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Gustav Krug
Foto: B. Seifert, Sandersdorf

Der ehrenamtliche Chronist Gustav Krug erhält am 06. Mai 1929 von der Gemeinde Sandersdorf ein zinsloses Darlehen für 1 Jahr. Dies ermöglicht ihm die Herausgabe seiner Chronik von Sandersdorf.

Für die Veröffentlichung der von Gustav Krug im Jahr 1928 verfassten Chronik von Sandersdorf geben im Jahr 2007 ihre freundliche Einwilligung E. Schiemens (geb. Krug) und B. Seifert.

CHRONIK
von
Sandersdorf (Kr. Bitterfeld)

Von Gustav Krug, Sandersdorf

1929




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Druck von Wilhelm Lauffs, Holzweissig - Bitterfeld


Abschrift



Einführung.

Sandersdorf (Kreis Bitterfeld) liegt an der Eisenbahnstrecke Bitterfeld–Stumsdorf, sowie an der Kreischaussee "Bitterfeld–Zörbig" und 4 km westlich von Bitterfeld. Sandersdorf ist bekannt durch seine großen Kohlenlager und seine Braunkohlengruben. Das Gelände ist sandig und flach. Bodenerhebungen fehlen ganz. Gering ist daher auch der Ertrag der sandigen Aecker. Gegen Westen zwischen Sandersdorf und Heideloh befindet sich der Stakendorfer Busch. In dieses Gelände hinein wurde 1842 die erste Braunkohlengrube "Richard" gelegt. Mit der Eröffnung des Bergbaues wurde aus diesem kleinen, Landwirtschaft treibenden Ort ein großer Industrieort. Der "Alte" mit seinen kaum 300 zählenden Einwohnern im Jahre 1842, ist heute auf 4500 Einwohner angewachsen. Wo soviel Neues erscheint, und das Alte beiseite drängt, habe ich es für meine Pflicht gehalten, wenigstens den Alten der Vergangenheit ein Andenken zu bewahren. Leider ist aber über Sandersdorf in alten Akten oder Büchern sehr wenig zu finden, da bei einem Pfarrbrand am 19. Oktober 1718 sehr viel alte Akten mit verbrannt sind. Trotzdem ist es mir gelungen, das wenige, was noch über Sandersdorf aus den vergangenen Jahrhunderten vorhanden ist, mühsam zusammen zu tragen.

Bevor ich jedoch auf die Chronik unserer Gemeinde selbst eingehe, möchte ich zunächst erst einmal auf die Menschen mit ihrem uns unbekannten Wesen unserer Heimat eingehen. Wo kamen die Menschen her, und was hat sich in früheren Jahrhunderten auf diesem Boden ereignet.

Weltbewegend sind allerdings die Ereignisse nicht, die sich in unserer engeren Heimat abgespielt haben. War Sandersdorf sowie die umliegenden kleinen Dörfer vor der Begründung der Braunkohlenfelder ein kleines, abgelegenes

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Bauerndorf, so war es auch in den früheren Jahrhunderten ein kleines abseits der großen Heerstraße gelegenes Bauerndorf. So vollzogen sich die großen Ereignisse der Geschichte außerhalb unserer Gegend. Aber doch blieb Sandersdorf von den geschichtlichen Vorgängen nicht unberührt. In irgend einer Weise wirkten sie ja doch auf die stillen Bauerndörfer zurück. Und gerade darin liegt der Reiz, daß wir sehen, wie sich all diese Ereignisse, die wir teilweise auch aus der Geschichte kennen, auf den letzten Winkel dieser kleinen Dörfer auswirkte. Die geschichtliche Zeit, die in unserer Gegend etwa um 560 beginnt, führt uns bis zu den Sorbensiedlungen und dem ersten Vorstoß des Deutschtums in die Muldengegend. Die erste Urkunde von Sandersdorf selbst berichtet aus dem Jahre 1373.

II. Die vorgeschichtliche Zeit

Die ältesten Spuren der Anwesenheit von Menschen festzustellen, ist immer interessant. Die geologischen Vorgänge unserer Erdoberfläche, die Kohlenlager mit ihren oberen Sand- und Kiesschichten, können nur in kurzen Zeiträumen entstanden sein. Und doch ist es der menschlichen Lebenszeit nach angemessen eine recht lange Zeit, wenn wir die vorhandenen Spuren um etwa 4000 Jahre oder noch mehr zurückverfolgen können. Nur wenig Spuren sind uns von unseren Ahnen erhalten. Steinkistengräber, Urnenfelder oder Grabstätten, die sorgfältig in der Erde gebettet, Jahrtausende gelegen haben, geben uns Aufklärung über all das Gewesene. Leider sind es nur wenige solcher Reste, die Licht in das Dunkel der schriftlosen Vergangenheit bringen. Deshalb muß jeder Fund sorgfältig aufgenommen und behandelt werden, damit wir von dem Wenigen nicht noch mehr verlieren.

Wir sind in unserer Umgebung in der glücklichen Lage, daß hier einige, rechtansehnliche Funde uralter Zeit aufgedeckt und der Nachwelt erhalten find. So fand man am 24. Sept. 1924 bei Landsberg drei Grabstellen und eine Wohngrube aus der frühesten Bronzezeit, 2000 v. Chr.

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Roitzschgen 1909 eine henkellose Urne mit Leichenbrand, 3000 Jahre alt.
Zörbig, ein 16 cm hohes Gefäß der älteren Bronzezeit, etwa 2000 Jahre v. Chr.
Glebitzsch, ein mandelförmiges Bronzebruchstück.
Groß-Möhlau, 2 Gräber, sowie 16 Gefäße, 2 Urnen und Scherben.
Jüdenberg, Gefäß mit 2 Henkeln und Scherben.
Stumsdorf, 14 Urnen.
Bitterfeld und Brehna mehrere Urnen.
Mühlbeck, Gerät aus Bronze.
Düben, ein Bronzebeil und 2 Urnen und so könnte die Aufzählung noch weiter fortgesetzt werden. Alle diese Funde erzählen uns, daß schon vor Jahrtausenden Menschen unsere Heimat belebt haben.

III. Aeltere Steinzeit.

Das erste Auftreten des Menschen in Deutschland fällt in die Eiszeit. In eine Zeit, wo Rentier, Nashorn, Mammut und andere längst ausgestorbene oder nach dem Norden gezogene Tiere unsere Heimat bewohnten. Aus Feuerstein fertigte man feine Waffen und Werkzeuge, Untere engere Heimat hat bisher keine Funde aus dieser Zeit aufzuweisen. Nur hei Holzweißig (Grube Leopold) wurden Knochen von Mammut, Nashorn und Riesenhirsch, im eiszeitlichen Abraum über der Braunkohle gefunden. Die Eiszeit und somit die Steinzeit fällt in die Zeit des Quartus (Quartärzeit), in der unsere ganze menschliche Geschichtsüberlieferung steckt und in der wir gegenwärtig noch leben. Die Tertiärzeit (Tertius) vor der Quartärzeit füllte unser Europa mit einem Tropenklima aus, wie es heute in Afrika der Fall ist.

IV. Jüngere Steinzeit (4000–2000 v. Chr.)

Die ersten früheren Spuren des Menschen bei uns stammen aus der jüngeren Steinzeit. Dieses beweist der

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der Fund eines großen Scherbenstück eines Gefäßes bei Groß-Möhlau 1925.

Dieses Muster des bei Groß-Möhlau gefundenen Gefäßes haben wir allerdings auch in den Funden bei Bitterfeld zu verzeichnen, ebenso bei Mühlbeck und Mescheide. Die Menschen der jüngeren Steinzeit lebten in unserer Heimat als Ackerbauer und Viehzüchter. Haustiere, wie Rind, Schwein, Schaf, Ziege, Pferd und Hund, waren schon damals vorhanden. Auf den Feldern wuchs Hirse, Hafer und Roggen wurde damals noch nicht gebaut! Um so mehr aber Weizen und Gerste. Metalle kannte man noch nicht, und so behalf man sich mit Geräten aus Stein, Holz und Knochen.

V. Bronzezeit (2000 v. Chr.)

Als erstes Metall war in Deutfchland Kupfer bekannt. Sehr bald aber versteht man das weiche Kupfer durch einen Zusatz von Zink zu härten. Diese Mischung ist die Bronze. Die Bronzezeit reicht von etwa 2000 bis 800 v. Chr. und wird in 3 Perioden eingeteilt. Aus der ersten Periode (2000–1700 v. Chr.) fehlen Funde in unserer Gegend vollständig. Aus der zweiten Periode (1700–1400 v. Chr.) gilt als einziger Fund eine Bronzenadel von Burgkemnitz. Die eigentliche Besiedelung setzt erst in der dritten Periode ein (1400–1200 v. Chr.). Aus der Lausitz dringen Menschen über die Elbe vor, Illyrier genannt, die an ihren Tonwaren mit spitzer Buckelverzierung (gefunden wurden Gegenstände bei Pouch) erkenntlich sind. – Während der vierten Periode (1200–1000 v. Chr.) ist diese lausitzer Kultur in unserer engeren Heimat nur in Großmöhlau und Mescheide vorhanden. Aus der fünften Periode 1000–800 v. Chr.) sind einige Funde bei Gräfenhainichen und Mescheide zu verzeichnen. Das Klima während der Bronzezeit soll erheblich wärmer als heute gewesen sein. Es war eine Trockenzeit, die mehr als 1000 Jahre dauerte. Infolgedessen war das Waldgebiet zwischen Saale und Elbe nicht so ausgedehnt wie heute. Die Menschen der Bronzezeit bei uns lebten von

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Ackerbau und Viehzucht, wie schon die Steinzeitleute taten. Der Hafer wird jetzt als neues Getreide angebaut.

VI. Eisenzeit (800 v. Chr. bis Chr.. Geb.)

Mit Beginn der Eisenzeit setzt ein kühleres, feuchteres Klima ein. Das Eisen findet Eingang in Deutschland und löst die Bronze ab. Die Eisenzeit wird in zwei Abschnitte eingeteilt, eine ältere 1000–400 v. Chr. (Hallstattzeit) und eine jüngere (400 v. Chr. bis Chr. Geburt) (Latènzeit). In unserer Heimat, in der in der früheren Zeit bei uns die Illyrier saßen, zogen nun auch die Germanen von Anhalt her ein, die, wie es scheint durch Kämpfe die Illyrier verdrängten. Kennzeichen der anrückenden Germanen sind Hausurnen und Steinkistengräber. Von letzteren wurden 1890 und 1900 einige Gräber bei Golpa gefunden.

Aus dem zweiten Abschnitt der vorrömschen Eisenzeit sind Funde bei Pouch, Mühlbeck und Muldenstein zu verzeichnen.

VII. Frühgeschichtliches.

Sandersdorf wird zum ersten Male in den Urkunden des Klosters zu Brehna 1373 erwähnt. Von da an ist also unser Ort, sowie die meisten anderen der näheren Umgebung, geschichtlich bezeugt. Von da an können wir für unseren Ort die geschichtliche Zeit rechnen. Was vorher geschah, kann nur aus Vorgängen erschlossen werden, die sich auf beiden Seiten der Mulde abgespielt haben und über die eine genaue geschichtliche Kenntnis vorhanden ist.

In den ersten Jahrhunderten bewohnten die Hermunduren (Thüringer) das Gebiet zwischen Saale und Elbe. Als aber im Jahre 531 der Thüringerkönig Hermanfried von den nach Osten vordringenden Franken unter Mithilfe der Sachsen bei Burgscheidungen geschlagen worden war, zerfiel das Reich der Thüringer und damit ein Bollwerk der Germanen gegenüber den von Osten nachdrängenden Slaven. Langsam nahmen die Sorben die ganze Gegend

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bis an die Saale in Besitz, die nun bis ums Jahr 800 zum Grenzfluß von Germanen und Slaven wurde.

Bis zur Zeit Karls des Großen hatten die Sorben dies neue Gebiet inne. Aus dieser Zeit wissen wir nur wenig. Aber die vielen Städte und Dörfer mit sorbischem Namen sagen uns, wie weit slavische Siedlungen ausgedehnt waren. Im Kreise Bitterfeld und Delitzsch ist berechnet, daß hier noch etwa 210 Dörfer den sorbischen Namen tragen. Diesem stehen nur je 50 deutsche Namen gegenüber. Die Abstammung der Namen erkennt man zumeist aus der Endung. Die Dörfer auf itz, itzsch, auch, ig, ik, igst, ebenso owe, ow, aw, au sind sorbischer Abstammung. Solche Dörfer mit sorbischem Namen unserer Umgebung sind Renneritz, Roitzsch usw.

Wann die Sorben in unsere Gegend gekommen sind, ist nicht genau festzustellen. Sie besetzten zunächst die von den germanschen Völkern verlassenen waldfreien Niederungen und die Flußrinnen. Erst später sind sie in unser Gebiet eingedrungen, welches damals riesige Waldbestände hatte. Etwa um 600 wird angenommen, daß unsere Heimat von den Sorben besiedelt worden ist. Lange Zeit müssen sie dieses Gebiet zwischen Saale und Elbe besetzt gehalten haben. Doch zur Zeit Karls des Großen begannen die Grenzkämpfe zwischen diesen beiden Nachbarn. Etwa 100 Jahre währte der Kampf um die Grenze. Karl der Große stieß 805 bis 806 bei Bernburg nach Südosten über die Saale vor und besiegte die dort wohnenden Slaven. Als später in Ostfrankenreich große Unstimmigkeit herrschte, drangen die Slaven wieder über die Saalegrenze nach Westen vor. So gab es in diesem Jahrhundert dauernde Grenzkämpfe um die Saale. Daraus ist zu schließen, daß eine Ansiedlung von Deutschen östlich der Saale der Gefahr wegen noch nicht stattgefunden hat. Erst um die Jahre 950–980 scheinen die deutschen Siedler an der Elbe und Mulde entlang sich vorgeschoben zu haben.

Mit der Besitznahme des Landes durch die Deutschen sanken die sorbischen Landbewohner immer mehr zu Hörigen herab, deshalb wurden auch die Mönche und

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Priester der Deutschen nicht gerade freudig begrüßt. Allerdings war die Kultur der Sorben damals eine weit niedrigere als der Deutschen.

Im Jahr 983 brach ein Slavenaufstand aus, dem eine Reihe von Kriegen zwischen Polen und Deutschen folgten. Erbitterung und Grausamkeit herrschte auf beiden Seiten. Besonders schlimm waren die Verwüstungen durch die Polen bei Zerbst und Leitzkau. Mehr als 100 Dörfer wurden in unserer engeren Heimat verwüstet, von der Bevölkerung mehr als 9000 Männer und Frauen gefangen fortgeführt. Wer infolge Alters und körperlicher Schwäche nicht imstande war, dem Sieger in die Knechtschaft zu folgen, wurde niedergemacht.

Nach all diesen jahrelangen Kämpfen begann um das Jahr 1100 eine neue Siedlungsarbeit. Deutsche Fürsten holten aus den altdeutschen Ländern Siedler in die Gegend zwischen Elbe und Saale und ließen neue Orte schaffen. So ist anzunehmen, daß die Orte mit der Endung "dorf", also Sandersdorf, Beyersdorf, Stumsdorf und viele andere, durch fränkische Bauern um die angegebene Zeit entstanden find.

Im Jahre 1159 erließ Markgraf Albrecht der Bär einen Aufruf in die Niederlande, indem er für seine Länder Siedler suchte. Der Ruf Albrechts war nicht vergeblich. Die Flamen oder Fläminger kamen in Scharen und setzten sich an der Elbe und Mulde entlang fest, wo sie Flamenkolonien bildeten. So wurde dieses durch die vielen Kriege verödete Land langsam wieder besiedelt. Auch wurden mehrere große Dörfer und Siedlungen gegründet. So sind Bitterfeld, Schmiedeberg, Wittenberg, Kemberg als Flamensiedlungen anzusehen.

Daß außer den Franken und Flamen auch Deutsche andere Stämme, wie Sachsen, Thüringer, Schwaben ins Sorben- und Wendenland kamen, bezeugt die Klage des Wendenfürsten Pribislaw vom Jahr 1164: "Wir sind vertrieben aus dem Lande unserer Väter und des Erbes unserer Väter beraubt. Der Herzog hat uns das Erbe genommen und überall Fremdlinge eingesetzt, Flamen, Holländer, Sachsen und Westfalen und andere Nationen." Eine große deutsche Kolonisationszeit war die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts.

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Die Klage der bisherigen Bevölkerung, die hier Pribislaw ausspricht, mag vielerorts berechtigt sein. Aber durch die Besiedelung des Landes durch die Deutschen war ein ungeheurer Fortschritt zu verzeichnen. Die Kultur des Landes wurde auf eine ganz besondere Höhe gebracht. Und erst seit dieser Zeit kann man die alte Sorbengegend unsere engere Heimat, als deutsches Land ansprechen.

Mit der Besiedelung unserer engeren Heimat durch fremde und deutsche Stämme ist es verständlich, daß die Ortsnamen unserer Umgegend so verschiedenartig lauten und ebenso verschiedenartiger Herkunft sind. Unter den Begriff Ortsnamen werden nicht nur die Ortsnamen im engeren Sinne, die eigentlichen Siedlungsnamen, zusammengefaßt, sondern alle geographischen Namen, die einen Teil der Landesoberfläche benennen, Flurnamen, Wassernamen, Wald und Bergnamen, die ihrem Wesen nach geeignet sind, gelegentlich zur Bezeichnung eines Wohnplatzes zu dienen.

Es gibt nun Ortsnamen, die ihrem Sinne nach nichts anderes ausdrücken als schon den Bestand einer richtigen Siedlung am Wohnplatz z. B. Dorf (Sandersdorf), heim (Talheim), hausen (Sangerhausen), usw. . Dazu gehören auch die Namen besonderer Gattungen von Siedlungen, etwa kirchlicher, z. B. -kirchen, -zell, ferner gewerblicher Art z. B. mühl, diese ganze Gruppe liefert naturgemäß einen Hauptteil der Siedlungsnamen. Auch Namen die an menschliche Kulturtätigkeit anknüpfen, an die Bearbeitung des Bodens z. B. acker, ried, schwand, an Tierzucht, an Grenzen und Schutzanlagen, z. B. burg, oder die Wege und Sammelpunkte des Verkehrs zwischen den einzelnen Siedlungen bezeichnen z. B. markt, straße gehören hierzu.

Die hier gegebene Uebersicht über die Ortsnamen läßt für sich allein schon einen Blick in die Bedeutung der Ortsnamen tun. Neben ihnen gibt es zahlreiche andere, für deren Wortbilder unsere heutige Sprache keine Bedeutung mehr findet.

Unsere Ortsnamen gliedern sich also in ältere und jüngere Schichten, deren Elemente im Allgemeinen um so

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mehr verblassen und um so schwieriger festzustellen sind, je länger der Weg ist, auf dem sie zu uns kamen.

Die ersten Ansiedler an einem Orte belegten alles was ihrem nächsten Interesse galt mit einem passenden Namen, das Wasser, das Tal, das Feld, den Wald, kurz alles was sie interessierte und so entstanden die verschiedenartigen Namen, z. B. Sandersdorf wird angenommen ist von den ersten Siedlern nach seinem sandigen Boden genannt, jedoch besagt der frühere Ortsname "Alixanderisdorf", daß dieser Name nach einer Person, vielleicht des ersten Siedlers genannt ist. Auch besteht die Möglichkeit, daß unser Ort, der früher mit einer Lehmmauer umgeben, eine Hufeisenform annahm, wendischen Ursprungs ist und, daß die ersten Siedler durch die Franken verdrängt wurden, die sich nun hier niederließen und dem Ort den Namen Alixanderisdorf gaben, der später in "Sandersdorff" abgeändert wurde.

Bitterfeld ist gegründet 1153 durch die Flamen. Im Jahre 1280 kam es bei "Piterwelt" (Bitterfeld) zu einem Treffen zwischen dem Erzbischof Bernhard von Magdeburg einerseits und den Wettinern, dem Grafen v. Brene, dem Markgrafen von Landsberg und anderen Schlössern andererseits. Nach hartem Ringen hatten die Magdeburger das Treffen verloren.

Am 4. April 1489 wurde Bitterfeld von einer großen Feuersbrunst heimgesucht, wobei 36 Höfe in Asche gelegt worden sind.

VIII. Chronik.

Wie schon einmal gesagt worden ist, sind die wichtigsten Akten und Urkunden, die zur Aufstellung einer Chronik benötigt würden, bei einem Pfarrbrand am 19. Oktober 1718 vernichtet worden. Aber ich glaube, daß es mir doch gelungen ist, fast alles noch Vorhandene zusammenzutragen. Diese Chronik ist zusammengestellt aus alten Kirchenakten sowie aus alten Familienakten und folgenden Werken:

Die Nonnen des Klosters zu Brehna (v. Schmidt)
"Golpa, im Wandel der Jahrhunderte."

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Sandersdorf (Alixanderisdorf)

ist gegründet von fränkischen Bauern etwa um 1110 bis 1160. Seit 1531 ist es freies Amtsdorf, bis dahin gehörte es zum Kloster Brehna. Die Flur von Sandersdorf raint nach Norden mit Thalheim, nach Osten mit Bitterfeld, nach Süden mit Zscherndorf, gegen Westen mit Heideloh und Ramsin. Dazwischen liegen die "wüsten" von noch vor und während des 30jährigen Krieges untergegangenen Ortschaften: nördlich Kolpin, westlich Stakendorf und Krondorf oder Krottendorf, südlich Odeley und Eckeln;
letzteres lag ganz in Sandersdorfer Flur. Südlich von Zscherndorf lag Hungersdorf, südöstlich Gräfendorf. Die Flur nordöstlich von Sandersdorf hieß der Oberbruch, die angrenzenden Wiesen die Herzogwiesen, südlich die Eckelmark und westlich der Brand, dieser gehörte zum Rittergut Ramsin und war früher Laubwald.

Sandersdorf ist ein altes Pfarrdorf,

wozu bis 1575 noch Zscherndorf, Stakendorf, Greppin, Reuden, Thalheim und Wolfen gehörte. Bei der eingehenden Visitation i. J. 1555 wird die Sandersdorfer Parochie beschrieben: Sandersdorff und seine Filial Tscherndorf, Stakendorff, Kreppin, Reuden, Thalheim, Wolfen.

Zwanzig Jahre später wurde die Parochie Sandersdorf aufgelöst.
Die Gemarkung Sandersdorf ist zirka 4000 Morgen groß. Zu Sandersdorf gehören: "Grube Richard, Vergißmeinnicht, Marie, Antonie, Hermine, die Hälfte der Deutschen Grube, sowie das Forsthaus Stakendorf, die Säurefabrik und Werk 1 (Süd)". Sandersdorf gehört zum Kreis und zur Ephorie Bitterfeld. Die ältesten kirchlichen Akten von Sandersdorf datieren von 1663.

