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Die Geschichte der Ramsiner Straße

Karsta Synnatzschke

Auch Straßen unterstützen mit ihrer Geschichte den Charakter ihres Ortes. Die Ramsiner Straße in Sandersdorf ist großzügig angelegt. Benannt ist sie nach dem südwestlich liegenden Nachbarort. Heute zeigt sie nur die Richtung an und ist eine Sackgasse, doch war sie über einhundert Jahre lang eine viel genutzte Verbindung zu den Dörfern Ramsin, Renneritz und darüber hinaus.


Die benachbarte Ramsiner Flur wird zum ersten mal 1388 urkundlich erwähnt und ist zu dieser Zeit eine Wüstung. Vor allem durch Kriege wird sie lange nicht wieder besiedelt. Auch 1501 wird noch von der "wüsten Mark Romesyn" geschrieben. Erst 1555, mit dem Aufbau des Rittergutes, dessen Ländereien bis an Sandersdorf reichen, erlangt der Ort wieder Bedeutung.[2]

Sandersdorf wird zum ersten mal durch eine Urkunde aus dem Jahr 1374 bezeugt und hält den Wirren der Zeit stand. An Sandersdorf grenzt um 1890 noch ein aus Fichten und Kiefern [2] bestehender Wald, "Der Brand" genannt, der zum Rittergut Ramsin gehört. Soweit es auf Sandersdorfer Flur an dieser Ortsgrenze Baumbestand gibt ist es Mischwald.[3] Später erstrecken sich zwischen beiden Dörfern Felder und die hindurch führende Straße säumt eine Obstbaumallee. [3]
Jahrhunderte zurück jedoch wären wir von Sandersdorf nach "Romesyn" an der Ortschaft Krot(t)endorf (oder auch Crondorf) vorbei gekommen. Wahrscheinlich ist Krottendorf Mitte des 15. Jahrhunderts untergegangen.

"Laut mündlicher Mitteilung haben 23 Sandersdorfer die aus drei Lehnshufen bestehende Krottendorfmark von dem Rittergut Ramsin gekauft... Krondorf lag westlich von Sandersdorf, ungefähr dort, wo sich die Kantine der Bitterfelder Luisengrube befindet." [1] In Vergessenheit gerät diese Ortslage nicht. 1906, bevor die Ramsiner Straße ihren Namen erhält, ist als Postanschrift die Bezeichnung "Sandersdorf spez. Crondorf" oder "Krondorferstraße" zu finden. [3]

Das älteste Haus, das man der Lage der Ramsiner Straße zuordnen kann, ist als "Herrmannsches Haus" in Erinnerung geblieben. (Nr. 28). "Das frühere Hermannsche Haus hinter der Badeanstalt der Louisengrube gilt als sehr alt. Am Treppenaufgang der alten Treppe war die Jahreszahl 1763 eingearbeitet. Im Garten dieses Grundstückes wurde viele Jahre später ein Topf alter Geldstücke bis in das Jahr 1326 zurückreichend gefunden."[1]

Von dort ein Stück dorfeinwärts liegt der "Gasthof Vergißmeinnicht" (heute Nr. 20), mit der Jahreszahl 1859 versehen.

Bild 1. Gasthof "Vergißmeinnicht" (Haus Nr. 20), Luftfoto um 1922 (Ausschnitt)

1870 entsteht das Anwesen der Familie Kralisch, heute Familie Prieps (Nr. 18). Hintergebäude erfahren in den zwanziger Jahren des nächsten Jahrhunderts eine Substanzveränderung. Dabei entsteht ein Hinterwohnhaus.[45]

Bild 2. Haus Nr. 18 um 1940 im Jahr 2003

1874 baut links neben dem Gasthof Familie Schröter (Nr. 22) ein eingeschossiges Haus. Friedrich Schröter ist Handarbeiter.
Diese Häuser, alle aus Lehm erbaut, mit ansehnlichen Grundstücken, befinden sich in lockerer Anordnung westlich des Baches Brödel, der von Zscherndorf herüber geflossen kommt, über Thalheim führt und bei Salzfurth in die Fuhne mündet.
Von nun an wird ein Zeitraum von fünfzig Jahren vergehen, bis die Ramsiner Straße eine einigermaßen geschlossene Bebauung aufweisen kann.

Mit seinem Lauf bestimmt der Bach Brödel auch den künftigen Verlauf der Straße. Ende des 19. Jahrhunderts hat der Brödel ein einfaches Geländer aus Baumstangen. Auf beiden Seiten des Baches befinden sich Obstbäume.[3] "Das Gewässer war sehr fischreich" [1]. Doch Eingriffe in die umliegende Natur bringen den Rückgang des Fischreichtums mit sich.

Denn bereits 1858, dem Jahr vor Entstehen des Gasthofes, wird begonnen die "Braunkohlengrube Vergißmeinnicht" aufzuschließen. Der Aufschluss beginnt in der Zscherndorfer Gemarkung, die bis an die (heutige) Ramsiner Straße heranreicht (später, zwischen 1868 und 1872, wird an der Stelle des Aufschlusses die Ziegelei der Grube Vergissmeinnicht in Betrieb genommen [33]). Über die Öffnung der Grube ist berichtet:
"Gründung der Privatkohlengrube Nr. 291 Vergißmeinnicht bei Zscherndorf durch Friedrich Eley aus Sandersdorf, Gottlieb Huth aus Holzweißig, Heinrich Kühle aus Bitterfeld und Christoph Hebold" [6].
Die Förderung erfolgt von Hand mit Karren. Es gibt Tätigkeiten wie Kohlensteinformer, Kohlenmesser und die Bezeichnung Handarbeiter.

Der Bergbau ist ein Grund für weitere Ansiedlungen. Untrennbar ist die Entwicklung der Ramsiner Straße von den sozialen und persönlichen Vorhaben der Grubeninhaber.

Bis ungefähr 1900 wird weiterhin nur auf der westlichen Seite des Brödel gebaut. Um 1870/73 erwirbt Gustav Möhring, Sohn des Sandersdorfer Mühlenbesitzers Möhring, ein Grundstück (Ramsiner Str. Nr. 4) [7]. Mit diesem ist er auch Anlieger an der Zörbiger Straße. Dort befindet sich ein Wohngrundstück mit zwei kleinen aus Lehm erbauten Wohnhäusern, einem gemeinsamen Hof und Scheune (dessen Baujahr auf 1900 [7] datiert ist und Gründe dafür sprechen, dass es älter ist; Zörbiger Str. Nr. 9). Auf seinem ausgedehnten Grundstück betreibt Möhring eine Nasspresskohlenstein-Anlage, zu der große Trockenschuppen und ein Lagerschuppen gehören, die sich ebenfalls bis zur Zörbiger Straße erstrecken.

Der "Kommunikationsweg" von Sandersdorf nach Ramsin befindet sich im Besitz der Gemeinde Sandersdorf. Im Jahre 1874 wird wegen des Vorhabens der Auskohlung "ein neuer Weg auf das Gelände der Vergißmeinnicht verlegt". Es wird beschlossen, dass nach der Auskohlung keine Rückverlegung erfolgt. Repräsentant für die Verhandlungen mit der Gemeinde ist Herr Huth, Holzweißig. [34]

Ab dem Jahr 1877 wird das Gelände zwischen Ramsiner Straße und Pfingstanger ausgekohlt. Es gehört zur Grube Richard. Befördert wird mit Schienenbahnen. Dabei werden "Hunte" mit Pferden auf den Schienen gezogen. Zum Vortrieb der Schächte und zur Grubenentwässerung werden Dampfmaschinen genutzt. [10] (1785 wird die erste Dampfmaschine in Deutschland gebaut [11]; Betrieb der ersten Dampfmaschine in Bitterfeld 1838 [12]).

Im Jahre 1878 gibt es auf dem Herrmannschen Grundstück bauliche Veränderungen. Mit diesem Datum wird ein Schriftstück in eine Wand eingelassen, das 115 Jahre später nach mehrmaliger Bautätigkeit gefunden werden wird.[39]

1880 erhält die Grube Vergissmeinnicht zur Verarbeitung der Rohkohle eine Nasspresssteinfabrik [13]. Etwa 1882 [1] wird die erste Kettenbahn errichtet. Sie führt aus der Grube zur Fabrik. In den Jahren um 1880 [14] bis 1892 [7] baut Möhring auf seinem Grundstück an der Ramsiner Straße das Wohnhaus (Nr.4) mit klassizistischer Fassadengestaltung, einem kleinen, kunstvoll angelegten Vorgarten, in dem sich ein Springbrunnen und eine Laube befinden, sowie einen Hof mit Waschhaus und Stallgebäude.

Bild 3. Haus Nr. 4

1883 wird das Wohnhaus mit Laden des Kaufmanns, Maurers und Fleischermeisters August Braust (geboren 1854 im Haus Nr. 43 in Sandersdorf) fertiggestellt (Nr. 8; damals Nr. 2 nach Möhring). Es ist das erste Haus in der Ramsiner Straße mit gelben Verblendsteinen der Greppiner Werke AG (die ersten Häuser dieser Art in Sandersdorf stehen am Dorfplatz und in der Querstraße [7]. Mit Beginn dieser achtziger Jahre bauen auch kleine Bauherren mit diesen Steinen, nachdem große Staatsaufträge an die Greppiner Werke nachlassen.) [12]
An dem Haus Nr.8 ist zu erkennen, dass gegen Ende der Epoche des Historismus Funktionalität in der Bauweise der Vorzug gegeben wird.
Auf dem Hof des Grundstückes befindet sich einer der fünf Brunnen, die es in der Straße gibt. Zudem ist vom Brödel eine Rohrleitung verlegt, die durch das Hintergebäude hindurchführt und das Wasser über einen sich im Garten fortsetzenden schmalen Graben zu einem Teich leitet, zu dessen Wasserfläche einige Stufen hinunterführen. Der Laden führt neben den Erzeugnissen der Fleischerei auch gemischte Waren.

Bild 4. Haus Nr.8 um 1906

Zwischen den Grundstücken Möhring und Braust ist ein kleines Stück Feld, das den Möhrings gehört. An das Grundstück Braust schließt sich auf der anderen Seite der Garten des Schmiedemeisters Karl August Kittler an. Das Wohngrundstück mit Schmiede (Nr.14, heute Familie Dietz) besitzt Kittler mindestens seit diesen achtziger Jahren. Ein Stallgebäude wird 1891 gebaut.[17]

Bild 5. Haus Nr. 14

Im Jahre 1885 hat Sandersdorf 1628 Einwohner [16].
Zwischen den Anwohnern der Ramsiner Straße bestehen gute nachbarschaftliche Beziehungen. In den achtziger und neunziger Jahren werden viele Kinder geboren. Das Taufregister zeugt davon, dass es zwischen den Familien reichlich Tauf-Patenschaften gibt. So sind die Paten eines 1886 geborenen Mädchens Schmiedemeister Kittler, Fabrikbesitzer Möhring und Obersteiger Bernutz. [18]

Die schöne Lage am Ortsrand von Sandersdorf, einige hundert Meter entfernt vom Dorf, das immer noch hauptsächlich aus Bauerngehöften bzw. Gutshöfen besteht, bietet den Ansiedlern einen freien Blick auf die Feldstein-Kirche und die Windmühlen. Es gibt noch keine bebaute Bahnhofstraße, keine Bitterfelder und Zscherndorfer Straße. "Die Zörbiger Straße ist seit 1869 eine Kies-Chausee." [14] Dazu im Kontrast befinden sich in anderer Richtung die Kohlengruben mit ihren Fabriken. Laut Bitterfelder Kreisblatt [15] gehören 1885 zur Grube Vergissmeinnicht, deren Eigentümer nun die "Lehmann und Kühle OHG" ist, eine Presskohlensteinfabrik, eine Kohlendampfziegelei und drei Schornsteine. Von der entfernten Grube Richard sind die Presskohlensteinfabrik und die Dampfziegelei mit vier Schornsteinen zu sehen. Die Preßkohlensteinfabrik von Möhring hat zwei Schornsteine.

Zu Möhrings Fabrik gehören zwei Dampfmaschinen und eine Presse. In einer Anzeige vom 27. Januar 1885 [9] bietet Möhring eine "4-6 pferdige Locomobile (Anm: bewegliche Dampfkraftmaschine) auf Tragfüßen mit vollständiger Fördereinrichtung, sowie 2 noch in gutem Zustand befindliche 4-zöllige Wagen" zum Verkauf an.

Im Winter 1885 erregt Grubenbesitzer Gottfried Lehmann den Unwillen der Bitterfelder, als er "zwei zahme Bitterfelder Schwäne" , die sich nach Sandersdorf "verflogen" haben, abschießt, in der Annahme es seien "wilde jagdbare Schwäne". Der Streit wird im Bitterfelder Kreisblatt ausgetragen.[9]
Die Ehefrau von Gottfried Lehmann ist Ida geb. Huth. Lehmanns Wohnhaus ist das Haus Nr. 26.(früher Nr.9)[1] Zu dem Baujahr ist kein glaubwürdiger Hinweis gefunden [17]. Von seiner Bauweise deutet es auf die Zeit des Entstehens des Gasthofes hin. Sämtliche derzeit und zukünftig zum Grubenbetrieb Lehmann gehörende Bauten werden dieser Haus-Nummer zugeordnet, auch das Pressenhaus mit Maschinen- und Naßdiensthaus.

