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Historisches aus der Gemeinde Sandersdorf

Die Wende 1989/90

Klaus Peter Synnatzschke

Von der friedlichen Revolution in der DDR zur staatlichen Einheit Deutschlands

In den meisten Ländern des Ostblocks herrscht 1989 infolge der Reformpolitik des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow Aufbruchstimmung. Nur die DDR sowie Rumänien ändern ihre Innenpolitik nicht – Herrschaftsprinzipien aus stalinistischer Zeit bleiben hier wirksam. Die in der DDR erstarkenden Oppositionsgruppen finden Zuflucht in den Kirchen. Viele Bürger, die nicht reisen dürfen wie sie wollen, nehmen es dem Staats- und Parteichef Erich Honecker übel, dass er sein in Bonn gegebenes Versprechen ab dem 1. Januar 1989 mehr Freizügigkeit zu gewähren, nicht einlöst. Ausreisewillige werden verschärft kontrolliert und unterliegen Repressalien. Zudem verschlechtert sich 1989 die Wirtschaftslage. Überall kommt es zu Versorgungsengpässen. [2, S. 1150]

Zum 40jährigen Bestehen der DDR im Oktober 1989 befindet sich die Regierung in einer schweren Krise. Massenflucht von Bürgern und Demonstrationen gegen die politische Führung sind täglich gegenwärtig. Die Öffnung der innerdeutschen Grenze am 9. November 1989 löst in der DDR und BRD eine Welle der Euphorie aus. Besonders in der DDR werden Forderungen aus der Bevölkerung nach der Wiedervereinigung beider deutschen Staaten laut. Doch es melden sich auch kritische Stimmen. Intellektuelle aus der DDR plädieren für den Umbau der DDR zu einer sozialistischen Alternative zur Bundesrepublik und sie warnen vor dem "Ausverkauf" der DDR. Auch in der BRD äußern Intellektuelle Zweifel hinsichtlich der aufflammenden Debatte über die Wiedervereinigung. Die Bundesregierung wird von den Ereignissen auch deshalb überrascht, weil kein Konzept für eine deutsche Wiedervereinigung vorliegt. [2, S. 1145-1149]

Nach Öffnung der Grenze verlassen allein im November und Dezember 1989 trotz der Appelle westdeutscher Politiker, im Osten zu bleiben, 324000 Menschen die DDR. In den ersten Monaten des Jahres 1990 kommen täglich 2000 Menschen in den Westen. Der Zerfall der DDR gerät damit in eine Dynamik, die nicht mehr aufzuhalten ist. Das entstehende Machtvakuum füllt zum Teil der "Runde Tisch" aus, der sich aus Vertretern der Blockparteien und Kirchen sowie Bürgerrechtlern zusammensetzt. Der "Runde Tisch" vereinbart freie Volkskammerwahlen für den 18. März 1990. Bei diesen Wahlen setzt sich überraschend deutlich die "Allianz für Deutschland" (48,2 %), ein Wahlbündnis aus CDU, "Demokratischer Aufbruch" (DA) und der "Deutschen Sozialen Union" (DSU), durch. Der inzwischen vom "Runden Tisch" ausgearbeitete Verfassungsentwurf für eine neue DDR wird zu Makulatur. [2, S. 1145-1160]

Bereits ab Februar 1990 verhandeln die Bundesregierung und die "Regierung Modrow" über eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, die am 1. Juli 1990 in Kraft tritt. Die DDR gehört damit zum Geltungsbereich der Deutschen Mark. Unmittelbar danach beginnen die Verhandlungen über den Einigungsvertrag. Am 3. Oktober 1990 tritt die DDR der BRD bei und hört damit auf zu existieren. [2, S. 1159-1166]

Epoche machende Wandlungen der Gesellschaft gehen meistens von den politischen und kulturellen Zentren der großen Städte aus. Die Menschen auf dem Lande erfahren davon im Nachhinein. Auch auf dem Lande finden schnell Personen gleicher Gesinnung zueinander, um den Wandel ihrer Gemeinde zu vollenden. Für die Zeit der Wende 1989/90 sollen nun Lebenslage und Ereignisse in der Gemeinde Sandersdorf umrissen werden. Die sichtlichen Widersprüche in den Ausführungen zu Sandersdorf begleiten eine Revolution, die auch hier sehr friedfertig verläuft.

Angaben zur Gemeinde Sandersdorf

Mitte 1988 leben 8.229 Einwohner in 4 Wohnbezirken [3]:

Wohnbezirk I:   Neubaugebiet Sandersdorf-Nord I mit 
                überwiegend Fernheizung
                Steht auf Kippengelände des ehem. 
                Braunkohlenbergbaues
                Erbaut 1965 bis 1968
                ca. 3070 Einwohner

Wohnbezirk II:  Altbaugebiet (altes Dorf)
                ca. 1860 Einwohner

Wohnbezirk III: Siedlung 
                Siedlungshäuser stehen auf 
                ehem. Kippengelände
                Erbaut 1934 bis 1940 
                ca. 1062 Einwohner

Wohnbezirk IV:  Neubaugebiet Sandersdorf-Nord II 
                mit Fernheizung
                Steht auf ehem. Kippengelände 
                Erbaut 1978/79
                ca. 2237 Einwohner

Einrichtungen [3]
-----------------
3 Polytechnische Oberschulen     1.200 Schüler 
2 Kinderkombinationen              320 Plätze 
l Kindergarten                      60   " 
l Kinderkrippe                      60   " 
1 Sondertagesstätte                 30   " 

Medizinische Einrichtungen
--------------------------
l Ambulanz mit 3 Außenstellen 
l Apotheke mit l Außenstelle

Sandersdorf wird als "Industriearbeiterwohnsitzgemeinde" bezeichnet, deren Berufstätige überwiegend in den Chemiekombinaten (CKB, FCK), dem VE Braunkohlenkombinat Bitterfeld sowie zahlreichen kleineren Betrieben und Einrichtungen des Kreises Bitterfeld arbeiten.

Im Ort selbst sind nur wenige kleine Betriebe und Geschäfte.

Betriebe und Betriebsteile [3]
------------------------------
ZBE Landbaugemeinschaft            ca. 250 Beschäftigte
VEB Zuckerverarbeitung                  10    "
Heizwerk "H.-Fahlke" des CKB            23    "
PGH "Bauhütte"Wolfen, BT Kiesgrube      15    "
VEB GW Bitterfeld, Außenstelle Sdf.     20    " 
(mit Wäscherei)
PGH - "Figaro"                          14    "
BDS - Außenstelle                       10    "
Dienstleistungsbetriebe einschl.priv.   20    " 
Bauhandwerker                            9    " 
                                      Anzahl
WtB - Vst. einschl. Kommissionäre       21
Industrie - Waren - Vst.                 6

Gastronomische Einrichtungen
- Gaststätten                            6
- Spartenheime (Saisonbetrieb)           2
- 2 Kioske im Strandbad 
  l Gaststätte im Strandbad

Lange Bezeichnungen wurden damals durch Abkürzungen ersetzt (siehe Abkürzungen am Ende!)

