarmee von Raguhn und Jeßnitz kommend nach Zörbig zu
marschierend hier durch unsere Gegend, wo Quartiere auf unseren Nachbardörfern
bezogen wurden. Als Napoleon sah, daß er die Blücherarmee nicht mehr vor sich
hatte und einen Stoß ins Leere gemacht hatte, zog er nach kurzem Aufenthalt in
Düben mit seiner ganzen Armee in Eilmärschen gegen Leipzig. Er war entschlossen,
bei Leipzig den Verbündeten eine entscheidende Schlacht zu liefern.
Als Blücher sah, welchen Plan Napoleon vorhatte, rückte auch seine Armee sowie
die Nordarmee nach Leipzig ab.
Am 16. bis 19. Oktober 1813 kam es dann zu der Schlacht bei Leipzig.
Es ist dabei zu beachten, daß untere sächsische Gegend damals für Preußen
Feindesland war, da die Sachsen Verbündete von Napoleon waren.
Als Blücher daher im Mai 1813 die sächsische Grenze überschritt, erließ er einen
Aufruf an die Sachsen. Sie sollten sich erheben und auf Seiten der Verbündeten
treten. Aber der Aufruf wirkte nicht. Der große deutsche |
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Gedanke war noch nicht mächtig genug. Als Blücher am 5. Oktober 1813 in unsere
sächsische Gegend einzog, erließ er folgenden Befehl an seine Truppen:
"Ich muß sehr bitten, daß die Herrn Korps-Kommandanten mit aller Strenge darauf
achten, daß den Landleuten keine Pferde geraubt oder auch zum Privat-Gebrauch
weggeführt werden." Wie schon einmal gesagt, waren wir für die Preußen hier
Feindesland.
Erst durch den Wiener Kongreß 1815 kam der ganze nördliche Teil Sachsens an
Preußen. Besonders unsere Gegend lernte den Krieg vor allem 1813 kennen, da wir
im Aufmarschgebiet der beiderseitigen Heere zur Schlacht bei Leipzig lagen.
1810 wurde die Greppiner Schäferei in Sandersdorf nach Wachtendorf verlegt.
Diese Schäferei hat gestanden wo jetzt die katholische Kirche steht. Bei
Ausschachtungsarbeiten zum Bau der Kirche wurden sehr viel Tierknochen freigelegt;
es ist möglich, daß dieselben von dem großen Viehsterben von 1753 herrühren.
Die Revolution 1848.
Die Revolution ist in Sandersdorf sehr ruhig und gemütlich verlaufen. Nach
Bekanntwerden des Aufstandes in Berlin zogen die Arbeiter und Handwerker mit
Trommeln und Pfeifen auf den Dorfplatz. Drei Tage wurde nicht gearbeitet.
Zu Ausschreitungen ist es nicht gekommen. Eine Fahne hatten die Sandersdorfer
noch nicht; aber eine Revolution haben sie sich doch geleistet.
Im Allgemeinen ist das politisch bewegte Jahr 1848 in unserer ganzen Umgegend
ruhig und ohne weitere Auswirkung verlaufen.
Der Ausbruch der Kriege 1864 und 1866
wurde von den Sandersdorfer Bürgern mit Ruhe und Gleichgültigkeit aufgenommen.
Dagegen soll bei Ausbruch des Krieges 1870–71 mehr Begeisterung
gewesen sein, |
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auch sollen sich mehrere Sandersdorfer freiwillig gemeldet haben.
Am Feldzug 1866 hat von hier teilgenommen:
Eduard Pannicke (bei Königgrätz verwundet)
1870–71 nahmen teil:
Wilhelm Haupt (verwundet)
Ludwig Hanke (gestorben im Lazarett in Straßburg)
August Regen (gefallen)
Franz Hanke (erhielt das eiserne Kreuz)
Paul Krüger
W. Fleischer
1868 brannten die Gehöfte von Bleys und Möbius, sowie das jetzige Gasthaus
Sandersdorf damals Baumgartens Schenke vollständig ab.
1882 am 23. September ging zwischen Sandersdorf und Zscherndorf (Eckelmarke)
ein schweres Hagelwetter nieder, wobei die ganzen Sommerfrüchte vernichtet
wurden.
1868 und 1892 waren sehr heiße Sommer. Am 17. September 1868 wurden im Schatten
36,2 Grad, in der Sonne 43 Grad Wärme gemessen. Am 25. September kam nach
14 Wochen der erste Regen.
Auch das Jahr 1892 war sehr trocken und heiß, 10 Wochen hat es nicht geregnet.
Die Ernte war mittelmäßig.
1875 waren hier 28 Bauern mit über 100 Morgen Land, sowie 4 Kosahten mit
30–40 Morgen Land.
1901 war ebenfalls ein trockenes Jahr. Am 21. Juli kam nach 9 Wochen der
erste Regen.
1901 am 10. September ertrank im Bauernteich ein 12 Jahre alter Junge.
1901 am 26. September Montags früh gegen 3 Uhr brannte die mit Getreide gefüllte
Scheune und Ställe des Dampfmühlenbesitzers Nuckelt ab. Die ganze Ernte und
mehrere Stück Vieh sind dabei umgekommen.
1903 erhielt Sandersdorf Wasserleitung und 1906 die erste elektrische
Straßenbeleuchtung. |
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1909 landete bei Greppin das erste Luftschiff Zeppelin III.
Am 1. Oktober 1909 trat der zum hauptamtlichen Gemeinde-Vorsteher gewählte
Verwaltungs-Assistent H. Ebert aus Barmen sein Amt an. Das Büro befand sich im
Postgebäude.
1910 am 10. Oktober wurde das neue Gemeinde-Verwaltungsgebäude für 17 000 Mk.
fertiggestellt.
1911 war eine sehr schlechte Ernte infolge der großen Hitze und Trockenheit,
besonders in unserer sandigen Gegend!
1919 im März stieß im Stakendorfer Busch infolge falscher Meldung eine von
Bitterfeld kommende Lokomotive mit dem von Zörbig kommenden Personenzug zusammen,
mehrere Tote und Verletzte waren zu verzeichnen. Einige Wagen wurden dabei schwer
beschädigt.
Während des Krieges waren im Bergbau eine Anzahl Kriegsgefangene beschäftigt:
Engländer, Schotten, Franzosen, Amerikaner, Italiener, Russen, diese waren in
Baracken der Grube "Richard" und "Louise", sowie in den Sälen der hiesigen
Gasthöfe untergebracht. Nach Kriegsende wurden die Gefangenen sofort
abtransportiert, während deutsche Kriegsgefangene erst ein Jahr später
ausgeliefert wurden.
Als erste rücken die Engländer am 27. Dez. 1918 ab, ihnen folgten am 6. Januar
1919 die Franzosen und Italiener und am 11. Januar 1919 die Russen.
Sandersdorf vor 100 Jahren.
Wie schon einmal gesagt, war Sandersdorf ein kleines unscheinbares Bauerndorf
mit ungefähr 300 Einwohnern, worunter 26 Anspänner, 18 Häusler und 3 Mieter
waren. Der Ort zählte 48 Häuser einschließlich Kirche, Hirten- und Armenhaus.
Es liegt 5 km von Bitterfeld in einer Ebene. Wald befindet sich westlich:
"Der Brand (zum Rittergut Ramsin gehörig) und der Stakendorfer Busch."
Braunkohle befindet sich rings um den Ort, welche aber bisher nicht benutzt
worden ist. Auf der wüsten |
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Mark Gräfendorf (Pomselmark) 190 Morgen groß, ist um 1800 der erste Kohlenabbau
geschehen. "In einem zum Rittergut (Ramsin) gehörigen Gehölze, die Pomsel
genannt, hat der damalige Besitzer die hierliegenden Braunkohlenlager zu
benutzen angefangen". Aber diese Grabung blieb stecken und ein Versuch des
rührigen, jedoch mittellosen Unternehmers Höbold, um 1830 den Betrieb wieder
aufzunehmen und gleichzeitig aus dem über der Kohle liegenden Ton Bausteine zu
fabrizieren und in den Handel zu bringen, mißglückte ebenfalls. Erst dem
Bitterfelder Bürger und Tuchfabrikant David Schmidt (gestorben 1844), welcher
1839 das Rittergut Ramsin gekauft hatte, gelang es, die Pomselgrube, welche er
mit dem Rufnamen seiner e. Gattin Auguste benannte, dauernd betriebsfähig zu
gestalten.
Mit der Entwicklung des Bergbaues wuchs auch Sandersdorf von Jahr zu Jahr.
Alle neueren Straßen des Ortes entstanden später. Die Bitterfelder Straße wurde
erbaut in den Jahren 1893 bis 1898, vorher war alles Acker.
Die Hauptstraße
wurde 1893 bis 1895 erbaut, vorher waren dort Gärten und Acker.
Zscherndorferstraße,
erbaut 1900 bis 1903. Der Konsum steht auf dem Bauerngutgelände von Rupprecht
am Dorfplatz. Das ehemalige Gut ist jetzt zu Wohnungen umgebaut.
Teichstraße,
erbaut 1876 bis 1878. Als erstes Haus entstand das von Kupsch Nr. 21. Dieses
wurde nach einem damals neuen Verfahren mit Heidekraut gewällert. Wo jetzt das
Geschäftshaus Teichstraße Nr. 3 steht (Steuer) war die alte Dorfschmiede von
Dilecke. Dieses Grundstück ging bis Bahnhofstraße Nr. 4 einschließlich des
Geschäftshauses von Siegert. Das Geschäftshaus von Fleischer ist 1868 erbaut,
es war früher ein Bauerngut.
Bahnhofstraße.
Diese entwickelte sich nach Errichtung des hiesigen Bahnhofes, der 1898 erbaut
worden ist; früher war hier alles |
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Acker und Garten. Die erste Fahrkarte, die aus dem hiesigen Bahnhof ausgegeben
wurde, befindet sich noch in Händen des Herrn Maurermeisters G. Voigt.
Hinter dem Bahnhof befindet sich der "Kulich", jetzt noch ein wüstes Gestrüpp.
Hier lagen 1813 mehrere Tage die Russen.
Greppinerstraße
ist 1880 angelegt. Die ältesten Häuser sind die von "Kunze, Both und Kirchhof",
Müllers Haus ist kurz vor dem Krieg abgebrochen worden.
Zörbigerstraße
erbaut 1875. Als altes Haus gilt die frühere Stellmacherei von Uebe.
Ramsinerstraße,
erbaut 1880. Das frühere Hermannsche Haus hinter der Badeanstalt der Louisengrube
gilt als sehr alt. Die Beamten und Angestellten-Wohnhäuser der B. Louisengrube
sind in den Jahren 1918 bis 1926 erbaut; vorher war hier Acker, der aber von der
Grube "Richard" ausgekohlt ist. Auf der anderen Seite wird die Grube jetzt
angefüllt und Gartenland angelegt.
Der Bauernteich
(jetzt Sportplatz) war bis 1910 noch voll Wasser, in diesem gab es bis dahin
viel Fische. Am 17. Juli 1904 ertrank darin der Schuhmacher Franz Mittag. Der
Bauernteich wird jetzt von der Grube "Hermine" ausgebaggert, er befand sich
hinter der Schule und war der 4. Sandersdorfer Teich; aber auch der beliebteste
und der letzte. Der Platz vor der Schule war eine Sandgrube hier tummelte sich
am Tage das Vieh der Einwohner.
Die Dorfteiche, in denen das Regenwasser sich sammelte, befanden sich je einer
vor dem Hause Kirchplatz Nr.1 (Buchwald) Dorfplatz Nr. 10 (Hinsches)
Kirchplatz Nr. 7a (Martin). Die Dorfteiche wurden zugeschüttet etwa 1900.
Wo die katholische Kirche nebst Garten sich befindet, war die
Greppiner Schäferei. |
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Die alte Gemeindeschenke befand sich in der Schenkgasse, jetzt Poststraße Haus
Nr. 4.
Der später erbaute Gasthof ist der Gasthof Sandersdorf. Der Saal befand sich
"dort", wo jetzt die Ställe stehen. Besitzer war Fr. Baumgarten.
Zwischen Alfred Ebert, Hauptstraße Nr. 15 und Wasserturm Nr. 2 befand sich das
Armenhaus, dieses war ganz aus Lehm gebaut und dem Verfall sehr nahe.
Das Stück Hauptstraße Nr. 15 bis Hauptstraße Nr. 24 (Gotleber) hieß früher die
Brandgasse.