Bild 6. Haus Nr. 26

1890 im November stirbt Gottfried Lehmann im Alter von 49 Jahren. Seine Grabstelle befindet sich (bis heute) auf dem Alten Friedhof an der evangelischen Kirche Sandersdorf zusammen mit drei weiteren Gräbern seiner Familie. Den Grubenbesitz behalten die Hinterbliebenen.

Von 1891 bis 1910 herrscht eine rege Bautätigkeit. Es ist die Zeit, nachdem Wilhelm der II. 1889 Kaiser geworden ist, 1890 zum ersten Mal der 1. Mai gefeiert und der 8-Stundentag gefordert wird. Bismarck tritt zurück.

Es entstehen 1891 durch die Teilhaber "Kühle und Rettig" für die Grube Vergissmeinnicht ein Maschinen- und Kesselhaus. Ida Lehmann läßt zu ihrem Wohnhaus ein Nebengelaß bauen.
1892 bauen "Lehmann und Kühle" für die Grube Vergissmeinnicht die "Brikettfabrik" (bisher Naßpreßsteinfabrik).
1893 entstehen in der Folge durch "Lehmann und Kühle" im Fabrikgelände eine Schmiede, ein Kohlenhammer, Brikettschuppen und eine Waage.
Bild 7. Brikettfabrik der Grube "Vergißmeinnicht" (Nachfolger Louisengrube)

1895 kommt es zum Neubau eines Pferdestalles mit Kammer.

Neben den privaten Häusern entsteht um 1895 das erste "Grubenhaus" in der Straße (Nr.16, früher Nr. 4).[7] Dieses Haus mit Erker [45] steht neben dem Haus von Schmiedemeister Kittler und hat auch dessen Höhe, bis es später umgebaut wird (siehe Bild 18).Hier wohnen Beschäftigte der Grube Vergissmeinnicht. Zu dem Haus gehören zwei Stallgebäude und ein Waschhaus.

1896 entsteht ein weiteres Maschinenhaus.[8]

Gustav Möhring erschließt 1896 seine eigene Kohlengrube in der Nähe seines Fabrikgeländes nördlich der Zörbiger Straße [1], die "Grube Erich". Erich heißt sein 1887 geborener Sohn [18]. Der "Anbau an das Contorgebäude" erfolgt 1899 [8], als Anbau heute noch an der unterschiedlichen Bauweise erkennbar (geputzte, gestrichene Fassade des Wohnhauses; Anbau aus Klinkern).

Mit fortschreitender Auskohlung wird 1901 ein weiteres Maschinenhaus für die Grube Vergissmeinnicht nötig. Bisherige Betriebsgebäude (Nr. 25, 27[21], 29) bekommen eine andere Bestimmung. So werden ein stillgelegtes Maschinenhaus und ein Pumpenhaus zu Wohnhäusern umgebaut. "Beide Häuser stehen auf Zscherndorfer Flur".[1] [19]. 1912 wird ein Hausteil von einer Familie Düring bewohnt; es sind auch die Namen Halle und Kühn festgehalten.[3] Das Äußere des Hauses Nr. 25 prägen lange Zeit ungeputzte Mauerziegel. Die Häuser sind weiter Eigentum der Grube Vergissmeinnicht. Zu Zscherndorf gehören sie bis zu einer späteren Umgemeindung. Zwischen den Höfen von Nr. 25 und Nr. 27 verläuft eine schmale Durchfahrt zur Ziegelei, dessen Fläche später den Gehöften zugeordnet wird.

Bild 8. Häuser Nr. 25 bis 29


1901 werden zwei Schuppen für die Bagger der Grube Vergißmeinnicht gebaut.
Jahrzehntelang können die Anwohner hören, wie mit Eimerkettenbaggern an den Grubenböschungen gearbeitet wird. Besonders der Westwind trägt das Quietschen, mit dem man morgens schon erwacht, zum Dorf herüber.

Für den 27. Januar 1901 ist Tanzmusik im "Gasthof Vergißmeinnicht" (Nr.20) im Bitterfelder Kreisblatt angekündigt.

Bild 9. Einladung zur Tanzmusik in den Gasthof "Vergißmeinnicht"

1900 baut die nächste Generation der Grubenbesitzer Lehmann ein zweigeschossiges Wohnhaus mit klassizistischem Äußeren, das einen Seitenflügel hat. 1908 wird es durch ein Obergeschoß mit einem Turm erweitert, das Merkmale des Jugendstil zeigt. Diese "Villa Lehmann" ist das Haus Nr. 24. An der Straße erstreckt sich der Park der Villa mit einem Springbrunnen. Nach hinten schließen sich Gutshof und ein Hausgarten an. Im Hof befinden sich Gesindehaus, Scheune, Wirtschaftsgebäude, Stallgebäude und Geräteschuppen. Ausgekohlte Grubengelände der "Vergißmeinnicht" werden aufgeschüttet und dem Gutsbesitz wieder zugeführt. Landwirt und Miteigentümer der Grube ist Bruno Lehmann. "Den Winter verbringt die Familie in Dessau".[20]

Bild 10. Villa Lehmann um 1905 (erbaut 1900) Bild 11. Villa 1908 umgebaut, 1999 restauriert

1900 baut auch August Braust auf seinem Grundstück weiter. Es ensteht ein Mehrfamilienhaus mit sechs kleinen Wohnungen (Nr. 10). Mit dem Geschäftshaus wird es an der Einfahrt zu dem gemeinsamen Hof durch einen Torbogen verbunden. Für die Fassade werden ebenfalls wie bei Nr. 8 Greppiner Verblendsteine verwendet. Das Wohnhaus Nr. 10 wird wenig für die eigene Familie genutzt. Hier wohnen vorwiegend polnische Familien, die sich durch die zunehmende Industriealisierung in der Region angesiedelt haben. Zu den Hausbewohnern gehören Bergmann Martin Kazmierczak, geboren 1879 in Malachowo, und Ehefrau Marianna geb. Stellmaszyk, Fabrikarbeiterin, geboren 1881 in Boroswo, Heirat 1904 in Sandersdorf, mit den vier Kindern Alwin, Eduard, Johann und Franz.[41]
(Inlandspolen aus Ostpreußen und Schlesien sind nach dem Gesetz Staatsbürger des Deutschen Reiches. Seit den Jahren 1795/1815, der Zerschlagung und Aufteilung Polens, existiert kein polnischer Staat mehr bis zum Ende des 1. Weltkrieges (Ralf Koch,MZ,Polnische Arbeiter im Kaiserreich)).

Bild 12. Kolonialwaren-Handlung August Braust um 1905. Im Vordergrund der Brödel-Graben mit Obstbäumen.

Auch das Grubenhaus Nr. 16 und das spätere Grubenhaus Nr. 12 werden von Familien polnischer Herkunft bewohnt.

1900 wird an der Ecke Ramsiner Straße/Zörbiger Straße ein Gendarmerie-Gebäude errichtet. Der Zugang ist in der Zörbiger Straße (Zörbiger Straße 1/heute Schornsteinfeger Koziol). Eigentümer ist die Polizeiverwaltung des Deutschen Reiches.

1897 war die Bahnlinie Bitterfeld- Stumsdorf eröffnet worden, wodurch sich eine entscheidende Verbesserung des Kohletransports ergibt. Somit kann der größte Teil des Absatzes über die Eisenbahn erfolgen, "während der Landabsatz mit Pferdewagen zum Verbraucher" zurückgeht. [10]

1900 ist ein privates Anschlußgleis zur Brikettfabrik gelegt worden [15]. Es führt vom Bahnhof, über die Zörbiger Straße hinweg, auf der noch unbebauten Seite der Ramsiner Straße entlang , überquert diese nach rechts und verläuft hinter der Villa (zwischen Nr. 24 und 26) in das Fabrikgelände. Vor der Überquerung zweigt ein Gleis zur Ziegelei der "Vergißmeinnicht" ab. Der Transport der Rohkohle von der Grube zur Fabrik erfolgt nach wie vor mit Kettenbahn.
1897 entsteht eines der "Windenhäuser"der Kettenbahn (später ist es das Wohnhaus Nr. 32). Einen Lokschuppen gibt es ab 1903. [8]

1902 baut Gustav Möhring auf seinem Grundstück (Nr.4) die Sandersdorfer Rübensaft- und Syrupfabrik [1].

Bild 13. Rübensaftfabrik Bild 14. Das leer stehende Gebäude der Saftfabrik im Jahr 2002

Die Kohle zum Betreiben der Rübensaftfabrik wird weiter mit Pferdewagen aus der Grube Erich geholt. Fünf Jahre später wird diese Grube Erich, die technisch schlecht ausgestattet ist und schon mehrfachen Besitzerwechsel erfahren hat, von der Grube Vergissmeinnicht gekauft, die im gleichen Jahr ein zweites Baufeld unter dem Namen Erich südlich der Straße nach Zörbig erschließt [10 ] (bis 1935), das bis an die Grundstücke der Ramsiner Straße heranreicht.

Bild 15. Das Abbaufeld des Tagebaus "Vergißmeinnicht" reicht bis an die Hausgärten westlich der Ramsiner Straße. Luftfoto um 1922 (Ausschnitt).

1900 tritt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft.
1905 bis 1911 haben Bruno Lehmann, Gruben- und Gutsbesitzer, dreißig Jahre alt, und August Braust, 50 Jahre alt, das Amt der Schöffen inne. Es ist die Amtszeit des Bitterfelder Landrates Freiherr von Bodenhausen. Braust ist in der Zeit auch Gemeinde-Vorsteher von Sandersdorf. [35]

1905 erhalten die Arbeiter von Möhrings Fabrik einen Aufenthaltsraum.[8]


1906 entsteht für die Arbeiter der Grube Vergißmeinnicht im Grubengelände ein Sozialgebäude, Nr. 30b.[22] Darin eingerichtet sind eine Küche und ein Speisesaal, die mit einer Durchreiche verbunden sind. [46] Wohnbaracken, wie sie vielmals in den Geländen anderer Gruben für vorwiegend fremdsprachige Arbeiter zu finden sind und die als "äußerst primitiv und menschenunwürdig" gelten, gibt es in der "Vergißmeinnicht" nicht. [25] In den zwanziger Jahren ist dieses Gebäude bereits Wohnhaus. [46]

1906 und 1907 entstehen das Beamtenwohnhaus mit Stall (Nr.23) und das Contor- und Beamtenwohnhaus Nr. 21. [8]

Bild 16. Haus Nr. 23, Wohnung von Steiger Willi Plock.

1909 wird am Anschlussgleis zur Grube Vergissmeinnicht ein Bahnwärter-Häuschen gebaut [8]. Es befindet sich an der Hauptstraße Einmündung Ramsiner Straße, wo es später auch eine Schrankenanlage geben wird.( Noch heute steht es dort, im Sommer verhüllt von grünen Ranken.)

"1910 stiftet Bergwerksbesitzer Lehmann eine Turmuhr für die evangelische Kirche" [1].
1910, im Juni, gibt es Flächenbereinigungen zwischen den Eigentümern Kittler, Braust und "Grube Vergißmeinnicht offenen Handelsgesellschaft von Lehmann und Kühle" [3].

Am 1. Oktober 1910 wird die OHG "Grube Vergißmeinnicht von Lehmann & Kühle" von der "Bitterfelder Louisengrube AG" gekauft [5] mit allen Aktiven und Passiven[1];(einschließlich der Grube "Erich").
Alleinige Inhaber waren zu diesem Zeitpunkt:
Frau verw. Grubenbesitzer Ida Lehmann, Bitterfeld; der Landwirt und Oberleutnant Bruno Lehmann, Sandersdorf; der Leutnant Willy Lehmann, Bitterfeld. [33]

Die neuen Besitzer, die Bitterfelder Louisengrube AG, sind auf das erworbene Grubenfeld Vergissmeinnicht angewiesen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Im Bitterfelder Tageblatt heißt es:
"Als 1910 das Gelände der Louisengrube zur Neige ging, erwarb man die Grube Vergißmeinnicht dazu" (BTF Tageblatt Nr. 113 vom 16.5.1933) und in einem Schreiben der Aktiengesellschaft an die Industrie- und Handelskammer:
"Das Grubenfeld Louise erreichte im Januar 1912 den Zeitpunkt seiner völligen Auskohlung". [36]
Die "Vergißmeinnicht" und das der AG noch verbliebene Grubenfeld "Karl-Ferdinand" (1900 erschlossen auf Stakendorf) werden
"unter dem gemeinschaftlichen Namen "Vereinigte Vergißmeinnicht und Karl-Ferdinand" als ein Grubenfeld zusammengefasst".
Die Bitterfelder Louisengrube AG gelangt mit dem Kauf auch in den Besitz der Brikettfabrik und der einpressigen Nasspresssteinanlage sowie der Ziegelei. Ihre bisherigen Grubenfelder hatte die Louisengrube AG nur als Rohkohlenwerk betrieben. [33]
Als Verwaltungssitz wird das 1907 erbaute Bürogebäude in der Ramsiner Straße übernommen.