Einblick in die Lebenslage

Wohnen

Alle ansässigen Familien und Einzelpersonen haben eine billige, oft beengte Wohnung, im Einzelfall ist es nicht die eigene Wohnung. Die Mietpreise liegen zwischen 0,80 und 1,20 Mark pro Quadratmeter – in der Regel Mieten zwischen 30 und 60 Mark oder drei bis fünf Prozent des monatlichen Verdienstes einer Familie. Für die Altbauwohnungen werden die Mieten am Niveau von 1936 festgeschrieben. Die mittlere Wohnfläche liegt mit 65 Quadratmeter je Wohnung 20 Quadratmeter unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. [4] [5]
Die künstlich niedrig gehaltenen Mieten decken die laufenden Kosten nicht. Die volkseigenen Wohnungen werden subventioniert, die privaten Wohnhäuser mit einliegenden Mietwohnungen bekommen keine Unterstützung.
Aller Wohnraum unterliegt der staatlichen Vergabe, ein freier Wohnungsmarkt ist nicht zulässig. Wohnraum wird dem zukünftigen Mieter erst nach vorausgegangener Antragstellung und -genehmigung durch das für die Wohnraumlenkung zuständige Organ (Wohnungsamt) zugewiesen. Auch ein Wohnungstausch bedarf der Genehmigung. Wohnungsinhaber können zur Aufnahme von Untermietern verpflichtet werden. [6]

Auszugsweise der Wohnungsantrag [7]:

Vom Antragsteller auszufüllen:
Name, Rufname, Hauptwohnsitz, Nebenwohnsitz, Wohnsitz der vom 
Antragsteller getrennt lebenden Personen.
Arbeitsverhältnisse:
Tätigkeit des Antragstellers - Name und Anschrift des Betriebes
Tätigkeit des Ehepartners    - Name und Anschrift des Betriebes
AWG/GWG-Aufnahme

Mitziehende Personen:
Geburtsjahr, Name, Rufname, Verwandtschaftsverhältnis, 
getrennt lebend
Zusätzliche Gründe zur Antragstellung:

Der Antragsteller erhält nach 6 Wochen schriftlich eine 
Entscheidung mitgeteilt: Antrag registriert/abgelehnt

Von der den Antrag bearbeitenden Stelle werden ausgefüllt:
Merkmale der Antragstellung:
Soziale Stellung (Arbeiter/Genossenschaftsbauer)
Schicht (Arbeit in 2 oder 3 Schichten)
Versorgung (VdN, aktiver Wehrdienst, Absolventen, 
Arbeitskräfteansiedlung)
Ärztliches Erfordernis (Rollstuhl, 
schwerstgeschädigt, kreisärztl. Attest)
Junge Ehe
Getrennt lebende Personen (Anzahl)
Räumung (Baufreiheit, Sperrung, Scheidung, 
Dienstwohnung, sonstige gerichtl. Entscheidung)
Örtlicher Schwerpunkt
Datum der Dringlichkeit

Wohnverhältnisse des Antragstellers:
Mietverhältnis (Hauptmieter, Teilmieter, AWG/GWG, 
Eigentümer, Untermieter, Gemeinschaftsunterkunft)
Personen (in der Wohnung, insgesamt)
Wohnräume (Anzahl)
Bad
Dusche
Innen-WC
Tauschkennzeichen
Erforderliche Wohnräume (Anzahl)
Betriebsnummer
Versorgungsbereich/Belegungsrecht
...
Vorgesehene Realisierung (Vergabeplan/Tausch)

Beinahe zwei Drittel der Einwohner leben in den Neubauten von Sandersdorf-Nord, die überwiegend an die Fernheizung angeschlossen sind. Die Wohnungen in den Neubauten (Wohnbezirk I und IV) haben Fernwärme, Warmwasser, Bad und Innen-WC, viele sind mit einem Balkon versehen. Für viele Familien sind diese Wohnungen erstrebenswert.

Viele ältere Häuser im alten Dorf und in der Siedlung (Wohnbezirk I und II), teilweise in den vergangenen Jahren mit Zentralheizung, Bad und/oder Innen-WC nachgerüstet, sind hinsichtlich der Dächer, Fassaden und Fenster sanierungsreif, in den Wohnungen sind Heizung, Elektro- und Sanitärinstallation überaltert. Trotz des beständigen Mangels an Finanzierung, Material und handwerklichen Dienstleistungen bemühen sich die kommunalen und privaten Eigentümer um die Reparatur ihrer Häuser. Durch ihre eigenen Leistungen bewahren sie die Häuser vor dem Verfall. Alte und undichte Dächer werden mit anders farbigen Dachziegeln ausgebessert, auch ein Dach mit zwei Arten von Dachziegeln kommt vor.

Zwischen den neu gebauten Wohnungen und den Altbauten klafft ein immer größerer Unterschied. Im alten Dorf leer gezogene Wohnungen können infolge ihres sanierungsbedürftigen Zustandes erst nach längerer Zeit oder überhaupt nicht mehr belegt werden. Ein Grund dafür, weshalb sich die Zahl der Wohnungssuchenden kaum verringert.

Laut der Protokollauszüge der Volksvertretersitzungen [8] wird diesem Trend gegengesteuert:

"...Der Rat der Gemeinde wird im Kollektiv mit 
der Baukommission und der Wohnungskommission in 
der kommenden Zeit weiter daran arbeiten, daß 
hohe Ergebnisse zur Werterhaltung und Modernisierung 
der Wohnbausubstanz erreicht werden. Gegenwärtig 
werden 5 Wohneinheiten , welche in der Vergangenheit 
als schwer vermietbar galten, von jungen 
Wohnungssuchenden repariert und modernisiert. 
Künftig ist auch die Organisation des 
Wohnungstausches im Falle des Hauskaufes zum Zwecke 
der Modernisierung und Werterhaltung weiter zu 
forcieren. In der politisch-ideologischen Arbeit 
ist mit jedem Bürger das Gespräch zu führen, um die 
freiwillige Bereitschaft zu bekunden, stark 
unterbelegten Wohnraum freizumachen, um ihn an 
größere Familien zu vergeben." [8, vom 01. Juni 1989]
"...fünf schwer vermietbare Wohnungseinheiten, 
welche durch die zukünftigen Mieter rekonstruiert 
werden, einer Wiedernutzung zugeführt. Durch 
hohes persönliches Engagement der zukünftigen 
Wohnungsinhaber ist es uns gelungen, zwei 
Wohnungseinheiten schon bezugsfertig 
wiederherzurichten. Bei den restlichen drei 
Wohnungseinheiten handelt es sich um solche 
Wohnungen, in denen teilweise 
Versorgungsträgerleitungen komplett ausgewechselt 
werden müssen, um die Sicherheit und volle 
Funktionstüchtigkeit der Anlagen zu gewährleisten." 
[8, 29. Juni 1989]
..."Im Bereich Wohnungswesen zeichnet sich ab, 
daß durch die Zusammenarbeit hauptsächlich mit 
dem VEB Gebäudewirtschaft nach Freiwerden von 
Wohnungen diese innerhalb von vier Wochen wieder 
belegt werden. Größere Anstrengungen müssen noch 
unternommen werden, um den Abbau unterbelegten 
Wohnraumes in unserer Gemeinde durchzuführen. 
Eine große Verantwortung ergibt sich daraus für 
die Wohnungskommission und die zuständige 
Mitarbeiterin beim Rat der Gemeinde. Verstärkt 
müssen hier Gespräche geführt werden, um die 
Bereitwilligkeit der Bürger zum Umzug in eine 
kleinere Wohnung zu erhalten." [8, 29. Juni 1989]

Die in Eigenleistung vorgesehene Modernisierung eines Hauses bereitet erhebliche Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Baumaterials wie folgender Fall zeigt [7].