Sandersdorf wird verkauft.

Am 2. Juli 1373 traten die beiden Brüder Rudolf und Heinrich von Zwochau auf Zschernitz dem Kloster

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zu Brehna die beiden Dörfer Kolpin und Sandersdorf für 30 Schock neue Kreuziger Groschen ab.

Herzog Rudolf I. hatte Kolpin und Sandersdorf an von Zwochau verpfändet, und die Dörfer nicht zur festgesetzten Frist eingelöst, sodaß sie dessen freies Eigentum geworden waren.

Bestätigung fand der Verkauf der beiden Dörfer am 2. Februar 1374 durch Herzog Wenzel zu Sachsen, der sich aber dabei das Recht der obersten Beschirmung und Herrschaft vorbehielt.

Etwa 40 Jahre waren die von Zwochau Besitzer beider Dörfer; folgendes Schriftstück besagt: "Dafür wir gar wohl bezahlt sind und haben darauf ihn und seine Bürger ledig und los gelassen. Wie nun unsern Eltern und wir daselbst unser Gut länger denn vierzig Jahr gehabt haben ohne Ansprache also weisen wir es auch fort an das Gotteshaus zu Brehna." Zwischen den Sandersdorfer Bauern und den Flämingern (Bitterfelder) scheint stets ein gutes Einvernehmen gewesen zu sein. Dieses geht daraus hervor, daß die Bitterfelder die Sandersdorfer öfters gegenüber dem Herzog in Schutz nahmen.

Bei dem ausgedehnten Landbesitz des Klosters waren Streitigkeiten mit den Nachbaren nicht zu vermeiden. So beschwerten sich im Jahre 1490 die Nonnen des Klosters zu Brehna beim Kurfürst Friedrich dem Weisen (1486–1525) über die Bitterfelder, weil sie sich einige Güter in der Mark Sandersdorf, die dem Kloster gehörten, angeeignet hatten.

Die Bitterfelder gedenken dasselbige Gut mit Freiheit und Gewalt uns armen Klosterjungfrauen zu einem merklichen Schaden vorzuenthalten, das dann uns arme Jungfrauen schwer zu tragen ist unseres Dorfes halber, das deshalb verwüstet wird. Deshalb bitten wir ew. Fürstliche Gnaden demütiglich als unsern gnädigsten Herrn uns gnädigst zu erhören, daß die von Bitterfeld uns von Jahr zu Jahr in unsere Güter greifen. Deshalb haben wir sie an E. F. G.-Gericht gewiesen, bis die Sache zum Austrag kommt und bitten E. F. G. als unsern gnädigen Herrn und Landesfürsten E. F. G. wolle denen von Bitterfeld gebieten, daß sie uns armen Jungfrauen unsere

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Güter überlassen. Würde aber E. F. G. erkennen, daß wir solche Güter nicht haben sollen, so wollen wir armen Jungfrauen uns damit zufrieden geben.

Am 27. März 1491 fällte der Kurfürst auf die Beschwerde der Klosterjungfrauen folgendes Urteil:
"Nachdem die Würdigen und Innigen, unsere Lieben Andächtigen, Priorin und Sammlung des Jungfrauenklosters zu Brehna, einesteils und unsere Bürger zu Bitterfeld, genannt die Fläminger anderseits, lange Zeit gegeneinander in Irrung gestanden, der sie nun durch unsern Landvogt zu Sachsen, Rat und lieben Getreuen, Ern Heinrich Löser, Ritter, auf unsern Befehl, durch Wechsel und anderes Uebereinkommen gütlich geschieden und vertragen sind, nämlich, daß die genannten Klosterjungfrauen zu Brehna die Viehtrift und die Wiese von Sandersdorf herab, das man den Oderbruch nennt, neben den Herzogswiesen bis an den Graben, der vom Kahlen Berge an die Herzogswiesen geht und fortan dieselbigen Wiesen schneidet, mit den Stücken, so die Fläminger von der Landwehr bis an den Ort haben, behalten und gebrauchen sollen ohne Irrung und Hindernisse durch die Fläminger. So sollen die Flaminger ihre Stücke, zwischen der Landwehr und der genannten Wiese gelegen, einesteils die Streitländer genannt, nach ihren Malen gebrauchen wie vormals und von alters Herkommen ist, dazu sollen ihnen die Klosterjungfrauen geben eine Wiese, bei der Hainrinne gelegen, die einer, genannt Puchel zu Mühlbeck, bisher gehabt, so weit und so fern sie der genannte Puchel gebraucht und genossen, die nun die gedachten Fläminger genießen und gebrauchen sollen und mögen. Auch sollen die von Sandersdorf in offener Zeit, so man die Wiesen nicht heget, auf den genannten Wiesenwachs mit ihrem Vieh treiben, desgleichen die von Bitterfeld wiederum auch also tun mögen."

Im Jahr 1486 war amtlich festgestellt worden, daß das Kloster Brehna, dem Sandersdorf gehörte, auch auf den Dörfern das Halsgericht habe, das heißt das Recht über Leben und Tod. 1525 wurde auf Befehl des Klostervogts in Sandersdorf ein Mann hingerichtet.

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Der Bitterfelder Amtsmann Heinrich erhob sofort Einspruch, worauf der Kurfürst am 14. Oktober 1525 die "Fronstätte" durch den Bitterfelder Amtsmann abbrechen ließ und dem Kloster verbot weitere Blutgerichte auszuüben.

1543 beklagte sich der Klostervogt Busch zu Brehna auf das neue bei dem Kurfürst, daß der Bitterfelder Amtsmann sich das Obergericht in Zscherndorf angemaßt habe. In der Schenke zu Sandersdorf seien Vergehen vorgekommen, die unter das Gericht des Klosters fallen. Es sei aber kein Stock vorhanden, um die Sünder gebührend, bestrafen zu können. Der Kurfürst möge daher gestatten, daß das Kloster einen solchen aufstelle, oder, daß der Bitterfelder Amtsmann dies tue.

Dieser Einspruch aber wurde von dem Kurfürsten am 20. Januar 1543 bis auf weiteres abgelehnt.

Sandersdorf hatte um diese Zeit viel Weinberge, sowie große Fischereimöglichkeiten. An das Kloster mußten viele Jahre Zinsen und Abgaben an Vieh, Früchten usw. abgeliefert werden. Ebenfalls mußte Sandersdorf Prädels Mark bei Odeley abtreten.

Sandersdorf und Brehna hatten an das Kloster zu entrichten jährlich aus ihren Schäfereien: 73 Schock, 11 Groschen, 9 Pf.

Aus einer Niederlage zu Sandersdorf war zu entrichten: 1 Schock, sowie 60 Schock Garben Weizen oder Gerste.

Zscherndorf wurde ebenfalls wie Sandersdorf an das Kloster zu Brehna verkauft

wie folgendes Schriftstück besagt:
"Das Kloster Brehna erhielt am 25. November 1310 alle unsere Güter zu Sernigk (wüster Kirchenort in der Flur Bitterfeld. beim "Johannislober") und Czerndorf, in Hüfen, Aeckern, Hufen, Wäldern, Hölzern, Wiesen, Weiden und Fischereien, in alten und neuen Wegen." Es zahlte dafür 120 Mark in Silber und bar.

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Der Bauernkrieg.

Das Jahr 1525 war außerordentlich unruhig. Die Wogen des Bauernkrieges drangen auch über die Grenzen Thüringens hinaus. Ist es auch nicht überall zu offenem Aufruhr gekommen, so war doch die Furcht vor diesem bei allen Grundbesitzern groß. Der Haß der geknechteten Bauern ließ das Schlimmste befürchten. Nicht einmal die Klöster und Kirchen waren vor ihnen sicher. Die Achtung, die man im Mittelalter vor den Insassen der Klöster gehegt hatte, war lange dahin geschwunden und vielfach in das Gegenteil verkehrt. Man sah in ihnen meist nur Tagediebe und Faulenzer. Auch in unterer Gegend gingen die Wogen der Erregung hoch. Am 10. Februar 1526 wandte sich der Rat des Klosters an den Kurfürsten. Er klagte "wie sich nächstvergangen zwischen Pfingsten und Ostern an etliche Orte Aufruhr begeben" und bat um Schutz, der dem Kloster später auch in vollem Maße gewährt wurde.

Die Reformation.

Die Reformation in der Parochie Sandersdorf.

Seit 1539 durchzogen diese "von dem Kurfürsten Johann den Beständigen eingesetzten Visitationskommissionen" das Land. Zum ersten Male kam eine solche in den Bitterfelder Bezirk im Jahre 1531. In Bitterfeld leitete 1531 der Wittenberger Probst und Rektor der Universität Jonas die Verhandlungen, ihm zur Seite stand ein Jurist, der kurfürstliche Rat Johann von Taubenheym, Herr von Steinlausigk und Pöplitz und der Amtmann zu Bitterfeld.

Folgendes Schriftstück lautet:
"Freitag nach Judica, dem 31. März 1531 fand die erste evangelische Kirchenvisitation in Bitterfeld statt, wobei dasiger Pfarrer zum Superintendenten für den Kirchenkreis Bitterfeld berufen wurde. Das Kloster Brehna, dem die Patronats-, Lehns- und Gerichtsherrschaft u. a. auch über Sandersdorf und Zscherndorf zustand, wurde zur

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allmählichen Auflösung bestimmt, womit besagtes Recht von selbst aufhörte und diese Klosterdörfer zu Amtsdörfern sich umwandelten.

Aus dem Sandersdorffer Visitations-Protokoll von 1531 heißt es:
"Sandersdorff": diese pfarr ist der Domina und closters zu Brena lehen, hat ein filial und volgend eingepfarrt Dörfer, nemlich: Sandersdorf 11 Hufner, 9 gertner;
Kreppin, mit 2 rittersitz, 3 Hufner, 13 gertner;
Czerndorff, mit 8 Hufner und 8 gertner.

Der bisherige Pfarrer blieb seiner alten Kirche jedoch treu, was im Protokoll so ausgedrückt wird: Der Pfarrer jetziger Zeit ist ein ganzer "Papist", auch ungelehrt und ungeschickt befunden, hat die "Papisterei" bis auf diesen Tag mit Trotz getrieben; darum ist er der Pfarre entsetzt und ein anderer 4 Wochen vorläufig an seine Stelle geordnet. . . . Doch soll er vom Ostertage an vier Wochen in der Pfarre geduldet werden, damit er sich in dieser Zeit "versehe"; ferner sind ihm auf 2 Jahre 30 Scheffel jährlich zum Unterhalt zu gewähren. Bessert er sich in dieser Zeit und wird zur Verkündung des Evangeliums geschickt befunden, mag er sich wieder um ein Pfarramt bewerben.

Bei der zweiten Visitation im Jahre 1533 klagt der Pfarrer über außerordentliches liederliches Leben innerhalb des Kirchspieles und selbst "unter den Predigten lasse die Schwelgerei nicht nach", was den "Bauern mit ganzem Ernst untersagt wurde", bei Vermeidung der Strafe und churfürstlichen Ungnade".

Von großem Umfang wird die Parochie bei der eingehenden Visitation i. Jahre 1555 beschrieben: Sandersdorff und sein filial Tscherndorf, Stakendorff, Kreppin, Reuden, Thalheim, Wolffen. Sandersdorff ist das lehen der Domina und closters Brena gewesen.

Kreppin ist der Edelleut Andres und Hansens der Quasen und Hansen Jochim Preuß, hat 23 wirt, ist die Kirch abgebrannt am Freitag vor Pfingsten dieses 55 jars, waren die Edelleut wol zufrieden, das dis Dorf mit der selsorg gen Bitterfeldt geschlagen wurde. Reuden ist des

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Hansen Schilling, Thalheim ist Hansen Zandierers, hat 36 wirt, 6 Hufner.

Wolffen gehört ins ampt Bitterfeldt, hat 6 Hufner und 14 gertner, ist ein neu Dorf, vor 4 1/2 jahren erbaut,
Neuen Jeßnitz ganz nahe, könnt mit der selsorg daraus am bequemsten versehen werden.

Tscherndorff gehört ins closter Brena, hat 16 wirt.
Stackendorff ist der Preußen zu Kreppin, hat 9 wirt, ist auch neu erbaut.

1575 gehörten zu Sandersdorf nur Greppin, Zscherndorf und Stakendorf als "Filial". Noch 1575 und später heißt es von Zscherndorf, daß es "dem Kloster Brena gehört", d. h. in polizei- und gerichtlicher Beziehung wurde es von, dem zunächst weiter bestehenden Klosteramt in Brehna mit verwaltet; 1598 jedoch gehören Sandersdorf und Zscherndorf ins Amt Bitterfeld, Stakendorf dem Edelmann Jochim von Preuß und Greppin dem Rat von Bitterfeld.

1531 werden schon mehrere "Tongruben" erwähnt, von welchen der Pfarrer jährlich 20 Groschen zu seinem Einkommen bezieht. Näheres darüber fehlt jedoch.

Dem Hussitenkrieg 1419–1436

fielen eine ganze Anzahl Elbe- und Muldedörfer anheim und wurden zerstört. 1446–1451 bekriegten sich die Brüder Herzog Wilhelm und Kurfürst Friedrich von Sachsen. Die Leute auf den Dörfern fühlten sich in ihren ungeschützten, einsamen Weilern nicht mehr sicher und verzogen sich hinter die schützenden Stadtmauern. So kam es, daß all die kleinen Orte in der Nähe einer Stadt verschwanden und ihre Gemarkungen zur Stadtflur kamen. Auch unsere Gegend wurde in dieser Zeit arg mitgenommen, und Städte und Dörfer zugrunde gerichtet, in diese Zeit fällt sehr wahrscheinlich der Untergang der Dörfer bei Sandersdorf und Zscherndorf: Eckeln, Gräfendorf, Hungersdorf, Kolpin, Kronendorf, Odeley, Predel?, Ramsin und Stakendorf, von welchem nur die beiden letzten, wie auch die beiden etwas entfernter liegenden Orte

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Wolfen und Zschepkau, um 1555 wieder aufgebaut und besetzt worden sind. Von der 2. Zerstörung im 30jährigen Kriege konnte sich Stakendorf jedoch nicht wieder aufrichten, da auch die Bewohner verschollen blieben.

1544 wurde das Kloster zu Brehna (erbaut von der Witwe des Grafen Friedrich von Brehna, der Gräfin Hedwig im Jahre 1201) aufgehoben, jedoch die Sandersdorfer wüsten Teichanlagen blieben dem Verwalter des Klosters für den Staat zur längeren Benutzung. Diese Teichanlagen waren bekannt als die fischreichsten der Umgebung bis vor etwa 50 Jahren.

Dr. Martin Luther als Gönner des erden evangelischen Pfarrers zu Sandersdorf mit Zscherndorf.

Luther und Johannes Bugenhagen legten 1536, anfangs Juli beim Landesherrn Kurfürst Johann Friedrich eine Fürbitte ein um "Besserung der Pfarrgüter" zu Sandersdorf im Amt Bitterfeld. Nach ihrer und des Sandersdorfer Pfarrers Mathäus Steigener Vorstellung beschloß der Kurfürst, daß die zwei zur Pfarrei gehörigen wüsten Hofstätten zwei redlichen Bauern mit je 2 Hufen, deren die Pfarre 7 innehatte, zum ordentlichen Anbau ausgetan werden sollten, wofür diese dem Pfarrer jährlich 2 Scheffel Korn, 6 1/2 Groschen Zinsen und 4 tägige Fron zu verwilligen hatten. Laut Verfügung vom Tage Margarete, den 13. Juli 1536 an den Amtmann zu Bitterfeld.

Durch unsere Gegend ist Luther oft gezogen, so 1519 zur Disputation nach Leipzig, im April 1521 zum Reichstage nach Worms. Er ritt oder fuhr dann die alte Heerstraße entlang über Halle, Wittenberg. Sandersdorf ist niemals von ihm besucht worden. Der erste Ev. Pfarrer wurde 1531 in sein Amt eingesetzt, dieses war der Pfarrer Mathäus Steigener.

Der 30 jährige Krieg 1618–1648.

Daß fast alle unsere Dörfer während des Krieges schwer gelitten haben, dürfte bekannt sein. Nach alten

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Urkunden und Kirchenrechnungen zu urteilen, geht allerdings das Leben bis 1637 seinen gewohnten Gang. Man merkt fast nichts von Rückwirkungen der Schlacht in unserer Nähe, an der Dessauer Elbbrücke 1626 oder der Schlacht von Breitenfeld 1631, vor der sich die Heere von Schweden und Sachsen in Düben trafen, oder bei Lützen 1632. Nachdem der schwedische Feldherr Banér sich aus Sachsen und Pommern zurückgezogen, wohin ihm die vereinigten kaiserlichen und sächsischen Truppen gefolgt waren, war ganz Sachsenland von Räubern und Freischützen angefüllt. Auch in der hiesigen Gegend hausten solche Banden, in den dichten Wäldern sicheres Versteck findend. Eine dieser Horden hatte sich hinter der zwischen dem Dorfe Niemegk und der Mulde in der Saulage gelegenen Leiseringsschanze festgesetzt und von da aus längere Zeit Raubzüge unternommen, bis endlich 9 Reiter den Befehl erhielten, das Raubnest zu zerstören. Die Soldaten fanden aber harten Widerstand und mußten die Flucht ergreifen; an der Lachenbrücke wurden sie jedoch von den sie verfolgenden Räubern eingeholt, umringt und niedergemacht.

Wie die Stadt Bitterfeld, so ist im 30jähr. Kriege auch die Pfarramtspflege Sandersdorf furchtbar heimgesucht worden; das um 1555 neuerbaute Dorf Stakendorf mit seinem Edelhof und 8 Bauerngütern, total vernichtet, ist heute noch Wüstung und bildet als solche einen staatlichen Forstbezirk. Nur ganz allmählich konnten sich Sandersdorf, Zscherndorf und Greppin wieder erholen; als der Bitterfelder Amtsschösser nach wiederholt ergangener, amtlich öffentlicher Vorladung der verschollenen Besitzer endlich die wüsten Güter unterm 18. November 1661 öffentlich feilbot, um solche "wegen der gnädigsten Herrschaft Interesse wieder an gewisse und ordentliche Besitzer" zu bringen. Da verzeichnete die veröffentlichte "General-Subhastation u. a. als besitzerlos"
in Sandersdorf
1. Jonas Bergers Guth
2. Christoph Reichenbachs sen. Guth

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3. Lorentz Burckhausens Guth
4. Georg Strobels Guth
5. Heinrich Sacks Guth
6. Georg Plodens Guth
7. Georg Zanders Guth
8. Valtin Hesens Guth
9. Hans Crausens halbe Huefe.

Furchtbar müssen in unserer Umgegend die Schweden sowohl wie die kaiserlichen Truppen gewütet haben. Vom 13. Februar bis 27. Februar 1637 wurde Sandersdorf, besonders die Schäferei mit seinen über 1000 Stück Schafvieh zerstört, 14 Tage lang hausten hier die Schweden. Der alte Kirchhof im Dorfe mit seinen dicken Mauern war die letzte Zufluchtstätte der schwer gedrückten Bevölkerung. Aber auch die Kirche, sowohl wie der Kirchhof war vor diesen mordend und brennend durch das Land ziehenden Truppen nicht sicher, auch hier wurde die Bevölkerung niedergemacht. Greueltat auf Greueltat häuften die Schweden auf ihre Schulter, nicht achtend ob die Bevölkerung Papisten oder Protestanten waren. Die ganze Umgegend (besonders in den Wäldern) wimmelte es von schwedischen Kriegstruppen unter dem Befehl des schwedischen Feldherrn Banér.

Wie die Schweden und die kaiserlichen Truppen in unserer Gegend gewütet haben, zeigt folgender Brief von Zörbig an den damaligen Herzog Christian I.:

"Gnädigster Fürst und Herr,
Welcher gestallt. – Nun ist gnädigster Fürst und Herr, notorium und Landkündig, was für schwere und unerträgliche Einquartierung, unzehlige viele Einquartierungen, mit Raub und Brand, von 1636 bis in das 1645. Jahr, von Freunden und Feinden, wegen des Passes ins Fürstenthum Anhalt, wir über uns ergehen lassen, erdulden und ausstehen haben müssen und wie so gar unbarmherzig, barbarisch und tyrannisch, allermeist von der kaiserl. Armee, mit uns armen Unterthanen gehandelt und umgegangen worden, daß es mit Worten nicht genugsam zu exprimiren, es auch fast kein Heide oder Türke grausamer und abscheulicher machen, noch vor die

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Hand nehmen können; also gar, daß auch ob solcher unmenschlichen Tyrannei und unchristlichen Proceduren, kein einziger Mensch sich in der Stadt mehr aufhalten, sondern wir alle insgesamt, mit Weib und Kind, etliche viele Mal davon fliehen, und in der Fremde, zu 10, 15 und 20 und mehr Wochen aneinander, in Hunger und Kummer, Frost und Kälte uns aufhalten, die Stadt, unter Hab und Gut und ohne das Geringste, Armut, mit dem Rücken ansehn und alles zu Raub, Plünderung und Brand hinter uns lassen müssen. Und geruhen Ew. Hochfürstl. Durchlaucht gnädigst, nachfolgende Specialien, wie mit uns armen Leuten, in den über uns ergangenen vielen Plünderungen, umgegangen in Gnaden zu erwegen und zu beherzigen : denn erstlich sind nicht allein wir, die Rathspersonen, sondern auch die meisten von der Bürgerschaft, so nicht alsobald davon geflohen, theils bis auf die Hemden, theils aber gar splittersasen nackend ausgezogen, etliche aber mit Prügeln also jämmerlich geschlagen und zugerichtet worden, daß man auch nicht eine heile Stätte an ihrem ganzen Leibe finden können, sondern alles mit Blut unterlaufen, daß es abscheulich und ohne Thränen nicht angesehen werden mögen. Etliche haben sie mit schwedischen Tränken und Einfüllen von Mistfützen und anderen Unflaths in den Leib, theils mit Rütteln der Köpfe, daß die Augen, als Hühnereier groß, herausgetreten, etliche mit Anlegung der Daumstöcke an die Hände und Füße; auch theils mit Zusammenbindung der Finger und folgendes Zusammenrütteln derselben, dermaßen gepeinigt und gequält, daß es einen Stein in der Erde erbarmen möge, und solches einzig und allein um Geld und andere Sachen zu bekommen. Dabei haben sie es aber nicht bleiben lasen, sondern die Bürgermeister und theils Rathspersonen, sind von den schwedischen Völkern gefänglich mit hinweggeführt, teils Bürger gar erschossen worden, auch, nachdem sie etliche Kinder, welche die Eltern zurücklassen müssen und die ihnen in der Flucht nicht folgen können, ergriffen, haben sie Feuer in

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die Backöfen gemacht, die Kinder davor gestellt, mit Bedrohung, wo sie nicht sagen würden, wo die Eltern das Geld vergraben, daß sie dieselben stracks hinein in das Feuer stecken und dann verbrennen wollten. Theils alten Weibern und Kindern haben sie Stricke um die Hälse geworfen, damit aufgezogen und erhängen wollen. Unsere Häuser sind nicht allein zu Grund ausgeplündert, alles aus den Böden und in Scheuern noch vorhandene wenige Getreide, als unsere Lebensmittel, ganz und gar ausgedroschen, die Betten ausgeschüttelt und samt allen häuslichen Vorrathen an Pferden, Kühen, Schweinen und anderem Vieh, dermaßen hinweggeraubt worden, daß auch in der ganzen Stadt nicht soviel übrig geblieben, davon ein einziger Mensch seinen hungrichen Magen sättigen mögen. Daher viele Rathspersonen und Bürger haben sterben müssen. Die Thüren, Fenster, Ofen und alle anderen Mobilien haben sie zerschmissen und zerschlagen und muthwilligerweise ins Feuer geworfen. Die Bücher der Kirche, der Geistlichen und anderer Leute Bücher haben sie auf Wagen geladen und mit sich hinweggeführt. Und Summa, die Stadt so verderbet, daß einem ein Grausen angekommen und alle Haare gen Berge gestanden, wenn man darein gehen sollen. Und solches alles ist vom Jahre 1636 bis 1641 in den Plünderungen, hintenan gesetzet die dabei mit unterlaufenden schweren Einquartierung also ergangen.