Das Gemeinde–Schäferhaus befand sich Hauptstraße Nr. 15.
Zu Sandersdorf gehörten drei Windmühlen. Diese standen:
1. "Nuckels Mühle" früher Henzens Mühle, und Gottschalks Mühle, früher Dielekes
Mühle, zwischen Sandersdorf und Zscherndorf, erbaut wurden dieselben 1845, 1881
an die Deutsche Grube verkauft. Dieses Gelände ist jetzt ausgekohlt.
2. Möhrings Mühle stand vor dem Friedhof, etwa 1907 wurde dieselbe abgerissen.
Der Brödel
bei Sandersdorf war ein Moorbruch, welcher trockengelegt und geteilt ist. Dieser
Brödel hat dem nach Zscherndorf zu entspringenden und bei Salzfurth in die Fuhne
fließenden Bach den Namen gegeben. Der Brödelgraben entsprang in Zscherndorf wo
jetzt die Schule steht. Im Brödelgraben und den Sandersdorfer Teichanlagen war
eine große Anzahl Fische. Große Körbe voll wurden von den hiesigen Einwohnern
dort gefischt. Nachdem aber der Bergbau immer mehr Wurzel faßte, gingen diese
fischreichen und sehr beliebten Anlagen vollständig ein. Ein Stück des
Brödelgrabens befindet sich noch in der Ramsiner Straße.
Die Sandersdorfer Grenze geht bis links der Straße nach Zscherndorf, bis zur
Kantine der Deutschen Grube, andererseits bis zum Kahlen Berg und Thalheim und
den |
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Bitterfelder Landgraben. Die Gemarkung beträgt 4000 Morgen. Zur Pfarre gehörten
140 Morgen Acker.
Als größte Bauern sind Reichenbachs genannt.
Reichenbachs Güter befanden sich früher:
1. wo Kaufmann Koch wohnt. Kirchplatz Nr. 8
2. bei Gustav Grohmann, Kirchplatz Nr. 9
3. bei Fleischermeister Ebert, Hauptstraße Nr. 15
4. und das sich noch jetzt in Reichenbachs Besitz befindliche aber
stillgelegte Gut.
Ferner sind noch folgende Bauern 1835 genannt, die Abgaben an die Pfarre zu
entrichten hatten:
August Reichenbacch 5 Scheffel
Christian Rupprecht 3 "
Gottfried Pritzsche 4 "
Gottfried Dietrich 5 "
Gottfried Henze 2 " 12 Metzen
Gottfried Rudolf 2 "
Gottfried Schulze 2 "
Georg Seidler 2 "
Georg Damitz 4 "
Christoph Götze 2 "
Gottfried Baumgarten 4 "
Gottfried Prietzsch jun. 2 "
Christian Schröter 2 "
Gottlieb Henze 6 "
Gottfried Voigt 4 "
Andreas Volk 4 "
Gottlieb Pannicke – 12 Metzen
August Peißer 2 "
August Götze – 4 Metzen
Gottlieb Ruprecht 4 "
Gottfried Bunge 2 "
August Hensse 1 " 12 Metzen
Andreas Sonntag 3 "
Christoph Birkner 3 "
Christoph Dittrich 4 "
Christoph Reichenbach 2 "
Gottlieb Kunschmann 2 "
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Gottfried Hohmann 5 "
Gemeinde 1 "
Summa 89 Scheffel 13 Metzen
Diese Abgaben an die Sandersdorfer Pfarren haben unter den hiesigen Bauern oft
viel Unannehmlichkeiten hervorgerufen. Beschwerde über Beschwerde seitens des
Pfarrers sowohl, wie von seitens der Bauern wurden eingereicht, besonders in
den Jahren, wo eine geringe oder gar Mißernte zu verzeichnen war. Erst, nachdem
der Staat diese Abgaben abschaffte und dafür einen festen Gehalt der Pfarrer
sowie der Lehrer durchführte, hörte das Murren auf, so daß man von einem
heimlichen Burgfrieden, "ausgetragen im stillen Kämmerlein", sprechen kann.
Am Lindenstein auf dem Dorfplatz steht die Friedenseiche von 1866 und die
Friedenslinde von 1871. Eine andere Friedenseiche wurde 1866 an der Kreisstraße,
wo der Weg nach Thalheim abzweigt, gepflanzt und am Lutherfest den 10. November
1883 pflanzte man die Luthereiche vor der Pfarre.
Evangelische Kirche und Schule in Sandersdorf.
Wie alt die hiesige Kirche ist, ist nicht mehr festzustellen. Da aber Sandersdorf
ein altes Pfarrdorf ist, ist anzunehmen, daß die Kirche etwa 700 Jahr alt ist.
Die kirchlichen Nachrichten reichen nur bis 1663 zurück. Aeltere wertvolle Akten
sind bei einem großen Brand am 10. Oktober 1718 vernichtet worden.
Seit 1663 amtierten hier folgende Pfarrer:
1. Pastor Georg Eckart (gestorben 19. März 1671)
2. " Gottfried Hammer (1671–1691)
3. " Johann Georg Schnabel (1691–1694)
gestorben 1694 26 Jahr alt
4. " Gottfried Reiche (1694–1697)
5. " Karl Otto (1697–1725)
6. " Gabriel Jäger (1725–1742)
7. " Gottfried May (1742–1749)
gestorben am 19. März 1749
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8. Pastor Johann Bäumlinger (1749–1764)
war vorher fürstl. sächs. Hofprediger
in Zörbig und wurde, als der fürstliche
Hof in Zörbig aufgelöst wurde nach
Sandersdorf berufen. 1764 wurde Pastor
Bäurnlinger nach Roitzsch versetzt.
9. Pastor Christian Eusebus Wagner (1764–1771)
10. " Johann Strauch (1771–1782)
wurde 1782 nach Zörbig als Oberpfarrer versetzt.
11. " Christian Hoffmann (1782–1796)
12. " Wilhelm Hoffmann (1796–1812)
dieser schenkte der hiesigen Kirche die noch
jetzt im Gebrauch befindlichen Abendmahls–
Geräte (Weinkanne und Hostienteller)
13. " Joh. Karl Samuel Hänisch (1812–1836)
14. " Schröter
15. " Hinkel
16. " Hempel (1854–1885)
War vorher Diakonus in Bitterfeld
17. " Karl Rapmund (1886–1914)
18. " Engeln (1916–1927)
19. Als Nachfolger für Herrn Pastor Engeln amtiert
seit 1927 Herr Pastor Sinz.
1750 erwarb die Kirchengemeinde aus der eingegangenen Schloßkapelle zu Zörbig,
in welcher der Sandersdorfer Parrer M. Bäumlinger als Hofprediger gewirkt,
Orgel, Kanzel und Altar für zusammen 140 Thaler.
Folgendes Schriftstück besagt:
"Im Jahre 1750 ist in die hiesige Kirche der schöne Altar und Kanzel nebst Orgel
geholt worden. Niemand hat im vorigen Jahr geglaubt, daß dies möglich werden kann,
weil die hiesige Kirche sehr arm, die Zuhörer, theils auch wenig Vermögen,
theils noch schwer an dergleichen Abgaben zahlen. Nachdem aber der
unerschöpfliche Gott die Prinzessin Caroliene Auguste von Zörbig erhalten,
bekamen wir dieses schöne Geschenk."
Vielleicht interessiert auch ein Aufgebot aus dem Jahre 1778. |
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"Am 19. November 1778 Bürger Johann Friedrich Reichenbach Nachbar und Anspänner
allhier, mit Jungfrau Anna Maria Beiserin. Johann Christoph Bryter, Nachbars und
Anspänners allhier, eheleibliche mittelst Tochter, nach 3maligen Aufgebot in der
Kirche allhier getraut worden."
Im Jahre 1815, beim Abschluß der Napoleonzeit gingen Stadt und Amt Bitterfeld,
einschl. Parochie Sandersdorf an Preußen über.
1827 ist die Kirche bedeutend repariert, wozu der König Friedrich Wilhelm III.
600 Thaler bewilligte. Die innere Ausstattung, als Kanzel, Altar und
Chorbekleidung beschafften die verheirateten Frauen aus Sandersdorf und
Zscherndorf.
1886 ist die Kirche nochmals gründlich repariert worden.
Wie sich um die damalige Zeit ein Pfarrereinkommen zusammensetzte, zeigt folgende
Einkommentafel.
Es gehörten zu der Sandersdorfer Pfarre an Acker:
1. 3 Hufen zu je 30 Morgen enthaltend, mit 27 Scheffel
Aussaat.
a) in der Egelmark
b) Bitterfelder Mark
c) Greppiner Mark.
2. Breitefeld mit 10 Scheffel Aussaat
9 Morgen enthaltend.
3. 1 Ackerstück mit 11 Scheffel Aussaat
9 Morgen enthaltend.
4. Ein Stückchen Feld mit 6 Metzen Aussaat
1/2 Morgen.
5. Ein Stückchen Feld bei Stakendorf mit 1 Metze
Aussaat 3/4 Morgen enthaltend.
6. 4 Gemeinde–Kabeln im Prödel zwei zu 1 Morgen
und ebensoviel zu 1/2 Morgen, wovon die
ersten 3/4 Scheffel Aussaat und die letzteren
1/4 Scheffel enthalten.
Außerdem ein Pfarrgarten
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von je 1 1/2 Morgen, ferner 19 Morgen Wiese
an der Mulde und 6 Morgen Wiese hier.
Außer Getreide und sonstige Früchte waren die Bauern verpflichtet noch andere
Abgaben an den Pfarrer zu entrichten. Daß hier mancher versuchte sich zu drücken,
wo es nur ging, zeigt eine Beschwerde des Pfarrers von Sandersdorf an das Amt zu
Bitterfeld.
"Dergleichen Beschwerde führt der Pfarrer, daß die Pfarr–Kinder ihn
allzukleine und geringe Bratwürste bringen, und bitte deren Gemeinde solches zu
erreichen und künftig dahin anzuhalten, daß die Bratwürste so groß als bisher
sein sollen."
Bis 1893 wurden die verstorbenen Zscherndorfer auf dem hiesigen Friedhof
beerdigt.
1896 am 1. März wurde die vom Orgelbaumeister W. Rühlmann–Zörbig erbaute
Orgel geweiht. Diese kostete 3995 Mark.
1910 im Dezember fand die Weihe der von Bergwerksbesitzer Fr. Steuer gestifteten
großen Glocke statt. Zu gleicher Zeit wurde eine vom Bergwerksbesitzer Lehmann
gestiftete Turmuhr angebracht. Der Umguß der zweiten Glocke wurde mit
freiwilligen Spenden durchgeführt.
1914 stifteten die Konfirmanden der Kirche 2 Altarschleifen; diese zieren heute
noch den alten historischen Altar.
1917 mußte die Kirche 23 Orgelpfeifen sowie die vom Bergwerksbesitzer Steuer
1910 gestiftete große Glocke zur Verwendung für Heereszwecke nach Bitterfeld
abliefern.
1913 am 15. Februar scheidet die Kirchengemeinde Greppin aus der evangelischen
Parochie Sandersdorf aus.
1922 am 1. Pfingstfeiertag fand die Weihe der neuen Glocken in der hiesigen
Kirche statt. Diese sind in Torgau hergestellt und bestehen aus Gußstahl.
Zum ersten Mal wurde sie geläutet zur Vermählung des Kaufmanns Otto |
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Kühnast mit Fräulein Emmy Fiedler am 1. Pfingstfeiertag nachmittags. Auf festlich
geschmücktem Rollwagen begann die Fahrt vom Bahnhof nach der Kirche, begleitet
von einer Schar kirchlicher Gemeindemitglieder, wo die Glocken alsbald ihrem
neuen Bestimmungsort zugeführt wurden. Am 1. Pfingstfeiertag vernahmen die
Sandersdorfer Bürger zum ersten Mal den frohen Klang der neuen Glocken. Mögen
dieselben nun recht lange den Bürgern durch ihren Klang zur Einigkeit und zum
Frieden mahnen. Nicht Wunden reißen, sondern Wunden heilen, nicht Krieg sondern
Frieden sollen sie uns läuten, der Menschheit zur Ehre!
Evangelische Schule.
In den früheren Jahren, vor ungefähr 50 Jahren hatten die Behörden, sowohl wie
der Staat, sehr wenig Interesse für die Schulen und die geistige Entwicklung
der Kinder.
Die Lehrer aus der guten alten Zeit waren zum Teil nicht vorgebildete Kräfte.