An den
Bürgermeister 
der Gemeinde Sandersdorf

Betr.: Modernisierungsmaßnahme am Grundstück Friedensstr.
Baugenehmigung Nr. ... /1984 vom 14.12.1984

"Werter Genosse Bürgermeister!
Zur Durchführung der bestätigten Modernisierungsmaßnahme 
einschließlich der notwendigen Werterhaltung möchte ich 
den Rat der Gemeinde bitten, das erforderliche Baumaterial 
in den Plan 1985 aufzunehmen, um somit die vorgesehene 
Realisierung im Jahre 1985 zu gewährleisten."
...
"Der Bedarf des erforderlichen Baumaterials ist in der 
beiliegenden Anlage aufgeführt.

Für Ihre Bemühungen im voraus herzlichen Dank

Mit sozialistischem Gruß"
gez. ...

              Übersicht
über den Bedarf an Baumaterial für die 
Modernisierungsmaßnahme Friedensstraße ...
Baugenehmigung Nr. ... /1984 vom 14.12.1984

Mauerziegel        MZ 100     2000  Stück
Hohlblocksteine   240/240/240  120  Stück
Gasbeton          240 breit     6,5 m3
Zement                          1,0 t
HWL-Platten        50er        17   m2
Kamalith          100er        14   m2
Kamalith           50er        35   m2
Betonstürze      1000           2   Stück
dto.             1250           4   Stück
dto.             1400           2   Stück
Hohldielen       1200/330/60    4   Stück
Dachlatten         30/60       25   m2
Dachpappe          500er       50   m
Fußbodenfliesen                 7,5 m2
Wandfliesen                    15   m2
Brunnenringe                    8   Stück
Bretter            25 mm dick  20   m2
Sparschalung                   18   m2 

Vorstehende Liste und zwei weitere von Bauwilligen werden vom Rat der Gemeinde der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft (BHG) zugestellt. [7]

Rat der Gemeinde
Sandersdorf                      23.01.1985

BHG Sandersdorf
Kolln. G.
4413 Sandersdorf
Greppinerstr.

"Werte Kollegin G. !
Gemäß Beschluß des Rates des Kreises Bitterfeld 
Nr. 195-24/84 vom 7.11.1984, Ziffer 2 und 3 über 
die vorrangige Verwendung der Baumaterialien der 
BHG beim Um- und Ausbau sowie bei Modernisierungen 
an solche Bürger, die im Volkswirtschaftsplan der 
Gemeinde verankert sind, bitten wir Sie, nachfolgend 
aufgeführte Bürger zu unterstützen."
...
"Sollten im Planjahr 1985 noch weitere Bürger die 
Bauzustimmung für Um- und Ausbau sowie 
Modernisierungen einreichen, erhalten Sie von uns 
den Nachtrag zum Volkswirtschaftsplan."
                         gez. S.
                         stellv. Bürgermeister 


VdgB Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe
Bäuerliche Handelsgenossenschaft
Zörbig (Kreis Bitterfeld)             7.2.1985

Rat der Gemeinde Sandersdorf

"Lieferung von Baustoffen für Bevölkerungsversorgung
Bezugnehmend auf das o.g. Schreiben (23.1.1985 El./We.), 
welches Sie unserer Außenstellenleiterin, Kolln. G., mit 
den Materialbestellungen für die Bürger ... zugestellt 
haben, wird zuständigkeitshalber von uns wie folgt 
beantwortet.

Fertigbeton, Phosphorschlacke, Kies, Zementestrich, 
Terrazzosohlbänke, Trittstufen, Ölpapier, Stahlträger, 
Holztreppen, PVC-Fußbodenbelag sowie Dachlatten - diese 
Artikel werden in unserem Warensortiment nicht geführt 
und wir bekommen hierfür auch keinen Warenfonds.

Wir bitten Sie, die Bürger in Kenntnis zu setzen, daß 
die Bestellmengen für Mauerziegel, Stahlbetonhohldielen 
und HWL-Platten in Stückzahlen abzugeben sind.

Wandfliesen = 450 m2 oder Fußbodenfliesen = 320 m2 - 
Dazu sind wir nicht in der Lage, diese zu liefern!

Bei Fliesen sei zu bemerken, dass wir grundsätzlich pro 
Bad bis zu 20 m2 ausliefern und hier auch Wartezeiten 
durchschnittlich bis zu 2 Jahren sich abzeichnen.

Wir möchten Sie darum bitten, den Bürgern ... dies zur 
Kenntnis zu geben."
                          gez. E. 
                          Betriebsleiter

Vereinzelt werden Eigenheime errichtet, bei denen es wegen der Beschaffung des Baumaterials zu beträchtlichen Verzögerungen kommt [8].

..."Für die weitere Verbesserung der Wohnbedingungen 
stellt die Fertigstellung von Eigenheimen einen besonderen 
Schwerpunkt dar, und besonders dann, wenn die Eigenheimbauer 
im Besitz von Neubauwohnungen sind. Wir haben derzeit in 
unserer Gemeinde Eigenheimbauer, die schon 6 Jahre lang an 
einem Eigenheim bauen und damit Neubauwohnungen blockieren. 
Sind es doch gerade diese Wohnungen, mit denen wir arbeiten 
müssen, um weitere Wohnungsprobleme unseres Territoriums 
lösen zu können."
[8, 29. Juni 1989]
Gärten

Die Bedeutung eines Gartens für die Betätigung der Familie beim Anbau von Obst und Gemüse sowie der Kleintierhaltung wird in Sandersdorf schon vorzeiten befolgt. In den Wohnbezirken "Altes Dorf" und "Siedlung" dominiert die bauliche Struktur: Wohnhaus mit Stall, Hofraum und Hausgarten.

Gärten in Sandersdorf [3]:
VKSK - Anlagen             7 Stück mit 785 Parzellan  34,6 ha 
Gärten außerhalb des VKSK 90 Stück                     3,6 ha

Das von den örtlichen Kleingärtnern über den eigenen Bedarf erzeugte Obst und Gemüse kaufen die Küchen der Schulen, Kindergärten und -krippen auf. Der Großhandel liefert nicht ausreichend Obst und Gemüse und in schlechter Qualität. In Verbindung mit den ortsansässigen Sparten wird diese Eigenversorgung als vorrangig angesehen.

In der Volksvertretersitzung vom 29. Juni 1989 [8] wird berichtet:

"Zur Erhöhung der Eigenversorgung mit Obst und Gemüse 
wurden seit der vergangenen Woche wieder die 
Aufkauftage in der Siedlung durchgeführt. Bisher 
konnten 1,8 to Obst und Gemüse aufgekauft werden 
und den selbstkochenden Einrichtungen bzw. der 
Kaufhalle zur Verfügung gestellt werden. 
Die derzeitige Planerfüllung bei der Eigenversorgung 
Obst, Gemüse, tierische Produkte weist folgenden 
Stand aus:"

              Soll           Ist
Weißfleisch   15   dt
Schafwolle     1,6 dt
Gemüse        15   t         1,2 t
Eier          35   TStck.    8,7 TStck.
Obst          23   t         3,1 t
Trinkwasserversorgung

Das überalterte Leitungsnetz für Trinkwasser liegt in der Verantwortung des VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Halle – Versorgungsbereich 0 – Bitterfeld (kurz: WAB Bitterfeld). Schon jahrelang häufen sich die Rohrbrüche und infolge nicht ausreichenden Druckes kann in Zeiten hohen Bedarfs stellenweise kein Trinkwasser entnommen werden. Die Gemeinde meldet fortlaufend die Rohrbrüche der WAB Bitterfeld und bietet Hilfe zur Beseitigung der Rohrbrüche an. Sie übernimmt die Schachtarbeiten und stellt Technik bereit. Dennoch dauert es in der Regel Monate, bis die Verantwortlichen der WAB Bitterfeld reagieren – leere Versprechen geben – und die Schäden repariert werden.