Zörbig, den 6. October 1654.
Der Rath zu Zörbig."

Aus diesem Schriftstück ist zu ersehen, wie schwer die Bevölkerung in diesen Jahren unter den im Lande herumziehenden Schweden zu leiden hatte. Ueberall wo Banèr mit seinen Kriegstruppen gewütet hatte, waren Dörfer, Städte und Fluren verwüstet und zerstört. Menschen gemordet, ein Bild des Grauens bot sich dem Auge wohin es blickte. Um dieselbe Zeit, wo die Städte Zörbig, Bitterfeld, Gräfenhainichen usw. verwüstet wurden, ist auch Sandersdorf ein Opfer der Schweden geworden.

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Das ehemalige Pfarrgericht zu Sandersdorf hatte nur noch 3 Unterthanen, 2 Bauern und 1 Kosaht, wurde aber trotzdem selbständig verwaltet. Die noch nicht abgelöste Schutzgebühr betrug von ersteren je 2 Zinshühner und 4,67 Mk. Dienstgeld, von den Kosahten 1 Mk. Schutzgeld.

1661 lag Sandersdorf noch ganz veröd. Zum Beispiel dachte an die Wiederaufnahme der Schenkgerechtigkeit kein Mensch, sodaß die Schenke mit Feld öffentlich verkauft werden mußte. Als Käufer fand sich Elias Ochse, der die wüste Baustätte mit Garten, 2 Hufen Feld, 2 Gemeindestücken und sonstige Gerechtsame für 40 Gulden == 105 Mk. erwarb. Die alte Schenke, die ganz verwüstet war, wurde nun auf derselben Stelle wieder neu errichtet. Die alte Schenke befand sich gegenüber der Kirche in der Schenkgasse (jetzt Poststraße Haus Nr. 4). Rings um die Schenke war alles Acker, auch einige kleine Waldstücke sowie Wiesen mit fruchtbarem Ertrag befanden sich hier.

Gleich nach Beendigung des 30jährigen Krieges brach in den bewohnten Gegenden wo die Schweden gewütet hatten Hungersnot aus, wobei auch unsere Heimat nicht verschont worden ist.

1582 wütete in unserer Gegend schon einmal die Pest und die Cholera, die eine Anzahl Menschen dahinraffte. Die Leute mußten ihre Angehörigen oft selbst beerdigen, da sich wegen Ansteckungsgefahr niemand mehr aus den Häusern wagte. Da eine geregelte Beerdigung nicht stattfand, wurden die Leichen vereinzelt, aber auch in Massengräber verscharrt. Die Kirchhöfe, die vielfach zu klein waren um die vielen Toten aufzunehmen, reichten deshalb nicht immer aus, sodaß die Vergrabung der Leichen sehr oft auf dem Felde vorgenommen wurde. Hierdurch gerieten die Gräber mit der späteren Zeit vollständig in Vergessenheit.

Bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der Handels- und Völkerverkehr auf der alten Heerstraße von Nordosten her abgewickelt. Diese ging durch die Flur Brehna, die sogenannte Lößebene zwischen Roitzsch und Brehna.

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Später ist der alte Heerweg zur 12 m breiten Landstraße umgebaut. Auf dieser Straße befanden sich auch einige Schlagbäume sowie Wohnhäuser für den Chausseegelderheber.

Diese Straße ist von den Sandersdorfer Bauern viel benutzt worden. Seit Urzeiten diente diese alte Heerstraße dem Verkehr und mancher Fuhrmann mußte Vorspann zu Hilfe nehmen, weil er in der ungepflasterten zerfahrenen Straße stecken geblieben war. Welche Wohltat die jetzige schöne ebene Straße für Post- und Frachtverkehr, für Tiere und Menschen ist, bedarf keiner besonderen Ausführung.

Stakendorf wurde 1555 neu erbaut.

Im "Husitten-Krieg" 1419–1436 scheint es schon einmal zerstört worden zu sein, aber 1555 neu erbaut. 1637 ist es zum zweiten Mal zerstört. Es bestand damals aus einem Edelhof und 8 Bauerngütern. Stakendorf war nach Sandersdorf eingepfarrt.

Die Stakendorfer hatten ihren eigenen, heute noch vorhandenen Begräbnisplatz auf dem Sandersdorfer Kirchhof. Derselbe ist sowohl im Grundbuche, als örtlich vom Gottesacker zu Sandersdorf gesondert, obwohl beide nebeneinander und innerhalb einer und derselben Einfriedigung liegen. Tote dürfen darauf nicht beerdigt werden, sondern steht die Nutzung vom Stakendorfer Gottesacker dem Pastor zu Sandersdorf, observanzmäßig zu. Um 1506 wohnte in Stakendorf ein Nikolaus von Brand, vermählt mit Margarete von Helldorf. 1555 war das adel. Gut im Besitz derer von Preuße; noch 1633 am 10. April stand der Junker Ludwig v. Preuße aus Stakendorf bei Meister Duches Kind zu Bitterfeld Gevatter. 1637 geschah die Zerstörung des Ortes, und, da die Einwohnerschaft verschollen, vielleicht gemordet war, so ging die wüst gewordene Mark an den Fiskus über, der den Acker mit dem 1637 fiskal gewordenen Rittergut Greppin vereinigte, später mit Holz bepflanzte. Seit 1881 befindet sich hier ein Försterhaus. Die Stakendorfer hatten an den Sandersdorfer Pfarrer Abgaben zu entrichten.

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Diese wurden von dem Fiskus übernommen, aber im Jahre 1859 abgelöst.

Der Stakendorfer Busch, 900 Morgen groß, ein fiskalischer Forstbezirk, gehört jetzt zur Oberförsterei Zöckeritz. Im Stakendorfer Busch befindet sich jetzt noch eine Vertiefung, hier soll der Stakendorfer Gemeindebrunnen gestanden haben. Ueber der Gemeindefläche steht jetzt noch Wald, es ist möglich, aber nicht bestimmt, "daß", wenn auch hier einmal der Abraum-Bagger angesetzt wird, noch alte Ueberreste von diesem Dorf zu finden sind. Ob allerdings noch Ueberreste der Bewohner zu finden sind, ist fraglich, da die Stakendorfer Bewohner in Sandersdorf auf dem Kirchhof beerdigt wurden. Während und auch nach dem 30jährigen Krieg hat in vielen Orten der Umgegend die Pest schrecklich gewütet, sodaß die Bevölkerung teilweise in den nahen Wäldern Zuflucht suchte. Unter der Heideloher Windmühle hielt man 1680 die Taufen sowie den Gottesdienst ab, da die Geistlichen sich nicht mehr in die verpesteten Dörfer hineinwagten.

Der Schwed' im Land, der Schwed' im Land!
Der bringt dem Bauer Schimpf und Schand!
Der bringt den Bauern sicheren Tod!
Hui, he, nun helf' dem Bauer Gott!

Dieser Vers mag von der gedrückten Bevölkerung wohl sehr oft gebraucht worden sein.

Wann Kolpin (nördlich) und Krottendorf oder Krondorf untergegangen sind, läßt sich nicht feststellen. Dieses ist aber lange vor dem 30jährigen Krieg geschehen. Laut mündlicher Mitteilung haben 23 Sandersdorfer die aus 3 Lehnshufen bestehende Krottendorfmark von dem Rittergut Ramsin gekauft und hatten dafür zusammen 1 Scheffel Roggen an die Pfarre zu entrichten. Krondorf lag westlich von Sandersdorf, ungefähr dort, wo sich die Kantine der Bitterfelder Luisengruhe befindet, rechts von der Straße nach Ramsin. Dieses Gelände ist ausgebaggert und ist Eigentum der Bitterfelder Luisengrube.

Im Jahre 1918 wurden beim Ausbaggern des Abraumgeländes ein noch fast gut erhaltener Brunnen freigelegt, dem aber sehr wenig Achtung gezollt worden ist.

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Da das Holz des Brunnens Eiche war, ist es verständlich, daß es sich so lange gehalten hat.

Odeley und Eckeln lagen südlich von Sandersdorf.

Auch diese zwei Orte sind wahrscheinlich in dem "Husitten-Krieg" genau wie die Orte: Predel, Gräfendorf und Hungersdorf (die zwei letzteren südlich von Zscherndorf) untergegangen.

Odeley.

Wüstes Dorf, dessen Marke im nördlichen Teile der Zscherndorfer Gemarkung liegt. Unter den Gütern des ehemaligen Klosters zu Niemegk bei Bitterfeld, welche nach Aufhebung des Letzteren 1150 dem Petersberger Kloster überwiesen wurden, befinden sich laut Schenkungs-Bestätigungsurkunde Markgraf Konrads von Meißen vom 30. November 1156     8 1/2 Hufen in "Odeley".

Herzog Wenzel von Sachsen und Graf von Brehna schenkt laut Urkunde von 1385 den geistlichen Jungfrauen des Klosters zu Brehna "das Dorf, genannt die Odeley", mit Aeckern, Wiesen unter Vorbehalt des Rechts der obersten Beschützung und Herrschaft. Mit der Schenkung irgend eines Ortes oder einer Flur an das Kloster erwarb sich der betreffende Landesfürst oder Landeshauptmann die besondere Gunst der Klosterinsassen; diese zogen aus dieser Schenkung ihren Nutzen und brachten es somit sehr oft zu beträchtlichem Vermögen.

Gräfendorf (südöstlich) und Hungersdorf, (südlich von Zscherndorf) ebenfalls im "Husitten-Krieg" untergegangen, lagen in der zum Gutsbezirk Ramsin gehörigen Mark.

Im Jahre 1553 verkaufte der Edelmann Peter von Reibitzsch mit Einwilligung seiner Mitbelehnten etzlichen Leuten zu Zscherndorf 9 Hufen Landes in Gräfendorfer Mark erb- und eigentümlich.

1557, Freitag nach Laurenti (10. August) verkaufte Aßmus Westregel aus Ramsin siebendehalben Hufen Landes,

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jede Hufe 18 Acker (39 Morgen) gerechnet, auf Hungersdorfer Wüstenmark, die er ihrer weiten Gelegenheit halben für seine Haushaltung nicht weiden konnte, "den Leuten zu Zscherndorff", so sie vorhin laßweise von ihm innegehabt, erblich für Lehn und eigentümlich als an Claus Zscherndorff 1/2 Hufen für 21 Gulden.

   Michael Lange      1/2   Hufen für 21 Gulden
   Paul Grube         1       "    "  42   "
   Gregor Fraundorf   1 1/2   "    "  63   "
   Vinzens Lange      3       "    " 126   "

1 Gulden == 21 Groschen oder 2 Mark 62 1/2 Pfennig. Zusammen um 273 Gulden je 21 Groschen an guter Meißnischer Währung; dergestalt, daß diese Hufen weder von denen zu Renertz (Renneritz) noch von seinen Untertanen zu Ramsin "mit sollen betrieben noch sonsten mit Gräserei beschweret" werden. Die Käufer und ihre Nachfolger waren verpflichtet, an Westregel und dessen Besitznachfolger jährlich auf Martini von jeder Hufe 1 Scheffel Korn und 1 Scheffel Hafer zu zinsen und endlich in jedem Lehnsfall 21 Groschen. "zu Lehnware zu geben". Geschehen zu Bitterfeld in gegenwart Walten Schellers Amptschössers nach Christ unsers liben Herrn und seligmakhers Geburt zum xv. C. 1500 vnd lvij 57 Jahre Freitagk nach laurentij.

Beim Ausbaggern des Abraumgeländes der Grube "Vergißmeinnicht" zwischen Zscherndorf und Sandersdorf legte der Bagger 1914 eine Anzahl Gräber frei. Der Umriß des Sarges war an den schwarzen Streifen noch gut zu sehen. Das Alter der Knochen wurde auf 1000 Jahr geschätzt. Es soll dieses der Kirchhof von Hungersdorf gewesen sein. Auch ein noch gut erhaltener Brunnen ist später hier gefunden worden.

Zscherndorf.

(Czerndorf, Czscherndorff, Tscherndorff, Zschernendorff, Zscherndorff) wurde ebenfalls wie Sandersdorf im Jahre 1637 zerstört und verwüstet. Am 18. November

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1661 waren noch 13 Bauerngutbesitzer für verschollen erklärt und die Güter öffentlich verkauft.

Aßmus Westregel versetzte etlichen Bauern zu Zscherndorff aus seinem Rittergut Ramsin 9 Hufen Landes auf Gräfendorfer Mark auf Wiederverkauf, jede Hufe um 35 Gulden.

Später behaupteten die Zscherndorfer gegen Aßmus Westregel, daß diese 9 Hufen erblicher Besitz sei, daher ihnen bei der Kirchenvisitation 1575 aufgegeben ward, von jeder dieser Hufen 2 Scheffel Korn an den Sandersdorfer Pfarrer jährlich zu entrichten.

Pfarrabgaben.

Zscherndorf ist nach Sandersdorf eingepfarrt und hat an die Pfarre zu entrichten im Jahre 1555     44 1/2 Scheffel Korn, gibt ein itzlicher von 1 Hufen 2 Scheffel, ausgenommen Ulrich Han, der dem Pfarrer nur 1/2 Scheffel darreicht; ferner 15 Bratwürste und 4 Groschen ungefähres Opfer. Es sollen u. a. auch die zu Tscherndorff von der Mark "Grevendorff" und "Trudeley" (Odeley) von jeder Hufe 1 Scheffel Korn geben.

Bis etwa 1822 gingen die Zscherndorfer Kinder nach Sandersdorf zur Schule; dann hielt die Gemeinde sich selbst einen Lehrer, welcher in den Wohnstuben der Eltern lehren mußte. Später mietete man eine Stube, in welcher der Lehrer fast 20 Jahre lang gleichzeitig wohnte und unterrichtete. 1842 endlich wurde ein Schulhaus gebaut. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts soll im Dorfe ein königliches Forsthaus – vielleicht für Stakendorf – gewesen sein. Die katholischen Kinder von Zscherndorf besuchten die Schule in Sandersdorf bis 1910. Da die Zahl der kath. Kinder in Sandersdorf sich fortgesetzt steigerte, waren Schulbauten und die Anstellung eines neuen Lehrers erforderlich. Diese erheblichen Schullasten weigerte sich die Gemeinde Sandersdorf zu tragen; deshalb ist in Zscherndorf den katholischen Kindern ein Klassenzimmer zur Verfügung gestellt worden. Als erster katholischer Lehrer wurde in Zscherndorf Herr Lehrer Johannes Finke berufen.

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Wolfen

gehörte in kirchlichen Beziehungen früher zur Parochie Sandersdorf. Da der Pfarrbezirk für einen Pfarrer zu groß war, beklagten sich die Orte "Wolfen, Reuden, Thalheim gelegentlich einer im Jahre 1555 abgehaltenen Kirchenvisitation", wie der Pfarrer sehr langsam zu ihnen komme, wenn er ihnen das Sakrament reichen soll. Erst bei der 1575 abgehaltenen Kirchenvisitation ordnete man namens des Kurfürsten von Sachsen die Teilung der Parochie Sandersdorf an: Greppin, Stakendorf, Zscherndorf blieben bei Sandersdorf, Reuden aber wurde neuer Pfarrort mit den Tochterkirchen Thalheim und Wolfen; das erst neuerbaute Zschepkau kam zum Kirchspiel Reuden.

Laut Vertrag vom 14. Juni 1581 kaufte "Ein Ehrbarer Rath und ganze Gemeine zu Bitterfeld" von Heinrich von Gleißenthals hinterlassenen Söhnen Hans, Ernst und Siegmund das Rittergut Greppin mit dem Dorfe Wolfen, der Schäferei zu Sandersdorf, Vorwerk Wachtendorf und sonstigen Zubehör für 30000 Gulden.

Thalheim.

Bis 1575 war es Tochterkirche von Sandersdorf. Die aus Bruchstein errichtete Kirche soll um 1200 gebaut sein und in frühester Zeit seinen eigenen Pfarrer gehabt haben. In der Matrikel der Reudener Pfarrer von 1555 steht wörtlich: "Auch ist zu Thalheim ein pfar Hufen, welche vorzeitten von andechtigen Leuthen zur pfar testiert und von Bauern untterschlagen ist, besag einer sehr alten schrifft. Inn einem pergamenen Meßbuch von 1369".

Thalheim wurde im 30jährigen Krieg im Jahre 1640 zur Hälfte zerstört; viele Bauern wurden vertrieben und das Kirchenvermögen geplündert.

Als die Teilung des großen Sandersdorfer Pfarrbezirks im 16. Jahrhundert schwebte, richteten sowohl die Herren von Zanthier als auch deren Thalheimer Unterthanen an den Landesherrn, die Bitte "vmb etliche Stemme Bauholz vnd ein steuer von Geld", damit die zerfallene

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Tochterkirche wieder aufrichten könnten. Man wollte erreichen, daß Thalheim durch den "Wiederausbau der Kirche Pfarrsitz würde, wozu noch Wolfen und Reuden kommen sollte.

1575 kam die Teilung zustande, jedoch wurde die Pfarre Reuden zugeteilt. 1751 ist die Kirche vergrößert worden. 1822 größere Reparatur im Innern der Kirche.

Den 6. Oktober 1825 brannten in Thalheim 6 Gehöfte, darunter die Schenke und die Schule ab.

1827, den 24. Juni brannten nochmal 15 Wohnhäuser, 3 Auszugshäuser, 23 Ställe und 15 Scheunen, zusammen 56 Gebäude nieder.

Thalheim liegt 4 km nördlich von Sandersdorf und ist ein sehr langgestrecktes Dorf. Seit 1928 geht von Sandersdorf die neuangelegte Straße in gerader Linie vom Bahnhof nach Thalheim, bis dahin befand sich zwischen beiden Orten ein tiefes Kohlenfeld der Grube "Karl Ferdinand", um diese Grube ging bis dahin der Weg nach Thalheim.

Rechts der Thalheimer Straße hat die Baugenossenschaft "Sandersdorf" mit dem Bau mehrerer Häuser begonnen. Im Herbst 1928 wurde der erste Spatenstich zu diesen Häusern getan.

Johann Gottfried Schnabel

Schriftsteller und Verfasser der deutschen Robinsonade "Insel Felsenburg", ein Sandersdorfer Pfarrerssohn. Im Pfarrhaus zu Sandersdorf wurde dem Pastor M. Johann Georg Schnabel am 7. November 1692 ein Sohn namens Johann Gottfried geboren, welcher als Schriftsteller der deutschen Literaturgeschichte angehörte und bis etwa 1750 gelebt hat. Sein unter dem Autornamen "Gisander" verfaßtes Hauptwerk ist die berühmte deutsche Robinsonade "Wunderliche Fata einiger See-Fahrer" (Insel Felsenburg), Nordhausen 1731–1743, ein einst vielgelesenes Buch, welches auch zur Jugendlektüre Goethes gehört hat. Seine Mutter, Hedwig Sophie geb. Hammer

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ist die Tochter von seines Vaters Amtsvorgänger in Sandersdorf, des Pastors Gottfried Hammer, gewesen.

1701 wurde die Kirchweih (Kirmes) von dem damaligen Pastor (Karl Otto) wie folgt festgesetzt: "Das Kirchweih oder Kirmesfest" fällt in Sandersdorf nach Martini, fällt der Martini ins Dezember aus Montags, so ists doch 8 Tage darauf. Die Greppiner Weihe oder Kirmes ist 8 Tage nach der Sandersdorfer und wird der Pfarrherr und Schulmeister durch Pferde und Wagen von Bauerngut daselbst geholet und auch wieder rüber gebracht.

1713 brach in Bitterfeld ein großes Feuer aus, welches in 2 Stunden 92 Häuser und das Rathaus zerstörte und der Kirchturm ausbrannte.

1715 am 12. Juni wurden in Glebitzsch durch einen schweren Sturm 6 Wohnhäuser, 20 Scheunen und viele Ställe zerstört.

In Sandersdorf hat der Sturm weniger Schaden angerichtet.

1718 ist eingezeichnet: "Das uralte Kirchenbuch, wie auch hier vorgebrachte Nachrichten, Pfarrakten und dergleichen und was bey dem Pfarrgericht vorgefallen, welches itzo sehr nötig wäre, ist in dem großen Brande 1718, den 19. oktobris alles verbrand, so daß man itzo, wenn wegen des eingeäscherten und nun wüsten, ehemals aber hier eingepfarrten Stackendorf etwas gesucht wird nichts zu finden weiß". Am 19. Oktober 1718 brannten also in Sandersdorf 18 Bauernhöfe nebst Pfarrhaus ab, wobei Pfarrarchiv nebst Bibliothek verloren gingen. Dieser Brand ist wohl einer der größten gewesen der Sandersdorf heimgesucht hat, fast das ganze Dorf ist dabei vernichtet worden, dieses ist bei dem damaligen Baustil mit Strohdächern nicht verwunderlich.