So kam es, daß die hiesige Schule bevor Lehrer Böning hier angestellt wurde,
vollständig vernachlässigt worden war. So durften z. B. die Mädchen bei Lehrer
Krüger (gestorben 1886) das Schreiben nicht erlernen, damit sie keine Liebesbriefe
schreiben konnten, dafür aber konnten sie während des Unterrichts Strümpfe
stricken.
Bis zum Jahre 1862 wurde die Schule in einem Zimmer abgehalten.
1862 wurde die erste Kantorei und Schule gebaut. Der Kohlenstall sowie Klosett
wurde erst 1887 erbaut. Durch die Zunahme der Bevölkerung sah man es für nötig,
die Schule zu vergrößern. 1887 wurde das zweite neue Schulhaus geweiht.
1899 am 21. November ist das Schulhaus um weitere zwei Klassen, sowie eine
Lehrerwohnung vergrößert worden.
1927 wurde die neue Turnhalle, sowie der Schulneubau fertig gestellt und zur
Benutzung übergeben. |
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Als Lehrer amtierten hier seit 1663.
1. Lehrer Gottfried Lindtner (gest. 27. März 1671)
2. Gottfried Schneider
3. Gottfried Kritzsche (gest. 31. Oktober 1751)
4. Johann August Hermann, dieser starb nach 50 jähr.
Tätigkeit an der hiesigen Schule im Alter von
72 Jahren am 12. März 1804
5. Gottfried August Hermann folgt 1804 seinem Vater
Johann August Hermann) als Lehrer
(gest. 25. Jan.1835)
6. Christoph Langrock (gest. 11. Nov. 1830 27 Jahr alt)
7. Chrifloph Bartnuß (wurde 1852 nach Roitzsch versetzt)
8. Lebrecht Gottlob Krüger (gest. am 26. März 1886)
9. Lehrer Böning 1886–1904 (als Küster und
Organist tätig)
10. Ernst Engelhardt kam 1887 als zweiter Lehrer dazu
11. Lehrer Züge 1893–1915 (versetzt nach Keischberg)
bei Dürrenberg; jetzt als Rektor tätig)
12. Lehrer Velfe 1892–1911 (versetzt nach Uebigau;
jetzt als Rektor tätig)
13. Lehrer Klöpzig 1900–1922
(in den Ruhestand versetzt)
14. Lehrer Mende 1903–1909
(versetzt nach Hohenmölsen)
15. Lehrer Lezius 1905–1910 versetzt
16. " Kötzsche 1910–1912 "
17. " Voigt 1911–1919 "
18. " Steinbrecher (am 5. Nov. 1916 gefallen)
19. " Drese 1918–1922 (gest. am 20. Dez. 1923)
20. " Fischer 1919–1920 (versetzt nach den
Leunawerken; jetzt Rektor in Pretzsch)
21. " Will 1919–1924 (versetzt nach Burxdorf)
22. Lehrerin Frl. Ella Freydte 1909–1912
23. " " Vogel 1912–1918
24. " " Ude 1916–1918
25. Frl. Krüger, Tochter des Lehrers Göttlieb Krüger war
als Handarbeitslehrerin im Nebenamt bis 1920 tätig
(1920 in Ruhestand versetzt).
1913 erhielt Sandersdorf eine Fortbildungsschule. |
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Eine im Jahre 1909 errichtete Familienschule wurde am 1. April 1913 wieder
aufgelöst.
Die alte Schule befand sich bis 1928 auf dem Dorfplatz. Bis zu diesem Jahre
wurde hier noch immer eine Klasse unterrichtet.
Auf dem Dorfplatz, gegenüber der Schule, liegt der Lindenstein (10–15
Zentner schwer). Dieser Stein soll auf einer Eisscholle (Diluvialzeit) von
Norwegen die Reise nach hier angetreten haben. Von ihm erzählt die Sage aber
folgendes:
"Die Sandersdorfer und die Thalheimer Kirche, die beide große Aehnlichkeit haben,
sind von zwei Brüdern erbaut. Der eine baute die Thalheimer, der andere die
Sandersdorfer Kirche. Als beide ihr Werk vollendet hatten, wurde der Thalheimer
Baumeister gewahr, daß die Sandersdorfer Kirche besser ausgefallen sei.
Zornentbrannt warf er einen mächtigen Stein (der Lindenstein später so genannt)
von Thalheim aus gegen unsern Kirchturm, um diese zu zerschmettern. Der Stein
flog jedoch am Turm vorbei auf den Schulplatz; daselbst liegt er noch heute."
Dieser Stein heißt der Lindenstein, weil er früher beschattet war von einer
mächtigen Linde, welche aber 1795 durch einen Brand vernichtet wurde.
Am Lindenstein unter der Dorflinde wurden ehemals die Gemeindeversammlungen
abgehalten und die Steuern auf ihn bezahlt. Hatte die Gemeinde gute Einkünfte
aus Wiesen, Weide, Wasser gehabt, dann versammelten sich die berechtigten
Gemeindeglieder nach ihren Hausnummern geordnet um den Lindenstein und erhielten
hier vom Dorfrichter ihre Anteile ausgezahlt. Die Herren Dorfrichter der alten
Zeit, in der Rechenkunst schwach, halfen sich in der Weise, daß sie bei
Hausnummer 1 anfingen und gaben dem Besitzer Nr. 1 einen Thaler oder Gulden,
dann Nr. 2, 3, 4 usw. jedem aber soviel, bis sie durch waren und fingen dann
wieder von vom an. Riß der letzte Taler oder Gulden etwa bei Nr. 9 ab, dann fing
die nächste Teilung mit Nr. 10 an und so ging es auch ohne das Geheimnis des
Rechnens.
Auf welche Weise das Einkommen eines Lehrers berechnet wurde, zeigt folgendes
Schriftstück von 1890. |
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Schuleinnahmen von 1890.
Stelleneinkommmen der hiesigen l. Lehrerstelle.
I. Geldeinnahme (A. Ständige)
1. Aus der Staatskasse Tranksteuer 10.00 Mk.
2. Aus der Kirchenkasse 7.00 "
3. Zinsen 221.00 "
(B. Unständige)
1. Hausgenossengeld etwa 50.00 Mk.
2. Von jedem Haus an Opfer, Wurstgeld,
Kirmeßkanne á 30 Pfg. 112 Häuser 33.60 "
3. Entschädigung für den abgeschafften
Singumgang 67.00 "
4. Schulgeldentschädigung (25–38 Pfg.
pro Kind) 480.00 "
5. Accidenzien 300.00 "
6. Konfirmandengelder 15.00 "
Geldeinnahmen Sa. 1189.60 Mk.
II. Naturaleinkommen.
1. Für 12 Berl. Scheffel 3 Mtz. Dezen
Roggen á Scheffel 6 Mk 73.50 Mk.
2. Für 3 Schock 44 1/2 Garben Roggen
á Garbe 30 Pfg. 67.20 "
3. Für 224 Roggenbrote á 1.40 Mk. 312.60 "
4. Für 448 Stück Eier á 5 Pfg. 22.40 "
Wert der Naturalien Sa. 475.70 Mk.
III. Von den Schulgütern.
1. Landpacht 85.50 Mk.
2. Gartennutzung 30.00 "
3. Wohnung und Heizungsüberschuß 105.00 "
Der zweite Lehrer hatte ein Einkommen von 850 Mark jährlich im Jahre 1890.
Die Schulabgaben von der 1868–1869 erbauten Kreisstraße wurden abgelöst,
davon erhielt die Schule einen Rentenbrief von 300 Mk. Einen weiteren Rentenbrief
erhielt die Schule für Abgaben von Stakendorf. |
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Am 1. Februar 1899 kaufte die Grube Ehrich den der Schule gehörenden 4 Morgen
großen Acker am Stakendorfer Busch für 4550 Mark.
Bis um das Jahr 1822 mußten auch die Kinder von Zscherndorf die hiesige Schule
besuchen.
In die Entwicklung unserer hiesigen Volksschule griff der Weltkrieg schwer
hemmend ein. Während des Krieges waren mehrere Lehrer zum Heeresdienst eingezogen.
In ganz bedenklicher Weise sind die Leistungen unserer Schule in der Kriegszeit
zurückgeblieben. Die Ziele normaler Volksschulbildung konnten bei weitem nicht
erreicht werden. Daß auch die Schulkinder bemüht waren, der bitteren Zeit zu
nützen, zeigt folgende Sammlung.
Zur Kriegsanleihe wurde von den hiesigen Kindern gesammelt: 7515 Mark;
für Oberschlesien 278 Mark.
Außerdem wurden große Massen Waldfrüchte, Altmetall und dergleichen mehr
gesammelt.
1926 wurde eine Schulsparkasse eingeführt, wozu die Gemeinde pro Kind 1 Mark
beisteuert.
In demselben Jahr ist auch die "neu" herausgegebene Sütterlinschrift eingeführt.
Seit 1927 wird den Schulkindern Lehrmittelfreiheit gewährt, ebenso werden Milch
sowie Brötchen kostenlos verabreicht. Die Kosten übernimmt die Gemeinde.
Seit in der hiesigen Schule ein Schularzt tätig ist (Dr. Einecke) werden die
Kinder jedes Jahr untersucht; auch dieses geschieht auf Kosten der hiesigen
Gemeinde.
Als Lehrerin und Lehrer an der Ev. Volksschule sind jetzt tätig.
Herr Lehrer Rehm (Rektor seit 1922)
" " Westhoff seit 1912
" " Leßner " 1919
" " Baumgraß " 1920
" " Mundt " 1924
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Herr Lehrer Schulze seit 1924
" " Günther " 1927
" " Rabe " 1927
Frau Riedel techn. Lehrerin seit 1921
Frl. Kölling seit 1924
Die Ev. und Kath. Schule wurde besucht:
Jahr Ev. Schüler Konfirm.
1852 63 18
1886 240 30
1890 247 21
1892 284 23
1896 296 26
1901 353 29
1902 362 50
1903 368 42
1910 379 39
1011 378 41
1912 396 38
1915 411 57
1917 430 52
1919 428 51
1920 437 59
1921 421 36
1922 411 48
1923 384 49
1924 358 51
1925 328 60 kath. Kinder 107
1926 324 58 " " 118
1927 316 55 " " 178
1928 327 46 " " 175
Katholische Kirche.
Die Kirche ist eine Filiale von Bitterfeld unterm Dekanat Torgau. Der erste
Spatenstich zum Bau der kath. Kirche wurde am 15. April 1906 getan.
Am 18. November 1906 war die Einweihung; sie ist nach den |
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Plänen des Geh. Baurats Güldenpfennig in Paderborn im gothischen Stil vom
Maurermeister Gustav Voigt hier erbaut. Die Einweihung vollzog sich morgens
um 10 Uhr in der festlich geschmückten Kirche. Den Weiheakt vollzog der Dechant
Meintrupp aus Eisleben. Die Kosten des Kirchgebäudes betrugen 34000 Mk., die
ganz aus milden Gaben, namentlich aus Westfalen, dem Rheinland und aus Schlesien
herrühren, wie auch die Innenausstattung.
Die Zahl der Katholiken in Sandersdorf, Deutsche Grube, Ramsin und Zscherndorf
betrug 1903 etwa 1000 Seelen, darum wurde am 17. August 1905 am hiesigen Ort
eine Vikarie eingerichtet und zum ersten Seelsorger der schon ein Jahr in
Bitterfeld wirkende Vikar Wilhelm Sondermann ernannt. Der sonntägliche
Gottesdienst wurde vom 1. November 1905 im Saale des "Thüringer Hofes" abgehalten.
Im April 1910 wurde Herr Vikar Sondermann versetzt. Ihm folgte Herr Vikar Karl
Prior 1910. Am 24. April 1911 wurde Sandersdorf zu einer Pfarrvikarie mit eigenen
Pfarrechten erhoben. Der Nachfolger Pfarrvikar Stratmann zog sich, da das alte
Pfarrhaus feucht und ungesund war, ein Ohrenleiden zu, welches ihn zwang seine
Stelle am hiesigen Ort im Jahre 1917 aufzugeben. Ihm folgte Pfarrvikar Ewald Zink
1917–1921. Am 23. Juli 1921 übernahm Pfarrvikar Josef Hesse die
Sandersdorfer Stelle. 1922 wurde an Stelle des alten Pfarrhauses ein neues erbaut.