Anhand der folgenden Schriftstücke wird für einen kleinen Zeitabschnitt der Einblick in diese bezeichnenden Vorgänge gewährt [3] [8].

                         PROTOKOLL
über die Beratung Erneuerung der Trinkwasserleitung 
in der Straße der DSF am 24.1.1989 beim Rat der Gemeinde

S. und J.     vom VEB WAB Bitterfeld 
B.            Bürgermeister 
S.            stellv. Bürgermeister
...

In der gemeinsamen Beratung zur Erneuerung der 
Trinkwasserleitung wurden folgende Festlegungen 
getroffen:

1. Die Bauleitung übernimmt der Koll. S. . Von 
Seiten des VEB WAB wird eine Freizeitbrigade 
gebildet, zwecks Verlegung der Zubringerleitung.
...
3. Der Rat der Gemeinde sichert gemeinsam mit 
Anliegerbetrieben, Hauseigentümern und Schülerbrigaden 
die erforderlichen Schachtleistungen. Durch den 
Rat der Gemeinde ist gemeinsam mit der Fa. Rolf Siegert, 
Klempnerfirma, der Anschluß der Grundstücke, ab 
Grundstücksgrenze, zu sichern. Die Bereitschaft der 
Übernahme der Leistungen durch Fa. Siegert liegt vor. 
...
7. Der Beginn der Baumaßnahme ist Mai 1989.
Bis 15.3.1989 erfolgt die Anlieferung des benötigten 
Materials durch den VEB WAB.
...
gez. S.
     stellv. Bürgermeister
"...mit mangelnder Wasserversorgung beschäftigen. 
Am kritischsten ist die Situation in der Straße 
der DSF. Bereits seit Jahresbeginn gibt es hier mit 
der Wasserwirtschaft und weiteren Partnern Absprachen, 
daß in diesem Jahr endgültig die dortige 
Trinkwasserleitung rekonstruiert werden soll. 
Gegenwärtig ist jedoch völlig verständlich, daß die 
Menschen erneut ausgesprochene Zielstellungen 
anzweifeln, weil in einer öffentlichen Versammlung 
ein Baubeginn für gleich nach Pfingsten angekündigt 
wurde, aber bisher noch keinerlei Anzeichen dafür 
vorhanden sind. Der Rat der Gemeinde kann sich den 
negativen Äußerungen vieler Bürger ebenfalls nicht 
entgegenstellen, weil die unbearbeiteten 
Wasserrohrbrüche in gleicher Straße sowie am Platz 
der Einheit dazu führen, daß die Druckverhältnisse 
zusätzlich negativ sind." [8, 01. Juni 1989]
..."Im Berichtszeitraum hat der Rat mit einem hohen 
Arbeitsaufwand die wasserwirtschaftlichen Maßnahmen 
in der Straße der DSF fortgesetzt....Gerade bei der 
Vorbereitung und Durchführung dieser Baumaßnahme 
sind sehr häufig objektive und subjektive 
Schwierigkeiten entstanden, die immer wieder zur 
Bauverzögerung führten. So ist festzustellen, daß 
die Schachtarbeiten erheblich durch unterirdische 
Bauwerke wie Mauern und Schächte früherer  
Wasserableitungssysteme erschwert wurden. Ähnliche 
Situationen traten beim Durchörtern der Straße für 
das Einbinden der Hauptleitungen und der 
Hauptanschlüsse ein, die vorher nicht kalkulierbar 
waren. Aus dieser Sicht beurteilt, kann man davon 
sprechen, daß dieses Gemeinschaftswerk als 
sozialistische Gemeinschaftsarbeit eine recht 
komplizierte Angelegenheit war. 
Es gab aber auch in der Zusammenarbeit mit der 
Brigade der Wasserwirtschaft erhebliche Probleme, 
die den Baufortgang behinderten. So ist zum Beispiel 
bis heute ein Hauptschieber an der Ecke des 
Grundstückes K. noch nicht repariert, welcher aber 
die Voraussetzung für den endgültigen Abschluss der 
Verlegung der Hausanschlüsse darstellt." 
[8, 28. Sept. 1989]
"...der Rat der Gemeinde in den vergangenen Wochen 
erhebliche Anstrengungen unternehmen mußte, um die 
Vielzahl der entstandenen Rohrbrüche zu beheben. 
Die Einflußnahme war deshalb notwendig, weil die 
Wasserwirtschaft von uns die Unterstützung der 
Technikbereitstellung, besonders bei Schachtarbeiten, 
forderte, da sie sonst nicht in der Lage wären, die 
Rohrbrüche umgehend zu beseitigen." 
[8, 28. Sept. 1989]
..."Die Arbeiten an den im Sommer dieses Jahres 
aufgetretenen Rohrbrüchen entlang der Hauptstraße 
haben wir dahingehend unterstützt, daß wir die 
Folgeleistungen und teils auch die 
Ausschachtungsarbeiten abgesichert hatten."

"Aber noch gibt es in unserem Territorium mehrere Rohrbrüche, die noch nicht behoben wurden. Erst nach erneuter öffentlicher Anfrage in der Zeitung wurde der entstandene Rohrbruch in der H.-Heine-Str. nach 5 Monaten repariert. Aber nun bleibt die Straße gesperrt wegen den unerfüllten Erneuerungsarbeiten an der Straßendecke." [8, 14. Dez. 1989]

Wenn die Verantwortlichen unfähig sind,
dann müssen die Betroffenen fähig sein,
sich aus der misslichen Lage zu befreien!

[9, 18.11.1989, S.8]
Einschätzung:
"... Beseitigung der Wasserrohrbrüche durch den 
VEB WAB Bitterfeld in unserer Gemeinde. ...
Hier gibt es viele Schwierigkeiten zu überwinden, 
um dieses Problem in den Griff zu bekommen." 
[8, 29. März 1990]
Bauen und rekonstruieren

Der Rat der Gemeinde bemüht sich für die vielen Jugendlichen das Freizeitangebot zu verbessern. In den Volksvertretersitzungen steht auch die Rekonstruktion des Jugendclubs auf der Tagesordnung:

..."Hier konnte in der Vergangenheit der 
gesamte Bauablauf nicht befriedigen. Unsere 
Jugendklubleitung und darüber hinaus viele 
Jugendliche sind berechtigt unzufrieden und 
erwarten von der neugewählten Volksvertretung 
und dem Rat mehr Konsequenz bei der 
Fertigstellung dieses Objektes." 
[8. 01.Juni 1989]
"... seit dem 12.6. der Umbau des Jugenclubs 
weitergeführt wird. Schwierigkeiten sind nach wie 
vor die Beheizbarkeit der Räume herzustellen sowie 
der Einzug der Zwischendecke im großen 
Veranstaltungsraum. Bis zum heutigen Zeitpunkt 
gestaltet sich die Beschaffung der benötigten 
Gasaußenwandheizer als äußerst schwierig. 
Die Bestellungen einschließlich die Freigabe 
liegen beim VEB Baustoffversorgung Halle vor. 
Eine Zusage über einen Liefertermin konnte uns 
bisher nicht gegeben werden." [8, 29. Juni 1989]
..."Nach wie vor ist der Rat nicht in der Lage, 
terminlich genau konzipierte Fertigstellungsdaten 
für den Jugendklub unserer Gemeinde zu nennen. ...
Die Maurer sind eindeutig für die Durchführung von 
Maurerleistungen zwischenzeitlich wieder abberufen 
worden, weil sie in einem Bitterfelder Betrieb 
helfen, welcher wiederum die Transport- und 
Ladetechnik der Firma H. repariert. Das evtl. 
Vorgehen über rechtliche Schritte können wir auch 
ausschalten, da der jeweilige Bauleistungsvertrag 
nicht für ein solches Vorgehen ausgestaltet ist."
 [8, 14. Dez. 1989]