1751 gleich nach dem Johannisfest war hier eine große Ueberschwemmung. Ganz Greppin war unter Wasser gesetzt, nur der Kirchhof ist trocken geblieben. Die Menschen mußten in die oberen Etagen fliehen. Der

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Sandersdorfer Pfarrer mußte bei Ausübung seines Amtes bis an die Knie im Wasser waten.

Um diese Zeit scheint auch das Hermannsche Haus hinter dem Bad der Luisen-Grube erbaut zu sein. Am Treppenaufgang der alten Treppe war die Jahreszahl 1763 eingearbeitet. Im Garten dieses Grundstückes wurde viele Jahre später ein Topf alter Geldstücke bis in das Jahr 1326 zurückreichend gefunden.

Am 3. September 1751 wurde hier ein Brautpaar vom Petersberge getraut. Der Bräutigam war seiner Länge wegen den preußischen Werbern aufgefallen und sollte von diesen bei seiner Trauung in der Kirche auf dem Petersberge weggehascht werden. Der Anschlag war noch rechtzeitig verraten und hatte sich das Brautpaar durch die Flucht nach hier ins Sächsische gerettet, wo sodann auch ihre Trauung vollzogen wurde. Es waren dies Karl Friedrich Mäerker, Sohn des Königl. Preuß. Amtmannes auf dem Petersberge und Jungfrau Maria Christine Berg, Tochter des Gastwirts daselbst.

1753 großes Viehsterben in Sandersdorf und Zscherndorf; in beiden Orten fielen 141 Stück Rindvieh, 309 Schafe, 18 Schweine, 12 Bullen. Auch der Pfarrer verlor seine 12 Kühe.

1754 wurde bei einer Ueberschwemmung die ganze Ernte vernichtet.

1755 hat die Mulde ebenfalls alles überschwemmt. In diesem Jahre war ein sehr kalter Winter mit viel Schnee. Das Vieh ist im Stalle erfroren.

Am 29. September 1755 wurde auf hohen Befehl anläßlich des Religionsfriedens am 25. September 1555 ein Jubelfest veranstaltet. Von 12 bis 1 Uhr wurde mit allen Glocken geläutet. Die Sandersdorfer Bauern nebst Kinder nahmen im Festtagsgewande daran teil. In der Kirche fand ein Gottesdienst statt.

Von der sittlichen Strenge damaliger Zeit legt folgende Eintragung in das Kirchenbuch Zeugnis ab.
"Am 20. April 1755 hat Judith Hirschfeldin weyl Martin Hirschfelds gewesenen Einwohners in Zscherndorf

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hinterlassene jüngste Tochter ein unzeitig Hurkind, ein Knäblein, geboren, welches Tags darauf, abends in der Stille auf dem Kirchhof verscharret wurde. Dieses böse Mensch war an eben diesem Tage Dom. Jubilate zum heil. Abendmahl, nachmittags 4 Uhr kriegt sie das Kind in der Stuben ihres Dienstherrn Joh. Friedrich Voigt, Anspänner allhier in Sandersdorf und da dieser mich abends spät ersuchte, zu dieser Hure zu kommen, weyl selbiche sehr krank, so verfügte ich mich dahin und erfuhr mit Entsetzen, daß der Verführer ein Ehemann, namens Dornack, welcher Bösewicht vor 2 Jahren allhier Nachtwächter gewesen, zu der Kirmeß aber allhier in der Schenke sich eingefunden dieses Mensch zum Branntweintrinken forneret und daselbst im Garten Unfug getrieben. Ich habe sofort an Herrn Superintendenten berichtet und durch den Ortsrichter es der weltl. Obrigkeit anzeigen lassen, die sich Tags darauf hierher begeben und durch den Chirurgium besichtigen lassen und gefunden, daß das Kind ungefähr 5 Monate alt und die Aussagen eintreffen. Gott wende die Obrigkkeit zur Gerechtigkeit und behüte diesen Ort und Gemeinde vor dergleichen Sünde."

1757 Mittwochs vor dem Trinitatis 13. Juli lies der gerechte Gott in der Filial Greppin ein Feuer kommen, es brach aus abends 5 Uhr als alle Leute auf dem Felde waren und zerstörte 6 Häuser, es war eine große Dürre und Hitze. 1757 war eine überaus gute Korn-Ernte, der Scheffel kostete 2 1/2 Thaler.

1758 am 15. September wurde eine Kindermörderin Dorethea Magdalena Rathmann in Bitterfeld hingerichtet, wobei der Sandersdorfer Pfarrer sie nach der Richtstätte begleiten mußte.

Der 7jährige Krieg 1756–1763

ist auch an Sandersdorf nicht ganz spurlos vorübergegangen, wie folgende Kirchenbuchsnachricht besagt: "Am 30. November 1758 abends 9 Uhr rückten allhier 450 Bäckersknechte und Tragenknechte von der Kgl. Preuß. Armee, welche der Graf von Donah kommandierte,

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und hinterließen als sie einen Tag. Rast gehalten und von den Einwohnern beköstigt und mit Fourage versehen 3 Tote zurück, welche mir zur Beerdigung übergeben werden. Ich habe solche bei itzig lamentoser Zeit und da ich von ihrer Religion sowohl, als ihrer Bereitung zum Tode nichts erfahren können, am 3. Dezember vor dem 1. Adventus von den hiesigen Einwohnern auf hiesigem Kirchhof seitwärts, nachmittags 4 Uhr zur Erde bestatten lassen, jedoch ohne Geläute und in der Stille. Ihre Namen wurden mir von obgedachten Kommissario folgendermaßen angegeben :

1. Joh. Lindemann, ein Bäckersbursch aus Altbrandenburg.
2. Joh. Gottfried Jäckel aus Königsberg in Preußen, auch ein Bäckerbursch.
3. Chridoph Widder, ein Tragenknecht aus dem adlichen Gut Liedkeufersin in Preußen.

1759 am 16. Februar wurde eine alte 76 jährige Frau wegen Mordes an einem 4jährigen Kind in Renneritz hingerichtet. Zuerst wurde sie gefoltert, dann enthauptet und an ein Rad geflochten.

Am 2. Pfingsttag, den 4. Juni 1759 ging über Sandersdorf ein schweres Gewitter nieder, der Blitz schlug in Lorenz Schmids Wohnhaus und zerstörte es vollständig. Das gegenüberliegende Bauerngut von Christoph Möbius wurde ebenfalls eingeäschert.

1759 kommen preußische Kriegstruppen durch Bitterfeld, die auch Sandersdorf streiften.

1760 am 21. September nahm das 17000 Mann starke Herzogliche Württembergische Korps rings um Bitterfeld Quartier. Die Kavallerie wurde auf den Dörfern untergebracht. In Sandersdorf und Greppin lag ein Regiment. In der hiesigen Pfarre waren der Obrigstleutnant von Chame und Obrist von Eyl sowie 7 Pferde untergebracht. Die Truppen kamen aus der Richtung Halle und rückten nach kurzem Aufenthalt wieder in Richtung Wittenberg weiter, wo sie an der Schlacht bei Torgau teilnahmen.

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1761. Die Mulde ist übergetreten und hat weit und breit alles überschwemmt.

1763. Ueberall ist großer Jubel. Der Friede wurde am 21. 3. auf dem Jagdschlosse Hubertusburg geschlossen.

1764 am 18. Mai wurde die seit dem 17. Oktober 1762 in Untersuchungshaft befindliche Anna Christine Blom wegen Diebstahl und Brandstiftung in Wolfen lebendig verbrannt; der Wolfener Richtplatz befand sich in Wolfener Marke am Wege nach Thalheim.

1766 am 8. Juni ertrank im Bauernteich beim Baden der Bauernsohn Johann Christian Schmidt, 17 Jahr alt.

1795 brach hier ein großes Feuer aus, welches die Querreihe Haus 2–6 am alten Schulplatz, sowie die große Linde einäscherte, hierbei sind 9 Stück Rindvieh und vieles andere Vieh umgekommen.

1797 am 13. April (grüner Donnerstag) entstand in Zcherndorf ein großes Feuer, wobei mehrere Gehöfte und Vieh verbrannten, darunter auch das Wohnhaus, Stall und Scheune von Gottlieb Chasmanns.

1798 am 16. Februar mittags um 1 Uhr brach hier ein Feuer aus, das das Gehöft von Schmidt – Rudolf – Schulze und August Prautzsch in Asche legte.

Am 17. Februar 1798 brannten ebenfalls wieder einige Häuser ab.

1763 machte unsere Heimat schon einmal eine Inflation durch. Das preußische Kriegsgeld fiel auf 1/3 des Wertes. Für ein Achtgroschenstück gab es nur 3 Groschen. Der Scheffel Korn kostete 14 Taler, eine Kanne Butter l Taler 10 Groschen.

1770, 71, 72 war in Beyersdorf, Glebitzsch und Köckern eine sehr große, ganz außerordentliche Wassersnot, entstanden durch großen Schneefall und Regen. Auch war in diesen Jahren eine sehr schlechte Ernte, dazu kam noch Hochwasser, welches das Getreide auf dem Felde vernichtete. Der Scheffel Korn kostete 8 Taler. In vielen Gegenden war die Teuerung so groß, daß die Leute Stroh schnitten zum Brotbacken.

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1785 war der Winter so stark, daß die Bauern zu Ostern mit dem Schlitten zur Kirche fuhren. Der Lohn für einen Maurer oder Zimmermann betrug um diese Zeit von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends – 7 Groschen. Der Scheffel Korn kostete 2 Taler 4 Groschen, Weizen 3 Taler 2 Groschen.

1804 – 1805 war eine große Teuerung. Roggen kostete der Scheffel 4 Taler, Weizen 6 – 7 Taler, Gerste 3 und Hafer 2 Taler 4 Groschen. In Delitzsch kostete der Scheffel Weizen 18 Taler.

1813 am 23. Oktober, 10 Uhr früh, kamen. Se. Majestäten der König, die Königin und Prinzessin Auguste von Sachsen, viele Minister, Generäle und Hofbediente durch unsere Gegend. Als Eskorte der Fürst Gallicin nebst 100 Mann Kosacken. Die Königsfamilie waren Gefangene, sie reisten über Aken nach Berlin weiter. In der Tabakfabrik von Jäger in Zörbig nahmen die Herrschaften auf kurze Zeit Quartier.

Aus der Kriegszeit 1806– 1815

wo in unserer Gegend das Durchziehen von Militär nicht aufhörte, war während der vielen Durchzüge die Ruhr ausgebrochen, woran in Zörbig 150 Kinder und Erwachsene starben. Die Einwohner wollten keine Einquartierung mehr annehmen, ebensowenig wollten die Soldaten nach Zörbig, weil von einer ganzen Kompanie preuß. Garde, die von der Ruhr hier angesteckt worden, wenig Leute am Leben blieben.

Am 17. Oktober kamen die bei Jena und Halle geschlagenen Preußen flüchtend durch unsere Gegend.

Am 21. Oktober mittags 12 Uhr kam Napoleon mit einem Armeekorps von 60000 Mann und der gesamten Garde am Halleschen Thore vorbeimarschiert und zog nach Radegast zu.

Die Befreiungskriege 1813–1815.

Am 17. Februar 1813 kamen die ersten retirierenden Franzosen aus Rußland zurück; das 7. und 10. Kürassier–Regiment,

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die beide auf 200 Mann zusammengeschmolzen waren, lagen 16 Tage in Zörbig. Das 7. und 20. franz. Chaffeur-Regiment lag 10 Tage in Zörbig.

1813 lagen vor Sandersdorf und den umliegenden Dörfern mehrere Tage die Russen. Zwischen Thalheim und Sandersdorf am "Kulich" hatten sie ihr Lager aufgeschlagen. Während dieser Zeit hatte die Bevölkerung unter den Kosacken, die sehr schmutzig gewesen sein sollen, schwer zu leiden. Den Bauern wurde das Vieh aus den Ställen geholt und abgeschlachtet. Bei den Bäckern wurde Brot und Mehl geplündert. Wo die Tore nicht gleich geöffnet wurden, halfen die Pferde nach. Die Einwohner fühlten sich in ihren Häusern geschweige denn auf der Straße nicht mehr sicher. Der "Kulich" der damals noch ein größeres Ausmaß hatte als heute diente als Mittelpunkt des Russenlagers, heute ist er nur noch ein kleines Stück wüstes Gestrüpp. Im April hatte auch Zörbig starke russische Einquartierung.

Am 22. September machten die Kosacken einen Ausfall nach Heideloh zu einer Attacke gegen die im Stakendorfer Busche stehenden Italiener, kamen aber unverrichteter Sache wieder zurück.

Am 10. Oktober lag die ganze 150000 Mann starke Nordarmee mit 15 Generälen und 500 Offizieren auf unseren Nachbardörfern. Die einzelnen Regimenter lagen vom Petersberge bis Reuden und hatten sich größtenteils verschanzt, weil Napoleon bei Düben ihnen gegenüberstand. Zörbig hatte die Ehre, in dieser Nacht die Prinzen Wilhelm und August von Preußen, den Prinzen von Hessen-Homhurg, Generalfeldmarschall Blücher, die Generäle York, Bülow, Gneisenau zu beherbergen. So war unsere nähere Umgegend durch das Hin- und Herwogen der Kämpfe auf beiden Seiten, zum Mittelpunkt dieser beiden Heere geworden. Militärs aller Gattungen und aller Länder sowohl die höchsten Führer und Generäle lernte unsere Umgegend kennen.

Wie sich der Aufmarsch zu den weiteren gewaltigen Kämpfen vollzog, zeigt folgender Bericht.
Die Nordarmee bestand aus Preußen, Russen und Schweden. Der

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Kronprinz Karl Johann von Schweden, der frühere französische Marschall Bernadotte hatte das Oberkommando. Die 2. schlesische Armee, ungefähr 100 000 Mann stark, bestand aus Preußen und Russen und wurde von dem General von Blücher kommandiert. Am 3. Oktober rückte Blücher bei Elster über die Elbe nach Düben vor. Am 9. Oktober räumte Blücher Düben, da Napoleon mit starker Heeresmacht von Dresden kommend nach Düben vorrückte. Am 10. Oktober zog Napoleon in Düben ein; mit der Absicht, dem Feldmarschall Blücher einen überraschenden Schlag beizubringen. Dieser zog sich jedoch bei Annäherung der großen Armee auf das linke Muldeufer gegen Zörbig zurück. Napoleons Absicht soll gewesen sein, möglichst Blücher und die Bernadottesche Nordarmee zu vernichten und die Hauptarmee im ebenen Gelände zwischen Düben und Leipzig zum Hauptkampf zu erwarten. Nachdem Blücher und Bernadotte in Düben den Entschluß gefaßt hatten, Napoleon auszuweichen und gemeinsam über die Saale zu gehen und sich bei Halle aufzustellen, zog die Nordarmee von Raguhn und Jeßnitz kommend nach Zörbig zu marschierend hier durch unsere Gegend, wo Quartiere auf unseren Nachbardörfern bezogen wurden. Als Napoleon sah, daß er die Blücherarmee nicht mehr vor sich hatte und einen Stoß ins Leere gemacht hatte, zog er nach kurzem Aufenthalt in Düben mit seiner ganzen Armee in Eilmärschen gegen Leipzig. Er war entschlossen, bei Leipzig den Verbündeten eine entscheidende Schlacht zu liefern.

Als Blücher sah, welchen Plan Napoleon vorhatte, rückte auch seine Armee sowie die Nordarmee nach Leipzig ab.

Am 16. bis 19. Oktober 1813 kam es dann zu der Schlacht bei Leipzig.

Es ist dabei zu beachten, daß untere sächsische Gegend damals für Preußen Feindesland war, da die Sachsen Verbündete von Napoleon waren.

Als Blücher daher im Mai 1813 die sächsische Grenze überschritt, erließ er einen Aufruf an die Sachsen. Sie sollten sich erheben und auf Seiten der Verbündeten treten. Aber der Aufruf wirkte nicht. Der große deutsche

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Gedanke war noch nicht mächtig genug. Als Blücher am 5. Oktober 1813 in unsere sächsische Gegend einzog, erließ er folgenden Befehl an seine Truppen: "Ich muß sehr bitten, daß die Herrn Korps-Kommandanten mit aller Strenge darauf achten, daß den Landleuten keine Pferde geraubt oder auch zum Privat-Gebrauch weggeführt werden." Wie schon einmal gesagt, waren wir für die Preußen hier Feindesland.

Erst durch den Wiener Kongreß 1815 kam der ganze nördliche Teil Sachsens an Preußen. Besonders unsere Gegend lernte den Krieg vor allem 1813 kennen, da wir im Aufmarschgebiet der beiderseitigen Heere zur Schlacht bei Leipzig lagen.

1810 wurde die Greppiner Schäferei in Sandersdorf nach Wachtendorf verlegt. Diese Schäferei hat gestanden wo jetzt die katholische Kirche steht. Bei Ausschachtungsarbeiten zum Bau der Kirche wurden sehr viel Tierknochen freigelegt; es ist möglich, daß dieselben von dem großen Viehsterben von 1753 herrühren.

Die Revolution 1848.

Die Revolution ist in Sandersdorf sehr ruhig und gemütlich verlaufen. Nach Bekanntwerden des Aufstandes in Berlin zogen die Arbeiter und Handwerker mit Trommeln und Pfeifen auf den Dorfplatz. Drei Tage wurde nicht gearbeitet. Zu Ausschreitungen ist es nicht gekommen. Eine Fahne hatten die Sandersdorfer noch nicht; aber eine Revolution haben sie sich doch geleistet.

Im Allgemeinen ist das politisch bewegte Jahr 1848 in unserer ganzen Umgegend ruhig und ohne weitere Auswirkung verlaufen.

Der Ausbruch der Kriege 1864 und 1866

wurde von den Sandersdorfer Bürgern mit Ruhe und Gleichgültigkeit aufgenommen. Dagegen soll bei Ausbruch des Krieges 1870–71 mehr Begeisterung gewesen sein,

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auch sollen sich mehrere Sandersdorfer freiwillig gemeldet haben.
Am Feldzug 1866 hat von hier teilgenommen:
Eduard Pannicke (bei Königgrätz verwundet)

1870–71 nahmen teil:
Wilhelm Haupt (verwundet)
Ludwig Hanke (gestorben im Lazarett in Straßburg)
August Regen (gefallen)
Franz Hanke (erhielt das eiserne Kreuz)
Paul Krüger
W. Fleischer

1868 brannten die Gehöfte von Bleys und Möbius, sowie das jetzige Gasthaus Sandersdorf damals Baumgartens Schenke vollständig ab.

1882 am 23. September ging zwischen Sandersdorf und Zscherndorf (Eckelmarke) ein schweres Hagelwetter nieder, wobei die ganzen Sommerfrüchte vernichtet wurden.

1868 und 1892 waren sehr heiße Sommer. Am 17. September 1868 wurden im Schatten 36,2 Grad, in der Sonne 43 Grad Wärme gemessen. Am 25. September kam nach 14 Wochen der erste Regen.

Auch das Jahr 1892 war sehr trocken und heiß, 10 Wochen hat es nicht geregnet. Die Ernte war mittelmäßig.

1875 waren hier 28 Bauern mit über 100 Morgen Land, sowie 4 Kosahten mit 30–40 Morgen Land.

1901 war ebenfalls ein trockenes Jahr. Am 21. Juli kam nach 9 Wochen der erste Regen.

1901 am 10. September ertrank im Bauernteich ein 12 Jahre alter Junge.

1901 am 26. September Montags früh gegen 3 Uhr brannte die mit Getreide gefüllte Scheune und Ställe des Dampfmühlenbesitzers Nuckelt ab. Die ganze Ernte und mehrere Stück Vieh sind dabei umgekommen.

1903 erhielt Sandersdorf Wasserleitung und 1906 die erste elektrische Straßenbeleuchtung.

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1909 landete bei Greppin das erste Luftschiff Zeppelin III.

Am 1. Oktober 1909 trat der zum hauptamtlichen Gemeinde-Vorsteher gewählte Verwaltungs-Assistent H. Ebert aus Barmen sein Amt an. Das Büro befand sich im Postgebäude.

1910 am 10. Oktober wurde das neue Gemeinde-Verwaltungsgebäude für 17 000 Mk. fertiggestellt.

1911 war eine sehr schlechte Ernte infolge der großen Hitze und Trockenheit, besonders in unserer sandigen Gegend!

1919 im März stieß im Stakendorfer Busch infolge falscher Meldung eine von Bitterfeld kommende Lokomotive mit dem von Zörbig kommenden Personenzug zusammen, mehrere Tote und Verletzte waren zu verzeichnen. Einige Wagen wurden dabei schwer beschädigt.

Während des Krieges waren im Bergbau eine Anzahl Kriegsgefangene beschäftigt: Engländer, Schotten, Franzosen, Amerikaner, Italiener, Russen, diese waren in Baracken der Grube "Richard" und "Louise", sowie in den Sälen der hiesigen Gasthöfe untergebracht. Nach Kriegsende wurden die Gefangenen sofort abtransportiert, während deutsche Kriegsgefangene erst ein Jahr später ausgeliefert wurden.

Als erste rücken die Engländer am 27. Dez. 1918 ab, ihnen folgten am 6. Januar 1919 die Franzosen und Italiener und am 11. Januar 1919 die Russen.

Sandersdorf vor 100 Jahren.

Wie schon einmal gesagt, war Sandersdorf ein kleines unscheinbares Bauerndorf mit ungefähr 300 Einwohnern, worunter 26 Anspänner, 18 Häusler und 3 Mieter waren. Der Ort zählte 48 Häuser einschließlich Kirche, Hirten- und Armenhaus. Es liegt 5 km von Bitterfeld in einer Ebene. Wald befindet sich westlich: "Der Brand (zum Rittergut Ramsin gehörig) und der Stakendorfer Busch."

Braunkohle befindet sich rings um den Ort, welche aber bisher nicht benutzt worden ist. Auf der wüsten

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Mark Gräfendorf (Pomselmark) 190 Morgen groß, ist um 1800 der erste Kohlenabbau geschehen. "In einem zum Rittergut (Ramsin) gehörigen Gehölze, die Pomsel genannt, hat der damalige Besitzer die hierliegenden Braunkohlenlager zu benutzen angefangen". Aber diese Grabung blieb stecken und ein Versuch des rührigen, jedoch mittellosen Unternehmers Höbold, um 1830 den Betrieb wieder aufzunehmen und gleichzeitig aus dem über der Kohle liegenden Ton Bausteine zu fabrizieren und in den Handel zu bringen, mißglückte ebenfalls. Erst dem Bitterfelder Bürger und Tuchfabrikant David Schmidt (gestorben 1844), welcher 1839 das Rittergut Ramsin gekauft hatte, gelang es, die Pomselgrube, welche er mit dem Rufnamen seiner e. Gattin Auguste benannte, dauernd betriebsfähig zu gestalten.