Besonders schmerzlich war der Gemeinde die Ablieferung der 42 Orgelprospektpfeifen,
darunter 35 klingende, diese mußten 1917 gegen eine Entschädigung von 787.85 Mk.
abgeliefert werden. Der prächtige Chor der 3 Glocken, die unter großen Opfern
beschafft waren, erklangen am 11. Juli 1917 zum letzten Mal. Für das abgelieferte
Glockenmaterial wurden vom Staate 1094 Mk. bezahlt. Beide Entschädigungen wurden
in Kriegsanleihe angelegt.
Erst 1929 als wieder gesündere Verhältnisse herrschten, war es der kath. Gemeinde
möglich, unter großen Opfern 3 neue Glocken im Werte von 4800 Mk. anzuschaffen.
Die Gelder hierzu sind durch Sammlungen von den kath. Gemeindemitgliedern
aufgebracht worden. |
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Katholische Schule.
Die kath. Schule befindet sich in der Greppiner Straße Nr. 9. Durch das Anwachsen
der kath. Schulkinder, wodurch die Schule nicht mehr ausreichte, wurde eine neue
Klasse in der Ev. neuerbauten Schule eingerichtet. Die Zscherndorfer Kinder,
sowie die der "Deutschen Grube" besuchten bis 1910 die Schule in Sandersdorf.
Da die Zahl derselben in Sandersdorf sich fortgesetzt steigerte, wurde eine
Klasse in Zscherndorf eingerichtet. Zscherndorf und Deutsche Grube schickten
zuletzt noch 60 Kinder nach Sandersdorf zur Schule.
1899 wurde in Sandersdorf für die große Zahl der kath. Schulkinder eine kath.
Privatschule gebaut, die am 1. April 1900 von der politischen Gemeinde angekauft
und am 1. August 1900 zur öffentlichen Schule erhoben wurde. Als erste Lehrkraft
wurde Fräulein Columba Cordier und am 15. Oktober 1903 als zweiter Lehrer Herr
Heinrich Hansmann angestellt. 1906 am 1. April wurde die 3. kath. Lehrstelle
eingerichtet und vertretungsweise von Fräulein Doberschynski verwaltet, bis Herr
Lehrer Josef Döring angestellt wurde.
Da das Gebäude der kath. Schule nicht mehr ausreichte, wurde am 10. August 1906
der Bau des 3. und 4. Klassenzimmers beschlossen. Im April 1907 übernahm Herr
Lehrer Holz auf der Heide die 4. Lehrstelle.
Am 1. November 1913 wurde Herr Lehrer Döring versetzt, ihm folgte Herr Lehrer
Wilhelm Stadler. Am 1. August 1921 wurde die eingerichtete 5. Lehrerstelle Herrn
Ständer übertragen. Am 15. Juli 1922 wurde Herr Hauptlehrer Hansmann zum Rektor
des 6–klassigen Systems mit 5 Lehrkräften ernannt. Die seit 1921 geschaffene
5. Lehrerstelle erhielt im Herbst 1927 ein eigenes Klassenzimmer im Schulneubau.
Die kath. Schule wird 1928 von etwa 200 Kindern besucht. Die Zahl der kath.
Gemeinde beträgt etwa 1300 Seelen. Wie die Kinder der ev. Schule, so haben sich
auch die Kinder der kath. Schule während der schweren Kriegsjahre 1914–18
nützlich bewiesen. An allen Sammlungen oder sonstigen Veranstaltungen haben sie
tatkräftig mitgewirkt, wie auch die |
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Männer und Jünglinge der kath. Gemeinde, die zur Fahne gerufen wurden, ihre
Staatsbürgerpflichten voll und ganz erfüllt haben. Dieses bezeugen die Tafeln
des Ehrenmales.
Rückblick auf die jüngsten 10 Jahre.
Bis 1914 war Hauptstraße Nr. 26 die Dorfschmiede von Schmiedemeister Tafelmeier.
1919 Kaffee "Union" erhält einen neuen Saal.
1919 Neubau eines Gemeindewohnhauses, Hauptstraße Nr. 31.
1921. Gasthof zum "Goldenen Löwen" früher "Zum Kronprinz" wird zu Wohnungen von
den I.G. Farbenwerken umgebaut. Hier waren in den Kriegsjahren Kriegsgefangene
untergebracht (letzter Bes. W. Thielecke)
1921. Im Sommer brannte die Rübensaft-Fabrik von Hänsch & Co.
vollständig aus.
1921. Neubau der Gemeindebadeanstalt.
1922 brannte das Magazin der Bitterfelder Louisen-Grube ab.
1922. Die Bitterfelder Louisengrube kauft ein Stück vom Stakendorfer Busch zur
Auskohlung. Um diese Zeit wurde ein Stück der Eisenbahnstrecke wegen Auskohlung
verlegt.
1918–1922. Neubau der Bergarbeiter-Wohnhäuser in der Zörbiger- und
Greppiner Straße.
1923 brannte die Ziegelei der Grube "Richard" vollständig ab.
1924. Umbau des Gasthofes "Vergißmeinnicht" Ramsiner Straße zu Wohnungen
(früherer Besitzer war Herr Bergt).
1924. Neubau des Kohlenbunkers auf der Grube "Stakendorf". |
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1925 am 27. September: Einweihung des Ehrenmales für die im Weltkrieg Gefallenen
der Gemeinde Sandersdorf. Den Weiheakt vollzog Herr Pastor Engeln.
Die Festrede hielt Herr Lehrer Schulze. Die erste Besprechung wegen Errichtung
eines Ehrenmales fand am 7. Oktober 1924 statt.
Zum Denkmalsausschuß wurden gewählt:
Herr Gustav Krug, Vorsitzender
" Alfred Schmeil, Kassierer
" Karl Neumann, Schriftführer
" Gemeindevorsteher Ebert als Beisitzer
" Robert Nuckelt " "
Erbauer des Ehrenmales ist Herr Bildhauer Weihe, Brehna. Die Kosten stellten
sich auf 3500 Mk., hinzu kommen noch die Kosten für Maurerarbeit und sonstige
kleinere Arbeiten von etwa 500 Mk. Diese Summen wurden aufgebracht durch
Haussammlungen, Spenden von der hiesigen Industrie "Grube Louise", Grube
"Richard" und Werk I, sowie durch Beiträge der Vereine, die dem Denkmalsausschuß
angehörten und durch Abendveranstaltungen.
Am 5. September 11 Uhr vorm. fand die Grundsteinlegung in Gegenwart der
Vereinsvorstände statt. Die Rede zu dieser schlichten aber würdigen Feier hielt
der erste Vorsitzende des Ausschusses.
1927. Beendigung der Bauarbeiten der Baugenossenschaft "Sandersdorf", rechts und
links der neuangelegten Ernst Borsbachstraße. Diese Straße wurde nach dem Namen
des langjährigen Mitgliedes der Gemeindevertretung Herrn Dir. Ernst Borsbach von
Werk I, genannt, der in freundlicher Weise der Gemeinde sowie der
Baugenossenschaft seine Unterstützung zuteil werden ließ. Diese Genossenschaft
erbaute 15 Doppel–Wohnhäuser, teils aus eigenen, teils aus Staatsmitteln.
Das Gelände gehörte der Chemischen Fabrik Griesheim–Elektron und wurde der
Genossenschaft für 10 Pfg. pro Quadratmeter übereignet.
1928 beginnt die Genossenschaft "Sandersdorf" auf das Neue mit dem Bau von
Doppel–Wohnhäusern an der |
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Eisenbahn. Auch Herr Dr. Einecke baut an der Eisenbahn ein Wohnhaus mit
ärztlichen Einrichtungen.
1927. Beginn der Bauarbeiten der Baugenossenschaft "Eigenheim" an der Ernst
Borsbachstraße. Neubau der Geschäftshäuser von Stansch und Gottlöber,
Hauptstraße 24 – 26.
1927 vom 18. bis 19. Juni feierte der Handwerkerverein sein 40 jähriges
Stiftungsfest; zirka 20 Vereine der Umgegend waren erschienen. Nahezu alle
Handwerker hatten einen Festwagen gestellt. Sandersdorf stand ganz im Banne
der Feier. Das ganze Dorf war überreich festlich geschmückt. Am Vormittag
des 19. Juni fand am Denkmal eine Kranzniederlegung statt.
Als Vorstand amtierte 1926, 27 und 28:
Herr Geyer 1. Vorsitzender.
" Velfe Kassierer
" Bärwald Schriftführer (seit 28 Herr Metz)
1928. Kanalisierung einiger Straßen, sowie Versorgung der Gemeinde mit Gas.
1928. Neubau eines Lehrerwohnhauses in der Greppinerstraße.
Erweiterung des Gemeinde-Verwaltungs–Gebäudes, Bahnhofstraße Nr. 2.
Erweiterung der Wohn- und Geschäftshäuser von Bäckermeister Velfe,
Schneidermeister Rickelt, Reinhold Düring und Raum in der Teichstraße.
Neubaubeginn des Geschäftshauses von G. Pufahl.
Der Weg nach Zscherndorf geht bis auf weiteres jetzt durch das Gelände der Grube
"Richard".
Der Winter 1927–28 war seit langem der kälteste, 25° C. unter Null.
Der Sommer "1928" heiß und trocken; seit vielen Wochen regnet es am 23. September
zum erstenmal. Die Ernte läßt zu wünschen übrig; Kartoffeln sind mittelmäßig. |
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Auf dem Gelände rechts der Zscherndorfer Straße, welche von der Grube "Richard"
jetzt ausgebaggert wird, standen vorher 3 Wohnhäuser. Auch das Wohnhaus von
Herrn Grubenbesitzer Hans Schmidt befand sich hier. — Die jetzige Villa
nebst Park und Garten sowie das Gärtnerwohnhaus des Herrn Schmidt ist erst 1924
entstanden.
Ein Stück der Zörbiger Straße bis zum Forsthaus wurde 1928 mit Walzasphalt
überzogen.
Der strengste Winter seit 1863 war bisher der Winter von 1871 mit 27,2° C.,
jedoch hat die Kälte im Februar 1929 die aus dem Jahre 1871 überschritten.
Das Thermometer zeigte am 11. Februar 1929 28,7° unter Null, am 20. Februar
1929 27,8° unter Null.
Seit Mitte Dezember 1928 bis zum 4. März 1929 hielt die strenge Kälte
ununterbrochen an.
Die kältesten Winter der letzten Jahrhunderte waren:
1829 – 24,8 Grad unter Null
1830 – 24,6 " " "
1838 – 26,8 " " "
1850 – 28,3 " " "
1863 – 28,4 " " "
1871 – 27,2 " " "
1917 – 23,4 " " "
1928 – 25 " " "
1929 – 28,7 " " "
Daß der Winter 1928 zu 29 einer der härtesten seit vielen Jahren war, soll
folgende Feststellung beweisen :
Zum ersten Mal seit ihrem Bau war die hiesige Wasserleitung bis auf wenige
kleine Abzweige zugefroren, so daß unter den Einwohnern oft manche
Auseinandersetzung um einen Eimer Wasser ausgetragen wurde. Der Frost in der
Erde war teilweise bis 1,35 m tief. Die Schneehöhe betrug im Durchschnitt 60 cm.
Infolge der langanhaltenden Kälte litt die Kohlenförderung sehr, sodaß ein
Kohlenmangel sich überall bald unbeliebt bemerkbar machte. Groß war auch die
Zahl derer, die an den kältesten Tagen Schaden durch Frost erlitten hatten.
Die Vogel- und Tierwelt hatte ganz besonders schwer gelitten, |
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desgleichen die Gartenpflanzen, Obstbäume usw. von letzteren sind infolge der
strengen Kälte viel geplatzt. Kartoffeln und Rüben sind in der Miete erfroren.
Durch das am 4. März 29 eintretende Tauwetter traten überall Hochwasser und
Ueberschwemmungen ein, welches in der Flur erheblichen Schaden verursachte.
Sandersdorf als Industrieort.
An den Bitterfelder Braunkohlenablagerungen und deren bergbaulichen Ausbeute
haben und nehmen unsere Fluren erheblichen Anteil.
Auf Sandersdorfer Flur befinden sich folgende Gruben und sonstige
Industrie–Unternehmungen:
"Grube Richard", Schmidt & Co. G. m. b. H. Diese Grube ist die zweitälteste
Braunkohlengrube im Bitterfelder Industriebezirk. Sie wurde 1842 eröffnet und
1847 in Betrieb gesetzt. Mit ihren Gebäuden sowohl als auch mit dem Grubenfeld
ragt die "Richard" in die Flur Zscherndorf hinein. Die Grube ist dort eröffnet,
wo sich jetzt der Ringofen der Ziegelei befindet. Wo jetzt das Maschinenhaus
steht, war früher das Pumpenhaus. |
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B i t t e r f e l d e r L o u i s e n g r u b e
Kohlenwerk und Ziegelei Aktiengesellschaft in Bitterfeld.