Bild 17. Haus Nr. 21, Verwaltungsgebäude der "Louisengrube"

1911, am Sonntag, dem 19. Februar, findet im Gasthof Vergissmeinnicht ein Großer öffentlicher Volks-Maskenball statt. Die drei besten Damen- und Herrenmasken erhalten wertvolle Preise. Maskengarderobe ist im Lokal zu haben. [9]

1911 zieht Familie Bruno Lehmann nach Dessau in die Antoinettenstraße Nr. 36. Name und Geschichte der Familie Lehmann bleiben nachfolgenden Generationen fast unbekannt. Die "Villa" wird von Bergwerksdirektor Dipl.-Ing. Otto Glockemeier bezogen.[1][23] Der Kaufmännische Direktor Hermann Weese wohnt in Bitterfeld.

1911 ist auch das Grubenhaus Nr.16 Eigentum der Louisengrube. Ungefähr um diese Zeit ist das Haus erweitert und aufgestockt.[45] Lückenlos schließt es an das Haus Kittler an. Merkmale wie ein Fassadenband und die Kellergewölbe weisen weiter auf den Ursprung hin. Fenster mit Rundbogen werden bei viel späteren Restaurierungsarbeiten originalgetreu eingesetzt.

Bild 18. Haus Nr. 16

Um 1911 sind die Eigentümer des "Herrmannschen Grundstückes" der Bergmann Karl Herrmann und seine Ehefrau Friederike geb. Eissner.[4] Kurze Zeit später ist der Schlosser Julius Herrmann Eigentümer. Auf dem Grundstück befinden sich ein Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, zwei weitere Wohnhäuser und ein Hinterwohngebäude sowie ein Waschhaus und Schweine- und Kohlenställe [45]

1911 im Januar erscheint im Bitterfelder Tageblatt Nr. 9 eine Bekanntmachung des Landrates, aus der die Bedeutung der Sandersdorfer Polizeistation Ecke Ramsiner Straße deutlich wird:

"Für den hiesigen Kreis ist ein Polizeihund angeschafft und die Führung desselben dem Fuß-Gendarmerie-Wachtmeister Brecht zu Sandersdorf übertragen worden. Die nachgeordneten Polizeibehörden ersuche ich, zur Ermittlung von Verbrechen pp. sich direkt mit dem Fuß-Gendarmerie-Wachtmeister Brecht ins Benehmen zu setzen. Die durch die Anforderung des Polizeihundes entstehenden Kosten sind von dem Antragsteller zu entrichten. Sie bestehen aus a) der tarifmäßigen Reisekostenentschädigung des Gendarmerie-Wachtmeisters Brecht und b) der Entschädigung für den Hund pro Tag 5 Mark."

Die Ramsiner Straße, innerhalb der Gemarkung Sandersdorf, wird in den Jahren 1911/1912 durch die Bitterfelder Louisengrube AG gepflastert, die "Fußsteige zum Teil später".
Seit 1865 haben die Betreiber der Grube Vergissmeinnicht die Wegeunterhaltungspflicht für den "Kommunikationsweg" Sandersdorf-Ramsin, die 1910 auf die Bitterfelder Louisengrube AG übergegangen ist.[5]
Auch die Gemeinde Ramsin beginnt 1911 mit der Pflasterung des Teiles der Straße, der sich in ihrer Zuständigkeit befindet. Der Gemeinde-Vorsteher von Ramsin schreibt folgende "Verdingung" aus:

"Die Anfuhr von 5500 cbm Pflastersteine, 1200 laufende Meter Hochbordsteine und 170 cbm Steingrus vom Bahnhof Sandersdorf nach dem Kommunikationswege von Ramsin nach Sandersdorf sowie die Anfuhr und Lieferung von 2200 cbm Pflasterkies aus den Gruben bei Sandersdorf zum Ausbau des Weges Ramsin Sandersdorf soll am Montag, den 20. Februar nachmittags 3 Uhr im Neuholdschen Gasthof zu Ramsin öffentlich an den Mindestfordernden vergeben werden."[37]

In einer Bekanntmachung ist zu erfahren, dass der Kommunikationsweg ab Mitte März für längere Zeit für alles Fuhrwerk gesperrt ist. Trotzdem wird er, wie die Zeitung ebenfalls berichtet, an einem Aprilsonntag von mehreren Fuhrwerken befahren.

Der Kommunikationsweg, 1874 angelegt, ist zu einer ausgebauten Straße geworden. Die Straßen müssen nach Kreisrecht mit Bäumen bepflanzt werden, was nicht gleich geschieht.

Die weitere Bebauung der Ramsiner Straße mit Häusern erfolgt künftig, bis 1958, nur durch die Bitterfelder Louisengrube AG.
Bereits 1910 wird das Beamten-Doppelwohnhaus (Nr.6, damals 2a) angelehnt an das kleine Wohnhaus Braust (Nr. 8, damals 2) errichtet. Dadurch kommt es zum Verlust der Giebelfenster der Nr. 8. Als Ersatz wird ein Erker nach dem Hof gebaut. [3]

Bild 19. Haus Nr. 8 um 1932.

Die Grube Vergissmeinnicht hat bisher die Räumungspflicht für den Brödelgraben, da er die Grubenwässer aufnimmt. Doch ab 1913 wird der Graben dafür nicht mehr benutzt, da die Wässer durch verlegte Rohrleitungen zur Chemischen Fabrik Griesheim-Elektron (später IG-Farbenindustrie Werk Süd genannt) geleitet werden.[5]

1914 wird Gelände an der Ramsiner Straße zwischen der Gemeinde und der Bitterfelder Louisengrube AG ausgetauscht. Grund ist, dass sich bei der Pflasterung der Straße an der Gendarmerie-Station die Fahrbahn geändert hat.[42]
Ungefähr 1914 ändert sich die Häuser-Nummerierung in der Straße, z.B. Braust Nr. 2 wird nun Nr. 8.[3]

Seit 1913 hat der Gasthof Vergissmeinnicht einen anderen Eigentümer, die Bitterfelder Aktienbrauerei, vormals A. Brömme, Aktiengesellschaft in Bitterfeld. [45]

1914 geht die Rübensaftfabrik unter Gustav Möhring in Konkurs. Da Rüben aus den umliegenden Anbaugebieten verarbeitet werden, schließen sich einige Landwirte zu der Fa. Hänsch u. Co. zusammen und betreiben die Saftfabrik weiter. Die Nasspresskohlenherstellung wird eingestellt [24]. O. Hänsch ist Gutsbesitzer zu Bobbau.[45]
1915 erhält die Rübensaftfabrik eine Kläranlage. Deren Fläche reicht bis an die Stallung der Wohnbebauung Zörbiger Str. 9.

Das Grundstück Kittler, das 1270 qm groß ist, wird mit allen seinen Gebäuden um 1915 Eigentum der Louisengrube. [3] [45]

1916 baut die "Louisengrube" Arbeiterbaracken. Baracken befinden sich auf dem Grundstück Nr. 30.

Am 16. Januar 1918 stirbt Frau Grubenbesitzer Ida Lehmann geb. Huth.

Mit dem Jahr 1918 beginnt die Bebauung der östlichen Straßenseite mit Häusern für die Beamten der "Louisengrube"[1].

In der Grube wird bei Abraumarbeiten ein gut erhaltener Brunnen aus Eichenholz des ehemaligen Ortes Krottendorf freigelegt. Seine Geschichte findet wenig Beachtung. Er wird nicht erhalten.[1].

Politische Ereignisse bewegen das Land. Der erste Weltkrieg ist zu Ende. Durch den Versailler Vertrag (Juni 1919) wird Deutschland ein Achtel seines Territoriums und ein Zehntel seiner Bevölkerung verlieren.

Am 8. November 1918 kehren die ersten Soldaten von der Front zurück. Am 9. November kommt es in Sandersdorf zu einer Demonstration.
"Die Demonstranten bewegten sich zum Landjägerhaus (Gendarmerie). Dort wird Wachtmeister Reinhardt vorläufig seines Amtes enthoben."[1]

Erhebliche Spannungen gibt es in der Auseinandersetzung um die Verfassung der Weimarer Republik.

"Vor der Nationalversammlung sprach am 12. Dezember 1918 Schwester Lydia Rühland in Bergts Gasthof (Anm.: Gasthof Vergißmeinnicht)Ramsiner Str. Nr. 20 vor überfülltem Saal vor Besuchern aus allen Städten. Während und nach der Versammlung kam es zum ersten Zusammenstoß zwischen Spartakusbund (Anm.: extreme Linke) und Andersdenkenden"[1].

Der Besitzer des Gasthofes ist inzwischen Heinrich Bergt. Im Gasthof sind Russen untergebracht, die als Kriegsgefangene in der Grube arbeiten [3].
Am 11. Januar 1919 werden sie in ihre Heimat ausgeliefert.[1]

Ein Stück nachdem die Wohnbebauung der Ramsiner Straße endet führen östlich und westlich breite Wege den Hang herunter, in den Grund, in die stillgelegten und der Natur zurückgegebenen Grubengelände der "Vergißmeinnicht". Westlich in diesem Grund befinden sich neben den Gebäuden aus der Zeit der Grubenbesitzer Lehmann (Nr.30b; 32) Arbeiterbaracken der Louisengrube. Um 1920 wird eine Baracke umgebaut und es entsteht die "Kantine" Nr. 30 [13][45]. Die ersten Betreiber sind Ida und Hermann Otte. Das Gebäude Nr.30b, ehemals Küche, wird zum Wohnhaus umgebaut. Dieses Haus in dem schönen Grund wird zur Heimat von Karl und Therese Otte und ihren nachfolgenden Generationen. Der Volksmund prägt für dieses Fleckchen den Namen "Ottendorf". Karl und Therese Otte waren aus Helfta gekommen. Das letzte ihrer zehn Kinder wird hier geboren. Die Kantine wird später als "Schänke Vergißmeinnicht" von A. Pfuff bekannt.

Bevor man den Hangweg oder "Kantinenberg" erreicht liegt westlich an der Straße die kleine "Tongrube", in der auch ein Bagger arbeitet, der von August Starker geführt wird.
Eine Kettenbahn führt aus der Grube unter der Ramsiner Straße hinweg durch den 1920 [8] erbauten Tunnel zur Ziegelei. Die Ziegelei erstreckt sich an der östlichen Seite der Straße hinter den Häusern Nr. 23 bis Nr. 31 und darüber hinaus in Richtung Zscherndorf. Im Haus Nr. 23a, das seit 1903 am Rande des Ziegeleigeländes steht (gegenüber Büro Nr. 21), wohnt Ziegelmeister Schnabel(heute Peschick).
Die Trockenschuppen der Ziegelei mit den teils warmen Ziegelsteinen (poröse Vollsteine) sind für Kinder anziehend, wie auch die Kettenbahn, deren kleine Kipp-Loren langsam am Betrachter vorbei im Tunnel unter der Straße verschwinden und auf der anderen Seite zum Presshaus hinaufgezogen werden, begleitet von dem gleichmäßigen Geräusch der Ketten und Rollen der Wagen. Niemand wird in der Ramsiner Straße groß ohne die Ziegelei erkundet zu haben.[3]

Bild 20. Ziegelei (vorn) und Brikettfabrik (darüber links) der Louisengrube

Bild 21. Durch diesen Tunnel unter der Ramsiner Straße führt die Kettenbahn von der Tongrube zum Pressenhaus (Aufnahme 2002) Bild 22. Über die Schrägbrücke fördert die Kettenbahn die mit Ton gefüllten Kipploren in das Pressenhaus

1920 beschäftigt die Louisengrube 493 Arbeiter [36]. Sandersdorf hat 3917 Einwohner.[1]

1921 kauft die "Bitterfelder Louisengrube, Kohlenwerke und Ziegelei AG" das Grundstück Herrmann (Nr. 28). Bis 1928 sind alle dort befindlichen Gebäude abgebrochen und neu entstanden sind ein Wohnhaus mit Hofraum und Hausgarten, ein Wohnhaus mit Anbau, Ställe und Waschhaus.[45] Seit 1921 befindet sich hier für die Beschäftigten der Louisengrube auch ein "Badehaus". Es ist ein komfortables, schön gekacheltes Wannenbad, das auch von der Bevölkerung genutzt werden kann.[1] Bademeister ist Gustav Krug, der Schreiber der Sandersdorfer Chronik bis 1928. Julius Herrmann wohnt nun in der Hauptstraße 47.

Bild 23. Badeanstalt der Louisengrube AG (Haus Nr. 28) Bild 24. Innenansicht der Badeanstalt

Im Sommer 1921 brennt die Rübensaftfabrik von Hänsch u. Co. vollständig aus und wird umgehend wieder instandgesetzt. [1]

1922 entsteht auf früherem Gartenland [3]der ehemaligen Schmiede Kittler das Vierfamilien-Grubenwohnhaus Nr. 12 [45]. Dazu wird auch eine kleine Fläche von Nr. 10 an die "Aktiengesellschaft Bitterfelder Louisengrube, Kohlenwerke und Ziegelei" im Grundbuch übertragen [3].

Bild 25. Haus Nr. 12 (rechts), Luftfoto um 1922 (Ausschnitt).

Von 1922-1924 werden im Werk Wirtschaftsgebäude, Werkstätten und Förderanlagen errichtet [8].

Bild 26. Bahnverladestation im Brikettschuppen der Bitterfelder Louisen-Grube.