Mit der Entwicklung des Bergbaues wuchs auch Sandersdorf von Jahr zu Jahr. Alle neueren Straßen des Ortes entstanden später. Die Bitterfelder Straße wurde erbaut in den Jahren 1893 bis 1898, vorher war alles Acker.

Die Hauptstraße

wurde 1893 bis 1895 erbaut, vorher waren dort Gärten und Acker.

Zscherndorferstraße,

erbaut 1900 bis 1903. Der Konsum steht auf dem Bauerngutgelände von Rupprecht am Dorfplatz. Das ehemalige Gut ist jetzt zu Wohnungen umgebaut.

Teichstraße,

erbaut 1876 bis 1878. Als erstes Haus entstand das von Kupsch Nr. 21. Dieses wurde nach einem damals neuen Verfahren mit Heidekraut gewällert. Wo jetzt das Geschäftshaus Teichstraße Nr. 3 steht (Steuer) war die alte Dorfschmiede von Dilecke. Dieses Grundstück ging bis Bahnhofstraße Nr. 4 einschließlich des Geschäftshauses von Siegert. Das Geschäftshaus von Fleischer ist 1868 erbaut, es war früher ein Bauerngut.

Bahnhofstraße.

Diese entwickelte sich nach Errichtung des hiesigen Bahnhofes, der 1898 erbaut worden ist; früher war hier alles

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Acker und Garten. Die erste Fahrkarte, die aus dem hiesigen Bahnhof ausgegeben wurde, befindet sich noch in Händen des Herrn Maurermeisters G. Voigt.

Hinter dem Bahnhof befindet sich der "Kulich", jetzt noch ein wüstes Gestrüpp. Hier lagen 1813 mehrere Tage die Russen.

Greppinerstraße

ist 1880 angelegt. Die ältesten Häuser sind die von "Kunze, Both und Kirchhof", Müllers Haus ist kurz vor dem Krieg abgebrochen worden.

Zörbigerstraße

erbaut 1875. Als altes Haus gilt die frühere Stellmacherei von Uebe.

Ramsinerstraße,

erbaut 1880. Das frühere Hermannsche Haus hinter der Badeanstalt der Louisengrube gilt als sehr alt. Die Beamten und Angestellten-Wohnhäuser der B. Louisengrube sind in den Jahren 1918 bis 1926 erbaut; vorher war hier Acker, der aber von der Grube "Richard" ausgekohlt ist. Auf der anderen Seite wird die Grube jetzt angefüllt und Gartenland angelegt.

Der Bauernteich

(jetzt Sportplatz) war bis 1910 noch voll Wasser, in diesem gab es bis dahin viel Fische. Am 17. Juli 1904 ertrank darin der Schuhmacher Franz Mittag. Der Bauernteich wird jetzt von der Grube "Hermine" ausgebaggert, er befand sich hinter der Schule und war der 4. Sandersdorfer Teich; aber auch der beliebteste und der letzte. Der Platz vor der Schule war eine Sandgrube hier tummelte sich am Tage das Vieh der Einwohner.

Die Dorfteiche, in denen das Regenwasser sich sammelte, befanden sich je einer vor dem Hause Kirchplatz Nr.1 (Buchwald) Dorfplatz Nr. 10 (Hinsches) Kirchplatz Nr. 7a (Martin). Die Dorfteiche wurden zugeschüttet etwa 1900.

Wo die katholische Kirche nebst Garten sich befindet, war die Greppiner Schäferei.

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Die alte Gemeindeschenke befand sich in der Schenkgasse, jetzt Poststraße Haus Nr. 4.

Der später erbaute Gasthof ist der Gasthof Sandersdorf. Der Saal befand sich "dort", wo jetzt die Ställe stehen. Besitzer war Fr. Baumgarten.

Zwischen Alfred Ebert, Hauptstraße Nr. 15 und Wasserturm Nr. 2 befand sich das Armenhaus, dieses war ganz aus Lehm gebaut und dem Verfall sehr nahe.

Das Stück Hauptstraße Nr. 15 bis Hauptstraße Nr. 24 (Gotleber) hieß früher die Brandgasse.

Das Gemeinde–Schäferhaus befand sich Hauptstraße Nr. 15.

Zu Sandersdorf gehörten drei Windmühlen. Diese standen:
1. "Nuckels Mühle" früher Henzens Mühle, und Gottschalks Mühle, früher Dielekes Mühle, zwischen Sandersdorf und Zscherndorf, erbaut wurden dieselben 1845, 1881 an die Deutsche Grube verkauft. Dieses Gelände ist jetzt ausgekohlt.
2. Möhrings Mühle stand vor dem Friedhof, etwa 1907 wurde dieselbe abgerissen.

Der Brödel

bei Sandersdorf war ein Moorbruch, welcher trockengelegt und geteilt ist. Dieser Brödel hat dem nach Zscherndorf zu entspringenden und bei Salzfurth in die Fuhne fließenden Bach den Namen gegeben. Der Brödelgraben entsprang in Zscherndorf wo jetzt die Schule steht. Im Brödelgraben und den Sandersdorfer Teichanlagen war eine große Anzahl Fische. Große Körbe voll wurden von den hiesigen Einwohnern dort gefischt. Nachdem aber der Bergbau immer mehr Wurzel faßte, gingen diese fischreichen und sehr beliebten Anlagen vollständig ein. Ein Stück des Brödelgrabens befindet sich noch in der Ramsiner Straße.

Die Sandersdorfer Grenze geht bis links der Straße nach Zscherndorf, bis zur Kantine der Deutschen Grube, andererseits bis zum Kahlen Berg und Thalheim und den

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Bitterfelder Landgraben. Die Gemarkung beträgt 4000 Morgen. Zur Pfarre gehörten 140 Morgen Acker.

Als größte Bauern sind Reichenbachs genannt.
Reichenbachs Güter befanden sich früher:
1. wo Kaufmann Koch wohnt. Kirchplatz Nr. 8
2. bei Gustav Grohmann, Kirchplatz Nr. 9
3. bei Fleischermeister Ebert, Hauptstraße Nr. 15
4. und das sich noch jetzt in Reichenbachs Besitz befindliche aber stillgelegte Gut.

Ferner sind noch folgende Bauern 1835 genannt, die Abgaben an die Pfarre zu entrichten hatten:

August Reichenbacch      5 Scheffel
Christian Rupprecht      3     "
Gottfried Pritzsche      4     "
Gottfried Dietrich       5     "
Gottfried Henze          2     "  12 Metzen
Gottfried Rudolf         2     "
Gottfried Schulze        2     "
Georg Seidler            2     "
Georg Damitz             4     "
Christoph Götze          2     "
Gottfried Baumgarten     4     "
Gottfried Prietzsch jun. 2     "
Christian Schröter       2     "
Gottlieb Henze           6     "
Gottfried Voigt          4     "
Andreas Volk             4     "
Gottlieb Pannicke        –        12 Metzen
August Peißer            2     "
August Götze             –         4 Metzen
Gottlieb Ruprecht        4     "
Gottfried Bunge          2     "
August Hensse            1     "  12 Metzen
Andreas Sonntag          3     "
Christoph Birkner       3     "
Christoph Dittrich       4     "
Christoph Reichenbach    2     "
Gottlieb Kunschmann      2     "
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Gottfried Hohmann        5     "
Gemeinde                 1     "
               Summa    89 Scheffel 13 Metzen

Diese Abgaben an die Sandersdorfer Pfarren haben unter den hiesigen Bauern oft viel Unannehmlichkeiten hervorgerufen. Beschwerde über Beschwerde seitens des Pfarrers sowohl, wie von seitens der Bauern wurden eingereicht, besonders in den Jahren, wo eine geringe oder gar Mißernte zu verzeichnen war. Erst, nachdem der Staat diese Abgaben abschaffte und dafür einen festen Gehalt der Pfarrer sowie der Lehrer durchführte, hörte das Murren auf, so daß man von einem heimlichen Burgfrieden, "ausgetragen im stillen Kämmerlein", sprechen kann.

Am Lindenstein auf dem Dorfplatz steht die Friedenseiche von 1866 und die Friedenslinde von 1871. Eine andere Friedenseiche wurde 1866 an der Kreisstraße, wo der Weg nach Thalheim abzweigt, gepflanzt und am Lutherfest den 10. November 1883 pflanzte man die Luthereiche vor der Pfarre.

Evangelische Kirche und Schule in Sandersdorf.

Wie alt die hiesige Kirche ist, ist nicht mehr festzustellen. Da aber Sandersdorf ein altes Pfarrdorf ist, ist anzunehmen, daß die Kirche etwa 700 Jahr alt ist. Die kirchlichen Nachrichten reichen nur bis 1663 zurück. Aeltere wertvolle Akten sind bei einem großen Brand am 10. Oktober 1718 vernichtet worden.

Seit 1663 amtierten hier folgende Pfarrer:

1. Pastor Georg Eckart (gestorben 19. März 1671)
2.    "   Gottfried Hammer (1671–1691)
3.    "   Johann Georg Schnabel (1691–1694)
                        gestorben 1694 26 Jahr alt
4.    "   Gottfried Reiche (1694–1697)
5.    "   Karl Otto (1697–1725)
6.    "   Gabriel Jäger (1725–1742)
7.    "   Gottfried May (1742–1749)
                        gestorben am 19. März 1749
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 8. Pastor Johann Bäumlinger (1749–1764)
           war vorher fürstl. sächs. Hofprediger
           in Zörbig und wurde, als der fürstliche
           Hof in Zörbig aufgelöst wurde nach
           Sandersdorf berufen. 1764 wurde Pastor
           Bäurnlinger nach Roitzsch versetzt.
 9. Pastor Christian Eusebus Wagner (1764–1771)
10.   "    Johann Strauch (1771–1782)
           wurde 1782 nach Zörbig als Oberpfarrer versetzt.
11.   "    Christian Hoffmann (1782–1796)
12.   "    Wilhelm Hoffmann  (1796–1812)
           dieser schenkte der hiesigen Kirche die noch
           jetzt im Gebrauch befindlichen Abendmahls–
           Geräte (Weinkanne und Hostienteller)
13.   "    Joh. Karl Samuel Hänisch (1812–1836)
14.   "    Schröter
15.   "    Hinkel
16.   "    Hempel (1854–1885)
           War vorher Diakonus in Bitterfeld
17.   "    Karl Rapmund (1886–1914)
18.   "    Engeln (1916–1927)
19.        Als Nachfolger für Herrn Pastor Engeln amtiert
           seit 1927 Herr Pastor Sinz.

1750 erwarb die Kirchengemeinde aus der eingegangenen Schloßkapelle zu Zörbig, in welcher der Sandersdorfer Parrer M. Bäumlinger als Hofprediger gewirkt, Orgel, Kanzel und Altar für zusammen 140 Thaler.

Folgendes Schriftstück besagt:
"Im Jahre 1750 ist in die hiesige Kirche der schöne Altar und Kanzel nebst Orgel geholt worden. Niemand hat im vorigen Jahr geglaubt, daß dies möglich werden kann, weil die hiesige Kirche sehr arm, die Zuhörer, theils auch wenig Vermögen, theils noch schwer an dergleichen Abgaben zahlen. Nachdem aber der unerschöpfliche Gott die Prinzessin Caroliene Auguste von Zörbig erhalten, bekamen wir dieses schöne Geschenk."

Vielleicht interessiert auch ein Aufgebot aus dem Jahre 1778.

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"Am 19. November 1778 Bürger Johann Friedrich Reichenbach Nachbar und Anspänner allhier, mit Jungfrau Anna Maria Beiserin. Johann Christoph Bryter, Nachbars und Anspänners allhier, eheleibliche mittelst Tochter, nach 3maligen Aufgebot in der Kirche allhier getraut worden."

Im Jahre 1815, beim Abschluß der Napoleonzeit gingen Stadt und Amt Bitterfeld, einschl. Parochie Sandersdorf an Preußen über.

1827 ist die Kirche bedeutend repariert, wozu der König Friedrich Wilhelm III. 600 Thaler bewilligte. Die innere Ausstattung, als Kanzel, Altar und Chorbekleidung beschafften die verheirateten Frauen aus Sandersdorf und Zscherndorf.

1886 ist die Kirche nochmals gründlich repariert worden.

Wie sich um die damalige Zeit ein Pfarrereinkommen zusammensetzte, zeigt folgende Einkommentafel.

Es gehörten zu der Sandersdorfer Pfarre an Acker:

1. 3 Hufen zu je 30 Morgen enthaltend, mit 27 Scheffel
   Aussaat.
     a) in der Egelmark
     b) Bitterfelder Mark
     c) Greppiner Mark.
2. Breitefeld mit 10 Scheffel Aussaat
     9 Morgen enthaltend.
3. 1 Ackerstück mit 11 Scheffel Aussaat
     9 Morgen enthaltend.
4. Ein Stückchen Feld mit 6 Metzen Aussaat
     1/2 Morgen.
5. Ein Stückchen Feld bei Stakendorf mit 1 Metze
     Aussaat 3/4 Morgen enthaltend.
6. 4 Gemeinde–Kabeln im Prödel zwei zu 1 Morgen
     und ebensoviel zu 1/2 Morgen, wovon die
     ersten 3/4 Scheffel Aussaat und die letzteren
     1/4 Scheffel enthalten.
     Außerdem ein Pfarrgarten
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     von je 1 1/2 Morgen, ferner 19 Morgen Wiese
     an der Mulde und 6 Morgen Wiese hier.

Außer Getreide und sonstige Früchte waren die Bauern verpflichtet noch andere Abgaben an den Pfarrer zu entrichten. Daß hier mancher versuchte sich zu drücken, wo es nur ging, zeigt eine Beschwerde des Pfarrers von Sandersdorf an das Amt zu Bitterfeld.

"Dergleichen Beschwerde führt der Pfarrer, daß die Pfarr–Kinder ihn allzukleine und geringe Bratwürste bringen, und bitte deren Gemeinde solches zu erreichen und künftig dahin anzuhalten, daß die Bratwürste so groß als bisher sein sollen."

Bis 1893 wurden die verstorbenen Zscherndorfer auf dem hiesigen Friedhof beerdigt.

1896 am 1. März wurde die vom Orgelbaumeister W. Rühlmann–Zörbig erbaute Orgel geweiht. Diese kostete 3995 Mark.

1910 im Dezember fand die Weihe der von Bergwerksbesitzer Fr. Steuer gestifteten großen Glocke statt. Zu gleicher Zeit wurde eine vom Bergwerksbesitzer Lehmann gestiftete Turmuhr angebracht. Der Umguß der zweiten Glocke wurde mit freiwilligen Spenden durchgeführt.

1914 stifteten die Konfirmanden der Kirche 2 Altarschleifen; diese zieren heute noch den alten historischen Altar.

1917 mußte die Kirche 23 Orgelpfeifen sowie die vom Bergwerksbesitzer Steuer 1910 gestiftete große Glocke zur Verwendung für Heereszwecke nach Bitterfeld abliefern.

1913 am 15. Februar scheidet die Kirchengemeinde Greppin aus der evangelischen Parochie Sandersdorf aus.

1922 am 1. Pfingstfeiertag fand die Weihe der neuen Glocken in der hiesigen Kirche statt. Diese sind in Torgau hergestellt und bestehen aus Gußstahl. Zum ersten Mal wurde sie geläutet zur Vermählung des Kaufmanns Otto

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Kühnast mit Fräulein Emmy Fiedler am 1. Pfingstfeiertag nachmittags. Auf festlich geschmücktem Rollwagen begann die Fahrt vom Bahnhof nach der Kirche, begleitet von einer Schar kirchlicher Gemeindemitglieder, wo die Glocken alsbald ihrem neuen Bestimmungsort zugeführt wurden. Am 1. Pfingstfeiertag vernahmen die Sandersdorfer Bürger zum ersten Mal den frohen Klang der neuen Glocken. Mögen dieselben nun recht lange den Bürgern durch ihren Klang zur Einigkeit und zum Frieden mahnen. Nicht Wunden reißen, sondern Wunden heilen, nicht Krieg sondern Frieden sollen sie uns läuten, der Menschheit zur Ehre!

Evangelische Schule.

In den früheren Jahren, vor ungefähr 50 Jahren hatten die Behörden, sowohl wie der Staat, sehr wenig Interesse für die Schulen und die geistige Entwicklung der Kinder.

Die Lehrer aus der guten alten Zeit waren zum Teil nicht vorgebildete Kräfte. So kam es, daß die hiesige Schule bevor Lehrer Böning hier angestellt wurde, vollständig vernachlässigt worden war. So durften z. B. die Mädchen bei Lehrer Krüger (gestorben 1886) das Schreiben nicht erlernen, damit sie keine Liebesbriefe schreiben konnten, dafür aber konnten sie während des Unterrichts Strümpfe stricken.

Bis zum Jahre 1862 wurde die Schule in einem Zimmer abgehalten.

1862 wurde die erste Kantorei und Schule gebaut. Der Kohlenstall sowie Klosett wurde erst 1887 erbaut. Durch die Zunahme der Bevölkerung sah man es für nötig, die Schule zu vergrößern. 1887 wurde das zweite neue Schulhaus geweiht.

1899 am 21. November ist das Schulhaus um weitere zwei Klassen, sowie eine Lehrerwohnung vergrößert worden.

1927 wurde die neue Turnhalle, sowie der Schulneubau fertig gestellt und zur Benutzung übergeben.

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Als Lehrer amtierten hier seit 1663.

 1. Lehrer Gottfried Lindtner (gest. 27. März 1671)
 2. Gottfried Schneider
 3. Gottfried Kritzsche (gest. 31. Oktober 1751)
 4. Johann August Hermann, dieser starb nach 50 jähr.
    Tätigkeit an der hiesigen Schule im Alter von
	  72 Jahren am 12. März 1804
 5. Gottfried August Hermann folgt 1804 seinem Vater
    Johann August Hermann) als Lehrer
    (gest. 25. Jan.1835)
 6. Christoph Langrock (gest. 11. Nov. 1830 27 Jahr alt)
 7. Chrifloph Bartnuß (wurde 1852 nach Roitzsch versetzt)
 8. Lebrecht Gottlob Krüger (gest. am 26. März 1886)
 9. Lehrer Böning 1886–1904 (als Küster und
    Organist tätig)
10. Ernst Engelhardt kam 1887 als zweiter Lehrer dazu
11. Lehrer Züge 1893–1915 (versetzt nach Keischberg)
    bei Dürrenberg; jetzt als Rektor tätig)
12. Lehrer Velfe 1892–1911 (versetzt nach Uebigau;
    jetzt als Rektor tätig)
13. Lehrer Klöpzig 1900–1922
    (in den Ruhestand versetzt)
14. Lehrer Mende 1903–1909
    (versetzt nach Hohenmölsen)
15. Lehrer Lezius 1905–1910 versetzt
16.   "    Kötzsche 1910–1912  "
17.   "    Voigt 1911–1919     "
18.   "    Steinbrecher (am 5. Nov. 1916 gefallen)
19.   "    Drese 1918–1922 (gest. am 20. Dez. 1923)
20.   "    Fischer 1919–1920 (versetzt nach den
           Leunawerken; jetzt Rektor in Pretzsch)
21.   "    Will 1919–1924 (versetzt nach Burxdorf)
22. Lehrerin Frl. Ella Freydte 1909–1912
23.    "      "   Vogel 1912–1918
24.    "      "   Ude 1916–1918
25. Frl. Krüger, Tochter des Lehrers Göttlieb Krüger war
    als Handarbeitslehrerin im Nebenamt bis 1920 tätig
    (1920 in Ruhestand versetzt).

1913 erhielt Sandersdorf eine Fortbildungsschule.

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Eine im Jahre 1909 errichtete Familienschule wurde am 1. April 1913 wieder aufgelöst.

Die alte Schule befand sich bis 1928 auf dem Dorfplatz. Bis zu diesem Jahre wurde hier noch immer eine Klasse unterrichtet.

Auf dem Dorfplatz, gegenüber der Schule, liegt der Lindenstein (10–15 Zentner schwer). Dieser Stein soll auf einer Eisscholle (Diluvialzeit) von Norwegen die Reise nach hier angetreten haben. Von ihm erzählt die Sage aber folgendes:

"Die Sandersdorfer und die Thalheimer Kirche, die beide große Aehnlichkeit haben, sind von zwei Brüdern erbaut. Der eine baute die Thalheimer, der andere die Sandersdorfer Kirche. Als beide ihr Werk vollendet hatten, wurde der Thalheimer Baumeister gewahr, daß die Sandersdorfer Kirche besser ausgefallen sei. Zornentbrannt warf er einen mächtigen Stein (der Lindenstein später so genannt) von Thalheim aus gegen unsern Kirchturm, um diese zu zerschmettern. Der Stein flog jedoch am Turm vorbei auf den Schulplatz; daselbst liegt er noch heute."

Dieser Stein heißt der Lindenstein, weil er früher beschattet war von einer mächtigen Linde, welche aber 1795 durch einen Brand vernichtet wurde.

Am Lindenstein unter der Dorflinde wurden ehemals die Gemeindeversammlungen abgehalten und die Steuern auf ihn bezahlt. Hatte die Gemeinde gute Einkünfte aus Wiesen, Weide, Wasser gehabt, dann versammelten sich die berechtigten Gemeindeglieder nach ihren Hausnummern geordnet um den Lindenstein und erhielten hier vom Dorfrichter ihre Anteile ausgezahlt. Die Herren Dorfrichter der alten Zeit, in der Rechenkunst schwach, halfen sich in der Weise, daß sie bei Hausnummer 1 anfingen und gaben dem Besitzer Nr. 1 einen Thaler oder Gulden, dann Nr. 2, 3, 4 usw. jedem aber soviel, bis sie durch waren und fingen dann wieder von vom an. Riß der letzte Taler oder Gulden etwa bei Nr. 9 ab, dann fing die nächste Teilung mit Nr. 10 an und so ging es auch ohne das Geheimnis des Rechnens.

Auf welche Weise das Einkommen eines Lehrers berechnet wurde, zeigt folgendes Schriftstück von 1890.

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               Schuleinnahmen von 1890.
    Stelleneinkommmen der hiesigen l. Lehrerstelle.
            I. Geldeinnahme (A. Ständige)

1. Aus der Staatskasse Tranksteuer       10.00 Mk.
2. Aus der Kirchenkasse                   7.00 "
3. Zinsen                               221.00 "

                  (B. Unständige)
1. Hausgenossengeld etwa                 50.00 Mk.
2. Von jedem Haus an Opfer, Wurstgeld,
   Kirmeßkanne á 30 Pfg. 112 Häuser      33.60 "
3. Entschädigung für den abgeschafften
   Singumgang                            67.00 "
4. Schulgeldentschädigung (25–38 Pfg.
   pro Kind)                            480.00 "
5. Accidenzien                          300.00 "
6. Konfirmandengelder                    15.00 "
          Geldeinnahmen Sa.            1189.60 Mk.