Sitz der Verwaltung in Zscherndorf, Krs. Bitterfeld
Aktienkapital am 31. Dezember 1928 l 000 000. – RM.
Reservefonds " " " " 478 242.72 RM.
Das Unternehmen besteht seit Anfang 1872 und wurde, nachdem es zunächst als
offene Handelsgesellschaft betrieben worden war, am 16. Mai 1873 in die noch
heute unter demselben Namen bestehende Aktiengesellschaft umgegründet.
Im Jahre 1910 wurden die Aktiven und Passiven der offenen Handelsgesellschaft
"Grube Vergißmeinnicht Lehmann & Kühle in Bitterfeld" übernommen, ein
Unternehmen, das im Jahre 1858 gegründet worden war.
Die Kohlenförderung der Aktiengesellschaft Bitterfelder Louisengrube hat seit
ihrer Gründung bis 1928 insgesamt:
20 668 481 hl = 20 762 034 Tonnen betragen.
Zurzeit verfügt das Unternehmen über 3 Rohkohlenförderungen mit eigenem
Abraumgerät zur Abdeckung des Deckgebirges, eine Brikettfabrik und eine
Dampfziegelei. In der Ziegelei werden insbesondere poröse
Vollsteine hergestellt. |
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Techn. Direktor der Bitterfelder Louisen-Grube
Herr Otto Glockemeier.
Kaufm. Direktor Herr Hermann Weese.
Das Werk ist eins der größten Unternehmungen unserer näheren Umgegend. Zurzeit
werden rund 350 Arbeiter und Angestellte hier beschäftigt.
Die Grube "Ehrich", früher rechts der Straße nach Zörbig (eröffnet von Möhring
1896) ist von Lehmann & Kühle später angekauft worden. 1922 kaufte die
Louisen–Grube ein Stück vom Stakendorfer Busch in Größe von 75 ha zum
Auskohlen (Grube Stakendorf).
Grube "Ferdinand"'und Grube "Ostfeld" am Friedhof gehörten ebenfalls zur
Louisen–Grube. Das alte Maschinenhaus der Grube "Ferdinand" ist jetzt zu
Wohnungen ausgebaut.
Die "Vergißmeinnicht" wurde eröffnet wo jetzt die Ziegelei steht. Das
Maschinenhaus befand sich in dem jetzt zu Wohnungen umgebauten Wohnhaus
Ramsinerstraße. Das Pumpenhaus im Wohnhaus Ramsinerstraße; beide Häuser stehen
auf Zscherndorfer Flur und gehören die Bewohner dieser Häuser jetzt noch nach
Zscherndorf. Das Kesselhaus ist jetzt die Rollkammer. Das Wohnhaus von Herrn
Grubenbesitzer Lehmann ist das jetzige Wohnhaus Ramsinerstraße Nr. 26.
Die Brikettfabrik ist erbaut etwa 1890; die erste Kettenbahn eingerichtet etwa
1882, bis dahin hat man die Kohle mit Pferd und Wagen aus der Grube geholt.
Bis vor einigen Jahren stellte man hier noch Naßpreßsteine her. Besonders sei
noch das Werksbad der Louisengrube genannt. Eine Einrichtung, auf welches das
Werk besonders hinweisen kann. Außer seinen Brause- und Wannenbädern werden hier
noch medizinische Bäder und Behandlungen zu billigen Preisen für Werksangehörige,
aber auch für Fremde verabreicht.
Das Braunkohlenwerk "Deutsche Grube"
liegt ein Stück in der Flur Sandersdorf. Deutsche Grube vormals Bauermeister und
Söhne A.–G., seit 1918 im Besitzverband |
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Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation ("Agfa"). Der erste Tagebau wurde im
Jahre 1847 an der südöstlichen Grenze des Grubenfeldes neben dem Grubenfelde der
"Auguste" angelegt. Das Grubenfeld "Deutsche Grube" erstreckt sich nördlich an
der Flur Sandersdorf bis an die "Louisengrube" und an die nach Zörbig führende
Kreisstraße und westlich bis an die Grube "Richard". Auf die Sandersdorfer Flur
entfallen 400 Morgen.
In das "Zechenbuch" unterschrieben sich als erste Besitzer am 15. April 1848:
Harsleben, Otto Haupt.
Die Gruben "Marie, Hermine, Antonie.",
eröffnet in den Jahren 1871–1880, gehören jetzt zur
I.G. Farbenindustrie A.-G. Diese drei Gruben befinden sich ebenfalls teilweise
auf Sandersdorfer Flur zwischen Wolfen und Sandersdorf.
Die "Rübensaftfabrik von Hänsch & Co."
Offene Handelsgesellschaft
erbaut 1902 von G. Möhring. Früher wurden hier Naßpreßsteine hergestellt, dazu
gehörte die Grube "Erich"; selbige ging später in den Besitz von
Lehmann & Kühle über. Als Geschäftsführer jetzt ist angestellt Herr
Quastenberg. Sein Vorgänger war W. Brehme.
Grube "Else", G. m. b. H.
zwischen Thalheim und Sandersdorf ist jetzt außer Betrieb gesetzt. Als Ueberreste
sind noch zwei bewohnte Häuser vorhanden.
Der Arbeitslohn eines Bergarbeiters im Jahre 1850 betrug bei 65 stündiger
Arbeitszeit 9 Mark wöchentlich. Der gegenwärtige Verdienst eines Arbeiters im
Bergbau beträgt wöchentlich 40 Mark im Durchschnitt bei 54 Arbeitsstunden.
Durch Begründung und enormes Anwachsen der Großindustrie in der hiesigen Gegend
schwächte sich |
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der Arbeiterstand in den Gruben erheblich, was zur maschinellen Abraumförderung
im Wege der Vergebung an Unternehmer führte. Die Bitterfelder Louisen–Grube
fing 1890 mit einem Bagger an; um 1900 waren auf 8 Gruben Bagger zur Bewältigung
des Abraums tätig. Der erste Groß–Abraumbetrieb wurde von der Grube
Hermine 1928 eingeführt.
Die chemische Industrie.
Die chemische Industrie ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Zweig des
deutschen Wirtschaftsaufbaues geworden. Die I.G.Farbenwerke A.–G. sind
Nebenwerke der "Chem. Fabrik Griesheim–Elektron" (Frankfurt) der
"A. E. G." und "Agfa" (Berlin), sowie dem Salzbergwerk Neustaßfurt. Teile dieser
Nebenwerke befinden sich auf Sandersdorfer Flur. Diese Werke entstanden in
unserer Gegend wegen der damals billigen Braunkohle. Aber auch der große
Wasservorrat der Mulde, sowie die Ziegelei–Industrie haben hier anziehend
mitgewirkt. Vor dem Krieg wurden hier schon Anilinfarben und Agfa–Filme
hergestellt. Während des Krieges sind hier auch Schieß– und Sprengstoffe
sowie Giftgas hergestellt worden. Nach Beendigung des Krieges sind die Werke
wieder auf Friedenserzeugnisse umgestellt worden.
Während und nach dem Krieg entfalteten sich diese Riesenwerke erst zu ihrer
jetzigen Größe.
Im Jahre 1895 waren 120 Arbeiter in der Bitterfelder chemischen Industrie
beschäftigt; 12 Jahre später waren schon 2200 Arbeiter beschäftigt.
Vielgestaltig sind die Erzeugnisse der chemischen Industrie Bitterfeld:
Aluminium und Leichtmetall, Entwickler, Anilinfarben, Kunstseide, Agfafilme,
Düngemittel, Aetzkali, Pottasche, Phosphor, Wasserstoff, Edelsteine, Gas usw.
Die chemischen Werke gehören, mit Ausnahme von dem Salzbergwerk Neustaßfurt,
jetzt alle den I. G. Farbenwerken A.-G. an. |
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Aus kleinen Anfängen ist die chemische Industrie heute zur wichtigsten Industrie
für Bitterfeld und Umgegend geworden. Fast alle Werke und Gewerbetreibende sind
mittelbar oder unmittelbar mit ihr verbunden.
Zur Zeit sind zirka 14000 Menschen in den I. G. Farbenwerken beschäftigt.
Die Säurefabrik, erbaut 1915, sowie Werk I, befinden sich bis zum Landgraben auf
der Flur Sandersdorf.
Im November 1928 ist der größte Schornstein Europas auf den J. G. Farbenwerken
errichtet und fertiggestellt worden. Er hat eine Höhe von 145 m. Sein Durchmesser
beträgt am Fuße 22 m und an der Spitze 5 1/2 m.
Auf dem Felde der Ehre fielen für unser Vaterland
1914–1918:
Bartkowiak gef. 11.11.14 Bormann E. gef. 8. 8.15
Hönicke H. " 7. 2.15 Schuster K. " 26. 9.15
Hube P. " 23. 9.14 Bennewitz Th. " 18. 8.15
Bergt H. " 10.14 Bzyl K. " 26. 9.15
Chazubski O. " 1.12.14 Braun W. " 8.10.15
Kirchhof O. " 31.10.14 Mai K. " l. 1.16
Bergmann R. " 31. 1.15 Böck R. " 27. 3.16
Beitke O. " 10. 4.15 SzymkowiakM. " 15. 3.16
Günther Fr. " 4. 2.15 Gorlaszynski M. " 5. 3.16
Wlodarczack St." 23. 5.15 Panniger R. " 28. 4.16
Kittler P. " 10. 7.15 Furmankiewicz St." 9. 5.16
Griehte G. " 4. 3.15 Pfeiler G. " 4. 7.16
Klöpzig G. " 6. 9.14 Kuntze O. " 25. 6.16
Lange E. " 13. 6.15 Lukowiak J. " 20.12.16
Oberbeck A. " 18. 7.15 Czwoidzinski J. " 19. 7.16
Nuckelt O. " l. 9.15 Przybylski F. " 6. 9.16
Hermann O. " 27. 5.15 Zelle O. " 21. 6.16
Hahn P. " 27. 5.15 Brandt K. " 28. 7.16
Rockicki A. " 7. 9.15 Müller O. " 5. 7.16
Heidecke E. " 13. 9.15 Wille W. " 7. 9.16
Schöbe W. " 5. 9.15 Janiak St. " 18. 7.16
Beau W. " 30. 7.15 Jaskowiak L. " 28. 8.16
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Stansch G. gef. 18. 7.16 Lehmann O. gef. 6.11.17
Steinbrecher F." 5.11.16 Simon H. " 18. 4.18
Düring E. " 13.10.16 Dittmar E. " 27. 4.18
Reinsch K. " 27.11.16 Grünewald W. " 21. 3.18
Bonaventura L. " 24. 4.16 Titz A. " 22. 8.18
Pannier P. " 30.12.16 Fleischer H. " 14. 4.18
Seyfert W. " 8.12.16 Majerowitz L. " 28. 4.18
Boernicke O. " 27. 4.17 Nuckelt R. " 13. 6.18
Bzyl M. " 13. 3.17 Oleniezak B. " 30. 4.18
Pannier K. " 18. 4.17 Pannier G. " 7. 6.18
Meißner F. " 19. 5.17 Otto F. " 2. 4.18
Jaßniak E. " 3. 5.17 Körber K. " 2. 6.18
Hönke G. " 24. 5.17 Grzywacz J. " 27. 8.18
Scheibe B. " 5. 8.17 Haerthe A. " 20. 2.17
Schäfer A. " l. 8.17 Sasse R. " 31. 8.18
Krake H. " 6. 9.17 Sobieski A. " 27. 3.18
Dake M. " 21.10.17 Brandt Fr. " 13. 6.18
Kaseler F. " 21.12.17 Kittler K. " 1918
Vermißte:
Dittmar Otto – Uehe, Otto
Behörden und sonstige Personenkunde.
Ia. Gemeinde-Verwaltung.
1. Ebert, Hermann, Gemeindevorsteher
2. Just, Louis, Gemeindekassenrendant
3. Neumann, Karl, Gemeindesekretär
4. Ehring, Karl, Beamtenanwärter
5. Würker, Karl, Vollziehungsbeamter
Ib. Amtsvorsteher:
Lützner, Hugo, Ramsin
Polizeihauptwachtmeister Paul Geyer, Sandersdorf
Oberlandjäger Jäger
Oberlandjäger Heine wurde 1928 nach Holzweißig versetzt.