1923 stirbt August Braust. Die Fleischerei wird nicht mehr betrieben. Das Geschäft war einst mit seinen Wurstwaren bekannt geworden und hatte Kunden auch in Magdeburg und Berlin. Den Laden führen weiter Witwe Friedericke Braust und Tochter Lina. Über der Ladenfassade hängt die dicke Holztafel:
"Materialwaaren, Tabak- und Cigarrenhandlung".

Sie rauchen eine famose Cigarre !
Wo kaufen Sie diese ?
Nirgend anders als bei

Materialwaaren-,
Tabak- und Cigarren-Handlung
Sandersdorf

Ach lieber Herr bleiben Sie mal steh'n
Ihre Cigarre riecht so wunderschön
Ich hab mich rein zu schanden gelaufen
Möcht fragen wo Sie Ihre Cigarren kaufen
Mein Herr da gehen Sie nebenan
Bei A. Braust mal mit ran
Man sagt es hier an allen Orten
Der Mann der hat die besten Sorten.

Bild 27. Reklame für "Cigarren" auf einer Tüte für Tabakwaren um 1920

1924 wird der Gasthof Vergissmeinnicht, der am 1. Mai 1920 mit Nebengebäuden für 41.000 Papiermark von der "Bitterfelder Louisengrube AG" erworben wurde, zu zwei Arbeiterwohnungen umgebaut. Die Lehmmauern des Erdgeschosses bleiben dabei erhalten. Der Umbau des Tanzsaales zu Wohnungen erfolgt ungefähr 1930."Er ist so aufgeteilt und mit Wänden ausgestattet worden, daß er sieben annähernd gleichen Wohnungen Raum gibt".[1][zu 45]

1925 wird am westlichen Weg zum Grund aus der ehemaligen Waschkaue der Grube Vergissmeinnicht eine werkseigene Kegelbahn, die dann zur "Kantine" ("Schänke Vergißmeinnnicht") gehört.
1925 entstehen für die Kraftwagen der Louisengrube Autogaragen.

Bis 1925 ist die Straßenseite östlich des Brödel mit Wohnhäusern für die Beamten bebaut. 1921 steht das geputzte Doppelhaus Nr. 1/3. Die nachfolgenden Häuser werden mit halbrunden Erkern gebaut. Das Haus Nr. 5/7 steht 1923. Bei den Häusern 13/15 und 17/19 wird mit den halbrunden Erkern und der Betonung der Mitte des Doppelhauses sowie den gelben und roten Ziegeln eindrucksvoll eine progressive Bauweise umgesetzt. Letztere drei Doppelhäuser sind 1925 fertiggestellt. Alle fünf Doppelhäuser liegen in schönen Gartengrundstücken, haben Stallanbauten und Hofraum. Nach der Straße sind sie durch eine gemeinsame Gartenmauer abgegrenzt. Der Boden ist aufgeschüttetes Gelände der Grube Richard (erwähnte Auskohlung 1877), das zuletzt Acker war.

Bild 28. Häuser der Grubenbeamten in der Ramsiner Straße

Hinter den Gärten dieser Häuser verläuft das Anschlussgleis zur Brikettfabrik. Vor den Gärten ist ein breiter mit einer Bordsteinkante von der Fahrbahn abgegrenzter, ansonsten unbefestigter Gehweg. Neben der gepflasterten Fahrbahn zieht sich ein befahrbarer "Sommerweg" hin. Die Straße entlang kommen im Sommer frühzeitig Pferdefuhrwerke aus Nachbardörfern und kehren abends hochbeladen mit Heu von den Wiesen an der Mulde zurück.
Der Weg auf der anderen Straßenseite neben dem 1,50 m breiten Brödelgraben ist ein einfacher "Fußweg nach Ramsin", der gemeinsam von Fußgängern und Radfahrern benutzt wird und noch jahrzehntelang von einer Schicht Kohlenstaub bedeckt wird, der in heißen Sommern beim barfuß gehen unter den Füßen brennt.

Den Fußweg bei den Beamtenhäusern nennen die Leute "Beamtenweg". Da er also der bessere Weg ist, wird auch jedes Jahr am Vortag der Konfirmation (es ist Tradition der Konfirmanden eine breite Spur aus Sand bis zur Kirche zu streuen) der Sand auf dem Beamtenweg gestreut. Aus einer Sandgrube im Stakendorfer Busch wird der feine weiße Sand geholt. Dieser Brauch setzt sich bis Mitte der fünfziger Jahre fort.
Obstbäume wachsen nun nicht nur am Brödelgraben sondern auch auf dem Beamtenweg. Wegen der nahegelegenen Polizeistation gilt der Raub von Obst als riskant.

Bild 29. Blick vom Dach des Hauses Nr.10 auf Straße und gemauerten Brödelgraben
Bild 30. Brödel-Graben mit Eisen-Geländer

Die Ramsiner Straße ist nun soweit bebaut, als es die umliegenden Grubengelände zulassen. Die "Louisengrube" ist auf einem technischen Stand, der einige Jahre keine wesentlichen Verbesserungen erfordert.
1929 entsteht noch ein Großraumbunker mit Schrägbandbrücke.[8] Im Laufe der Jahrzehnte ist es bezüglich der Straße und umliegenden Flur zu Interessenverwicklungen zwischen der Gemeinde und der Grubenverwaltung gekommen. Sie werden 1928 rechtskräftig bereinigt.[5]

1929 wird die Rübensaftproduktion der Firma Hänsch u.Co. eingestellt, da durch die "Ausdehnung der Chemischen Industrie der Rübenanbau" [24] nicht mehr ausreichend ist. Hänsch u. Co. verkauft das gesamte Grundstück. Davon erwirbt der bisherige Geschäftsführer Konrad Quastenberg die Anlage sowie das Haus (Nr.4), das er mit seiner damaligen Familie bewohnt. Quastenberg betreibt nun eine Sirupraffinerie. Es werden Speise- und Backsirup, Kunsthonig und flüssiger Honig hergestellt.

Bild 31. Reklame der Firma Konrad Quastenberg - Marke: Zucker-Zwerg

Den unbebauten Teil des Fabrikgrundstückes an der Zörbiger Straße verkauft Hänsch u. Co. als Bauland. Die beiden Wohnhäuser Zörbiger Str. 9 mit Nebengebäuden und Garten kauft 1931 Familie Josef Brzezinski von Hänsch u.Co. Der Garten hat einen Teich. An der Grenze Zörbiger Straße 9 zur Ramsiner Straße 4 befindet sich ein sehr kleines Bauwerk mit der Jahreszahl 1888, von dessen Funktion nichts überliefert ist.[26]

In Richtung Dorf rechts an der "Hauptstraße" entstehen zwischen 1928 und 1934 sechs Häuser im Bauhausstil, so dass die Ramsiner Straße nicht mehr abseits des Dorfes liegt sondern mit dem Ort verbunden ist.

1932 wird der Schornstein der Saftfabrik gesprengt. Das Bitterfelder Tageblatt vom 05.02.1932 bemerkt dazu:

"Gestern nachmittag kurz vor 4 Uhr bot sich ein seltenes Schauspiel. Ein Wahrzeichen jahrzehntelanger Industrie, der 32 m hohe Schornstein der Sandersdorfer Saftfabrik, war dem Abbruch verfallen.... Früher diente er der Naßpreßsteinfabrikation, dann der Saftkocherei. Unendliche Zentner Rüben wurden durch seine Tätigkeit zu Rübensaft verarbeitet. Ein vielbeliebtes Volksnahrungsmittel war immer der Sanderdorfer Rübensaft, vor allem begehrt in den schweren Hungerjahren." Auch das Preßhaus wird in dem Jahr abgebrochen, die Trockenschuppen bereits um 1925.[45]

1932 wird die Ladenfläche des Geschäftes Braust vergrößert und die fast fünfzig Jahre alte Ladeneinrichtung durch eine neue Ausstattung aus der Möbeltischlerei Selle in Zörbig ersetzt. Schaufenster und Ladentür sind in den Umbau einbezogen und somit erfährt auch die Hausfassade eine Veränderung. An der Hauswand hängen große Werbetafeln von Mignon- und Trumpf-Schokolade, Juno rund und Schultheiss-Bier. Der Raum für die handbetriebene Wäscherolle der Firma August König Bitterfeld im Hintergebäude wird ausgebaut. Bisher gab es nur eine kleine Rollkammer. [3]

Bild 32. Laden nach dem Umbau
Bild 33. Neue Ladeneinrichtung 1932
Bild 34. Wäscherolle

Ein Tabakwarenlieferant, der seine Ware auf dem Fahrrad in einem Karton transportiert, hat eines Tages in der Ramsiner Straße einen Verlust hinzunehmen. Schon lange hat er das Interesse von Kindern auf sich gelenkt. Schließlich haben diese einen erfolgversprechenden Gedanken, der sie dem Wunsch zu rauchen näher bringt. Als der Händler wieder einmal Ware in den Laden trägt, wird an dem auf dem Fahrrad verbleibenden Karton ein Loch in den Boden gerissen. Danach versteckt man sich wieder hinter dem nächsten Gartenzaun. Während Großhändler Matthes weiterfährt, kann die Beute aufgelesen werden. Hin und wieder kommt ein Bernhardiner aus den Beamtenhäusern zum Einkauf. Er trägt einen Korb im Maul und erledigt seinen Weg allein. Er gehört Frau Born. [46]

Anfang der dreißiger Jahre sind Politik und Wirtschaft noch geprägt von den Auswirkungen des Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise (1929 bis 1933). Die Arbeitslosenzahl übersteigt 6 Millionen. Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 wird die NSDAP stärkste Partei. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichpräsidenten Hindenburg Hitler zum Reichskanzler.

In der Ramsiner Straße gibt es nicht nur Sympathisanten für die NSDAP, sondern in den Beamtenhäusern eine relativ hohe Anzahl von Mitgliedern, auch mit Funktionen wie Zellenleiter, Blockleiter und Schulungsleiter.[27] Nicht ermittelt ist, ob unter den Sandersdorfer Bürgern, die von der Verhaftungswelle im Jahre 1933 betroffen sind, Bewohner der Ramsiner Straße sind.[43]

In der Ramsiner Straße befindet sich auch der Appell- und Erholungsplatz für die "Gefolgschaft" der Louisengrube. Er liegt östlich der Straße gegenüber der Tongrube. Er steht der Hitler-Jugend zur Verfügung. Es fehlt dort nicht an zeitgemäßen monumentalen Symbolen.

Bild 35. Appell- und Erholungsplatz für die "Gefolgschaft" der Louisengrube

1933, am 16. Mai, begeht die "Louisengrube" das 60-jährige Bestehen. Unter der Leitung der Bergwerksdirektoren Bergwerksingenieur Otto Glockemeier und Hermann Weese steht die Bitterfelder Louisengrube AG seit 25 Jahren. Die "Louisengrube AG" ist ein verhältnismäßig kleines Unternehmen. Ihr Anteil an der Kohleförderung des Kreises liegt 1923 bei 8%.

Bild 36. Beamte und Angestellte der Louisengrube AG im Jahr 1933


1934 wird das alte Spritzenhaus (am Haus Nr. 29) zu einem zweitürigen Spritzenhaus verändert. Auch ein Rollraum gehört zu diesem Anbau. [27]

1935 schließt die Werkleitung der "Louisengrube" einen Pacht- und Mietvertrag für die "Schänke Vergißmeinnicht" (Kantine, Nr.30) mit Herrn Anton Pfuff . Das Werk verpflichtet sich, das gesamte Inventar zur Verfügung zu stellen, die Dampfheizung, Beleuchtung und Reparaturen zu übernehmen und stellt auch eine komplette Wohnung von drei Zimmern mit Garten, Beleuchtung und Beheizung. Die geforderte Leistung sind 3.- RM pro hl Bier.[38] Die Gaststube ist 65 qm groß und hat 70 Plätze, ein weiterer Raum von 67 qm hat 80 Plätze. [13] Hier werden auch Hochzeiten und andere Feste der Grubenangehörigen gefeiert.

Bild 37. "Schänke Vergißmeinnicht"


1935 beginnt Walter Schubert in der Sirupraffinerie Quastenberg als Kaufmännischer Angestellter zu arbeiten. Seine Tätigkeit in der Firma wird ein halbes Jahrhundert währen, unterbrochen nur durch die Militärzeit 1940 bis 1945. Bekannt und geachtet gehört er unter die Menschen der Straße. [44]

1935 verhandeln die Gemeinden Zscherndorf und Sandersdorf über den Austausch von Grundstücken. Gegenstand ist auch, den "Teil der Grube Vergißmeinnicht bzw. Bitterfelder Louisengrube AG Zscherndorf, der als Zunge in das Weichbild der Gemarkung Sandersdorf ragt, nach Sandersdorf auszugemeinden." Die Postanschrift ist Sandersdorf. Der Beschluss zur Umgemeindung wurde am 2. Juli 1935 gefasst. [5]

Um 1936 wird der Tagebau "Erich" geschlossen. Bis 1944 geht auch der Tagebau "Vergißmeinnicht" zu Ende.[10] Hinter den Häusern der Ramsiner Straße wurde bereits verkippt [1]. Anlieger erhalten dadurch weiteres Gartenland, wie das Haus Nr. 12. An der Zörbiger Straße wird ein Stück Grube zur Spülkippe, die von der Straße nur durch niedrigen Baum- und Strauchbestand getrennt ist (Zörbiger Straße ab Haus Nr. 17 bis einschließlich Penny-Markt). Das Restloch Erich entwickelt sich zu einem beliebten Badegewässer, das auch unter dem Namen "Erich" bekannt bleibt. Von der Ramsiner Straße ist es zu erreichen über den "Kantinenberg", vorbei am "Froschteich" (Restloch), einigen (bis heute vorhandenen) Kiefern und durch das "Birkenwäldchen".