               II. Naturaleinkommen.
1. Für 12  Berl. Scheffel 3 Mtz. Dezen
        Roggen á Scheffel 6 Mk           73.50 Mk.
2. Für 3 Schock 44 1/2 Garben Roggen
               á Garbe 30 Pfg.           67.20 "
3. Für 224 Roggenbrote á 1.40 Mk.       312.60 "
4. Für 448 Stück Eier á 5 Pfg.           22.40 "
    Wert der Naturalien Sa.             475.70 Mk.

              III. Von den Schulgütern.
1. Landpacht                             85.50 Mk.
2. Gartennutzung                         30.00 "
3. Wohnung und Heizungsüberschuß        105.00 "

Der zweite Lehrer hatte ein Einkommen von 850 Mark jährlich im Jahre 1890.

Die Schulabgaben von der 1868–1869 erbauten Kreisstraße wurden abgelöst, davon erhielt die Schule einen Rentenbrief von 300 Mk. Einen weiteren Rentenbrief erhielt die Schule für Abgaben von Stakendorf.

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Am 1. Februar 1899 kaufte die Grube Ehrich den der Schule gehörenden 4 Morgen großen Acker am Stakendorfer Busch für 4550 Mark.

Bis um das Jahr 1822 mußten auch die Kinder von Zscherndorf die hiesige Schule besuchen.

In die Entwicklung unserer hiesigen Volksschule griff der Weltkrieg schwer hemmend ein. Während des Krieges waren mehrere Lehrer zum Heeresdienst eingezogen. In ganz bedenklicher Weise sind die Leistungen unserer Schule in der Kriegszeit zurückgeblieben. Die Ziele normaler Volksschulbildung konnten bei weitem nicht erreicht werden. Daß auch die Schulkinder bemüht waren, der bitteren Zeit zu nützen, zeigt folgende Sammlung.

Zur Kriegsanleihe wurde von den hiesigen Kindern gesammelt: 7515 Mark; für Oberschlesien 278 Mark.
Außerdem wurden große Massen Waldfrüchte, Altmetall und dergleichen mehr gesammelt.

1926 wurde eine Schulsparkasse eingeführt, wozu die Gemeinde pro Kind 1 Mark beisteuert.

In demselben Jahr ist auch die "neu" herausgegebene Sütterlinschrift eingeführt.

Seit 1927 wird den Schulkindern Lehrmittelfreiheit gewährt, ebenso werden Milch sowie Brötchen kostenlos verabreicht. Die Kosten übernimmt die Gemeinde.

Seit in der hiesigen Schule ein Schularzt tätig ist (Dr. Einecke) werden die Kinder jedes Jahr untersucht; auch dieses geschieht auf Kosten der hiesigen Gemeinde.

Als Lehrerin und Lehrer an der Ev. Volksschule sind jetzt tätig.

Herr Lehrer  Rehm (Rektor seit 1922)
 "     "     Westhoff     seit 1912
 "     "     Leßner        "   1919
 "     "     Baumgraß      "   1920
 "     "     Mundt         "   1924
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Herr Lehrer  Schulze      seit 1924
 "     "     Günther       "   1927
 "     "     Rabe          "   1927
Frau Riedel techn. Lehrerin seit 1921
Frl. Kölling                seit 1924
Die Ev. und Kath. Schule wurde besucht:

Jahr Ev. Schüler  Konfirm.
1852     63        18
1886    240        30
1890    247        21
1892    284        23
1896    296        26
1901    353        29
1902    362        50
1903    368        42
1910    379        39
1011    378        41
1912    396        38
1915    411        57
1917    430        52
1919    428        51
1920    437        59
1921    421        36
1922    411        48
1923    384        49
1924    358        51
1925    328        60 kath. Kinder 107
1926    324        58   "      "   118
1927    316        55   "      "   178
1928    327        46   "      "   175

Katholische Kirche.

Die Kirche ist eine Filiale von Bitterfeld unterm Dekanat Torgau. Der erste Spatenstich zum Bau der kath. Kirche wurde am 15. April 1906 getan. Am 18. November 1906 war die Einweihung; sie ist nach den

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Plänen des Geh. Baurats Güldenpfennig in Paderborn im gothischen Stil vom Maurermeister Gustav Voigt hier erbaut. Die Einweihung vollzog sich morgens um 10 Uhr in der festlich geschmückten Kirche. Den Weiheakt vollzog der Dechant Meintrupp aus Eisleben. Die Kosten des Kirchgebäudes betrugen 34000 Mk., die ganz aus milden Gaben, namentlich aus Westfalen, dem Rheinland und aus Schlesien herrühren, wie auch die Innenausstattung.

Die Zahl der Katholiken in Sandersdorf, Deutsche Grube, Ramsin und Zscherndorf betrug 1903 etwa 1000 Seelen, darum wurde am 17. August 1905 am hiesigen Ort eine Vikarie eingerichtet und zum ersten Seelsorger der schon ein Jahr in Bitterfeld wirkende Vikar Wilhelm Sondermann ernannt. Der sonntägliche Gottesdienst wurde vom 1. November 1905 im Saale des "Thüringer Hofes" abgehalten. Im April 1910 wurde Herr Vikar Sondermann versetzt. Ihm folgte Herr Vikar Karl Prior 1910. Am 24. April 1911 wurde Sandersdorf zu einer Pfarrvikarie mit eigenen Pfarrechten erhoben. Der Nachfolger Pfarrvikar Stratmann zog sich, da das alte Pfarrhaus feucht und ungesund war, ein Ohrenleiden zu, welches ihn zwang seine Stelle am hiesigen Ort im Jahre 1917 aufzugeben. Ihm folgte Pfarrvikar Ewald Zink 1917–1921. Am 23. Juli 1921 übernahm Pfarrvikar Josef Hesse die Sandersdorfer Stelle. 1922 wurde an Stelle des alten Pfarrhauses ein neues erbaut. Besonders schmerzlich war der Gemeinde die Ablieferung der 42 Orgelprospektpfeifen, darunter 35 klingende, diese mußten 1917 gegen eine Entschädigung von 787.85 Mk. abgeliefert werden. Der prächtige Chor der 3 Glocken, die unter großen Opfern beschafft waren, erklangen am 11. Juli 1917 zum letzten Mal. Für das abgelieferte Glockenmaterial wurden vom Staate 1094 Mk. bezahlt. Beide Entschädigungen wurden in Kriegsanleihe angelegt.

Erst 1929 als wieder gesündere Verhältnisse herrschten, war es der kath. Gemeinde möglich, unter großen Opfern 3 neue Glocken im Werte von 4800 Mk. anzuschaffen. Die Gelder hierzu sind durch Sammlungen von den kath. Gemeindemitgliedern aufgebracht worden.

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Katholische Schule.

Die kath. Schule befindet sich in der Greppiner Straße Nr. 9. Durch das Anwachsen der kath. Schulkinder, wodurch die Schule nicht mehr ausreichte, wurde eine neue Klasse in der Ev. neuerbauten Schule eingerichtet. Die Zscherndorfer Kinder, sowie die der "Deutschen Grube" besuchten bis 1910 die Schule in Sandersdorf. Da die Zahl derselben in Sandersdorf sich fortgesetzt steigerte, wurde eine Klasse in Zscherndorf eingerichtet. Zscherndorf und Deutsche Grube schickten zuletzt noch 60 Kinder nach Sandersdorf zur Schule.

1899 wurde in Sandersdorf für die große Zahl der kath. Schulkinder eine kath. Privatschule gebaut, die am 1. April 1900 von der politischen Gemeinde angekauft und am 1. August 1900 zur öffentlichen Schule erhoben wurde. Als erste Lehrkraft wurde Fräulein Columba Cordier und am 15. Oktober 1903 als zweiter Lehrer Herr Heinrich Hansmann angestellt. 1906 am 1. April wurde die 3. kath. Lehrstelle eingerichtet und vertretungsweise von Fräulein Doberschynski verwaltet, bis Herr Lehrer Josef Döring angestellt wurde.

Da das Gebäude der kath. Schule nicht mehr ausreichte, wurde am 10. August 1906 der Bau des 3. und 4. Klassenzimmers beschlossen. Im April 1907 übernahm Herr Lehrer Holz auf der Heide die 4. Lehrstelle.

Am 1. November 1913 wurde Herr Lehrer Döring versetzt, ihm folgte Herr Lehrer Wilhelm Stadler. Am 1. August 1921 wurde die eingerichtete 5. Lehrerstelle Herrn Ständer übertragen. Am 15. Juli 1922 wurde Herr Hauptlehrer Hansmann zum Rektor des 6–klassigen Systems mit 5 Lehrkräften ernannt. Die seit 1921 geschaffene 5. Lehrerstelle erhielt im Herbst 1927 ein eigenes Klassenzimmer im Schulneubau. Die kath. Schule wird 1928 von etwa 200 Kindern besucht. Die Zahl der kath. Gemeinde beträgt etwa 1300 Seelen. Wie die Kinder der ev. Schule, so haben sich auch die Kinder der kath. Schule während der schweren Kriegsjahre 1914–18 nützlich bewiesen. An allen Sammlungen oder sonstigen Veranstaltungen haben sie tatkräftig mitgewirkt, wie auch die

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Männer und Jünglinge der kath. Gemeinde, die zur Fahne gerufen wurden, ihre Staatsbürgerpflichten voll und ganz erfüllt haben. Dieses bezeugen die Tafeln des Ehrenmales.

Rückblick auf die jüngsten 10 Jahre.

Bis 1914 war Hauptstraße Nr. 26 die Dorfschmiede von Schmiedemeister Tafelmeier.

1919 Kaffee "Union" erhält einen neuen Saal.

1919 Neubau eines Gemeindewohnhauses, Hauptstraße Nr. 31.

1921. Gasthof zum "Goldenen Löwen" früher "Zum Kronprinz" wird zu Wohnungen von den I.G. Farbenwerken umgebaut. Hier waren in den Kriegsjahren Kriegsgefangene untergebracht (letzter Bes. W. Thielecke)

1921. Im Sommer brannte die Rübensaft-Fabrik von Hänsch & Co. vollständig aus.

1921. Neubau der Gemeindebadeanstalt.

1922 brannte das Magazin der Bitterfelder Louisen-Grube ab.

1922. Die Bitterfelder Louisengrube kauft ein Stück vom Stakendorfer Busch zur Auskohlung. Um diese Zeit wurde ein Stück der Eisenbahnstrecke wegen Auskohlung verlegt.

1918–1922. Neubau der Bergarbeiter-Wohnhäuser in der Zörbiger- und Greppiner Straße.

1923 brannte die Ziegelei der Grube "Richard" vollständig ab.

1924. Umbau des Gasthofes "Vergißmeinnicht" Ramsiner Straße zu Wohnungen (früherer Besitzer war Herr Bergt).

1924. Neubau des Kohlenbunkers auf der Grube "Stakendorf".

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1925 am 27. September: Einweihung des Ehrenmales für die im Weltkrieg Gefallenen der Gemeinde Sandersdorf. Den Weiheakt vollzog Herr Pastor Engeln.
Die Festrede hielt Herr Lehrer Schulze. Die erste Besprechung wegen Errichtung eines Ehrenmales fand am 7. Oktober 1924 statt.

Zum Denkmalsausschuß wurden gewählt:
	Herr Gustav Krug, Vorsitzender
	 "   Alfred Schmeil, Kassierer
	 "   Karl Neumann, Schriftführer
	 "   Gemeindevorsteher Ebert als Beisitzer
	 "   Robert Nuckelt           "     "

Erbauer des Ehrenmales ist Herr Bildhauer Weihe, Brehna. Die Kosten stellten sich auf 3500 Mk., hinzu kommen noch die Kosten für Maurerarbeit und sonstige kleinere Arbeiten von etwa 500 Mk. Diese Summen wurden aufgebracht durch Haussammlungen, Spenden von der hiesigen Industrie "Grube Louise", Grube "Richard" und Werk I, sowie durch Beiträge der Vereine, die dem Denkmalsausschuß angehörten und durch Abendveranstaltungen.

Am 5. September 11 Uhr vorm. fand die Grundsteinlegung in Gegenwart der Vereinsvorstände statt. Die Rede zu dieser schlichten aber würdigen Feier hielt der erste Vorsitzende des Ausschusses.

1927. Beendigung der Bauarbeiten der Baugenossenschaft "Sandersdorf", rechts und links der neuangelegten Ernst Borsbachstraße. Diese Straße wurde nach dem Namen des langjährigen Mitgliedes der Gemeindevertretung Herrn Dir. Ernst Borsbach von Werk I, genannt, der in freundlicher Weise der Gemeinde sowie der Baugenossenschaft seine Unterstützung zuteil werden ließ. Diese Genossenschaft erbaute 15 Doppel–Wohnhäuser, teils aus eigenen, teils aus Staatsmitteln. Das Gelände gehörte der Chemischen Fabrik Griesheim–Elektron und wurde der Genossenschaft für 10 Pfg. pro Quadratmeter übereignet.

1928 beginnt die Genossenschaft "Sandersdorf" auf das Neue mit dem Bau von Doppel–Wohnhäusern an der

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Eisenbahn. Auch Herr Dr. Einecke baut an der Eisenbahn ein Wohnhaus mit ärztlichen Einrichtungen.

1927. Beginn der Bauarbeiten der Baugenossenschaft "Eigenheim" an der Ernst Borsbachstraße. Neubau der Geschäftshäuser von Stansch und Gottlöber, Hauptstraße 24 – 26.

1927 vom 18. bis 19. Juni feierte der Handwerkerverein sein 40 jähriges Stiftungsfest; zirka 20 Vereine der Umgegend waren erschienen. Nahezu alle Handwerker hatten einen Festwagen gestellt. Sandersdorf stand ganz im Banne der Feier. Das ganze Dorf war überreich festlich geschmückt. Am Vormittag des 19. Juni fand am Denkmal eine Kranzniederlegung statt.

   Als Vorstand amtierte 1926, 27 und 28:
      Herr Geyer    1. Vorsitzender.
       "   Velfe    Kassierer
       "   Bärwald  Schriftführer (seit 28 Herr Metz)

1928. Kanalisierung einiger Straßen, sowie Versorgung der Gemeinde mit Gas.

1928. Neubau eines Lehrerwohnhauses in der Greppinerstraße.
Erweiterung des Gemeinde-Verwaltungs–Gebäudes, Bahnhofstraße Nr. 2.
Erweiterung der Wohn- und Geschäftshäuser von Bäckermeister Velfe, Schneidermeister Rickelt, Reinhold Düring und Raum in der Teichstraße.
Neubaubeginn des Geschäftshauses von G. Pufahl.

Der Weg nach Zscherndorf geht bis auf weiteres jetzt durch das Gelände der Grube "Richard".

Der Winter 1927–28 war seit langem der kälteste, 25° C. unter Null.

Der Sommer "1928" heiß und trocken; seit vielen Wochen regnet es am 23. September zum erstenmal. Die Ernte läßt zu wünschen übrig; Kartoffeln sind mittelmäßig.

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Auf dem Gelände rechts der Zscherndorfer Straße, welche von der Grube "Richard" jetzt ausgebaggert wird, standen vorher 3 Wohnhäuser. Auch das Wohnhaus von Herrn Grubenbesitzer Hans Schmidt befand sich hier. — Die jetzige Villa nebst Park und Garten sowie das Gärtnerwohnhaus des Herrn Schmidt ist erst 1924 entstanden.

Ein Stück der Zörbiger Straße bis zum Forsthaus wurde 1928 mit Walzasphalt überzogen.

Der strengste Winter seit 1863 war bisher der Winter von 1871 mit 27,2° C., jedoch hat die Kälte im Februar 1929 die aus dem Jahre 1871 überschritten. Das Thermometer zeigte am 11. Februar 1929 28,7° unter Null, am 20. Februar 1929 27,8° unter Null.

Seit Mitte Dezember 1928 bis zum 4. März 1929 hielt die strenge Kälte ununterbrochen an.

Die kältesten Winter der letzten Jahrhunderte waren:

     1829  – 24,8 Grad unter Null
     1830  – 24,6   "    "    "
     1838  – 26,8   "    "    "
     1850  – 28,3   "    "    "
     1863  – 28,4   "    "    "
     1871  – 27,2   "    "    "
     1917  – 23,4   "    "    "
     1928  – 25     "    "    "
     1929  – 28,7   "    "    "

Daß der Winter 1928 zu 29 einer der härtesten seit vielen Jahren war, soll folgende Feststellung beweisen :
Zum ersten Mal seit ihrem Bau war die hiesige Wasserleitung bis auf wenige kleine Abzweige zugefroren, so daß unter den Einwohnern oft manche Auseinandersetzung um einen Eimer Wasser ausgetragen wurde. Der Frost in der Erde war teilweise bis 1,35 m tief. Die Schneehöhe betrug im Durchschnitt 60 cm. Infolge der langanhaltenden Kälte litt die Kohlenförderung sehr, sodaß ein Kohlenmangel sich überall bald unbeliebt bemerkbar machte. Groß war auch die Zahl derer, die an den kältesten Tagen Schaden durch Frost erlitten hatten. Die Vogel- und Tierwelt hatte ganz besonders schwer gelitten,

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desgleichen die Gartenpflanzen, Obstbäume usw. von letzteren sind infolge der strengen Kälte viel geplatzt. Kartoffeln und Rüben sind in der Miete erfroren. Durch das am 4. März 29 eintretende Tauwetter traten überall Hochwasser und Ueberschwemmungen ein, welches in der Flur erheblichen Schaden verursachte.

Sandersdorf als Industrieort.

An den Bitterfelder Braunkohlenablagerungen und deren bergbaulichen Ausbeute haben und nehmen unsere Fluren erheblichen Anteil.

Auf Sandersdorfer Flur befinden sich folgende Gruben und sonstige Industrie–Unternehmungen:
"Grube Richard", Schmidt & Co. G. m. b. H. Diese Grube ist die zweitälteste Braunkohlengrube im Bitterfelder Industriebezirk. Sie wurde 1842 eröffnet und 1847 in Betrieb gesetzt. Mit ihren Gebäuden sowohl als auch mit dem Grubenfeld ragt die "Richard" in die Flur Zscherndorf hinein. Die Grube ist dort eröffnet, wo sich jetzt der Ringofen der Ziegelei befindet. Wo jetzt das Maschinenhaus steht, war früher das Pumpenhaus.

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B i t t e r f e l d e r L o u i s e n g r u b e
Kohlenwerk und Ziegelei Aktiengesellschaft in Bitterfeld.

Sitz der Verwaltung in Zscherndorf, Krs. Bitterfeld

Aktienkapital am 31. Dezember 1928  l 000 000. – RM.
Reservefonds  "  "      "       "     478 242.72 RM.

Das Unternehmen besteht seit Anfang 1872 und wurde, nachdem es zunächst als offene Handelsgesellschaft betrieben worden war, am 16. Mai 1873 in die noch heute unter demselben Namen bestehende Aktiengesellschaft umgegründet.

Im Jahre 1910 wurden die Aktiven und Passiven der offenen Handelsgesellschaft "Grube Vergißmeinnicht Lehmann & Kühle in Bitterfeld" übernommen, ein Unternehmen, das im Jahre 1858 gegründet worden war.

Die Kohlenförderung der Aktiengesellschaft Bitterfelder Louisengrube hat seit ihrer Gründung bis 1928 insgesamt:

20 668 481 hl = 20 762 034 Tonnen betragen.

Zurzeit verfügt das Unternehmen über 3 Rohkohlenförderungen mit eigenem Abraumgerät zur Abdeckung des Deckgebirges, eine Brikettfabrik und eine Dampfziegelei. In der Ziegelei werden insbesondere poröse Vollsteine hergestellt.

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Techn. Direktor der Bitterfelder Louisen-Grube

Herr Otto Glockemeier.
Kaufm. Direktor Herr Hermann Weese.

Das Werk ist eins der größten Unternehmungen unserer näheren Umgegend. Zurzeit werden rund 350 Arbeiter und Angestellte hier beschäftigt.

Die Grube "Ehrich", früher rechts der Straße nach Zörbig (eröffnet von Möhring 1896) ist von Lehmann & Kühle später angekauft worden. 1922 kaufte die Louisen–Grube ein Stück vom Stakendorfer Busch in Größe von 75 ha zum Auskohlen (Grube Stakendorf).

Grube "Ferdinand"'und Grube "Ostfeld" am Friedhof gehörten ebenfalls zur Louisen–Grube. Das alte Maschinenhaus der Grube "Ferdinand" ist jetzt zu Wohnungen ausgebaut.

Die "Vergißmeinnicht" wurde eröffnet wo jetzt die Ziegelei steht. Das Maschinenhaus befand sich in dem jetzt zu Wohnungen umgebauten Wohnhaus Ramsinerstraße. Das Pumpenhaus im Wohnhaus Ramsinerstraße; beide Häuser stehen auf Zscherndorfer Flur und gehören die Bewohner dieser Häuser jetzt noch nach Zscherndorf. Das Kesselhaus ist jetzt die Rollkammer. Das Wohnhaus von Herrn Grubenbesitzer Lehmann ist das jetzige Wohnhaus Ramsinerstraße Nr. 26. Die Brikettfabrik ist erbaut etwa 1890; die erste Kettenbahn eingerichtet etwa 1882, bis dahin hat man die Kohle mit Pferd und Wagen aus der Grube geholt. Bis vor einigen Jahren stellte man hier noch Naßpreßsteine her. Besonders sei noch das Werksbad der Louisengrube genannt. Eine Einrichtung, auf welches das Werk besonders hinweisen kann. Außer seinen Brause- und Wannenbädern werden hier noch medizinische Bäder und Behandlungen zu billigen Preisen für Werksangehörige, aber auch für Fremde verabreicht.

Das Braunkohlenwerk "Deutsche Grube"

liegt ein Stück in der Flur Sandersdorf. Deutsche Grube vormals Bauermeister und Söhne A.–G., seit 1918 im Besitzverband

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Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation ("Agfa"). Der erste Tagebau wurde im Jahre 1847 an der südöstlichen Grenze des Grubenfeldes neben dem Grubenfelde der "Auguste" angelegt. Das Grubenfeld "Deutsche Grube" erstreckt sich nördlich an der Flur Sandersdorf bis an die "Louisengrube" und an die nach Zörbig führende Kreisstraße und westlich bis an die Grube "Richard". Auf die Sandersdorfer Flur entfallen 400 Morgen.