II. Gemeinde-Vertretung:
1. Engelmann, Kurt (Schöffe) 2. Neunes, Ewald
3. Voigt, Richard 4. Wullstein Fr.
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5. Röthling, Louis 10. Nuckelt, Gustav
6. Fahlke, Hermann 11. Dir. Borsbach, Ernst
7. Pohlens, Gustav 12. Stadler, Wilhelm
8. Seyffert, Richard 13. Börnicke
9. Nuckelt, Rob. (Schöffe) 14. Anton, Wilhelm
III. Standesamt
für Sandersdorf, Zscherndorf, Ramsin, Renneritz
Gemeinde–Vorsteher Ebert
Stellvertreter
Louis Just und Karl Neumann.
IV. Gutsbesitzungen
(landwirtschaftliche Betriebe)
1. Bley, Otto 3. Birkner, Emil
2. Nuckelt, Robert 4. Birkner, Paul
V. Krankenpflege.
Seit 1922 ist in Sandersdorf ein Arzt:
Herr Dr. W. Einecke,
zugleich als Schularzt tätig.
Geburtshilfe: Frau Raum, Frau Wehner.
In der Krankenpflege sind drei Schwestern tätig:
Die Gemeindeschwester Frieda Franke seit 1926;
ferner eine evang. und eine kath. Krankenschwester.
Als Zahntechniker (Dentist) ist seit 1926 Herr Herzog
im hiesigen Ort ansässig.
V a. Dem Gemeinde–Wohlfahrts–Ausschuß
gehören an:
Herr Seyffert, R., Vorsitzender
" Just, L.
" Nuckelt, R.
" Rostalczki
Frau Raum (Hebamme)
" Franke, Frieda (Gemeindeschwester)
" Hönke
Herr Gemeinde–Vorsteher Hermann Ebert ist seit dem 1. Oktober 1909 als
hauptamtlicher Gemeinde–Vorsteher angestellt.
Seine ehrenamtlichen Amtsvorgänger sind gewesen:
Bley, Sommerlatte, Bunge, Henze, Reichenbach. |
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VI. Selbständige Geschäfts– und Gewerbetreibende:
1. Bäcker: Velfe, Heinze, Merker, Nuckelt G.,
Kohlmann, Romanus.
2. Fleischer: Pertermann, Ebert Alfred, Ebert Otto,
Zorn (früher Müller), Stansch H. (eröffnet am
25.l0.1928)
3. Maurermeister: Voigt, Gustav.
4. Schmiede: Niebert.
5. Stellmacher: Fanke.
6. Glaser und Bautischler: Kristall, Julius.
7. Tischler: Rohde, Gustav.
8. Schuhmacher: Hönicke, Tolge, Preißler, Wehling.
9. Gastwirte: Funke, Dibbe, Heinicke, Zipperling, Otte.
10. Geschäfte von: Prautzsch, Koch, Wiedenbein,
Möbius, Fleischer, Wehner, Braust, Ludley,
Wislicenus, Jahn, Ihlow, Quilitzsch, Masuch,
Bergt, Kittler, Mahchrzak, Tittel, Skiba,
Bärwald, Nuckelt.
11. Barbiere: Lucke, Siegert, Grohmann.
12. Klempner: Watzeck.
13. Schlosser: Nuckelt R.
14. Schneider: Rickelt, Dittmar.
15. Maler: Hube, Hambsch, Börnike.
16. Tapezierer u. Polsterer: Möbius Fr., Hampe,
Wolf.
17. Dachdecker: Richter.
18. Buchbinder: Panniger.
19. Milchhändler: Möbius Fr., Bergt H., Both.
20. Käsefabrik: Göhrmann.
Gegenwärtig bestehende größere Vereine.
gegr. Mitgl.
Männer-Ges.–Verein Sang u. Klang 1879 40
" Liedertafel 1906 65
" Eintracht 1921 65
Doppelquartett 1922 40
Krieger– u. Landwehrverein 1880 125
Handwerkerverein 11.8.1887 120
Turnverein Germania 1904 100
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gegr. Mitgl.
Turnverein Sandersdorf 1880 50
Verein f. L. u. B. Union 1911 125
Sportverein Sandersdorf 1921 70
Freiwillige Feuerwehr 1926 80
Radfahrerverein Sandersdorf
Germania
Schießverein
Geflügelzuchtverein
Kath. Männerverein 1905 65
Kath. Frauenverein
Ev. Frauenverein
Verein ehem. Kriegsgefangener 1920 28
Außerdem bestehen noch eine Anzahl kleinerer Vereine.
Den kirchlichen Körperschaften der Parochie
Sandersdorf gehören an:
Pfarrer Sinz, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates
Herr Gemeindevorsteher Ebert — Gemeinde–Kirchenrat
" Grubenbesitzer Schmidt,
Kirchenältester u. stellv. Vors.
" Obersteiger Halle Gemeinde–Kirchenrat
" Maurermeister Voigt "
" Mühlenbesitzer Nuckelt "
" Landwirt Kluge (Zsch.) "
" Rektor Rehm Gemeindevertretung
" Landwirt Bley "
" " Birkner, Emil "
" " Birkner, Paul "
" Masch.–Mstr. Düring, Friedr. "
" " Möbius, Karl "
" Betriebsführer Bloch, Albin "
" Schmied Möbius, Hermann "
" Steiger Theer "
" Hegemeister Stolze "
" Rentier Täsch "
" " Günther "
" Betriebsleiter Hicketier "
" Pastor Sinz, Sandersdorf
" Just Louis — Kirchen–Rendant
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Evangelischer Elternbeirat.
Herr Stockmann Herr Rabald, Fritz
" Kirchhof " Wöege, Fritz
" Möbius, Karl " Seiffert, Oskar
" Täsch, Karl
Der kirchlichen Gemeinde–Vertretung gehören
ferner an:
Frau Westhoff, Frau Ludley, Frau Steffen, Frau Hartwig,
Frau Hönicke.
Von Zscherndorf gehören an:
Herr Eschenbach, Konrektor, Herr Pobbig, Herr Hennig,
Herr Kunze, Herr Körner, Herr Pannicke.
Schul–Vorstand.
Die Gemeinde Sandersdorf ist mit dem Forstgutsbezirk
Stakendorfer Busch zu einem Gesamtschulverband vereinigt.
Vorsitz: Gemeindevorsteher Ebert
Stellv. Vors. Rektor Rehm
Mitglieder aus der Gemeindevertretung:
Schöffe Landwirt Robert Nuckelt
Gdv. Direktor Borsbach
" Arbeiter Louis Röthling
" " Richard Voigt
Vom Forstgutsbezirk: Hegemeister Stolze.
Evang. Geistlicher Pfarrer Sinz
Kath. " Pfarrvikar Hesse
Von der Lehrerschaft:
Rektor Rehm, ev.
Rektor Hansmann, kath.
Lehrer Westhoff, ev.
" Stadler, kath.
|
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Reichstagswahl vom 20. Mai 1928.
Wahlberechtigt 2470 Personen. – Abgegebene Stimmen 85 %
Sozialdemokratische Partei 413 (250) Stimmen
Deutsche Volkspartei 172 (446) "
Deutschnationale Partei 144 ( ) "
Zentrum 223 (184) "
Kommunistische Partei 814 (561) "
D. Demokratische Partei 87 (74) "
Wirtschaftspartei 179 "
Weitere 11 Parteien erhielten 56 "
Summa 2088 Stimmen
Die Zahlen in Klammern sind die Stimmen von der
Reichstagswahl am 7. Dezember 1924.
Gemeindewahl vom 2.März 1919.
Unabhängige Sozialisten 718 Stimmen
Bürgerliche Liste 249 "
Sozialdemokraten 198 "
Zentrum 85 "
Polen 199 "
Gemeindewahl vom 4. Mai 1924.
Einheitsliste der Arbeiter u. Angestellten I. 1013 Stimmen
Bürgerliche Liste r. 657 "
Zentrum 270 "
Einige Vorkriegswahlen
verdienen noch in Sandersdorf beachtet zu werden.
Reichstagswahl am 12. Januar 1912.
Bauermeister Deutsche Grube (freik.) 145 Stimmen
Tschanter Eilenburg (freis.) 79 "
Raute (Soz.) 269 "
Chociesjewski (Pole) 53 "
Ungültig 1 "
Sa. 547 Stimmen
|
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Stichwahl am 22. Januar 1912.
Bauermeister 188 Stimmen
Raute 355 "
Wahl zur Nationalversammlung 1919.
Unabhängige Sozialdemokraten 996 (952) Preuß. L. Verf.
Mehrheitssozialisten 274 (246) "
Deutsch–Demokraten 88 (120) "
Zentrum 134 (148) "
Deutsche Volkspartei 18 (18) "
Deutschnationale Volkspartei 52 (63) "
Ungültig 4 (–) "
1556 (1547) Stimmen
Die Zahlen in Klammern sind die Stimmen zur
Preußischen Landesversammlung.
Einwohnerzahl von Sandersdorf.
1818 227 Einwohner 43 Häuser
1842 300 " 48 "
1860 400 "
1865 406 " 77 "
1885 1628 " 113 "
1910 3100 "
1916 3724 "
1919 3856 "
1920 3917 "
1925 4023 "
1927 4131 " 371 Häuser 982 Fam.
1928 4394 " 410 " 1040 "
Bitterfeld 1818 2246 Einw. 1919 16551 Einw.
Zscherndorf " 107 " " 1829 "
Ramsin " 285 " " 1301 "
Wolfen " 226 " " 3878 "
|
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Ramsin.
Ramsin liegt etwa 2 1/2 km südwestlich von Sandersdorf. Beide Fluren grenzen
unmittelbar zusammen. Bis vor einigen Jahrzehnten waren beide Orte durch den
300 Morgen großen Brand (Laubwald), der zum Rittergut Ramsin gehörte, getrennt.
Das Rittergut, ein ehemals alter Rittersitz, befindet sich seit 1927 in Pacht
der Gemeinde. Besitzer ist Herr Hermann Schuhmacher. Als jetziger Gutsinspektor
ist von der Gemeinde Herr Fischer angestellt und mit gutem Erfolg tätig.
Industrie befindet sich im Orte nicht, deshalb sind die Einwohner auf Arbeit
nach den umliegenden Werken angewiesen.
Ramsin wurde im Hussittenkrieg 1419–1436, sowie im 30jährigen Krieg 1637
vollständig zerstört, jedoch hat der Ort sich jedesmal wieder erholt.
1813 lagen die Russen in und um Ramsin. Durch ihre Plünderungen waren sie der
Schrecken der Bevölkerung geworden.
In den letzten 50 Jahren ist der Ort von mehreren Bränden heimgesucht worden.
In den siebziger Jahren brannten die Schafställe und 1900 die mit Getreide
gefüllten Scheunen des Rittergutes ab. Am 1. Weihnachtsfeiertage 1883 brannte
die Scheune des Zimmermeisters Dietze und kurz darauf das Stallgebäude von
Gustav Hirsch durch Blitzschlag nieder. Die Kirche ist schon sehr alt; ihr
Alter wird auf rund 700 Jahre geschätzt, sie gehört zum Kirchenbezirk Roitzsch.
Der frühere Gasthof von Pannicke ist gleich nach dem Krieg zu Wohnungen umgebaut,
dafür erstand 1927 der Gasthof "Zur Linde" (Erbauer Brautzsch); ferner ist noch
der Gasthof der Witwe Frau Laskoski vorhanden ("Gasthof Ramsin").
Als Gemeinde–Vorsteher amtiert:
Herr Hugo Lützner seit 1918
als Steuereinnehmer: Franz Hirsch
als Landjäger Exner. |
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Gemeindevertretung.
Herr Henze, Albert Herr Zöhl, Hermann
" Müller, Karl " Hirsch, Franz
" Reichert, Franz " Haby, Wilhelm
" Retzke, Franz " Rothe, Paul (Schöffe)
" Stückroth, Otto " Latauschke
" Mandel. Eduard
Als Lehrer der Volksschule sind angestellt:
Herr Pöschel (Rektor seit 1929)
" Zimmermann, Karl
" Zimmer, Fritz
" Müller, Georg
" Schmidt, Georg
Gutsbesitzungen.