Für die letzten drei in Rekonstruktion befindlichen Wohnungen fehlen die FI-Schutzschalter. Dazu die Volksvertretersitzung am 29. Juni 1989:

"Ein besonderer Schwerpunkt hierbei zur Herstellung der 
Nutzungsfähigkeit ist die derzeitige Nichtbeschaffung von 
FI-Schutzschaltern. Trotz Schreiben an die zuständigen 
Fachabteilungen des Rates des Kreises Bitterfeld konnte 
uns bisher in dieser Hinsicht keine Unterstützung gegeben 
werden."  [8, 29. Juni 1989]

Die Heizungsanlagen in der Kinderkrippe und in den Kindergärten müssen im Herbst wieder funktionstüchtig sein. Da auch hier bei der Reparatur wichtige Ersatzteile fehlen, wird darüber in Volksvertretersitzungen beraten:

..."In der Kinderkrippe Zscherndorfer Straße wurde 
am 11. Juni begonnen durch die PGH "Sanitär" Jeßnitz, 
die Heizungsanlage auszubauen und durch eine neue 
Warmwasseranlage zu ersetzen. Hier bedarf es noch 
großer Anstrengungen, um die Belegung zu Beginn der 
Heizperiode zu sichern. ... Zur Unterstützung des 
Hausmeisters wurden für Stemm- und Aufräumungsarbeiten
4 10-Klassenschüler, welche die Prüfungen beendet 
haben, eingesetzt." [8, 29. Juni 1989]
..."Schwierigkeiten bereitet uns nach wie vor die 
Warmwasserbereitstellung in der Kinderkombination 
"Glückspilz". Nach Totalausfall der installierten 
Heizpatronen konnte eine Ersatzbeschaffung trotz 
vorliegender Verkaufsbescheinigung beim 
VEB Maschinenhandel nicht erfolgen, da diese 
Heizpatronen z. Zt. nicht lieferbar sind. 
Mit sozialistischer Hilfe wurden die alten 
Heizpatronen ausgebaut und werden z. Zt. im 
VEB CKB repariert. Ähnlich verhält es sich mit der 
Warmwasserbereitstellung in der Kombination II nach 
Ausfall der Umwälzpumpen. Diese Ersatzbeschaffung 
bzw. Reparatur der vorhandenen Pumpen kann nicht 
mehr durchgeführt werden, da der eingebaute Typ 
nicht mehr repariert wird. Trotz Bemühungen des 
Rates in den Pumpenwerken Oschersleben konnte hier 
bisher noch keine Abhilfe geschaffen werden."
[8, 14. Dez. 1989]
Straßen

Die wirtschaftliche Lage erlaubt bei den meisten Straßen nur die Reparatur, um den weiteren Zerfall der Straßendecken aufzuhalten. Ein größerer Neubau – die "Kieswerkstraße" – geht seiner Vollendung entgegen. Aus den Protokollen [8] ist darüber zu erfahren:

"Im Berichtszeitraum war der Rat bemüht, einige 
der im Volkswirtschaftsplan aufgeführten 
Schwerpunkte für Schlaglochreparaturen durch 
Einbau von Bitumen abzuarbeiten. Das geschah in 
der Feldstraße, am Dorfplatz und in der Poststraße. 
Die Möglichkeiten des Einbaues sind jedoch sehr 
primitiv, weil in solchen Fällen eine Walze zur 
Befestigung der Masse eine Mindestforderung wäre."
[8, 28. Sept. 1989]
..."Weit größere Probleme haben sich in den 
vergangenen Wochen beim Bau der Freiligrathstraße 
ergeben. Gefordert von den Anliegern mußten wir 
vor einigen Wochen noch einmal eine Straßenversammlung 
organisieren und vom bauausführenden Betrieb Aussagen 
fordern, um das Tempo bei den Baumaßnahmen zu erhöhen. 
In dieser Gesprächsrunde wurden sehr kritische 
Äußerungen hinsichtlich des Tempos und der Auslastung 
der Arbeitszeit deutlich." [8, 14. Dez. 1989]
..."Die vom örtlichen Organ geforderte 
Umgehungsstraße (Kieswerkstraße) im Zusammenhang 
mit dem Bau des Kieswerkes Bitterfeld II ist 
zu 80% fertig gestellt, so daß im kommenden 
Frühjahr eindeutig sämtliche Kiestransporte über 
diese Straße gehen und somit die gewünschte 
Entlastung der Straße der DSF eintritt."
[8, 14. Dez. 1989]
Der tägliche Einkauf

Zunehmender Mangel begleitet die Planwirtschaft in der DDR und zeichnet zuletzt fast alle Bereiche des Lebens. Sichtbar betroffen sind die "Verkaufsstellen Waren täglicher Bedarf". Nicht sicher konnte man sein, eine gewünschte Ware oder Dienstleistung jederzeit zu bekommen. Man geht weniger einkaufen als "besorgen" oder "organisieren". Zu Menschen, die beruflich oder privat einer begehrten Ware oder Dienstleistung nahe dran sind, werden »Beziehungen« – im Volksmund "Vitamin B" genannt – geknüpft. Unter der Hand floriert ein Waren- und Naturalienhandel, der durch kleine Schmiergelder in Fluss gehalten wird. Dieser führt zu einer Situation, die vom Volksmund so zusammengefasst wird:

Obwohl es nichts gibt, hat jeder alles!

Dennoch bleibt das große Spekulationsgeschäft eher die Seltenheit, es ist mehr eine

kollektive stille Verschwörung zur Kompensation des Mangels.

Noch nie hat der Einkauf so viel Verdruss und Mühe bereitet wie in jüngster Zeit. [5] [10] Manche nehmen es auch mit Humor:

Wie geht es dir? Im Konsum keine Bekannten, in der HO keine Verwandten, vom Westen kein Paket, da weißt du wie es mir geht!

Der in der DDR erlebte äußere Mangel wird nur im Verhältnis zur BRD begreifbar. Nur im ständigen Vergleich kann sich der DDR-Bürger als minderwertig, zu kurz gekommen und als Mensch zweiter Klasse erleben. Gegenüber vielen anderen Ländern in der Welt ist die DDR noch ein reiches und sattes Land. [10]

Der Leiter der Inspektion beim Rat des Bezirkes Halle – Abteilung Handel und Versorgung – schätzt fortlaufend die miserable Versorgung ein (Versorgungseinschätzung), u. a. ab Januar 1989 auch die Versorgung mit Getränken [11, Versorgungseinschätzung 20. Febr. - 20. März 1989].