In das "Zechenbuch" unterschrieben sich als erste Besitzer am 15. April 1848: Harsleben, Otto Haupt.

Die Gruben "Marie, Hermine, Antonie.",

eröffnet in den Jahren 1871–1880, gehören jetzt zur I.G. Farbenindustrie A.-G. Diese drei Gruben befinden sich ebenfalls teilweise auf Sandersdorfer Flur zwischen Wolfen und Sandersdorf.

Die "Rübensaftfabrik von Hänsch & Co."
Offene Handelsgesellschaft

erbaut 1902 von G. Möhring. Früher wurden hier Naßpreßsteine hergestellt, dazu gehörte die Grube "Erich"; selbige ging später in den Besitz von Lehmann & Kühle über. Als Geschäftsführer jetzt ist angestellt Herr Quastenberg. Sein Vorgänger war W. Brehme.

Grube "Else", G. m. b. H.

zwischen Thalheim und Sandersdorf ist jetzt außer Betrieb gesetzt. Als Ueberreste sind noch zwei bewohnte Häuser vorhanden.

Der Arbeitslohn eines Bergarbeiters im Jahre 1850 betrug bei 65 stündiger Arbeitszeit 9 Mark wöchentlich. Der gegenwärtige Verdienst eines Arbeiters im Bergbau beträgt wöchentlich 40 Mark im Durchschnitt bei 54 Arbeitsstunden. Durch Begründung und enormes Anwachsen der Großindustrie in der hiesigen Gegend schwächte sich

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der Arbeiterstand in den Gruben erheblich, was zur maschinellen Abraumförderung im Wege der Vergebung an Unternehmer führte. Die Bitterfelder Louisen–Grube fing 1890 mit einem Bagger an; um 1900 waren auf 8 Gruben Bagger zur Bewältigung des Abraums tätig. Der erste Groß–Abraumbetrieb wurde von der Grube Hermine 1928 eingeführt.

Die chemische Industrie.

Die chemische Industrie ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Zweig des deutschen Wirtschaftsaufbaues geworden. Die I.G.Farbenwerke A.–G. sind Nebenwerke der "Chem. Fabrik Griesheim–Elektron" (Frankfurt) der "A. E. G." und "Agfa" (Berlin), sowie dem Salzbergwerk Neustaßfurt. Teile dieser Nebenwerke befinden sich auf Sandersdorfer Flur. Diese Werke entstanden in unserer Gegend wegen der damals billigen Braunkohle. Aber auch der große Wasservorrat der Mulde, sowie die Ziegelei–Industrie haben hier anziehend mitgewirkt. Vor dem Krieg wurden hier schon Anilinfarben und Agfa–Filme hergestellt. Während des Krieges sind hier auch Schieß– und Sprengstoffe sowie Giftgas hergestellt worden. Nach Beendigung des Krieges sind die Werke wieder auf Friedenserzeugnisse umgestellt worden.

Während und nach dem Krieg entfalteten sich diese Riesenwerke erst zu ihrer jetzigen Größe.

Im Jahre 1895 waren 120 Arbeiter in der Bitterfelder chemischen Industrie beschäftigt; 12 Jahre später waren schon 2200 Arbeiter beschäftigt.

Vielgestaltig sind die Erzeugnisse der chemischen Industrie Bitterfeld: Aluminium und Leichtmetall, Entwickler, Anilinfarben, Kunstseide, Agfafilme, Düngemittel, Aetzkali, Pottasche, Phosphor, Wasserstoff, Edelsteine, Gas usw.

Die chemischen Werke gehören, mit Ausnahme von dem Salzbergwerk Neustaßfurt, jetzt alle den I. G. Farbenwerken A.-G. an.

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Aus kleinen Anfängen ist die chemische Industrie heute zur wichtigsten Industrie für Bitterfeld und Umgegend geworden. Fast alle Werke und Gewerbetreibende sind mittelbar oder unmittelbar mit ihr verbunden.

Zur Zeit sind zirka 14000 Menschen in den I. G. Farbenwerken beschäftigt.

Die Säurefabrik, erbaut 1915, sowie Werk I, befinden sich bis zum Landgraben auf der Flur Sandersdorf.

Im November 1928 ist der größte Schornstein Europas auf den J. G. Farbenwerken errichtet und fertiggestellt worden. Er hat eine Höhe von 145 m. Sein Durchmesser beträgt am Fuße 22 m und an der Spitze 5 1/2 m.

Auf dem Felde der Ehre fielen für unser Vaterland 1914–1918:
Bartkowiak    gef. 11.11.14  Bormann E.      gef.  8. 8.15
Hönicke H.     "    7. 2.15  Schuster K.      "   26. 9.15
Hube P.        "   23. 9.14  Bennewitz Th.    "   18. 8.15
Bergt H.       "      10.14  Bzyl K.          "   26. 9.15
Chazubski O.   "    1.12.14  Braun W.         "    8.10.15
Kirchhof O.    "   31.10.14  Mai K.           "    l. 1.16
Bergmann R.    "   31. 1.15  Böck R.          "   27. 3.16
Beitke O.      "   10. 4.15  SzymkowiakM.     "   15. 3.16
Günther Fr.    "    4. 2.15  Gorlaszynski M.  "    5. 3.16
Wlodarczack St."   23. 5.15  Panniger R.      "   28. 4.16
Kittler P.     "   10. 7.15  Furmankiewicz St."    9. 5.16
Griehte G.     "    4. 3.15  Pfeiler G.       "    4. 7.16
Klöpzig G.     "    6. 9.14  Kuntze O.        "   25. 6.16
Lange E.       "   13. 6.15  Lukowiak J.      "   20.12.16
Oberbeck A.    "   18. 7.15  Czwoidzinski J.  "   19. 7.16
Nuckelt O.     "    l. 9.15  Przybylski F.    "    6. 9.16
Hermann O.     "   27. 5.15  Zelle O.         "   21. 6.16
Hahn P.        "   27. 5.15  Brandt K.        "   28. 7.16
Rockicki A.    "    7. 9.15  Müller O.        "    5. 7.16
Heidecke E.    "   13. 9.15  Wille W.         "    7. 9.16
Schöbe W.      "    5. 9.15  Janiak St.       "   18. 7.16
Beau W.        "   30. 7.15  Jaskowiak L.     "   28. 8.16
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Stansch G.    gef. 18. 7.16  Lehmann O.      gef.  6.11.17
Steinbrecher F."    5.11.16  Simon H.         "   18. 4.18
Düring E.      "   13.10.16  Dittmar E.       "   27. 4.18
Reinsch K.     "   27.11.16  Grünewald W.     "   21. 3.18
Bonaventura L. "   24. 4.16  Titz A.          "   22. 8.18
Pannier P.     "   30.12.16  Fleischer H.     "   14. 4.18
Seyfert W.     "    8.12.16  Majerowitz L.    "   28. 4.18
Boernicke O.   "   27. 4.17  Nuckelt R.       "   13. 6.18
Bzyl M.        "   13. 3.17  Oleniezak B.     "   30. 4.18
Pannier K.     "   18. 4.17  Pannier G.       "    7. 6.18
Meißner F.     "   19. 5.17  Otto F.          "    2. 4.18
Jaßniak E.     "    3. 5.17  Körber K.        "    2. 6.18
Hönke G.       "   24. 5.17  Grzywacz J.      "   27. 8.18
Scheibe B.     "    5. 8.17  Haerthe A.       "   20. 2.17
Schäfer A.     "    l. 8.17  Sasse R.         "   31. 8.18
Krake H.       "    6. 9.17  Sobieski A.      "   27. 3.18
Dake M.        "   21.10.17  Brandt Fr.       "   13. 6.18
Kaseler F.     "   21.12.17  Kittler K.       "       1918
Vermißte:
Dittmar Otto – Uehe, Otto
Behörden und sonstige Personenkunde.
         Ia. Gemeinde-Verwaltung.
  1. Ebert, Hermann, Gemeindevorsteher
  2. Just, Louis,    Gemeindekassenrendant
  3. Neumann, Karl,  Gemeindesekretär
  4. Ehring, Karl,   Beamtenanwärter
  5. Würker, Karl,   Vollziehungsbeamter

         Ib. Amtsvorsteher:
  Lützner, Hugo, Ramsin
  Polizeihauptwachtmeister Paul Geyer, Sandersdorf
  Oberlandjäger Jäger
  Oberlandjäger Heine wurde 1928 nach Holzweißig versetzt.

         II. Gemeinde-Vertretung:
  1. Engelmann, Kurt (Schöffe)  2. Neunes, Ewald
  3. Voigt, Richard             4. Wullstein Fr.
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  5. Röthling, Louis           10. Nuckelt, Gustav
  6. Fahlke, Hermann           11. Dir. Borsbach, Ernst
  7. Pohlens, Gustav           12. Stadler, Wilhelm
  8. Seyffert, Richard         13. Börnicke
  9. Nuckelt, Rob. (Schöffe)   14. Anton, Wilhelm

         III. Standesamt
   für Sandersdorf, Zscherndorf, Ramsin, Renneritz

         Gemeinde–Vorsteher Ebert

         Stellvertreter
         Louis Just und Karl Neumann.

         IV. Gutsbesitzungen
             (landwirtschaftliche Betriebe)
1. Bley, Otto         3. Birkner, Emil
2. Nuckelt, Robert    4. Birkner, Paul

         V. Krankenpflege.
  Seit 1922 ist in Sandersdorf ein Arzt:
  Herr Dr. W. Einecke,
  zugleich als Schularzt tätig.
  Geburtshilfe: Frau Raum, Frau Wehner.
  In der Krankenpflege sind drei Schwestern tätig:
  Die Gemeindeschwester Frieda Franke seit 1926;
  ferner eine evang. und eine kath. Krankenschwester.
  Als Zahntechniker (Dentist) ist seit 1926 Herr Herzog
  im hiesigen Ort ansässig.

         V a. Dem Gemeinde–Wohlfahrts–Ausschuß
              gehören an:
              Herr Seyffert, R., Vorsitzender
                  "  Just, L.
                  "  Nuckelt, R.
                  "  Rostalczki
                Frau Raum (Hebamme)
                  "  Franke, Frieda (Gemeindeschwester)
                  "  Hönke

Herr Gemeinde–Vorsteher Hermann Ebert ist seit dem 1. Oktober 1909 als hauptamtlicher Gemeinde–Vorsteher angestellt.

Seine ehrenamtlichen Amtsvorgänger sind gewesen:
Bley, Sommerlatte, Bunge, Henze, Reichenbach.

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VI. Selbständige Geschäfts– und Gewerbetreibende:
  1. Bäcker: Velfe, Heinze, Merker, Nuckelt G.,
     Kohlmann, Romanus.
  2. Fleischer: Pertermann, Ebert Alfred, Ebert Otto,
     Zorn (früher Müller), Stansch H. (eröffnet am
     25.l0.1928)
  3. Maurermeister: Voigt, Gustav.
  4. Schmiede: Niebert.
  5. Stellmacher: Fanke.
  6. Glaser und Bautischler: Kristall, Julius.
  7. Tischler: Rohde, Gustav.
  8. Schuhmacher: Hönicke, Tolge, Preißler, Wehling.
  9. Gastwirte: Funke, Dibbe, Heinicke, Zipperling, Otte.
 10. Geschäfte von: Prautzsch, Koch, Wiedenbein,
     Möbius, Fleischer, Wehner, Braust, Ludley,
     Wislicenus, Jahn, Ihlow, Quilitzsch, Masuch, 
     Bergt, Kittler, Mahchrzak, Tittel, Skiba,
     Bärwald, Nuckelt.
11. Barbiere: Lucke, Siegert, Grohmann.
12. Klempner: Watzeck.
13. Schlosser: Nuckelt R.
14. Schneider: Rickelt, Dittmar.
15. Maler: Hube, Hambsch, Börnike.
16. Tapezierer u. Polsterer: Möbius Fr., Hampe,
    Wolf.
17. Dachdecker: Richter.
18. Buchbinder: Panniger.
19. Milchhändler: Möbius Fr., Bergt H., Both.
20. Käsefabrik: Göhrmann.

Gegenwärtig bestehende größere Vereine.
                                    gegr. Mitgl.
Männer-Ges.–Verein  Sang u. Klang   1879    40
  "                 Liedertafel     1906    65
  "                 Eintracht       1921    65
Doppelquartett                      1922    40
Krieger– u. Landwehrverein          1880   125
Handwerkerverein               11.8.1887   120
Turnverein Germania                 1904   100
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                                    gegr. Mitgl.
Turnverein Sandersdorf              1880    50
Verein f. L. u. B. Union            1911   125 
Sportverein Sandersdorf             1921    70 
Freiwillige Feuerwehr               1926    80 
Radfahrerverein Sandersdorf
Germania
Schießverein
Geflügelzuchtverein
Kath. Männerverein                  1905    65 
Kath. Frauenverein
Ev. Frauenverein
Verein ehem. Kriegsgefangener       1920    28
Außerdem bestehen noch eine Anzahl kleinerer Vereine.

     Den kirchlichen Körperschaften der Parochie
              Sandersdorf gehören an:

Pfarrer Sinz, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates
Herr Gemeindevorsteher Ebert — Gemeinde–Kirchenrat 
 "   Grubenbesitzer Schmidt,
     Kirchenältester u. stellv. Vors.
 "   Obersteiger Halle      Gemeinde–Kirchenrat
 "   Maurermeister Voigt           "
 "   Mühlenbesitzer Nuckelt        "
 "   Landwirt Kluge (Zsch.)        "
 "   Rektor Rehm            Gemeindevertretung
 "   Landwirt Bley                 "
 "      "     Birkner, Emil        "
 "      "     Birkner, Paul        "
 "   Masch.–Mstr. Düring, Friedr.  "
 "      "         Möbius, Karl     "
 "   Betriebsführer Bloch, Albin   "
 "   Schmied Möbius, Hermann       "
 "   Steiger Theer                 "
 "   Hegemeister Stolze            "
 "   Rentier Täsch                 "
 "      "    Günther               "
 "   Betriebsleiter Hicketier      "
 "   Pastor Sinz, Sandersdorf
 "   Just Louis — Kirchen–Rendant
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     Evangelischer Elternbeirat.

Herr Stockmann       Herr Rabald, Fritz
 "   Kirchhof         "   Wöege, Fritz
 "   Möbius, Karl     "   Seiffert, Oskar
 "   Täsch, Karl

Der kirchlichen Gemeinde–Vertretung gehören
ferner an:

Frau Westhoff, Frau Ludley, Frau Steffen, Frau Hartwig,
Frau Hönicke.
Von Zscherndorf gehören an:
Herr Eschenbach, Konrektor, Herr Pobbig, Herr Hennig,
Herr Kunze, Herr Körner, Herr Pannicke.

            Schul–Vorstand.

Die Gemeinde Sandersdorf ist mit dem Forstgutsbezirk
Stakendorfer Busch zu einem Gesamtschulverband vereinigt.

  Vorsitz: Gemeindevorsteher Ebert
  Stellv. Vors. Rektor Rehm

Mitglieder aus der Gemeindevertretung:

   Schöffe Landwirt Robert Nuckelt
   Gdv. Direktor Borsbach
    "   Arbeiter Louis Röthling
    "      "     Richard Voigt
   Vom Forstgutsbezirk: Hegemeister Stolze.
   Evang. Geistlicher Pfarrer Sinz
   Kath.      "       Pfarrvikar Hesse
   Von der Lehrerschaft:
           Rektor Rehm, ev.
           Rektor Hansmann, kath.
           Lehrer Westhoff, ev.
             "    Stadler, kath.
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        Reichstagswahl vom 20. Mai 1928.
Wahlberechtigt 2470 Personen. – Abgegebene Stimmen 85 %
Sozialdemokratische Partei     413 (250) Stimmen
Deutsche Volkspartei           172 (446)   "
Deutschnationale Partei        144 (   )   "
Zentrum                        223 (184)   "
Kommunistische Partei          814 (561)   "
D. Demokratische Partei         87  (74)   "
Wirtschaftspartei              179         "
Weitere 11 Parteien erhielten   56         "
                      Summa   2088       Stimmen

Die Zahlen in Klammern sind die Stimmen von der
Reichstagswahl am 7. Dezember 1924.

        Gemeindewahl vom 2.März 1919.
Unabhängige Sozialisten       718 Stimmen
Bürgerliche Liste             249   "
Sozialdemokraten              198   "
Zentrum                        85   "
Polen                         199   "

        Gemeindewahl vom 4. Mai 1924.
Einheitsliste der Arbeiter u. Angestellten I. 1013 Stimmen
Bürgerliche Liste r.                           657    "
Zentrum                                        270    "

         Einige Vorkriegswahlen
verdienen noch in Sandersdorf beachtet zu werden.

         Reichstagswahl am 12. Januar 1912.
Bauermeister Deutsche Grube (freik.)   145 Stimmen
Tschanter Eilenburg (freis.)            79   "
Raute (Soz.)                           269   "
Chociesjewski (Pole)                   53   "
Ungültig                                 1   "
                                Sa.    547 Stimmen
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        Stichwahl am	22. Januar 1912.
        Bauermeister  188 Stimmen
        Raute         355   "

        Wahl zur Nationalversammlung 1919.
Unabhängige Sozialdemokraten  996 (952) Preuß. L. Verf.
Mehrheitssozialisten          274 (246)    "
Deutsch–Demokraten             88 (120)    "
Zentrum                       134 (148)    "
Deutsche Volkspartei           18  (18)    "
Deutschnationale Volkspartei   52  (63)    "
Ungültig                        4   (–)    "
                             1556 (1547) Stimmen

Die Zahlen in Klammern sind die Stimmen zur
Preußischen Landesversammlung.

  Einwohnerzahl von Sandersdorf.
  1818    227 Einwohner   43 Häuser
  1842    300    "        48   "
  1860    400    "
  1865    406    "        77   "
  1885   1628    "       113   "
  1910   3100    "
  1916   3724    "
  1919   3856    "
  1920   3917    "
  1925   4023    "
  1927   4131    "       371 Häuser 982 Fam.
  1928   4394    "       410   "   1040  "

Bitterfeld  1818  2246 Einw.  1919  16551 Einw.
Zscherndorf  "     107  "      "    1829   "
Ramsin       "     285  "      "    1301   "
Wolfen       "     226  "      "    3878   "
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Ramsin.

Ramsin liegt etwa 2 1/2 km südwestlich von Sandersdorf. Beide Fluren grenzen unmittelbar zusammen. Bis vor einigen Jahrzehnten waren beide Orte durch den 300 Morgen großen Brand (Laubwald), der zum Rittergut Ramsin gehörte, getrennt. Das Rittergut, ein ehemals alter Rittersitz, befindet sich seit 1927 in Pacht der Gemeinde. Besitzer ist Herr Hermann Schuhmacher. Als jetziger Gutsinspektor ist von der Gemeinde Herr Fischer angestellt und mit gutem Erfolg tätig. Industrie befindet sich im Orte nicht, deshalb sind die Einwohner auf Arbeit nach den umliegenden Werken angewiesen.

Ramsin wurde im Hussittenkrieg 1419–1436, sowie im 30jährigen Krieg 1637 vollständig zerstört, jedoch hat der Ort sich jedesmal wieder erholt.

1813 lagen die Russen in und um Ramsin. Durch ihre Plünderungen waren sie der Schrecken der Bevölkerung geworden.

In den letzten 50 Jahren ist der Ort von mehreren Bränden heimgesucht worden. In den siebziger Jahren brannten die Schafställe und 1900 die mit Getreide gefüllten Scheunen des Rittergutes ab. Am 1. Weihnachtsfeiertage 1883 brannte die Scheune des Zimmermeisters Dietze und kurz darauf das Stallgebäude von Gustav Hirsch durch Blitzschlag nieder. Die Kirche ist schon sehr alt; ihr Alter wird auf rund 700 Jahre geschätzt, sie gehört zum Kirchenbezirk Roitzsch. Der frühere Gasthof von Pannicke ist gleich nach dem Krieg zu Wohnungen umgebaut, dafür erstand 1927 der Gasthof "Zur Linde" (Erbauer Brautzsch); ferner ist noch der Gasthof der Witwe Frau Laskoski vorhanden ("Gasthof Ramsin").

Als Gemeinde–Vorsteher amtiert:
Herr Hugo Lützner seit 1918
als Steuereinnehmer: Franz Hirsch
als Landjäger Exner.

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     Gemeindevertretung.
Herr Henze, Albert    Herr Zöhl, Hermann
 "   Müller, Karl      "   Hirsch, Franz
 "   Reichert, Franz   "   Haby, Wilhelm
 "   Retzke, Franz     "   Rothe, Paul (Schöffe)
 "   Stückroth, Otto   "   Latauschke
 "   Mandel. Eduard

Als Lehrer der Volksschule sind angestellt:
Herr Pöschel (Rektor seit 1929)
 "   Zimmermann, Karl
 "   Zimmer, Fritz
 "   Müller, Georg
 "   Schmidt, Georg

Gutsbesitzungen.
Remmicke, Witwe     Meister, Friedrich
Müller, Karl        Stammer, Otto
Meikert, Albert

Als einstmals größter Bauer ist Hirsch mit 400 Morgen
Acker genannt. Heute ist nur noch das alte Wohnhaus
am Dorfplatz vorhanden.

Gewerbetreibende und Geschäfte.
Engel (Fleischer)   Brautzsch (Friseur)
Jänicke    "        Frl. Dietze (Friseuse)
Mandel (Bäcker)     Weiser (Gärtner)
Richter    "        Jänicke, Paul
Berger     "        Zander, Anna
Täsch (Schneider)   Henke
Braust     "        Klenk (Witwe)
Grube (Tischler)    Nohr, Otto
Hermann (Schmied)   Brautzsch, Hermann

Während des harten Winters 1928 zu 1929 hatte die Gemeinde Ramsin an Wassermangel bitter zu leiden; fast die gesamte Wasserleitung war zugefroren. Bei dem später einsetzenden Tauwetter folgte Rohrbruch auf Rohrbruch, sodaß zu Pfingsten 1929 der Schaden noch nicht ganz behoben war.

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Sandersdorf und der Weltkrieg 1914–1918.