Bild 38. Badegewässer "Erichgrube" im Jahr 1956

In den dreißiger Jahre haben sich die Menschen miteinander eingelebt. Die Bewohner sind Angestellte, Arbeiter, Beamte und Gewerbetreibende. Familien mit Namen wie Andrejewski, Anton, Barnickel, Benzin, Bernhagen, Born, Ciesielski, Ebert, Fankini, Fiedler, Funke,Geyer, Heine, Höhne, Holl, Jankowiak, Kiemle, Kohl, Konieczny, Koralewski, Kramer, Kröber, Kuballa, Langlhofer, Lehmann, Liebmann, Münkewitz, Otte, Rabald , Radajewski, Rolle, Schlick,Tomczak, Teutschbein, Wygoda gehören zur Ramsiner Straße.
Im Haus Nr. 5 wohnt Steiger Fankini, Nr. 7 Buchhalter Kröber, Nr. 6b Schachtmeister Strenge und Elektromeister Pforte sowie Nr. 6a die Aufseher Seiffert und Preisigke, Nr. 10 Witwe Hedwig Wawrzyniak, Nr. 11 Buchhalter Steffens, Nr. 12 Lokomotivführer Holl und Lokomotivheizer O. Richter, Nr. 14 Wiegemeister Zawadzky, Nr. 16 der Geschirrführer i.R. F. Schulze, Witwe Auguste Schäfer und Arbeiter Paul Liebmann, Nr. 17 Betriebsführer Schmöhl , Nr. 19 Prokurist Rühlemann, Nr. 20 Kippmeister S. Luciak und Gärtner Voigt, Nr. 23 Steiger Plock, Nr. 24 Kraftwagenführer F. Kuballa und Kassenbote S. Kuballa, in der Villa Nr. 24 Direktor Otto Glockemeier und die Witwe Henriette Glockemeier, Nr. 25 Kraftwagenführer Stockmann, Nr. 26 Baggerführer Starker, Nr. 27 Bergmann Roßbach, Nr. 30b Geschirrführer Otte und Bergmann Otte.[2]

1937 ist die Straße in einem schlechten Zustand. Das belegt ein Artikel in der "Mitteldeutschen Nationalzeitung" Montag, 3. März:

"Die Anwohner der Ramsiner Straße staunen darüber, dass sich in ihrer Straße noch kein Verkehrsunfall ereignet hat. Weil es bei schlechtem Wetter unmöglich ist, den Fußsteig, den Sommerweg oder den Weg hinter dem Graben zu benutzen, sind Fahrwerke, Kraftwagen, Radfahrer, Handwagen, Kinderwagen und Fußgänger gemeinsam nur auf den Fahrweg angewiesen. Einige Anwohner sind zur Selbsthilfe geschritten, indem sie Bretter über den Fußsteig legten, um überhaupt auf die Straße zu gelangen. Mit Recht beklagen sich alle darüber, dass die Fußsteige noch nicht in einem wünschenswerten Maße hergerichtet worden sind, während die Gemeinde doch sonst in so vorbildlicher Weise für den Ausbau des Straßennetzes sorgt."

1938 wird das Haus Nr. 20, ehemaliger Gasthof Vergissmeinnicht, erneut umgebaut. In einem Schreiben heißt es:"Bei Instandsetzung des bereits baufälligen Wohnhauses mit bisher zwei Wohnungen wurde dasselbe aufgestockt und dabei drei neue Wohnungen gewonnen."[zu 45]

1939 im Juni scheidet Bergwerksdirektor Glockemeier aus dem Vorstand der Bitterfelder Louisengrube AG aus. Er bleibt als freundlicher Mann in Erinnerung, der sich noch in einer Kutsche mit zwei schwarzen Rappen fahren läßt, als schon der Kraftwagen zur Verfügung steht. Im Gedächtnis bleibt auch, daß er vom Grubenrand mit dem Fernglas die Arbeiten im Tagebau beobachtet hat und danach Weisungen gab. [46] Rudolf Neuhäußer-Wespy wird sein Nachfolger und bezieht die Villa.

Bild 39. Bergwerksdirektor Dipl.-Ing.Otto Glockemeier

Im II. Weltkrieg (1939 bis 1945) wird die Ramsiner Straße von den Auswirkungen der Fliegerangriffen kaum betroffen, wenn auch Flugzeuge über den in den Kellern Schutz suchenden Menschen hinweg dröhnen. Keller haben hier alle Anlieger, so dass der Bunker in der Hauptstraße (heute an dieser Stelle Küchenstudio Georgius) weniger aufgesucht wird. Schwere Angriffe sind am 16. Januar 1945 (Engländer)[20]. Verstreute Bombensplitter sind danach in Höfen und Gärten zu finden, die auch hier und da Löcher in Mauern und Dächer geschlagen haben. Auf dem Grundstück Quastenberg ist ein Sozialgebäude zerstört. Nach einem Angriff laufen in der Dunkelheit Menschen an der Ecke Zörbiger Straße/Ramsiner Straße zusammen. In Richtung Bahnhofstraße lodert ein Haus, von einer Brandbombe getroffen.

Den Laden führt von 1941 bis 1946 Lina Braust nun zusammen mit Schwiegertochter Elisabeth. Oswald Braust ist in den Krieg eingezogen. Seit 1936 ist er im Geschäft tätig gewesen. Bis dahin war er in seinem Beruf als Flugzeugschlosser in den Junkers-Werken Dessau beschäftigt.

Während des Krieges 1943/44 legt die Louisengrube AG Kartoffel- und Rübensilos an. [27] Der landwirtschaftliche Betrieb der Louisengrube AG erstreckt sich auch außerhalb von Sandersdorf über weitere Orte wie Ramsin, Köckern, Großzöberitz und Holzweißig. [zu 45]

Mit dem Kriegsende 1945 besetzen zuerst amerikanische und dann russische Soldaten Sandersdorf. Die Amerikaner kommen am 15. April [20]. Quartiere haben sie auch in den Wohnhäusern der Ramsiner Straße, vorwiegend in den Beamtenhäusern. An einem sonnigen Maitag sind sie in den Gärten zu beobachten. Im Laden suchen sie erfolglos bis zum Keller nach Alkohol.
Die Amerikaner ziehen weiter über die Mulde und nach ihnen kommen die Russen, die noch mehr gefürchtet sind. Ein russischer Soldat wohnt in einem Giebelzimmer der Nr. 8. Dem Kind im Haus schenkt er Bonbons. Doch neben dieser Geste gibt es schwere Eingriffe in das Schicksal einiger Familien. Ende Juli 1946 fahren Russen mit einem Lastwagen durch die Straße und verhaften Männer aus den Beamtenhäusern, die in der NSDAP tätig gewesen waren. Es betrifft die Häuser Nr. 1, 3, 9,13 und die Villa Nr. 24. Dadurch muß umgehend ein Platz im Vorstand der Louisengrube AG neu besetzt werden, wozu das Amtsgericht Bitterfeld bemüht werden muß. Grundlage für die Verhaftungen ist eine Liste aus dem Gemeindeamt. Das Geschehen verunsichert die Menschen für lange Zeit. Wer umfangreichen Privatbesitz hat oder aus anderem Grunde glaubt, nicht in die künftige Ordnung der Gesellschaft zu gehören (die größere private Unternehmen durch Enteignung in Volkseigentum überführt), flieht in den von Amerikanern besetzten Teil des Landes. Auch Familie Rühlemann, die vorher ihre Gartenmöbel und anderes an Anwohner verschenkt, verläßt die Heimat. Rühlemann zeichnete ebenfalls verantwortlich für die"Louisengrube".

In der ersten Nachkriegszeit hungern und frieren die Menschen. Der Laden war vor Eintreffen der Besatzer leer gekauft worden und wird nur mit wenigen Lebensmitteln beliefert. In den Regalen liegt noch Seife und in der Filmfabrik können mit einer Bescheinigung Säcke mit Nährhefe abgeholt werden, aus der eine braune Suppe gekocht wird. Firma Braust hat kein Fahrzeug mehr. Gegen Kriegsende (1944) war es für Kriegszwecke beschlagnahmt worden. Den Transport der Nährhefe übernimmt Karl Gottlöber, der sein Fahrzeug wegen Taxibetrieb über den Krieg gerettet hat.

Die Felder links und rechts der Straße nach Ramsin sind von den Sandersdorfer landwirtschaftlichen Betrieben Bormann und Bley gepachtet. Dort werden auf den Stoppelfeldern Ähren gelesen. Zu Hause werden sie in den Höfen auf Decken ausgestreut und mit selbsthergestellten Holzkeulen ausgedroschen. Mit Handwagen fährt man auch bis zur Grube Hermine, um aus einem stillgelegten Grubenteil Braunkohle aus den Flözen zu holen. In Brausts Schaufenster hängt das in dieser Zeit bekannte Plakat mit der Gestalt des "Kohlenklau". Es mahnt, keine Kohle zu stehlen, wie es nachts aus den Güterzügen vorwiegend am Bahnhof geschieht.

Bild 40. Kohlenklau

Die Firma Quastenberg trägt in den Nachkriegsjahren wesentlich zur Versorgung der Bevölkerung bei. Sie hat einen "großen Teil der Herstellung von Brotaufstrichmitteln für das Land Sachsen Anhalt und Sachsen übernommen".[24] Mündlich überliefert ist, dass Anlieger am Quastenbergschen Grundstück manche Portion über die Mauer gereicht bekamen.

Nach dem Krieg verändert sich die Bewohnerstruktur. Familien haben Angehörige verloren, so Familie Paul Liebmann im Haus Nr. 16 zwei Söhne, Famile Karl Otte fünf Söhne. Vielfältiges Leid wird spürbar. Durch die Hauptstraße von Sandersdorf ziehen mit Pferdewagen aus der Heimat Vertriebene. Doch die meisten haben keine Tranportmittel.
Im September 1945 kommen in die von den Besitzern verlassene Villa andere Bewohner. Sie sind fast alle aus Schlesien. Auch Familie Otto aus Rosenigk in Niederschlesien ist in Sandersdorf angekommen, nachdem sie am 27. Januar 1945 Schmiede, Hof und Vieh verlassen hatte. Der Hund hatte ihnen durch den Gartenzaun nachgesehen. Nach einem drei viertel Jahr ohne Wohnsitz finden sie in der Ramsiner Straße ein neues Zuhause.[28]
In fast allen Häusern muß zusammengerückt werden, um Umsiedler aufzunehmen. In einem Zimmer und Abseite von Nummer 8 wohnt ein weißhaariges Ehepaar Lehmann. Im Flur wird für sie ein Herd aufgestellt. Später siedeln sie in das westliche Deutschland über.

In der Brikettfabrik findet mancher Arbeit, auch der Schmied Herr Otto jun., indem er zum Schweißer umlernt. Nicht weit entfernt vom Büro (Nr. 21) führt in Richtung Pfingstanger ein Feldweg. Hier gründet ein Herr Paul Nebich in einem leerstehenden Gebäude eine kleine Firma, die fabrikmäßig Spielzeug herstellt und in der Margarete Otto für einige Zeit Arbeit findet. Später ist sie mit ähnlicher Arbeit in der Firma Vogt (Siedlung) beschäftigt und erwirbt die Fertigkeit des Schnitzens. Vogt, der einige Zeit im Erzgebirge gearbeitet hat, betreibt die Schnitzkunst. Die Existenz beider Firmen ist jeweils von kurzer Dauer, da wegen Geldnot in der Bevölkerung diese Produkte nur geringen Absatz finden können. [28]

Bild 41. Schnitzerei von Margarete Otto

Durch die Ramsiner Straße kommen in dieser Zeit die "Hamsterer" auf ihrem Weg in die umliegenden Bauerndörfer. Charakteristisch ist der Rucksack auf dem Rücken, in dem Entbehrliches befördert wird, um es bei den Bauern gegen Lebensmittel einzutauschen. So erscheint auch ein Mann in der Straße, der einen hellblauen Puppenwagen anbietet, der von den Kindern begehrt wird. Doch niemand kauft ihn.
Ein Beispiel für die Hungersnot ist, dass eine Katze mit dem Fahrrad in einen zehn Kilometer entfernten Ort gebracht wird, wo sie geschlachtet werden soll. Sie läuft dort weg, erscheint wieder in der Ramsiner Straße und bleibt unbehelligt.

Gegenüber der Tongrube werden einige Gärten angelegt. Hierzu wird auch die Fläche des ehemaligen Appellplatzes der Louisengrube einbezogen, nachdem der Platz noch einige Zeit anderweitig genutzt worden ist, wie zum Ersten Mai. Frau Otto beschreibt, dass sie auf Grund des Gartens nicht hungern mussten und anderen noch helfen konnten. Auch auf dem Gelände der ehemaligen Grube Vergissmeinnicht an der Zörbiger Straße entsteht 1946 eine Gartenanlage, die den Namen "Vergißmeinnicht" erhält.