Remmicke, Witwe Meister, Friedrich
Müller, Karl Stammer, Otto
Meikert, Albert
Als einstmals größter Bauer ist Hirsch mit 400 Morgen
Acker genannt. Heute ist nur noch das alte Wohnhaus
am Dorfplatz vorhanden.
Gewerbetreibende und Geschäfte.
Engel (Fleischer) Brautzsch (Friseur)
Jänicke " Frl. Dietze (Friseuse)
Mandel (Bäcker) Weiser (Gärtner)
Richter " Jänicke, Paul
Berger " Zander, Anna
Täsch (Schneider) Henke
Braust " Klenk (Witwe)
Grube (Tischler) Nohr, Otto
Hermann (Schmied) Brautzsch, Hermann
Während des harten Winters 1928 zu 1929 hatte die Gemeinde Ramsin an Wassermangel
bitter zu leiden; fast die gesamte Wasserleitung war zugefroren. Bei dem später
einsetzenden Tauwetter folgte Rohrbruch auf Rohrbruch, sodaß zu Pfingsten 1929
der Schaden noch nicht ganz behoben war. |
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Sandersdorf und der Weltkrieg 1914–1918.
Der 2. August 1914 war ein schwüler, warmer Tag. Die Flur lag weit und breit
friedlicher denn je in den glänzenden Strahlen der Sonne. Auch unter den
Einwohnern war eine Ruhe und Gedrücktheit, wie man sie von den sonst so lebhaften
Sandersdorfern nicht gewohnt war, aber diese Ruhe in der Natur sowohl wie in der
Bevölkerung glich mehr einer "Ruhe vor dem Sturm". Schon lange lag die Bestie
"Krieg" in der Luft und wartete nur noch auf das Zeichen zum Losbrechen.
Am 2. August vormittags 11 Uhr wurde in Berlin die Mobilmachung bekannt gegeben.
Nachmittags 5 Uhr kam der Mobilmachungsbefehl auch in Sandersdorf heraus. Die
Ruhe war vorbei, der Sturm brach los. In größeren und kleineren Gruppen standen
die Leute zusammen, eifrig im Gespräch über die Zukunft. Nur wenige waren es,
die an eine Niederlage unserer sonst so tapferen und gefürchteten Armee glaubten.
Was aber am meisten auf die Einwohner einwirkte, war das Schicksal um die Zukunft;
wußten doch alle, daß jeder gesunde Deutsche jetzt seine staatsbürgerliche Pflicht
zu erfüllen hatte. Schweren Herzens nahmen die Angehörigen Abschied von dem
Ernährer, Vater, Sohn, Bruder, der nun hinauszog, nachdem ihn die "Order" zur
Fahne gerufen. Die Einwohner, die schon vor dem Krieg in mehrere politische Lager
getrennt waren, bildeten jetzt eine gemeinsame Masse; doch die Stimmung war nicht
herausfordernd oder freudig sondern ernst. Die Pflicht rief und jeder wußte,
daß er seine Schuldigkeit dem Vaterland gegenüber zu tun hatte.
Die Truppen rückten in fremdes Land ein. Schlachten wurden geschlagen, Festungen
genommen.– Jubelnd begrüßten die Sandersdorfer jeden Sieg der tapferen
deutschen Armee. Wochen, Monate vergingen; England, Italien, Rumänien usw.
traten in den Krieg gegen Deutschland ein. Mit dem Eintritt Englands in den
Krieg war die Lebensmittelzufuhr nach Deutschland von seiten der anderen Länder
abgeschnitten. Die Leidenszeit des deutschen Volkes, die später einer
Hungerperiode glich, setzte ein. Sandersdorf, fern von jeder Großstadt, bekam
dieses sehr bald zu spüren. – Am 8. April 1915 kam die Brotrationierung,
|
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kurz darauf folgten alle Lebensmittel. Es erhielt pro Kopf und Woche:
Brot 4 Pfund – Margarine 30 gr – Kartoffeln 3–5 Pfd. –
Fleisch 50 gr – Milch 1/2 Liter, jedoch nur für Kinder bis zu 4 Jahren.
Mehl und Fett gab es nur in kleinen Mengen 1/2 – 1 Pfd.. Kohlrüben, weiße
Rüben, Dörrgemüse aus Kohlrüben und Kohlblättern war das Nationalgericht –
Kaffee aus gebrannten Kohlrüben – das Nationalgetränk. – Tabak aus
Kirsch– und Buchenblättern die nationale Rauchware des deutschen Volkes!
Senf und Zimt stellte man aus Kohlrüben her, andere Gewürze waren fast
überhaupt nicht zu bekommen. Zucker gab es pro Monat 1 Pfd.. Seife bestand aus
Ton und Sand.
Leider aber ließen auch im hiesigen Ort verschiedene Geschäftsleute, der Not der
Zeit entsprechend der hungernden Bevölkerung gegenüber, die doch alle Schichten
umfaßte, das nötige Entgegenkommen fehlen. Fleisch, Butter usw., überhaupt alles,
was besonders knapp war, veranlaßte die Leute sich schon nachts vor den Läden
aufzustellen damit sie morgens bei Ladenöffnung die ersten sind, um ja etwas zu
bekommen und den anklagenden Magen und Hunger mit wenigen Gramm Fleisch oder Fett
zu stillen. Wie bitter mag es gewesen sein, wenn die zur Arbeit gehenden
Kriegsgefangenen sich über das Schlangestehen der darbenden Menschen lustig
machten, die schon stundenlang warteten, um etwas zum Leben zu bekommen.
So vergingen die Kriegsjahre "langsam und aufreibend", besonders für die Jugend,
die jedes Vergnügen entbehren mußte. Später, etwa 1916 kam das
Arbeitspflichtgesetz für Männer und Frauen bis zum 65. Lebensjahre, darunter
fielen auch Gewerbetreibende und Kaufleute, die ebenfalls zur Arbeit –
entweder nach Werk I oder in den Bergbau gehen mußten. Während der Kriegsjahre
entstand die Säurefabrik auf Sandersdorfer Boden. Werk I – Elektron
Griesheim stellte während des Krieges Sprengstoffe und Zubehörteile für
Kriegsgeräte her.
Während dieser langen Zeit von 1914–1918 wuchs die Unzufriedenheit von Tag
zu Tag. Die Not wurde immer größer, die Ernährung schlechter.
Wohl war der |
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Verdienst nicht schlecht, aber es gab ja für das Geld nichts zu kaufen,
höchstens einen Anzug oder Wäsche aus Papier, oder Stiefeln mit Holzsohlen.
Aber etwas anderes war es was den Mißmut hervorrief: die ungeheuren Verluste an
kostbaren Menschenleben. Immer mehr Familien wurden davon betroffen, immer
lauter und deutlicher kam das Verlangen nach Frieden.
Endlich im November 1918 kam der langersehnte Frieden. Aber es war kein Frieden
wie ihn das deutsche Volk verdient hätte, es war ein Schmachfrieden für
Deutschland und seine siegreiche Armee. Kein deutscher Staatsbürger, der sein
Volk und Vaterland liebt, wird sagen, daß das deutsche Volk diesen uns
aufgedrängten Frieden verdient hat. Der Zusammenbruch der Armee war da.
Eine Aufruhrbewegung jagte über deutsche Lande dahin und verschonte auch unseren
Ort nicht von dieser Bewegung. —
Am 8. November kamen die ersten Soldaten von der Front hier an; denselben Abend
fand eine Besprechung statt, in der ein Soldaten— und Arbeiterrat
zusammengestellt wurde. Der 9. November war schon etwas unruhiger. Nachmittags
fand eine Demonstration statt; der Zug bewegte sich zum Gemeindehaus. Nach einer
Ansprache vor demselben setzte sich der Zug zum Landjägerhaus in Bewegung, hier
wurde nach einer Ansprache der damalige Wachtmeister Reinhardt vorläufig seines
Amtes enthoben. Der Mittelstand stand dieser Bewegung wohlwollend gegenüber,
dieses beweisen die damaligen Eintritte in die Sozialdemokratische Partei; auch
war dieses in der Zeit der Not verständlich und gut denkbar. Leider gingen die
Wogen aber auch manchmal über die Köpfe der Führer hinweg. Die Fahne des
Kriegervereins hatte der Zug der Demonstranten abgeholt und vollständig
zerrissen, was später zu einem Prozeß führte und mit Bestrafung der Schuldigen
endete. Im November standen auf dem hiesigen Bahnhof einige Eisenbahnzüge mit
Heeresgut, die von einer Wache des Soldatenrates bewacht wurden; aber trotzdem
hat man die Züge geplündert. In der zweiten Nacht kam es zu einer Schießerei
zwischen Plünderern und Wachmannschaften, sodaß sich der Soldatenrat |
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genötigt sah, Verstärkung von Bitterfeld heranzuholen. Die ganze Nacht feuerte
die Wache Leuchtraketen ab, um das Gelände übersichtlich zu machen. Als die
zuverlässigsten Wachmannschaften bewährten sich dabei die jüngsten Soldaten.
Vor der Nationalversammlung sprach am 12. Dezember 1918 Schwester Lydia Rühland
in Bergts Gasthof Ramsinerstraße Nr. 20 vor überfülltem Saal von Besuchern aus
allen Ständen. Während und nach der Versammlung kam es zum ersten Zusammenstoß
zwischen Spartakusbund und Andersdenkenden. Zweck und Ziel des Soldaten—
und Arbeiterrates war "für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sowie für die Ernährung
der Einwohner. Dieses ist ihm auch zum großen Teil gelungen. Es wurden Pferde
geschlachtet und das Fleisch unter die Einwohner verteilt, der Ueberschuß floß
der Gemeindekasse zu.
Leider hatte sich nach Beendigung des Krieges auch im hiesigen Ort ein böses
Uebel eingenistet "Die Sucht nach Tanz". Kaum war der Krieg zu Ende, da fand ein
öffentlicher Tanz nach dem andern statt: Längst hatte man vergessen, daß
hunderttausende deutsche Soldaten sich verblutet hatten und in fremder Erde
ruhten, daß tausende deutsche Soldaten als Krüppel in Krankenhäusern lagen, und
daß hunderttausende Kriegsgefangene noch unter fremder Herrschaft hinter
Stacheldraht, dem Wahnsinn nahe, schmachteten; aber Sandersdorf tanzt, tanzt von
abends bis früh nach frisch fröhlicher Weise. Gewiß, die langen Kriegsjahre
hatten jedes Vergnügen unmöglich gemacht; aber trotzdem so schnell durfte auch
Sandersdorf seine Toten, Krüppel und Kriegsgefangenen nicht vergessen.
82 Sandersdorfer Söhne ruhen in fremder Erde und sind in dem Tanztaumel
vergessen. Erst am 25. Sept. 1925 gedachte Sandersdorf seiner gefallenen Söhne,
indem sie ihnen ein Denkmal errichteten. In ergreifender Weise gedachte der
Festredner Herr Lehrer Schulze sowie der erste Vorsitzende des
Denkmalsausschusses Herr Krug am Tage der Weihe der gefallenen Sandersdorfer
Söhne und hier geschah das Unglaubliche: am Abend desselben Tages rissen ehrlose
Buben die am Gemeindehaus zum Gedächtnis unserer "Gefallenen" gehißte
Reichsflagge |
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herunter, zerschnitten diesselbe und beschmutzten damit in erster Linie
diejenigen, denen der Festakt, die Denkmalsweihe galt.
Der
"Kapp-Lüttwitz—Putsch" in Sandersdorf.
Infolge der dauernden Unruhen hatten sich im Reiche die Kriegsteilnehmer zu
verschiedenen Verbänden zusammengeschlossen. Als erster entstand am 13. Februar
1919 "Der Stahlhelm" mit 900000 Mitgliedern. Die ersten Jahre segelte er unter
der Reichsflagge "Schwarz—Rot—Gold". Erst später entwickelte er sich
immer mehr zu einer Rechtsorganisation und nimmt jetzt eine scharfe Stellung
gegen die Republik ein. Der hiesigen Ortsgruppe ist auch der Wehrwolf
angegliedert; er entstand 1924. Das "Reichsbanner Schwarz—Rot—Gold",
gegründet am 22. Februar 1924 mit über 2 1/2 Millionen Mitgliedern, ist die
größte Nachkriegs—Organisation. Ihr Zweck und Ziel ist, die deutsche
Republik gegen alle Umsturzversuche zu schützen, ganz gleich von welcher Seite
sie auch kommen mögen. Am hiesigen Orte besteht eine Abteilung des Reichsbanners
Schwarz—Rot—Gold "Bitterfeld". Der Rote Frontkämpferbund,
zusammengestellt aus Kriegsteilnehmern der kommunistischen Partei. Zweck und
Ziel ist den kommunistischen Gedanken zu festigen. Eine Ortsgruppe in Sandersdorf
entstand etwa 1926.