Der 2. August 1914 war ein schwüler, warmer Tag. Die Flur lag weit und breit friedlicher denn je in den glänzenden Strahlen der Sonne. Auch unter den Einwohnern war eine Ruhe und Gedrücktheit, wie man sie von den sonst so lebhaften Sandersdorfern nicht gewohnt war, aber diese Ruhe in der Natur sowohl wie in der Bevölkerung glich mehr einer "Ruhe vor dem Sturm". Schon lange lag die Bestie "Krieg" in der Luft und wartete nur noch auf das Zeichen zum Losbrechen. Am 2. August vormittags 11 Uhr wurde in Berlin die Mobilmachung bekannt gegeben. Nachmittags 5 Uhr kam der Mobilmachungsbefehl auch in Sandersdorf heraus. Die Ruhe war vorbei, der Sturm brach los. In größeren und kleineren Gruppen standen die Leute zusammen, eifrig im Gespräch über die Zukunft. Nur wenige waren es, die an eine Niederlage unserer sonst so tapferen und gefürchteten Armee glaubten. Was aber am meisten auf die Einwohner einwirkte, war das Schicksal um die Zukunft; wußten doch alle, daß jeder gesunde Deutsche jetzt seine staatsbürgerliche Pflicht zu erfüllen hatte. Schweren Herzens nahmen die Angehörigen Abschied von dem Ernährer, Vater, Sohn, Bruder, der nun hinauszog, nachdem ihn die "Order" zur Fahne gerufen. Die Einwohner, die schon vor dem Krieg in mehrere politische Lager getrennt waren, bildeten jetzt eine gemeinsame Masse; doch die Stimmung war nicht herausfordernd oder freudig sondern ernst. Die Pflicht rief und jeder wußte, daß er seine Schuldigkeit dem Vaterland gegenüber zu tun hatte.

Die Truppen rückten in fremdes Land ein. Schlachten wurden geschlagen, Festungen genommen.– Jubelnd begrüßten die Sandersdorfer jeden Sieg der tapferen deutschen Armee. Wochen, Monate vergingen; England, Italien, Rumänien usw. traten in den Krieg gegen Deutschland ein. Mit dem Eintritt Englands in den Krieg war die Lebensmittelzufuhr nach Deutschland von seiten der anderen Länder abgeschnitten. Die Leidenszeit des deutschen Volkes, die später einer Hungerperiode glich, setzte ein. Sandersdorf, fern von jeder Großstadt, bekam dieses sehr bald zu spüren. – Am 8. April 1915 kam die Brotrationierung,

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kurz darauf folgten alle Lebensmittel. Es erhielt pro Kopf und Woche: Brot 4 Pfund – Margarine 30 gr – Kartoffeln 3–5 Pfd. – Fleisch 50 gr – Milch 1/2 Liter, jedoch nur für Kinder bis zu 4 Jahren. Mehl und Fett gab es nur in kleinen Mengen 1/2 – 1 Pfd.. Kohlrüben, weiße Rüben, Dörrgemüse aus Kohlrüben und Kohlblättern war das Nationalgericht – Kaffee aus gebrannten Kohlrüben – das Nationalgetränk. – Tabak aus Kirsch– und Buchenblättern die nationale Rauchware des deutschen Volkes! Senf und Zimt stellte man aus Kohlrüben her, andere Gewürze waren fast überhaupt nicht zu bekommen. Zucker gab es pro Monat 1 Pfd.. Seife bestand aus Ton und Sand.

Leider aber ließen auch im hiesigen Ort verschiedene Geschäftsleute, der Not der Zeit entsprechend der hungernden Bevölkerung gegenüber, die doch alle Schichten umfaßte, das nötige Entgegenkommen fehlen. Fleisch, Butter usw., überhaupt alles, was besonders knapp war, veranlaßte die Leute sich schon nachts vor den Läden aufzustellen damit sie morgens bei Ladenöffnung die ersten sind, um ja etwas zu bekommen und den anklagenden Magen und Hunger mit wenigen Gramm Fleisch oder Fett zu stillen. Wie bitter mag es gewesen sein, wenn die zur Arbeit gehenden Kriegsgefangenen sich über das Schlangestehen der darbenden Menschen lustig machten, die schon stundenlang warteten, um etwas zum Leben zu bekommen.

So vergingen die Kriegsjahre "langsam und aufreibend", besonders für die Jugend, die jedes Vergnügen entbehren mußte. Später, etwa 1916 kam das Arbeitspflichtgesetz für Männer und Frauen bis zum 65. Lebensjahre, darunter fielen auch Gewerbetreibende und Kaufleute, die ebenfalls zur Arbeit – entweder nach Werk I oder in den Bergbau gehen mußten. Während der Kriegsjahre entstand die Säurefabrik auf Sandersdorfer Boden. Werk I – Elektron Griesheim stellte während des Krieges Sprengstoffe und Zubehörteile für Kriegsgeräte her.

Während dieser langen Zeit von 1914–1918 wuchs die Unzufriedenheit von Tag zu Tag. Die Not wurde immer größer, die Ernährung schlechter. Wohl war der

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Verdienst nicht schlecht, aber es gab ja für das Geld nichts zu kaufen, höchstens einen Anzug oder Wäsche aus Papier, oder Stiefeln mit Holzsohlen. Aber etwas anderes war es was den Mißmut hervorrief: die ungeheuren Verluste an kostbaren Menschenleben. Immer mehr Familien wurden davon betroffen, immer lauter und deutlicher kam das Verlangen nach Frieden.

Endlich im November 1918 kam der langersehnte Frieden. Aber es war kein Frieden wie ihn das deutsche Volk verdient hätte, es war ein Schmachfrieden für Deutschland und seine siegreiche Armee. Kein deutscher Staatsbürger, der sein Volk und Vaterland liebt, wird sagen, daß das deutsche Volk diesen uns aufgedrängten Frieden verdient hat. Der Zusammenbruch der Armee war da. Eine Aufruhrbewegung jagte über deutsche Lande dahin und verschonte auch unseren Ort nicht von dieser Bewegung. —

Am 8. November kamen die ersten Soldaten von der Front hier an; denselben Abend fand eine Besprechung statt, in der ein Soldaten— und Arbeiterrat zusammengestellt wurde. Der 9. November war schon etwas unruhiger. Nachmittags fand eine Demonstration statt; der Zug bewegte sich zum Gemeindehaus. Nach einer Ansprache vor demselben setzte sich der Zug zum Landjägerhaus in Bewegung, hier wurde nach einer Ansprache der damalige Wachtmeister Reinhardt vorläufig seines Amtes enthoben. Der Mittelstand stand dieser Bewegung wohlwollend gegenüber, dieses beweisen die damaligen Eintritte in die Sozialdemokratische Partei; auch war dieses in der Zeit der Not verständlich und gut denkbar. Leider gingen die Wogen aber auch manchmal über die Köpfe der Führer hinweg. Die Fahne des Kriegervereins hatte der Zug der Demonstranten abgeholt und vollständig zerrissen, was später zu einem Prozeß führte und mit Bestrafung der Schuldigen endete. Im November standen auf dem hiesigen Bahnhof einige Eisenbahnzüge mit Heeresgut, die von einer Wache des Soldatenrates bewacht wurden; aber trotzdem hat man die Züge geplündert. In der zweiten Nacht kam es zu einer Schießerei zwischen Plünderern und Wachmannschaften, sodaß sich der Soldatenrat

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genötigt sah, Verstärkung von Bitterfeld heranzuholen. Die ganze Nacht feuerte die Wache Leuchtraketen ab, um das Gelände übersichtlich zu machen. Als die zuverlässigsten Wachmannschaften bewährten sich dabei die jüngsten Soldaten.

Vor der Nationalversammlung sprach am 12. Dezember 1918 Schwester Lydia Rühland in Bergts Gasthof Ramsinerstraße Nr. 20 vor überfülltem Saal von Besuchern aus allen Ständen. Während und nach der Versammlung kam es zum ersten Zusammenstoß zwischen Spartakusbund und Andersdenkenden. Zweck und Ziel des Soldaten— und Arbeiterrates war "für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sowie für die Ernährung der Einwohner. Dieses ist ihm auch zum großen Teil gelungen. Es wurden Pferde geschlachtet und das Fleisch unter die Einwohner verteilt, der Ueberschuß floß der Gemeindekasse zu.

Leider hatte sich nach Beendigung des Krieges auch im hiesigen Ort ein böses Uebel eingenistet "Die Sucht nach Tanz". Kaum war der Krieg zu Ende, da fand ein öffentlicher Tanz nach dem andern statt: Längst hatte man vergessen, daß hunderttausende deutsche Soldaten sich verblutet hatten und in fremder Erde ruhten, daß tausende deutsche Soldaten als Krüppel in Krankenhäusern lagen, und daß hunderttausende Kriegsgefangene noch unter fremder Herrschaft hinter Stacheldraht, dem Wahnsinn nahe, schmachteten; aber Sandersdorf tanzt, tanzt von abends bis früh nach frisch fröhlicher Weise. Gewiß, die langen Kriegsjahre hatten jedes Vergnügen unmöglich gemacht; aber trotzdem so schnell durfte auch Sandersdorf seine Toten, Krüppel und Kriegsgefangenen nicht vergessen. 82 Sandersdorfer Söhne ruhen in fremder Erde und sind in dem Tanztaumel vergessen. Erst am 25. Sept. 1925 gedachte Sandersdorf seiner gefallenen Söhne, indem sie ihnen ein Denkmal errichteten. In ergreifender Weise gedachte der Festredner Herr Lehrer Schulze sowie der erste Vorsitzende des Denkmalsausschusses Herr Krug am Tage der Weihe der gefallenen Sandersdorfer Söhne und hier geschah das Unglaubliche: am Abend desselben Tages rissen ehrlose Buben die am Gemeindehaus zum Gedächtnis unserer "Gefallenen" gehißte Reichsflagge

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herunter, zerschnitten diesselbe und beschmutzten damit in erster Linie diejenigen, denen der Festakt, die Denkmalsweihe galt. Der

"Kapp-Lüttwitz—Putsch" in Sandersdorf.

Infolge der dauernden Unruhen hatten sich im Reiche die Kriegsteilnehmer zu verschiedenen Verbänden zusammengeschlossen. Als erster entstand am 13. Februar 1919 "Der Stahlhelm" mit 900000 Mitgliedern. Die ersten Jahre segelte er unter der Reichsflagge "Schwarz—Rot—Gold". Erst später entwickelte er sich immer mehr zu einer Rechtsorganisation und nimmt jetzt eine scharfe Stellung gegen die Republik ein. Der hiesigen Ortsgruppe ist auch der Wehrwolf angegliedert; er entstand 1924. Das "Reichsbanner Schwarz—Rot—Gold", gegründet am 22. Februar 1924 mit über 2 1/2 Millionen Mitgliedern, ist die größte Nachkriegs—Organisation. Ihr Zweck und Ziel ist, die deutsche Republik gegen alle Umsturzversuche zu schützen, ganz gleich von welcher Seite sie auch kommen mögen. Am hiesigen Orte besteht eine Abteilung des Reichsbanners Schwarz—Rot—Gold "Bitterfeld". Der Rote Frontkämpferbund, zusammengestellt aus Kriegsteilnehmern der kommunistischen Partei. Zweck und Ziel ist den kommunistischen Gedanken zu festigen. Eine Ortsgruppe in Sandersdorf entstand etwa 1926.

Bis zum Kapp—Putsch verlief im hiesigen Ort bis auf einige kleine unwesentliche Zwischenfälle, alles ganz ruhig. In der Nacht zum 14. März 1920 rückten zwei Brigaden unter dem Befehl von Ehrhardt und Löwenfeld von Döberitz kommend in Berlin ein, wo sie versuchten, die rechtmäßige Regierung zu stürzen. Im Auftrage der Regierung fuhr Admiral von Trotha nach Döberitz, um die Gegenrevolutionäre von ihrem Staatsstreich abzuhalten. Der Admiral kehrte jedoch unverrichteter Sache wieder zurück. Die politischen Parteien sowie die Gewerkschaften proklamierten hierauf den Generalstreik. Diesem Aufruf wurde von allen Seiten, auch von der Eisenbahn Folge geleistet. Am 15. März fuhr vor dem Gemeindehaus ein Militärwagen mit einem Offizier und bewaffneten Soldaten

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vor, nachdem ein Hornist nach allen Seiten Signale abgegeben, verlas der Offizier den Aufruf von General Märker, der aber auf die Bevölkerung ohne Einfluß war. Trotzdem jeder Streikende in dem Aufruf mit dem Tode bestraft wurde, dauerte der Streik eine Woche; während dieser Zeit erhielten die Arbeiter ihren Lohn weiter. — In Bitterfeld war eine größere Abteilung Reichswehr eingerückt, die auf die Ortschaften Kavallerieabteilungen schickte, auch durch Sandersdorf kam mehrere Mal eine solche. Einige Tage später haben Unbekannte eine Kavallerieabteilung bei Jeßnitz abgeschossen. Ein Aktionsausschuß sowie eine Einwohnerwehr, die für die Ruhe und Ordnung sorgen sollte, wurde eingesetzt. Die Straße war von der Wehr besetzt. Zu ihrer Bewaffnung hatte der Ausschuß Waffen beschlagnahmt. Leider gab es auch hier Leute, die sich Rechte anmaßten, die ihnen nicht zustanden; so hatte man Herrn Direktor Glockemeier angedroht, seine Villa in die Luft zu sprengen, allerdings blieb es nur bei der Drohung. Am 17. März marschierten Abteilungen der Einwohnerwehren von verschiedenen Orten in Richtung Brehna. Hier kam es zu dem verhängnisvollen Mord an Wachtmeister Hannemann. Als die Truppe, die ein Lastauto mit Maschinengewehr bei sich führte, das Deutsche Haus passiert hatte, kam ihr aus Richtung Brehna das Polizeiauto mit Wachtmeister Hannemannn entgegen. Sofort begann die Truppe auf das Automobil zu feuern, dabei zerschossen sie die Schutzscheibe, verletzt wurde niemand. Das Automobil hielt, die Polizei nahm eine freundliche Haltung ein, aber trotzdem wurden sie entwaffnet. Wachtmeister Hannemann befand sich noch im Auto, als die übrigen Wachtmeister schon ausgestiegen waren, plötzlich fiel aus etwa 1 m Entfernung ein Schuß, der Hannemann tödlich in den Kopf traf. Der Täter ist bis jetzt noch nicht ermittelt. Das Automobil setzt nun seine Fahrt nach Bitterfeld fort, während die Truppe in ihre Orte zurückkehrt. Nachdem die Kapp—Lüttwitz—Anhänger überall geschlagen und zum Teil verhaftet waren, riefen die Regierung sowie die Gewerkschaften und politischen Parteien wieder zur Arbeitsaufnahme auf. Diesem Aufruf wurde in Sandersdorf auch sofort Folge geleistet.

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Aufruhrbewegung in Mitteldeutschland 1921.

Diese hat sich in Sandersdorf weniger ausgewirkt. Die Gegend um Ammendorf, Halle, Mansfeld und Eisleben war das Hauptkampfgebiet der roten Armee unter ihrem Führer Max Hölz. Ein Kampfbericht der roten Armee besagt folgendes:

Hauptquartier, den 28. März 1921.

"An der Eislebener Front setzte scharfes Gewehr- und Maschinengewehrfeuer ein. Unsere Truppen hatten sich aber bereits zurückgezogen und sich in der Umgegend konzentriert. Die weißen Truppen, welche Mansfeld und Leimbach besetzt hielten, rückten gegen Eisleben vor und gegen Mittag griffen sie mit Minenwerfern an und beschossen unsere längst geräumten Stellungen. Kleine Kavalleriepatrouillen hatten kleinere Gefechte zu bestehen, welche ihnen nur Verluste eintrugen. Die weißen Truppen besetzten die Grunddörfer und nahmen eine Anzahl Geiseln mit.

Heute morgen bei Tagesanbruch griff die Heeresgruppe Hölz den Vorort Ammendorf an, besetzte den Ort und drang bis dicht an die Stadt Halle vor. Die Schupo wurde aus ihren Stellungen verdrängt und mußte sich in ihre festen Stützpunkte zurückziehen. Wasserwerk und Schloß an der Beesener Straße bildeten einen guten Stützpunkt. Der Feind hatte außerordentliche Verluste, während auf unserer Seite außer kleinen Verwundungen keine Verluste zu verzeichnen sind."

Nachdem dieser Bericht bekannt war, legten in Sandersdorf die Arbeiter die Arbeit nieder und riefen in den Betrieben Belegschaftsversammlungen zusammen, um Stellung zur gegenwärtigen Lage zu nehmen. Bei der Abstimmung war die Mehrzahl jedoch für Arbeit, sodaß eine Betriebsstilllegung nicht in Frage kam. Einige Tage später rückte in Richtung Zörbig Reichswehr durch Sandersdorf; diese versuchte die rote Armee am Petersberg anzugreifen. Letztere war jedoch in Richtung Eisleben weitergerückt. In der Nähe von Eisleben kam es dann zu schweren Kämpfen, die mit einer Niederlage der roten Armee und der Gefangennahme von Max Hölz endeten.

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Sandersdorf in der Inflationszeit.

Die Inflationszeit ist wohl eins der traurigsten Kapitel der Geschichte mit. Die Arbeiter, Angestellten, Beamte, kurz alle, die gegen Lohn arbeiteten, hatten am schwersten darunter zu leiden. Die Mark verlor von Tag zu Tag. In der letzten Zeit sogar von Stunde zu Stunde an Wert. Geld von vormittags hatte oft am Nachmittag nur noch ganz wenig an Wert. Der wöchentliche Verdienst reichte 1923 kaum noch zu einem Brot und 1/2 Pfund Margarine. Der Lohn änderte sich jede Woche und immer größer wurde die Not und das Elend. Streiks und kleinere Unruhen waren an der Tagesordnung. Auf der Bitterfelder Louisengrube verunglückte während eines Streiks bei Verrichtung von Notstandsarbeiten der Steiger Oswald Röder tödlich.

Einige Ziffern zeigen den schnellen Verfall der Mark. Die Mark galt am:

 1.10.1919  noch    16,6  Pfg.
 1.12.1919   "      10,4   "
20. 6.1920   "      10     "
 1.12.1921  waren  100 Mk. noch  2,55 Mk.
 1. 7.1922   "    1000 "    "    9,50 "
 4. 8. "     "    1000 "    "    4,88 "
23.10. "     "    1000 "    "    1,11 "
 1. 7.1923   "  100000 "    "    2,73 "
20. 7.1923   "  100000 "    "    l,33 "
29.11.1923   "  1 Goldmark  1 Billion Papiermark 

Der Dollar wurde amtlich mit 4 210 500 000 000 Mk. notiert.
1 Kilo Gold notiert mit 610 Dollar oder
25 726 155 000 000 000 Papiermark.

1923 kam endlich eine stabile Währung (die Rentenmark). Diese bildete den Uebergang zu unserer jetzigen Goldwährung.

Bei der Reichswohnungszählung 1927 am 16. Mai wurden in Sandersdorf gezählt:

  371 Grundstücke
  900 Wohnungen

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  920 Haushaltungen
4131 Einwohner
  494 Schulkinder evang. und kath.
  107 Gewerbetreibende

Am 24. März 1928 wurde ein Schauspiel in zwei Aufzügen "Fern der Heimat", verfaßt von dem Schreiber dieser Chronik, zur Aufführung gebracht. Ein zweites Schauspiel "Die Zarin und ihr Kurier" in fünf Aufzügen, bearbeitet für größere Bühnen, ist bereits fertig und soll in diesem Jahre 1929 zur Aufführung kommen.

Am 30. September 1928 wurde der Forstgutsbezirk Stakendorfer Busch aufgelöst und mit der Landgemeinde Sandersdorf vereinigt.

Die Konzessionierung einer Vollapotheke ist bei der Regierung von der Gemeinde beantragt worden.

Die Wohnungsnot hat die Gemeinde gezwungen, an Bauwillige einen Bauzuschuß von 1000 Mark pro Wohnung zu verleihen.

Die ältesten Personen der Gemeinde sind:

Frau Witwe Nuckelt, 88 Jahr alt
Frau Witwe Möbius, 87 Jahr alt, gest. 17.3.29
Frau Witwe Hönicke 87 Jahr alt, gest.
Herr Bunge, 83 Jahr alt
Herr Jakowski Joh., 83 Jahr alt
Herr Rhode, 80 Jahr alt, feierte 1928 seine Goldene Hochzeit.

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Erklärungen.
1 Gulden meißnisch = 21 gute Groschen = 2 Mark.
       62 1/2 Pfennig
1 sächsischer Acker = 2 1/6 Morgen preußisch.
1 Königshufe = 47–50 ha.
1 Hufe = 11–13 ha oder 30–50 preuß. Morgen. 
  Hüfner = größerer Besitzer von 1–2 Hufen.
  Gärtner, gertner oder Kossath = kleinerer Besitzer von
       10–20 Morgen.
Ein Rittersitz = größeres Hüfnergut eines adl. Besitzers.
Stock = Richtstätte für Verurteilte.
1 ha  = 10000 qm oder 100 Ar oder 7,05 Quadrat Ruten.
1 preußischer Morgen. = 189  Quadrat Ruten od. 25,532 Ar. 
1 Scheffel    = 56,25  Liter.
1 Metze       =  9,375 Liter.
1 Rute        = 12     Fuß oder 3,766 m 
1 pr. Elle    =  25,5 Zoll oder 0,667 m
1 Wispel      =   2 Malter oder 24 Scheffel oder
                144 Metzen oder 13,5 hl
1 pr. Klafter = 200 m
1 pr. Pfund   =  32 Lot oder 467,711 Gramm.
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Inhalts-Verzeichnis
                                       Seite
Einführung                               3
Die vorgeschichtliche Zeit.              4
Aeltere Steinzeit. – Jüngere Steinzeit   5
Bronzezeit – Eisenzeit                   6, 7
Frühgeschichtliches – Ortsnamen.         7
Sandersdorf zum Kloster Brehna 1373     12
Die Reformation                         16
Der Hussiten-Krieg 1419–1436            18
Dr. Martin Luther                       19
Der 30jährige Krieg 1618–1648           19
Stakendorf, Kolpin, Krondorf, Odeley,
Eckeln, Gräfendorf                      25
Zscherndorf, Wolfen. Thalheim           28
Aus der Kirchenchronik 1692–1928        31
Der 7jährige Krieg 1756–1763             4
Aus den Kriegsjahren 1806–1815          37
1848. Die Revolution in Sandersdorf     40
Die Kriege 1864–66 und 70–71            40
Sandersdorf vor 100 Jahren              42
Evangelische Kirche und Schule          47
Katholische Kirche und Schule           56
Rückblick auf die jüngsten 10 Jahre     59
Sandersdorf als Industrie-Ort           63
Namen der Gefallenen 1914–1918          68 
Behörden und sonstige Personenkunde     69
Wahlen und Einwohner von 1818–1928      74 
Ramsin                                  76
Der Weltkrieg 1914–1918 und Umsturz     78
Der Kapp-Lüttwitz-Putsch                82
Der mitteldeutsche Aufruhr              84
Die Inflationszeit                      85
Verschiedenes                           85
Erklärungen                             87
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