Die "Schänke Vergißmeinnicht" (Kantine) steht vor der Schließung. Der für die Inhaber günstige Vertrag kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Puppentheater, Kutschfahrten und Faßbrause haben die Familien in der Nachkriegszeit noch erfreut. Die "Kantine" wird für Jahrzehnte dringend benötigter Wohnraum. Das Ehepaar Pfuff übernimmt in Sandersdorf den "Gasthof zur Eisenbahn".

1946 stirbt mit 87 Jahren Friedericke Braust geb. Krause. Durch Erbteilung gelangt das Haus Nr. 10 in den Besitz einer Bitterfelder Familie. Der Hofraum zwischen Nr. 8 und Nr. 10 wird 1954 durch eine Mauer getrennt, während die gemeinsame Toreinfahrt erhalten bleibt.

1947 läßt Konrad Quastenberg auf Veranlassung der Gewerbeaufsicht ein Sozialgebäude für die Belegschaft (fünf Männer und fünf Frauen) durch Baumeister Gustav Voigt unter Überbauung des vorhandenen Waschhauses schaffen. Das bisherige Sozialgebäude war wie erwähnt durch Kriegseinwirkung zerstört worden.[27]

1947 besuchen wöchentlich ungefähr 400 Personen die "Badeanstalt" der Brikettfabrik. Es gibt 10 Wannenbäder und 20 Brausebäder, Lichtbäder, Massagen und Erste Hilfe bei Unfällen. Diese soziale Einrichtung wird auch von dem kommenden Eigentümer aufrecht erhalten. Bademeister ist Herr Schlick.

Auch öffentliches kulturelles Leben entwickelt sich wieder. Einige Leute gehören einer Theatergruppe an.

Im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen wird die "Louisengrube" enteignet:

"Am 12. Januar 1949 ist der im Grundbuch von Sandersdorf ... eingetragene Grundbesitz, bisher auf den Namen "Bitterfelder Louisengrube, Kohlenwerke und Ziegelei, Aktiengesellschaft in Bitterfeld"
eingetragen, umgeschrieben worden. Als neuer Eigentümer ist gemäß Verordnung vom 30. Juli 1946 und den Befehlen Nr. 124 und Nr. 64 der SMAD und der Anordnung der Dt. Wirtschaftskommission vom 28.10.48 ... eingetragen worden: "Eigentum des Volkes""
.

Folgende in jüngster Zeit schon verwendete Firmenbezeichnung ist damit bestätigt:
"Braunkohlenverwaltung Bitterfeld, Vereinigung Volkseigener Betriebe der Kohlenindustrie".
Die Tagebaue "Vergißmeinnicht" und "Karl-Ferdinand-Nord" werden zu dem Braunkohlenwerk "Hermann Fahlke" vereinigt, geführt von Betriebsleiter Eikamp. Er wohnt auch in der Villa.

Das Ende des Krieges ist der Beginn künftiger Mangelwirtschaft, u.a. ausgelöst durch Reparationsleistungen, welche der Osten des Landes zu erbringen hat. Die "Werktätigen" haben viel Schwierigkeiten im Arbeitsalltag zu bewältigen. Auch das Werk "Herman Fahlke" ist auf die Ideen, das Engagement und die Fähigkeit zur Improvisation seiner Beschäftigten angewiesen, um die Produktion immer aufrecht zu erhalten.

Bild 42. Gleisbaukolonne um 1950
Bild 43. Autogenes Trennen
Bild 44. Transport einer Winde zum Ausbau einer defekten Pumpe aus einem Tiefbrunnen, im Hintergrund Haus Nr. 26

1949 wird mit Verabschiedung der Verfassung am 7. Oktober 1949 die DDR gegründet.

Indem am 01.05.1951 die "Örtliche Industrie" gebildet wird, kommt die Ziegelei in die Rechtsträgerschaft der Gemeinde Sandersdorf [27] und führt die Bezeichnung "VEB(K) Ziegelei Sandersdorf Kreis Bitterfeld, Rat der Gemeinde Sandersdorf".

Die Bitterfelder Louisengrube AG besaß im Jahre 1944 in Sandersdorf sowie anliegenden Gemeinden 51,94 ha renaturiertes Acker- und Gartenland. Landwirtschaft und Viehhaltung des Gutshofes der Villa waren durch Paul Kröber, beschäftigt im Büro der Louisengrube, verwaltet worden. Nach der Verstaatlichung übernimmt Paul Kröber diesen Betrieb als Pächter. Nach wie vor bewohnt er das Haus Nr. 7. Laut einer Bodennutzungserhebung 1951 bewirtschaftet er als Betriebsinhaber 41,87 ha.

Bild 45. Paul Kröber

Angebaut werden Kartoffeln, Futter- und Zuckerrüben, Hülsenfrüchte, Senfkörner, Hafer, Sommergerste, Winterweizen, -roggen,- gerste. Außerdem gibt es 7,75 ha nicht kulturfähige Fläche. Auch eine Schafherde gehört wie früher in das Bild der Straße. Schäfer ist Herr Brauer. Brauers wohnen auf dem Gutshof links im "Schäferhaus". Als Stall für die große Herde wird die Scheune genutzt. Einige Zeit lebt Familie Brauer im Haus Nr. 25. Der nachfolgende Schäfer ist Herr Schmidt.

Auffällig im Bild der Straße ist zu dieser Zeit "Jupp", der alt und allein, in der Brikettfabrik beschäftigt, stets im Arbeitsanzug, der vom Staub so braun ist wie die Braunkohle selbst, mit ebenso braunen Schuhen, gebeugt, hörbar durch die Straße schlurft. Er ist aus Köln in die Gegend gekommen und "bewohnt" das "winzige" Waagehäuschen [46] unmittelbar neben den Schienen im Fabrikgelände, an dem einst Rohkohle gewogen wurde.

Der Graben ist nun zugeschüttet, da er kein Wasser mehr führte. Es ist eine spärliche Grünfläche entstanden. Bisher wuchsen am Brödelgraben verschiedenste Gräser. Wilde Sträucher verbreiteten sich vor allem in Höhe des Hauses Nr. 1. Hier endete der Graben und mündete in einen Kanal, der unter der Zörbiger Straße entlangführte. Dort wieder sichtbar wurde das Wasser von einem Grubenentwässerungsgraben aufgenommen, der auch die Wässer der Gruben Stakendorf und Erich ableitete.

Bild 46. Vegetation am Brödelgraben: Knöterich und dornige Sträucher

Am 8.11.1950 fasst der Gemeinderat den Beschluss, anlässlich der Woche der DSF die Ramsiner Straße in Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft umzubenennen. Im Laufe der Jahre soll sie zur "schönsten Straße von Sandersdorf" werden.

Im Jahr 1951 sind die bisher in Sandersdorf erschlossenen Kohlelagerstätten erschöpft. Die Brikettfabrik wird aber weiterbetrieben. Die Rohkohle kommt aus dem "Tagebau Goitzsche".
1949 ist ein neuer Schornstein entstanden [31], Stein auf Stein, dessen Wachsen die Anwohner gut beobachten konnten.

Während der fünfziger Jahre übernimmt Oswald Braust die Versorgung seiner Kunden mit Winterkartoffeln. Jedes Jahr im Herbst wird eine Lore Kartoffeln auf das Anschlussgleis der Ziegelei gefahren. Die Leute werden über die Ankunft des Güterwagens benachrichtigt. Bald weiß man es auch durch das Klappern der Handwagen, die über das Kopfsteinpflaster holpern. Besonders lärmen die noch leeren Wagen auf dem abschüssigen Stück Straße vor dem Bürogebäude. Ungewöhnliche Betriebsamkeit beherrscht die Straße. Die Lore wird abends angefahren, am Tag muß das Gleis wieder frei sein. Bis in die kühlen Nachtstunden wird die Lore mit vieler Hände Hilfe geleert. Eine bewegliche Lampe erhellt den Platz. Kartoffelgabel, Kippwaage, Säcke und Handwagen sind die Arbeits- und Transportmittel.

1951 wird die Beleuchtung der Straße der DSF von Gleich- auf Wechselstrom umgestellt.[13]

Im Sommer 1953 erfährt die Grasfläche eine "Verschönerung". Anlieger der Straße verpflichten sich ehrenamtlich dazu. Die Bauern Kröber, Birkner, Bley und Kittler "verpflichten" sich mit ihren Gespannen Mutterboden aufzufahren. [13]

Bis 1955 ist die Straße bis zur Villa neu gestaltet. Die Fahrbahn hat neues Pflaster, Porphyr (wie 1911/12), auch teilweise Granit. Vor der westlichen Häuserzeile sind erstmals separat Fuß- und Radweg entstanden, durch Granit-Bordsteine abgegrenzt, sonst unbefestigt. Drei breite Überfahrten durch die Grünanlage bei den Häusern Quastenberg, Braust und Nr. 20 sind gebaut. Die gesamte Straße hat höhenmäßig ein anderes Niveau erhalten. Die Häuser der Anlieger der westlichen Seite liegen nun noch tiefer als bisher und die Vorgärten werden zum Teil aufgefüllt. Dadurch erscheinen die Häuser niedriger. Am Haus Nr. 4 zum Beispiel bleibt der alte Zustand erhalten.

Um die Mitte der fünfziger Jahre richtet sich die "Hundesparte" (Schäferhunde) im Birkenwäldchen mit einem Übungsplatz ein.[13]

1956 wird ein zur ehemaligen Kohlen-Kettenbahn gehörendes Betriebsgebäude (Windenhaus), "in dessen Keller sich gegen Kriegsende die Hauptzentrale der Telefonanlage für den Kreis Bitterfeld sowie ein Luftschutzraum befanden" [46] von Familie G. und A. Wawrzyniak übernommen und im Laufe der Jahre zu einem ansehnlichen Wohnhaus ausgebaut (Nr. 32). Unmittelbar nach dem Krieg war es noch Notunterkunft für zwei Familien gewesen. Da das Haus abgelegen ist, gibt es anfangs keine Wasserleitung. Aus einem in der Nähe liegenden Fabrikrohr kann "Dampfwasser" (Kondensat) geholt werden. Auch andere Bewohner der Straße sowohl des Ortes holen hier Wasser, was besonders zum Waschen verwendet wird. [30]

Bild 47. Windenhaus der Kohlen-Kettenbahn - ab 1956 wird es zum Wohnhaus umgebaut

Seit Kriegsende befindet sich das Polizeigebäude im Besitz der Gemeinde. Bewohnt hat es zuletzt Gendarmerie-Hauptwachtmeister Anton Jaeger. Bis 1951 gehört dazu ein großes Gartengrundstück, das sich weit an der Ramsiner Straße entlang zieht. Der größere Teil des Grundstückes mit dem Haus wird 1951 verkauft an den Schornsteinfegermeister Franz Koziol. Ein weiteres Stück, das an der Ramsiner Straße liegt, wird als Baugrundstück an Heinz und Anneliese Brzezinski verkauft und ab 1958 mit einem Wohnhaus bebaut. 1960 ist es bezugsfertig. Es ist die Ramsiner Straße 2 (im Bild 52,rechts) Ausgeführt wurde der Bau vor allem durch Herbert Thodte.

Zu einem Erdrutsch kommt es 1957, in einer Nacht, an der Böschung der Grube Erich hinter dem Birkenwäldchen, dicht an der Zörbiger Straße. Morgens stellen die "Ottendorfer" fest, daß ein erhebliches Stück Land samt seinem hohen Baumbestand in der Grube verschwunden ist. Als Badegewässer kommt "die Erich" nun nicht mehr in Frage. Ab 1958 gibt es das Sandersdorfer Strandbad.[3][31][46]

Zwischen 1958 und 1962 werden auf Antrag von Bewohnern bei den Häusern 2 und 12 schmale Überfahrten über die Grünanlage durch das Gemeindeamt genehmigt.

Zu Ende der fünfziger Jahre wird der Abbau von Ton beendet und damit auch die Produktion poröser Vollsteine. Die Kettenbahn wird stillgelegt und die Vereinigten Ziegelwerke Sandersdorf geschlossen (1959).
Das Gelände der Ziegelei erfährt künftig vielfältige Nutzung. So folgt die "Baustoffversorgung". In der Nähe ist ein Rinderoffenstall entstanden, der nach Jahren abbrennt.
1960 wird nach einem Beschluß des Gemeinderates vom 27. Mai eine Schweinemästerei errichtet, die bis um 1970 betrieben wird.
Die ZBE Landbaugemeinschaft "Einheit" Bitterfeld, Sitz Sandersdorf, siedelt sich 1963 an. Es werden Werkstätten und Lagerhallen gebaut. An der Straße schafft sich die Landbaugemeinschaft ein modernes Bürohaus, das zur Haus-Nr.31 gehört.[22][32]

Die LPG Roitzsch richtet am Fuß des östlichen Hangweges eine Geflügelfarm ein. Innerhalb des Farmgeländes entsteht 1964 das Haus Nr. 33.