Bis zum Kapp—Putsch verlief im hiesigen Ort bis auf einige kleine
unwesentliche Zwischenfälle, alles ganz ruhig. In der Nacht zum 14. März 1920
rückten zwei Brigaden unter dem Befehl von Ehrhardt und Löwenfeld von Döberitz
kommend in Berlin ein, wo sie versuchten, die rechtmäßige Regierung zu stürzen.
Im Auftrage der Regierung fuhr Admiral von Trotha nach Döberitz, um die
Gegenrevolutionäre von ihrem Staatsstreich abzuhalten. Der Admiral kehrte jedoch
unverrichteter Sache wieder zurück. Die politischen Parteien sowie die
Gewerkschaften proklamierten hierauf den Generalstreik. Diesem Aufruf wurde von
allen Seiten, auch von der Eisenbahn Folge geleistet. Am 15. März fuhr vor dem
Gemeindehaus ein Militärwagen mit einem Offizier und bewaffneten Soldaten |
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vor, nachdem ein Hornist nach allen Seiten Signale abgegeben, verlas der
Offizier den Aufruf von General Märker, der aber auf die Bevölkerung ohne
Einfluß war. Trotzdem jeder Streikende in dem Aufruf mit dem Tode bestraft
wurde, dauerte der Streik eine Woche; während dieser Zeit erhielten die
Arbeiter ihren Lohn weiter. — In Bitterfeld war eine größere Abteilung
Reichswehr eingerückt, die auf die Ortschaften Kavallerieabteilungen schickte,
auch durch Sandersdorf kam mehrere Mal eine solche. Einige Tage später haben
Unbekannte eine Kavallerieabteilung bei Jeßnitz abgeschossen. Ein
Aktionsausschuß sowie eine Einwohnerwehr, die für die Ruhe und Ordnung sorgen
sollte, wurde eingesetzt. Die Straße war von der Wehr besetzt. Zu ihrer
Bewaffnung hatte der Ausschuß Waffen beschlagnahmt. Leider gab es auch hier
Leute, die sich Rechte anmaßten, die ihnen nicht zustanden; so hatte man Herrn
Direktor Glockemeier angedroht, seine Villa in die Luft zu sprengen, allerdings
blieb es nur bei der Drohung. Am 17. März marschierten Abteilungen der
Einwohnerwehren von verschiedenen Orten in Richtung Brehna. Hier kam es zu dem
verhängnisvollen Mord an Wachtmeister Hannemann. Als die Truppe, die ein
Lastauto mit Maschinengewehr bei sich führte, das Deutsche Haus passiert hatte,
kam ihr aus Richtung Brehna das Polizeiauto mit Wachtmeister Hannemannn entgegen.
Sofort begann die Truppe auf das Automobil zu feuern, dabei zerschossen sie die
Schutzscheibe, verletzt wurde niemand. Das Automobil hielt, die Polizei nahm
eine freundliche Haltung ein, aber trotzdem wurden sie entwaffnet. Wachtmeister
Hannemann befand sich noch im Auto, als die übrigen Wachtmeister schon
ausgestiegen waren, plötzlich fiel aus etwa 1 m Entfernung ein Schuß, der
Hannemann tödlich in den Kopf traf. Der Täter ist bis jetzt noch nicht ermittelt.
Das Automobil setzt nun seine Fahrt nach Bitterfeld fort, während die Truppe in
ihre Orte zurückkehrt. Nachdem die Kapp—Lüttwitz—Anhänger überall
geschlagen und zum Teil verhaftet waren, riefen die Regierung sowie die
Gewerkschaften und politischen Parteien wieder zur Arbeitsaufnahme auf. Diesem
Aufruf wurde in Sandersdorf auch sofort Folge geleistet. |
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Aufruhrbewegung in Mitteldeutschland 1921.
Diese hat sich in Sandersdorf weniger ausgewirkt. Die Gegend um Ammendorf,
Halle, Mansfeld und Eisleben war das Hauptkampfgebiet der roten Armee unter
ihrem Führer Max Hölz. Ein Kampfbericht der roten Armee besagt folgendes:
Hauptquartier, den 28. März 1921.
"An der Eislebener Front setzte scharfes Gewehr- und Maschinengewehrfeuer ein.
Unsere Truppen hatten sich aber bereits zurückgezogen und sich in der Umgegend
konzentriert. Die weißen Truppen, welche Mansfeld und Leimbach besetzt hielten,
rückten gegen Eisleben vor und gegen Mittag griffen sie mit Minenwerfern an und
beschossen unsere längst geräumten Stellungen. Kleine Kavalleriepatrouillen
hatten kleinere Gefechte zu bestehen, welche ihnen nur Verluste eintrugen.
Die weißen Truppen besetzten die Grunddörfer und nahmen eine Anzahl Geiseln mit.
Heute morgen bei Tagesanbruch griff die Heeresgruppe Hölz den Vorort Ammendorf
an, besetzte den Ort und drang bis dicht an die Stadt Halle vor. Die Schupo
wurde aus ihren Stellungen verdrängt und mußte sich in ihre festen Stützpunkte
zurückziehen. Wasserwerk und Schloß an der Beesener Straße bildeten einen guten
Stützpunkt. Der Feind hatte außerordentliche Verluste, während auf unserer
Seite außer kleinen Verwundungen keine Verluste zu verzeichnen sind."
Nachdem dieser Bericht bekannt war, legten in Sandersdorf die Arbeiter die
Arbeit nieder und riefen in den Betrieben Belegschaftsversammlungen zusammen,
um Stellung zur gegenwärtigen Lage zu nehmen. Bei der Abstimmung war die
Mehrzahl jedoch für Arbeit, sodaß eine Betriebsstilllegung nicht in Frage kam.
Einige Tage später rückte in Richtung Zörbig Reichswehr durch Sandersdorf;
diese versuchte die rote Armee am Petersberg anzugreifen. Letztere war jedoch
in Richtung Eisleben weitergerückt. In der Nähe von Eisleben kam es dann zu
schweren Kämpfen, die mit einer Niederlage der roten Armee und der
Gefangennahme von Max Hölz endeten. |
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Sandersdorf in der Inflationszeit.
Die Inflationszeit ist wohl eins der traurigsten Kapitel der Geschichte mit.
Die Arbeiter, Angestellten, Beamte, kurz alle, die gegen Lohn arbeiteten,
hatten am schwersten darunter zu leiden. Die Mark verlor von Tag zu Tag.
In der letzten Zeit sogar von Stunde zu Stunde an Wert. Geld von vormittags
hatte oft am Nachmittag nur noch ganz wenig an Wert. Der wöchentliche Verdienst
reichte 1923 kaum noch zu einem Brot und 1/2 Pfund Margarine. Der Lohn änderte
sich jede Woche und immer größer wurde die Not und das Elend. Streiks und
kleinere Unruhen waren an der Tagesordnung. Auf der Bitterfelder Louisengrube
verunglückte während eines Streiks bei Verrichtung von Notstandsarbeiten der
Steiger Oswald Röder tödlich.
Einige Ziffern zeigen den schnellen Verfall der Mark. Die Mark galt am:
1.10.1919 noch 16,6 Pfg.
1.12.1919 " 10,4 "
20. 6.1920 " 10 "
1.12.1921 waren 100 Mk. noch 2,55 Mk.
1. 7.1922 " 1000 " " 9,50 "
4. 8. " " 1000 " " 4,88 "
23.10. " " 1000 " " 1,11 "
1. 7.1923 " 100000 " " 2,73 "
20. 7.1923 " 100000 " " l,33 "
29.11.1923 " 1 Goldmark 1 Billion Papiermark
Der Dollar wurde amtlich mit 4 210 500 000 000 Mk. notiert.
1 Kilo Gold notiert mit 610 Dollar oder
25 726 155 000 000 000 Papiermark.
1923 kam endlich eine stabile Währung (die Rentenmark). Diese bildete den
Uebergang zu unserer jetzigen Goldwährung.
Bei der Reichswohnungszählung 1927 am 16. Mai wurden in Sandersdorf gezählt:
371 Grundstücke
900 Wohnungen |
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920 Haushaltungen
4131 Einwohner
494 Schulkinder evang. und kath.
107 Gewerbetreibende
Am 24. März 1928 wurde ein Schauspiel in zwei Aufzügen "Fern der Heimat",
verfaßt von dem Schreiber dieser Chronik, zur Aufführung gebracht. Ein zweites
Schauspiel "Die Zarin und ihr Kurier" in fünf Aufzügen, bearbeitet für größere
Bühnen, ist bereits fertig und soll in diesem Jahre 1929 zur Aufführung kommen.
Am 30. September 1928 wurde der Forstgutsbezirk Stakendorfer Busch aufgelöst
und mit der Landgemeinde Sandersdorf vereinigt.
Die Konzessionierung einer Vollapotheke ist bei der Regierung von der Gemeinde
beantragt worden.
Die Wohnungsnot hat die Gemeinde gezwungen, an Bauwillige einen Bauzuschuß
von 1000 Mark pro Wohnung zu verleihen.
Die ältesten Personen der Gemeinde sind:
Frau Witwe Nuckelt, 88 Jahr alt
Frau Witwe Möbius, 87 Jahr alt, gest. 17.3.29
Frau Witwe Hönicke 87 Jahr alt, gest.
Herr Bunge, 83 Jahr alt
Herr Jakowski Joh., 83 Jahr alt
Herr Rhode, 80 Jahr alt, feierte 1928 seine Goldene Hochzeit. |
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Erklärungen.
1 Gulden meißnisch = 21 gute Groschen = 2 Mark.
62 1/2 Pfennig
1 sächsischer Acker = 2 1/6 Morgen preußisch.
1 Königshufe = 47–50 ha.
1 Hufe = 11–13 ha oder 30–50 preuß. Morgen.
Hüfner = größerer Besitzer von 1–2 Hufen.
Gärtner, gertner oder Kossath = kleinerer Besitzer von
10–20 Morgen.
Ein Rittersitz = größeres Hüfnergut eines adl. Besitzers.
Stock = Richtstätte für Verurteilte.
1 ha = 10000 qm oder 100 Ar oder 7,05 Quadrat Ruten.
1 preußischer Morgen. = 189 Quadrat Ruten od. 25,532 Ar.
1 Scheffel = 56,25 Liter.
1 Metze = 9,375 Liter.
1 Rute = 12 Fuß oder 3,766 m
1 pr. Elle = 25,5 Zoll oder 0,667 m
1 Wispel = 2 Malter oder 24 Scheffel oder
144 Metzen oder 13,5 hl
1 pr. Klafter = 200 m
1 pr. Pfund = 32 Lot oder 467,711 Gramm.
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Inhalts-Verzeichnis
Seite
Einführung 3
Die vorgeschichtliche Zeit. 4
Aeltere Steinzeit. – Jüngere Steinzeit 5
Bronzezeit – Eisenzeit 6, 7
Frühgeschichtliches – Ortsnamen. 7
Sandersdorf zum Kloster Brehna 1373 12
Die Reformation 16
Der Hussiten-Krieg 1419–1436 18
Dr. Martin Luther 19
Der 30jährige Krieg 1618–1648 19
Stakendorf, Kolpin, Krondorf, Odeley,
Eckeln, Gräfendorf 25
Zscherndorf, Wolfen. Thalheim 28
Aus der Kirchenchronik 1692–1928 31
Der 7jährige Krieg 1756–1763 4
Aus den Kriegsjahren 1806–1815 37
1848. Die Revolution in Sandersdorf 40
Die Kriege 1864–66 und 70–71 40
Sandersdorf vor 100 Jahren 42
Evangelische Kirche und Schule 47
Katholische Kirche und Schule 56
Rückblick auf die jüngsten 10 Jahre 59
Sandersdorf als Industrie-Ort 63
Namen der Gefallenen 1914–1918 68
Behörden und sonstige Personenkunde 69
Wahlen und Einwohner von 1818–1928 74
Ramsin 76
Der Weltkrieg 1914–1918 und Umsturz 78
Der Kapp-Lüttwitz-Putsch 82
Der mitteldeutsche Aufruhr 84
Die Inflationszeit 85
Verschiedenes 85
Erklärungen 87
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