1964 realisiert die Polytechnische Oberschule Sandersdorf ein Vorhaben aus dem Kommunalpolitischen Programm der Gemeinde Sandersdorf :
"Instandsetzung des Grünstreifens in der Straße der DSF und Anpflanzen von Sträuchern und Bäumen."[13]

Mit dem 30. Juni 1965 wird die Brikettfabrik "Hermann Fahlke" stillgelegt [15]. Von nun an fehlen die Geräusche, mit denen die Anwohner so lange gelebt haben. Weithin war zu hören gewesen, wie die heißen, glänzenden Briketts, lückenlos aneinander gepresst, mit rhythmischem klack, klack auf dem Transportband zum Brikettschuppen fortbewegt wurden. Stumm bleibt die Sirene, die Arbeitsbeginn, Feierabend oder den Mittag verkündet hat. Die vertrauten, hohen Pfeiftöne beim Ablassen von Dampf aus den Kesseln bleiben aus.
Vorbei ist es auch mit dem Kohlendreck, der sich mit dem Wind in Bewegung setzte, sich in Hofecken sammelte und durch geschlossene Fenster auf deren Bretter drang. Mit der Zeit läßt auch der Staub der Kippe nach, den Stürme um die Häuser trieben.
Die letzte Brikettfabrik auf Sandersdorfer Territorium ist geschlossen. Während jedoch die anderen Fabriken längst abgerissen sind, übernimmt hier das "Chemiekombinat Bitterfeld das Kesselhaus und betreibt es als Heizwerk für das Neubaugebiet von Sandersdorf ".[10]

1965 wird aus dem Feuerwehrhaus der Brikettfabrik ein Wohnhaus, die Nr. 31. [7] Im ehemaligen Brikettschuppen werden Hühner untergebracht, es sind weiße Legehühner. [46]

In die ehemalige Tongrube wird seit Jahren von den Anwohnern Hausmüll geschüttet. 1968, nach der schweren Explosion im VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld, PVC-Betrieb, wird dort beräumter Schutt in das Restloch gefahren, das dann geschlossen wird. An den Transporten ist auch die LPG Roitzsch beteiligt. [22]

1966 bis 1968 wird zur Gewinnung von Wohnraum der Ausbau der Dächer des Doppelhauses Nr.6 geplant und um 1970 ausgeführt.[27]

Im Zusammenhang mit der Stilllegung der Brikettfabrik kommt es im Jahre 1972 zum Eigentümerwechsel bei einigen Häusern der Straße der DSF.
Das BKK Bitterfeld bietet der Gemeinde Sandersdorf folgendes an:
"Übernahme von werkseigenen Eigenheimen in Sandersdorf zum Zwecke der Veräußerung durch die Gemeinde entsprechend der 5. DB zum Gesetz über den Verkauf volkseigener Eigenheime und Siedlungshäuser vom 20.9. 1968 (Gbl.II, S. 813)".
Damit einher geht das Gesetz zur Kreditgewährung durch die Sparkassen "Kreditgewährung für Kinderreiche" (Gbl. II,Nr. 3-1971).
So werden 1972 die Häuser Nr. 14,25,27,29,31,32 von den darin wohnenden Familien gekauft. Der Grund und Boden bleibt Volkseigentum.

1974 wird die bis dahin private "Saftfabrik" zu dem VEB Zuckerverarbeitung Sandersdorf.[32] Walter Schubert übernimmt nun als Betriebsleiter und Lebensmitteltechniker die Firma.

Bild 48. Kunsthonigbecher

1976 hat das BKK weitere Bauvorhaben und schreibt dazu:
"Zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen unserer Werktätigen ist der Um- und Ausbau unserer werkseigenen Grundstücke in der Str. d. DSF Nr. 12,17-19 und 21 vorgesehen".
Dadurch erhält auch die Nr. 12 einen Dachgeschoss-Ausbau. [8]

1978 ziehen einige Niemegker Familien in die Straße der DSF, die ihren Heimatort verlassen müssen, der vom Tagebau Goitzsche überbaggert werden wird. Im gleichen Jahr entsteht das Haus Nr. 33b.[7]

1979 verkauft die Gemeinde Sandersdorf das Haus Nr. 33 (früher Farm) in Privatbesitz.
1980, am 2. Februar, beginnt die Gartensparte "Am Birkenwäldchen" ihre Gärten auf einem der ehemaligen Felder des Paul Kröber( bzw. Grubengelände/Farm) anzulegen. [32]

1982 wird das Haus Nr. 10 durch die Bitterfelder Eigentümer an Familie Böckelmann verkauft.
Oswald und Elisabeth Braust schließen aus Altersgründen ihr Geschäft im 99. Jahr seit der Gründung. Mit Sicherheit vermissen die Leute Gurken und Sauerkraut aus dem Faß und die Möglichkeit, auch nach Feierabend an der Hoftür "hintenrum" einzukaufen. Trotz des politischen Druckes, alle Geschäftsleute zum Kommissionär des staatlichen Handels zu machen, war das Geschäft eines der wenigen, das in Privathand geblieben ist. Vor dem Haus ist es nun ruhig. Kein Radfahrer hat mehr Grund, auf dem Nachhauseweg von der Arbeit aus den Werken kommend bei einer Flasche Bier vor dem Schaufenster zu rasten. Vier Jahre nach der Schließung des Geschäftes stirbt Oswald Braust.

1983 gehen das Haus Nr. 26a (im Bild 6 links), bisher ein Fabrikgebäude mit mehrfachem Nutzerwechsel, und 1985 das Haus Nr. 23a in Privatbesitz über.

Die Garagen-Kultur der sechziger bis achtziger Jahre beginnt das Straßenbild zu stören.
1984 werden erhaltende Baumaßnahmen durchgeführt. Zu Nr. 7/9 wird unter "Wahrung des Charakters des Doppelhauses" der "Eingangsanbau wieder hergestellt".[8]

Folgenreich ist das Jahr 1984. Der Tagebau Köckern wird aufgeschlossen. Am 1. Februar 1984 berichtet die Tageszeitung "Freiheit":
"Der Bagger 547, DS 1000, bewegt die letzten 160 000 Kubikmeter Abraum im Tagebau Goitzsche, Baufeld Niemegk. Dann tritt der Bagger die Fahrt in den Tagebauaufschluß Köckern an."
Die Ortsverbindungsstraße zwischen Sandersdorf und Ramsin wird unterbrochen. Die Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft hat damit den Charakter einer Sackgasse. Als Ersatz wird ein Weg für Fussgänger und Radfahrer angelegt, der eine Verbindung zur Zörbiger Straße herstellt. Eine Verbindung gibt es auch nach Osten zur Chaussee zwischen Zscherndorf-Ramsin. Dort beginnt der Aufschluss, denn hier befindet sich bereits ein Kieswerk. Die Verbindungswege gehen mit fortschreitendem Tagebau wieder verloren und es entsteht die firmeneigene Kieswerkstraße.
Der erste Kohlenzug im neuen Tagebau wird am 7. Mai 1985 beladen. Die "Freiheit" vom 4. Mai schreibt dazu, dass anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung mit der Förderung der Kohle begonnen wird. Zitiert wird Schichtmeister Otto Zander, ehemaliger Niemegker und Anwohner im Haus Nr. 12:
"Wir schaffen jetzt die Arbeitsebene für den Kohlebagger 72, der inzwischen nach den 19 Kilometern Landtransport vom Tagebau Goitzsche hier eingetroffen ist."
Die Kohle wird u.a. in die umliegenden Chemiebetriebe und die Brikettfabrik Bitterfeld geliefert. Die Kiese und Sande des Deckgebirges verarbeitet das Plattenwerk Dessau. Mit dem Abraum wird das noch vorhandene Restloch der Grube Erich verkippt.

1985 wird der Fußweg vor den "Beamtenhäusern" durch die ZBE Landbau betoniert.

Ende der achtziger Jahre bis Anfang der neunziger werden die Wohnungen des Hauses Nr. 16 (Bild 16) durch den Eigentümer BKK Bitterfeld modernisiert. Die aufwändige Baumaßnahme schließt auch Außenputz ein. Ansonsten bleibt die Fassade mit der typische Form der Fenster erhalten.

1988/1989 entstehen die Einfamilienhäuser Nr. 34 und Nr. 35 auf ehemaligem Grund der "Grube Vergißmeinnicht".


Nachdem 1989/90 die Grundlage zur Veränderung der Gesellschaftsordnung auf dem Territorium der DDR geschaffen wird, kommt es in der Folge des Beitrittes zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 zur Umwandlung bzw. Rückführung des Eigentums Volkseigener Betriebe in Privateigentum.

Stark betroffen ist davon die ehemalige Straße der DSF, die wieder umbenannt ist in Ramsiner Straße, mit ihren zum VEB BKK gehörenden Wohnhäusern. Während die Privatisierung des östlichen Straßenzuges mit den Doppelhäusern weniger schwierig ist, indem die Bewohner die Häuser meist selbst kaufen, veranlasst zunehmende Unsicherheit die Mieter in den Mehrfamilienhäusern nach und nach, wenn auch nicht aus dem Ort, aber doch aus der Straße wegzuziehen. Im Laufe einiger Jahre geben sie die Wohnungen mit Gärten und Garagen, Gartenhäuschen und Schwimmbassin auf.
Es kommt bei den großen Mehrfamilienhäusern zu einem bedenklichen, jahrelang anhaltenden Leerstand.

1990 erfolgt die Schließung des VEB Zuckerwarenverarbeitung Sandersdorf.[32]

1990 wird als Nachfolgebetrieb der ZBE Landbaugemeinschaft Einheit die Kobau GmbH gegründet. Helmut Leonhardt, ehemaliger Betriebsleiter der ZBE, wagt diesen Schritt als Geschäftsführer. Fast 100 Beschäftigte werden in die neue Firma übernommen, die nach Tarif bezahlt werden. Am 4. Februar 1993 wird die Gesamtvollstreckungsverfügung angemeldet. Das hoffnungsvoll begonnene Unternehmen endet tragisch. [32][3]

Bild 49. Protest gegen die Geschäftsleitung

Durch die Kobau GmbH war 1992 das Dach des Hauses Nr. 8 mit Biberschwanz-Dachsteinen neu gedeckt worden. Diese Ziegelform trugen ursprünglich sämtliche Häuser und Stallungen der Ramsiner Straße.

Ab 1990 wird das Grundstück Nr. 33 weiter bebaut. Die Vergabe der Hausnummer 33 reicht im Jahr 2001 bis "33g". Die meisten gehören als Bürohaus oder Wohnhäuser zu einem Flachbau-Ensemble der "Baufirma Gerd Hahn ". Anfang der neunziger Jahre betreibt die Firma auch einen kleinen "Baumarkt" vor dem östlichen Hangweg.

1991 gründet Oliver Kuckling auf dem Grundstück Nr.20 ein "Autohaus für Gebrauchtwagen", nachdem er den ehemaligen "Gasthof Vergißmeinnicht" mit allen seinen Nebengebäuden erworben hat. Auch hier sind die bisherigen Bewohner gezwungen auszuziehen. Die Ziegelmauern des Gebäudes bleiben in nicht verputztem Zustand erhalten und sind und bleiben damit charakteristisch für das ehemalige Gesicht der Straße.

Bild 50. Ehemaliger Gasthof "Vergißmeinnicht" mit Saal (links)

1992, im Januar, verlässt der letzte Kohlenzug den Tagebau Köckern [29]. Der Tagebau wird vorzeitig stillgelegt. In den Bitterfelder Heimatblättern XVII schreibt Manfred Richter dazu:

"Zur Zeit wird die Grube saniert. Das Abpumpen des Grundwassers soll 1994 eingestellt werden. Danach steigt der Wasserspiegel um 8 m an. Zur Zeit .. besteht.. eine 20 ha große Wasserfläche. Bisher rasten nur 50 bis 100 Stockenten und einige Lachmöwen."

Mitte der neunziger Jahre zieht Werner Otte, letzter im Haus Nr. 30b wohnender Nachkomme der Familie, mit seiner Ehefrau Ella in einen anderen Ortsteil von Sandersdorf. Grund ist die Privatisierung des Grubenwohnhauses. W. Otte arbeitete lange Jahre als Gebäudetechniker für die Liegenschaften des Braunkohlenkombinates.

In der zweiten Hälfte dieser neunziger Jahre bis 2002 ist ein Raiffeisen-Markt auf der ehemaligen Fläche Ziegelei/Kobau niedergelassen. Dort befindet sich anfangs noch ein kleiner historisch interessanter Schornstein der Ziegelei, der nicht erhalten wird.

Das Bürohaus Kobau, das schon vor 1989 späterer moderner Bauweise und Ausstattung standhält, kauft ein Unternehmer, der es mit einem unvollendeten Durchbruch durch das Gemäuer verunstaltet und danach der Verwahrlosung überlässt.

Mitte der neunziger wird aus der ehemaligen Kegelbahn ein Jugendclub. Mehrmals von Randalierern zerstört, wird der Bau schließlich abgerissen. 2002 wird die Fläche durch die Gemeinde verkauft.

In der ehemaligen Kantine wohnen in diesen "Nachwende-Jahren" Obdachlose. Auch hier kommt es öfter durch Außenstehende zu zerstörerischen Überfällen, wovon eines Tages auch der Fernsehfunk berichtet.

Die ehemalige Brikettfabrik wird 1996 abgerissen. Im gleichen Jahr werden auch die Schienen der Kohlebahn zurückgebaut.

1997 steht das Grundstück Quastenberg mit Wohnhaus und Industriebauten zum Verkauf. Frau Quastenberg, die seit 1937 hier lebt, verlässt aus Altersgründen ihr Haus. Bis dahin nutzt für einige Jahre die Metallbaufirma Ristock das Gebäude. Veräußert wird das Grundstück an eine Firma, die bald darauf in Konkurs geht. Frau Quastenberg stirbt 2003 in einem Heim.

1999, am 24. Februar, wird in der Dunkelheit ein 26jähriger vietnamesischer Bürger durch einen 55jährigen Sandersdorfer mit einem Vorderlader erschossen. Beide sind nicht Bewohner der Ramsiner Straße. Am Ort des Geschehens weist ein Holzkreuz in der Grünanlage darauf hin, bis Straßenbau den Ort verändert.

1999 wird in der Ramsinerstraße 15 das Familien- und Kinderzentrum Strohhut e.V. gegründet. 2002 organisiert "Strohhut e.V." unter Beteiligung von Anwohnern ein Straßenfest. Im darauf folgenden Jahr zieht der Verein um in das Wohngebiet "Ring der Chemiearbeiter".

Erst 1998/99 findet die Gemeinde Sandersdorf ein Unternehmen, dass sich der leer stehenden Bausubstanz der Ramsiner Straße annimmt, Häuser kauft, saniert, um sie nach der Fertigstellung als Eigentumswohnungen weiter zu verkaufen.

2002 wird das 1874 gebaute Einfamilienhaus Nr. 22 abgerissen. Seit dem gehört die Fläche zum Autohaus Kuckling.
Gegenüber dieser, außerhalb der Straßenflucht, ist ein Einfamilienhaus Nr. 21c entstanden. In dessen Nähe, dem ehemaligen Garten des Bürogebäudes, befindet sich der Flachbau Nr. 21b.

2002 feiert Bergmann Rudi Wagner seinen 90. Geburtstag in der Gaststätte der Kleingartenanlage "Am Birkenwäldchen". Er war nach dem II. Weltkrieg nach Sandersdorf in die Ramsiner Straße gekommen und mit dem Braunkohlenwerk sehr verbunden. Im darauffolgenden Frühjahr verstirbt er.

Bis zum Jahr 2002 sind die Mehrfamilienhäuser 6 und 12, die Villa mit dem Schäferhaus, das Wohnhaus des älteren Grubenbesitzers Lehmann und das ehemalige Büro der Louisengrube wieder hergerichtet, modernisiert und die Architektur verträglich angepasst.

Bewohnt sind die Häuser von vielen jungen Familien sowie auch von älteren Leuten.
2003 leben in der Ramsiner Straße 238 Menschen. Davon sind 36 unter 15 Jahre.
Auch Mitbürger, die schon sehr lange hier leben, sind unter den Bewohnern.
Es sind:
Gertrud Wawrzyniak, 91 Jahre alt, seit 1953 in der Straße ansässig. Ihre frühere Heimat ist Ostpreußen. Beschäftigt war sie in Firmen der Ramsiner Straße wie Ziegelei und LPG.

Rosa Pampusch ist 90 Jahre alt und wohnt seit 1947 in der Ramsiner Straße. Vorher lebte sie in Teplitz-Schönau. Herr Pampusch, schon 1967 verstorben, war Musiker. Sein Geigenspiel, das manchmal auf die Straße drang, ist in Erinnerung geblieben.

Juliane Prieps ist 88 Jahre alt, in Sandersdorf geboren und wohnt seit 1957, dem Kauf des Hauses Nr. 18, in der Straße.

Elisabeth Braust, 88 Jahre alt, geboren in Jeßnitz, wohnt hier seit 1940 und ist damit die am längsten ansässige Bürgerin. Vier Jahrzehnte hat sie im Geschäft mitgewirkt. Das kleine Haus Braust ist als einziges Haus seit seiner Gründung noch im Familienbesitz.

Die Ramsiner Straße ist sechs Menschengenerationen alt.
Einige Häuser sind aus baugeschichtlichem Grund als Baudenkmale ausgewiesen.
Es sind das Wohnhaus Nr. 4 und die Doppelhäuser Nr. 13/15 und 17/19. Auch die Villa Nr. 24, bei der künstlerische Aspekte eine Rolle spielen, steht unter Denkmalschutz.

Von 2002 bis 2003 finden wieder Straßenbauarbeiten statt. Die gesamte Straßenoberfläche, Fußwege und Gehwege, werden grundhaft erneuert, nachdem moderne Kanalisation verlegt ist. Natursteine werden nicht wieder verwendet. Sauber verlegtes Betonpflaster geben Straße und Wegen ihre Gestalt.
Zum ersten mal erhält auch der rechtsseitige Weg eine Pflasterung. Linden und Lampen befinden sich an passenden Standorten, der Grünanlage fehlt noch die fachgerechte Fertigstellung.

Vorher holperig und bunt

Nachher eben und betongrau

Bild 51. Die am Ausbau Beteiligten

Bild 52. Die ausgebaute Straße

Im Vergleich zu dem Werden vor ungefähr einhundert Jahren hat die Ramsiner Straße eine Wiedergeburt erlebt. War es damals besonders die Nähe zum Kohlebergbau, die das Straßenbild prägte und belebte, ist es nun die Chance gesellschaftlichen Wandels, die einen erneuten Aufschwung möglich gemacht hat. Die Vielfalt der Häuser ist ein Merkmal der Ramsiner Straße. Zwei neue Wohngebiete mit Straßennamen wie Neuer Weg, Louisenweg und Marienweg gliedern sich auf den Flächen der ehemaligen Ziegelei sowie der Brikettfabrik an.
Auf Gelände der ehemaligen Grube Vergissmeinnicht erholen sich Sandersdorfer in ihren Kleingärten "Am Birkenwäldchen". Manchen Spaziergänger zieht es in die verkehrsruhige Lage. Im Frühjahr fallen auf dem letzten Stück erhaltener Straße in Richtung Ramsin die blühenden Robinien auf, die ihren Duft weithin verbreiten. Blickt man dort nach rechts, wo in weit zurückliegender Zeit der Anger der Ortschaft Krottendorf lag, schaut man auf die Blütenpracht eines jungen, ungewöhnlichen Weißdornbestandes.
Und wer schließlich Lust hat, auf einen kleinen Erdenhügel zu steigen, an dem die Ramsiner Straße endet und abrupt zur Kieswerkstraße abfällt, sieht bei Ramsin ein Stück der ungefähr 100 ha großen Wasserfläche des fast 3 km langen Sees in der Landschaft ehemaliger Tagebaue.


Vergleichende Ansichten

Ansichten

Quellenverzeichnis:

   
[1] Krug, Gustav: Chronik von Sandersdorf (Kr. Bitterfeld), Druck von Wilhelm Lauffs, Holzweissig-Bitterfeld, 1929
[2] Winfried Feja: Ramsin und seine Geschichte. "Der Lindenstein" Amtliches Mitteilungsblatt für die Verwaltungsgemeinschaft Sandersdorf und die Gemeinden Heideloh, Ramsin, Renneritz, Sandersdorf und Zscherndorf [Nr.3/2001]
[3] Braust/Synnatzschke
[4] Braust, Kundenliste
[5] Gemeindearchiv Sandersdorf, Schriftwechsel mit Louisengrube AG v. 7.5.1928
[6] 150 Jahre Braunkohlenbergbau im Bitterfelder Revier von den Anfängen bis 1945. Herausgeber: Zentrale Parteileitung VE BKK Bitterfeld - Stammbetrieb - Aufbereitet von der Kommission zur Erforschung der Betriebsgeschichte. Satz und Druck: Volksdruckerei "Otto Schmidt" Bitterfeld.
[7] Gemeindeverwaltung Sandersdorf, Bauamt, erfasst August 1989
[8] Bauregister der Gemeinde 1891-1934. Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Sandersdorf, Signatur 65
[9] Bitterfelder Kreisblatt Nr.23, 10.02.1885, Stadtarchiv Bitterfeld
[10] Sudhoff, H-J.: Der Braunkohlenbergbau um Sandersdorf. Chronik des Braunkohlenbergbaues im Revier Bitterfeld. Herausgeber: Bitterfelder Bergleute e.V. 1998
[11] Das kluge Alphabet, Propyläen-Verlag GmbH, Berlin 1935
[12] Albrecht, Rainer: Greppiner Werke AG Für Baubedarf und Braunkohlen Chronik des Braunkohlenbergbaues im Revier Bitterfeld. Herausgeber: Bitterfelder Bergleute e.V. 1998
[13] Projekt "Historie von Sandersdorf" (abgeschlossen), Bitterfelder Umweltbibliothek e.V., unveröffentlichte Niederschrift, 2001
[14] Gollmer, W.: Postgeschichte, Bitterfelder Heimatblätter 1994/95, Heft XVII
[15] Marciniak, A.: Die Briketterzeugung im Revier. Chronik des Braunkohlenbergbaues im Revier Bitterfeld. Herausgeber:Bitterfelder Bergleute e.V. 1998
[16] Obst: Bitterfeld und Umgebung. Bitterfeld 1909
[17] Gemeindeverwaltung Sandersdorf, Bauamt, erfasst 1989, gilt als Baujahr 1897
[18] Taufregister der evangelischen Kirche Sandersdorf
[19] Gemeindeverwaltung Sandersdorf, Bauamt, erfasst 1989, gelten als Baujahr Haus Nr. 27 1899 und Haus Nr. 29 1918.
[20] Ilse Pannier: Zeitzeugin
[21] Kewitt, H.: mündlich überliefert
[22] mündlich überliefert
[23] Adreßbuch der Stadt Bitterfeld und der Orte Wolfen, Greppin, Sandersdorf 1937. Druck und Verlag Wilh. Meißner Nachf. Bitterfeld. Bei Familie Lochow.
[24] Chronik der Ortsgruppe des Kulturbundes Sandersdorf (Kopie), Umweltbibliothek Bitterfeld, H. Bierfreund
[25] Reiche,O.: Einfluß des Bergbaus auf die kulturelle und soziale Lebensqualität. Chronik des Braunkohlenbergbaues im Revier Bitterfeld. Herausgeber: Bitterfelder Bergleute e.V. 1998
[26] A. Kalis: Zeitzeugin
[27] LK Archiv
[28] Margarete Otto: Erlebnisbericht
[29] Streiber, G. Wolfen:Der Tagebau Köckern.Chronik des Braunkohlenbergbaues im Revier Bitterfeld.Herausgeber: Bitterfelder Bergleute e.V. 1998
[30] Gertrud Wawrziniak: Erlebnisbericht
[31] Erich Fischer
[32] Richard Leiter, Sandersdorf, Nachlass
[33] LA Merseburg, Rep. 110, Nr.91
[34] LA Merseburg, Rep.C BTF 384
[35] LA Merseburg, Rep. C 50 B 705
[36] LA Merseburg, Rep. 110, Nr. 86
[37] Bitterfelder Kreisblatt Nr. 42, 1911, Stadtarchiv Bitterfeld
[38] LA Merseburg, Rep. C BTF 389
[39] Familien Gumprecht
[40] Elisabeth Ast
[41] Dieter Kazmierczak
[42] LA Merseburg, Rep. C BTF 385
[43] Der antifaschistische Widerstandskampf im Kreis Bitterfeld. Herausgeber:Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Kreisleitung Bitterfeld der SED, 1985.
[44] Familie Heiko Schubert, Sandersdorf
[45] Abschrift der Gebäudesteuerrolle der Gemeinde Sandersdorf v. 15.06.1911, Bd. I, Gemeindearchiv Sandersdorf
[46] Familie W. Otte, Sandersdorf

Bildnachweis
Bilder 1,15,25: Reproduktion Foto-Krüger Sandersdorf
Bilder 2,5,6,8,11,14,16,18,21,34,46,50,51,52: Klaus Peter Synnatzschke
Bilder 3,13,28,31,35: Fotokopie bei Gerda Volk, Sandersdorf
Bilder 4,10,12,19,27,29,32,33,40,48: Autor
Bild 9: Bitterfelder Kreisblatt Nr.22 vom 26.01.1901, Stadtarchiv Bitterfeld
Bilder 7,41,43,44: Foto Margarete Otto, Sandersdorf
Bilder 17,22,23,26: Bitterfelder Bergleute e.V.
Bild 20: Reproduktion matu design, Kopie bei Gerda Volk, Sandersdorf
Bild 24: Festschrift zum Volks- und Heimatfest Sandersdorf 1939
Bild 30: Foto Manfred Lochow, Sandersdorf
Bilder 36,39,45: Fotokopie bei Ilse Pannier, Sandersdorf
Bild 37: Fotokopie bei Familie W. Otte, Sandersdorf
Bild 38: Fotokopie bei Heidelore Zilian, Sandersdorf
Bild 47: Fotokopie bei Gertrud Wawrzyniak, Sandersdorf
Bild 42: Fotokopie bei Erich Fischer, Sandersdorf
Bild 49: Mitteldeutsche Zeitung

Letzte Änderung: 12. Juni 2009

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