"Die Versorgung mit Bier und alkoholfreien Getränken 
ist weder in der Menge noch im Sortiment im Bezirk 
stabil. Besonders instabil ist die Versorgung in Halle, 
Merseburg und Bitterfeld. Auslieferung von 50% der 
bestellten Menge durch den Einzelhandel sind keine 
Seltenheit. Die zu bildende Wirtschaftsreserve für die 
Osterversorgung kann nicht gewährleistet werden, trotz 
Sonderschichten von Betrieben des Getränkekombinates. 
Es stehen zur Osterversorgung weniger Getränke zur 
Verfügung als im Vorjahr. Ständige Havarien an den 
Anlagen der Getränkeindustrie spitzen die Situation 
noch zu. Die Versorgung ist zur Zeit nur durch tägliche 
operative Arbeit überhaupt zu lösen. Ein weiterer 
Schwerpunkt bildet die Beräumung des Leergutes 
(Flaschen). Das Getränkekombinat bekommt die Beräumung 
der Verkaufseinrichtungen von leeren Flaschen nicht in 
den Griff. Dadurch kommt es öfter vor, daß die Bürger 
ihr Leergut nicht los werden und es kommt zu großen 
Verzögerungen bis hin zu Eingaben." [11, S.24]

Die Volksvertreter in Sandersdorf stellen am 28. Sept. 1989 zur Versorgung mit Getränken fest:

..."Gerade das Verbessern war in den letzten 
Monaten keine leichte Aufgabe, da es bei vielen 
Sortimenten einfach nicht vorwärts gehen wollte. 
...die Versorgung mit Bier, alkoholfreien Getränken 
und die Entsorgung und Versorgung unserer 
WtB-Verkaufsstellen  einschließlich der Kaufhalle 
mit Leergut. ... 
Die Bürger lassen sich nicht mehr beschwichtigen, 
werden aggressiv und beschweren sich, wenn auch 
oftmals an der falschen Stelle. 
...im Lager der Kaufhalle bis zu 60000 Flaschen 
befanden und trotz oftmaligen Anrufens, persönlichen 
Vorsprechen in der Brauerei Bitterfeld, der 
Niederlassung Wolfen sowie der Getränkefabrik 
Jeßnitz sich nichts tat, um das entstandene Chaos 
zu entschärfen. Chaos in dem Sinne, daß die Bürger 
ihrem Zorn freien Lauf ließen und die mitgebrachten 
Flaschen auf den Fußboden der 
Kaufhalle warfen. ... Häufig werden Lieferungen 
ausgelassen, dann kommt eine Lieferung Tage zu spät, 
dann werden Kürzungen am Warenfonds vorgenommen, 
so daß bei der einmaligen Belieferung von unseren 
Verkaufsstellen im Ort, bei der Qualität der 
Haltbarkeit von 2-3 Tagen, nicht von einer stabilen 
Versorgung an Getränken gesprochen werden kann."
[8, 28. Sept. 1989]

..."Abg. H. nahm zur Getränkeversorgung Stellung 
und betonte, daß es bald Winter ist und sich in 
dieser Versorgung noch nichts gebessert hat."
[8, 28. Sept. 1989]

"Abg. H. als Kaufhallenleiter gab hier die Auskunft, 
daß es mit dieser Versorgung wirklich mies aussieht. 
Die Brauereien sind veraltet und bedürfen weitgehendst 
einer Rekonstruktion. Der Kreis Bitterfeld ist hiervon 
am schlimmsten betroffen. Es können keine Versprechungen 
gegeben werden, wann sich diese Situation bessern wird." 
[8, 28. Sept. 1989]

"Abg. G. sprach weiter zur Diskussion und kritisierte,... 
Wie ist es möglich, daß man den Kunden die Flaschen 
nicht abnimmt und sie wieder damit nach Hause schickt.
Es ist Sache des Konsums, für die Ablieferung der 
Flaschen Sorge zu tragen. So können die Kunden nicht 
verärgert werden, daß man sie mit den Flaschen 
zurückweist." [8, 28. Sept. 1989]

Die Haltbarkeit von Vollbier Hell und Deutsches Pilsner beträgt oft nur 2 bis 3 Tage. Trübung und/oder Bodensatz sowie Geschmacksveränderungen kennzeichnen es dann. Beim Einkauf ist der Kunde deshalb vorsichtig geworden. Eine Flasche aus dem Kasten wird gegen das Licht gehalten, um auf Trübung zu prüfen. Anschließend wird diese Flasche mit dem Verschluss nach unten gehalten, um zu sehen, ob sich Bodensatz löst.

Mit Beginn des Jahres 1989 nimmt die Bereitstellung der "Waren täglicher Bedarf" wie nie zuvor ab. Die Bezirksversorgungskommission Halle (Versorgungseinschätzung 8.2.1989 )stellt u. a. fest:

"... da die Einkaufszielstellungen Warenpositionen nicht realisiert werden kann: Damenbinden, Tampons, Netz- und Spültücher, Zahnpasten, Rasiercrem, Haarwäsche, Badezusätze, Kindercrem, Babybad, Babybox. Das hat zur Folge, daß bei o. g. Artikeln ein durchgängiges Angebot im Einzelhandel nicht sichtbar wird. Die Kritiken und Eingaben der Bevölkerung werden sich zu diesen Positionen weiter erhöhen. ..." [11, S.19]

In der Versorgungseinschätzung vom März 1989 wird u. a. berichtet:

... "Große Diskussionen besonders unter den Mitarbeitern der Abtl. Handel und Versorgung gibt es zu den Lieferrückständen. Auch im Handel zeigen sich diese Diskussionen. Es versteht kein Mensch, daß wir schon wieder im Januar so große Lieferrückstände haben, aber die Zeitungen voll davon sind, wieviele Mio. M in den Bezirken zusätzliche Konsumgüter produziert werden sollen. Die Frage ist, die Industrie soll erst mal das produzieren und liefern zu was sie sich 1988 und 1989 vertraglich verpflichtet haben. ..." [11, S.22]

In Sandersdorf wird die Verkaufsfläche vergößert [8, 1. Juni 1989]:

..."Ein wichtiges Problem bezüglich der 
Befriedigung der Bedürfnisse unserer Menschen 
sind die Fragen der komplexen Versorgung. ... 
Es wird zur Tatsache, daß in den nächsten Wochen 
die Verkaufsstelle für Kinderbekleidung in der 
Teichstraße und die Verkaufsstelle für Textilien 
in der Hermann-Fahlke-Str.44 versorgungswirksam 
werden. Gegenwärtig ist der HO-Kreisbetrieb 
bestrebt, die Gemüse-Verkaufssstelle in der 
Teichstraße zu erweitern und zu modernisieren. 
Die Verkaufsstellen der Bahnhofstraße, Greppiner 
Straße und die Fleisch-Verkaufsstelle in der 
Hermann-Fahlke-Str. wurden ebenfalls durch 
Initiative der HO und Unterstützung der 
Verkäuferinnen renoviert." [8, 1. Juni 1989]

Die nicht befriedigende Versorgung der Einwohner von Sandersdorf veranlasst die Volksvertretung am 28.09.1989 zu dem Bericht "Stand der Erfüllung der Aufgaben auf dem Gebiet der komplexen Versorgungswirtschaft und der Dienstleistungen", der mit einer politischen Orientierung

"Bei der vom XI. Parteitag der SED beschlossenen weiteren Verwirklichung der Hauptaufgaben in ihrer Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik betrachten wir die tagtägliche stabile und zuverlässige Versorgung der Bevölkerung als eine Forderung ersten Ranges. ..."

beginnt [8, 28. Sept. 1989]. Danach werden folgende Mängel beschrieben:

..."Das beste Beispiel ist die Gemüsespezialverkaufsstelle
in der Teichstraße 3. Gemeinsam örtlicher Rat, HO und 
Verkaufspersonal haben sich, für jedermann sichtbar, große 
Mühe gegeben, um aus der kleinen Verkaufsstelle eine 
ansprechende  Verkaufseinrichtung herzustellen. ... 
Als jedoch der Eröffnungstermin bekannt wurde, waren die 
Kunden da - doch die Ware fehlte - bis auf ein paar 
Konservengläser war nichts zu sehen. Enttäuschte Gesichter 
und ein unzufriedenes Verkaufspersonal waren die Folge."
[8, 28. Sept. 1989]
..."So kann der örtliche Rat heute einschätzen,
daß im Gegensatz zur Berichterstattung 1987, die 
Einhaltung der Öffnungszeiten nicht sehr oft unter 
Kritik standen. ... Ausnahmen bestätigen die Regel, 
z.B Warenannahme und Inventur." [8, 28. Sept. 1989]
..."Wir sind der Meinung, Ware kann man, wenn 
man will, auch in der kleinsten Verkaufsstelle gut 
präsentieren. ... Es darf also nicht so sein, daß 
wie im neueröffneten Objekt für Kinderkonfektion in 
der Teichstraße 1 eine Schaufensterscheibe 3 Monate 
fehlt und daß nach Drängen durch den örtlichen Rat 
und nach Abstimmung mit der PGH Diamant Dessau 
endlich eine Scheibe geliefert und auch eingebaut 
wird." [8, 28. Sept. 1989]
..."Jedoch kann das breite Angebot an 
Nahrungs- und Genußmitteln nicht befriedigen und 
steht gerade in der letzten Zeit ganz stark unter 
Kritik. So kann beispielsweise bei Kartoffelkloß- 
und Puffermehl sowie Knäckebrot, Zwieback, 
kochfertigen Suppen, Soßen und Gerichten, Würze, 
Würzerzeugnissen, insbesondere Brühwürfel, 
Tempohülsenfrüchte (außer Erbsen), Speisegelatine 
und Mayonnaise nicht bedarfsdeckend versorgt werden. 
Bei Kakaoerzeugnissen ist das Angebot an Pralinen 
lückenhaft. Wenn auch bei Zuckerwaren voll versorgt 
werden kann, so entspricht das Industrieaufkommen 
nicht der Nachfrage. Unzureichend ist die 
Bereitstellung von Süßtafeln, Komprimaten, Fondant, 
Lakritz und Marzipanerzeugnisse sowie Kaugummi. 
Der Warenfonds Dauerbackwaren wird zu  80-90% 
abgedeckt. Keks und Gebäck sind im Angebot. Aber 
Waffeln und Salzgebäck sowie Gebäckmischungen 
fehlen nach wie vor. Oder nehmen wir die Position 
Kindernahrung. Auf Milchbasis erfolgt eine 
ausreichende Bereitstellung. Jedoch trinkfertige 
Säuglingsnahrung ist mehr als lückenhaft und der 
Bedarf kann nur zu 80% abgedeckt werden. Aber auch 
auf dem Sektor der diätischen Erzeugnisse bestehen 
besonders große Versorgungslücken. Wir denken hier 
an Flachbrot, Waffeln, Kakaoerzeugnisse, Zuckerwaren, 
Nußcreme und Suppen sowie an Süßmoste und Säfte. 
Anlaß zu Kritiken gab es ebenfalls bei dem Sortiment 
Kondensmilch, welche teilweise nur noch zum 
Delikatpreis von 2,45 M oder gar nicht mehr zur 
Verfügung stand. Nicht bedarfsdeckend ist das Angebot 
bei Feinfrosterzeugnissen. Hier fehlen Gemüse, Obst 
u. Teigwaren. Ebenso steht Eis aus der Tiefkühltruhe 
kaum zur Verfügung. Trotz intensiver Bemühungen auch 
von Seiten des Kaufhallenleiters kann in der Kaufhalle
nicht mit abgepackten Salaten versorgt werden. Große 
Nachfrage besteht hier bei: Eiersalat, Fleischsalat, 
Rindfleischsalat oder Heringssalat." 
[8, 28. Sept. 1989]
..."In Sandersdorf befinden sich 2 selbstkochende 
Kinderkombinationen mit Vollverpflegung für unsere 
Kinder. Außerdem eine Kinderkrippe, die sich 
selbstkochend versorgt und 1 Kindergarten, der durch 
die POS "A. Bebel" versorgt wird. Unterschiedlich sind 
die Aussagen der Wirtschaftsleiter. So beklagt sich 
die Wirtschaftsleiterin der KiKo I über die schlechte 
Belieferung bei Konserven durch Coswig. Hier fehlen 
vor allem grüne Bohnen, Gurken, Sauerkirschen, 
Süßkirschen und anderes mehr. Außerdem wird durch die 
Kaufhalle oftmals zu fettiges Fleisch bereitgestellt, 
was den Kindern nicht angeboten werden kann.
...
Der örtliche Rat muß sich darum kümmern, daß gerade 
am "Tag des Kindes" ein minimales Sortiment an 
Süßigkeiten durch den Großhandel angeboten wird. 
Hier fehlte es z.B. an Schoko-Minzen, Hallorenkugeln, 
Zetti-Plätzchen oder Nougat-Stangen.
...
Trotzdem kann die Speiseauswahl als abwechlungsreich 
bezeichnet werden. Nachfragen bei den Kindern und 
Erziehern ergaben, daß das Essen schmeckt. Essenreste 
sind kaum vorhanden." [8, 28. Sept. 1989]

Abgeordneter T. nimmt zur Arbeit des DLK-Zentrums (DLK Dienstleistungskombinat) Stellung. Er führt aus,

"... ,daß die PGH "Figaro" seit 20 Jahren nach 
einem Bestellsystem arbeitet. Ein Schwerpunkt besteht 
in der materiellen Versorgung. Die Arbeitsmittel sind 
nicht ausreichend. In der Reintex-Annahme gibt es 
Probleme in der Reparatur von Schuhen und Elektrogeräten. 
Normalerweise dauert eine Reparatur 2 - 3 Wochen, aber 
es gibt dabei auch Materialschwierigkeiten. Er wies 
weiterhin auf die Regelung in der Wäscherei hin, die 
einige Kritiken einbrachte bezüglich der bisher 
durchgeführten Wäscheleistungen. Inzwischen hat sich 
jedoch die Bevölkerung daran gewöhnt."
[8, 28. Sept. 1989]

Die Probleme um das Auto – jahrelange Wartezeiten bis zur Lieferung, langes Warten auf Ausbildung in der Fahrschule, fehlende Ersatzteile – seien nur genannt. Hier mangelt es aber auch an Ersatzteilen für die Fahrräder. Aus dem folgenden Artikel in der Tageszeitung "Freiheit" ist darüber zu erfahren:

Großhandel und Handwerker im Disput zu Ersatzteilfragen

Bitterfeld (EB/Lademann) Um das leidige Problem Fahrradersatzteile ging es am Dienstag dieser Woche in einer Zusammenkunft beim Rat des Kreises. Zugegen waren der Direktor des Vertriebes vom IFA Betrieb Leipzig, der ja auch unseren Bezirk versorgt, Kollege Reiche, der Stadtverordnete und Fahrradmechaniker aus Zörbig, Meister Reiche, die beiden Bitterfelder Mechaniker Schenk und Schneider sowie Dr. Steinecke, Mitglied des Rates für ÖVW. Übrigens war dies bereits die dritte Zusammenkunft mit dem IFA-Betrieb. Jetzt mußten endlich mal die Karten auf den Tisch. 13 Wochen keine Lieferung von Ersatzteilen in den Kreis Bitterfeld. Auf die Frage von Dr. Steinecke, ob dem Betrieb bekannt ist, daß täglich etwa 70000 Menschen hier mit dem Fahrrad unterwegs sind, zur Arbeit, zur Krippe, in die Schule, daß das Fahrrad in unserer Gegend unentbehrliches Fortbewegungsmittel ist. Bisher klappte nicht einmal der Tourenplan, nachdem der Kreis Bitterfeld alle sechs Wochen beliefert werden soll. Ist das Auto dann endlich da, reichen die Ersatzteile, die die Handwerker dann bekommen, nicht hinten und nicht vorn, so daß sie gezwungen sind, wenn sie ihre Kundschaft zufriedenstellen wollen, sich ins Privatauto zu setzen und zu versuchen, in anderen Bezirken hier

und da noch etwas zu erhaschen. Das verärgert nicht nur die Mechaniker selbst, sondern auch die Kunden, die immer wieder vertröstet werden müssen. Wie ist es überhaupt passiert, daß die letzte Lieferung für Bitterfeld am 30. Juli erfolge? Seitdem Sendepause, bis gestern. Vom Kollegen Reiche war zu erfahren, daß der IFA-Betrieb am bewußten Tag, an dem die Bitterfelder Tour auf dem Plan stand, Inventur hatte. Und so fiel sie ganz einfach aus. Wohl die bequemste Lösung für den Betrieb. Festgelegt wurde nun am Dienstag, daß der IFA-Betrieb im Laufe des Jahres die Inventur so einordnet, daß sie die Tourenpläne nicht beeinträchtigt, regelmäßig liefert. Außerdem haben die Handwerksbetriebe ab sofort die Möglichkeit drei Wochen, nachdem sie planmäßig ihr Material bekommen haben, sich im Betrieb weitere Ersatzteile, die zum Zeitpunkt der Auslieferung noch nicht da waren, abholen zu können. Das setzt natürlich voraus, daß es etwas abzuholen gibt. Leere Regale sind auch beim IFA-Betrieb keine Seltenheit. Hier muß aber an die verantwortlichen Kollegen eine Frage gestattet sein. Setzen sie sich konsequent genug dafür ein, daß sich das ändert, daß die Herstellerbetriebe regelmäßig und ausreichend anliefern?
[9, 04.11.1989, S.6 (Abschrift)]


DDR - Zeittafel 1989/90 Ereignisse in Sandersdorf
[1, S. 357-433] [2, S. 1145-1166]

1989, 19. Jan.
Partei- und Staatschef Honecker versichert, die Mauer werde "so lange bleiben, wie die Bedingungen nicht geändert werden, die zu ihrer Errichtung geführt haben. Sie wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn ..."

1989, 7. Mai
Bei den Kommunalwahlen stimmen nach amtlichen Angaben 98,95% der Wähler (98,77% Wahlbeteiligung) für die Einheitsliste der Nationalen Front. Mitglieder von Oppositionsgruppen stellen Widersprüche zu den verkündeten Wahlergebnissen fest. Anzeigen wegen Wahlfälschung werden als feindliche Aktivitäten zurückgewiesen. Wahlleiter Egon Krenz (SED) bestreitet alle Wahlmanipulationen und -fälschungen. Sie lassen sich erst nach der "Wende" nachweisen.
Ergebnis der Kommunalwahl zum Kreistag und zur Gemeindevertretung:
6255wahlberechtigte Bürger
6214(99,34%) an der Wahl beteiligte Bürger
6154(99,03%) stimmen für den Wahlvorschlag der Nationalen Front
    60(0,97%) Bürger stimmen dagegen
Die örtliche Volksvertretung umfasst 40 Mitglieder und 14 Nachfolgekandidaten.
"Der Beschluß Nr. 2-1/89 über die Wahl des Abg. Günter Bieder zum Bürgermeister und Vorsitzenden des Rates der Gemeinde wurde von der Gemeindevertretung einstimmig angenommen."

Dieses Wahlergebnis wird vor der konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung am 1. Juni 1989 in einem Referat erläutert, welches mit der folgenden Einleitung beginnt:

..."Die Wahlen am 7. Mai 1989 standen ganz im Zeichen der weiteren Durchsetzung der Beschlüsse des XI. Parteitages der SED und der großen Volksinitiative zur Vorbereitung des 40. Jahrestages der Gründung der DDR. ... Insgesamt ist einzuschätzen, daß die diesjährigen Kommunalwahlen ein erneuter überzeugender Vertrauensbeweis der Bürger unserer Gemeinde für die Kandidaten der Nationalen Front und somit für die Fortsetzung der bewährten Politik des XI. Parteitages für die Sicherung des Friedens und für eine weitere dynamische Entwicklung unseres sozialistischen Vaterlandes waren. ..." [8, 01.Juni 1989]

Es werden folgende Sachgebiete benannt [8, 01.Juni 1989]:
- Stellv. des Bürgermeisters für Planung, Bau- und Wohnungswirtschaft
- Stellv. des Bürgermeisters für Kompl. Versorgung, Gesundheits- und Sozialwesen
- Sekretär der Gemeinde
- Mitglied des Rates für Inneres
- Mitglied des Rates für Finanzen
- Mitglied des Rates für Volksbildung
- Mitglied des Rates für Wasserwirtschaft und Umweltschutz
- Mitglied des Rates für Kultur und Naherholung
- Mitglied des Rates für Jugendfragen und Sport
1989, 27. Juni
Ungarn beseitigt die Grenzsperren nach Österreich, die Grenzkontrollen bleiben. Für DDR-Bürger, die ausreisen wollen, wird die innerdeutsche Grenze auf dem Umweg über Ungarn durchlässig.

1989, 7. Juli
Der Warschauer Pakt widerruft im Schlußkommuniqué von Bukarest die völkerrechtliche These von der beschränkten Souveränität der sozialistischen Staaten.
Die örtliche Volksvertretung berät über die Erfüllung der volkswirtschaftlichen Aufgaben des 1. Halbjahres 1989. Dazu zählen u. a.
die Renovierung schwer vermietbarer Wohnungseinheiten,
der Bau von Eigenheimen,
die Reparatur der Heizungsanlagen in Kindergärten und -krippe,
die Eigenversorgung mit Obst und Gemüse,
die Erfassung von Sekundärrohstoffen,
der Umbau des Jugendclubs.
[8, 29.Juni 1989]

"Die organisierten Frühjahrsputzaktionen hatten zum Ergebnis, daß 3244 Bürger teilnahmen und dabei über 20000 Stunden leisteten." [8, 29.Juni 1989]
1989, Juli/Aug.
Viele DDR-Bürger reisen in den Urlaubsmonaten mit der Absicht nach Ungarn, Polen und die CSSR, auf Umwegen in den Westen zu flüchten. Sie suchen Zuflucht in den Botschaften der BRD in Budapest, Warschau, Prag und in anderen Hauptstädten. Die einsetzende Massenflucht sprengt die Kapazität der möglichen Aufnahme und führt zu unlösbaren Problemen der Versorgung und Hygiene.

1989, 14. Aug.
Honecker tritt nach langem Urlaub erstmals wieder öffentlich auf, ohne sich über die Staatskrise zu äußern: »Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf«.

1989, 19. Aug.
Hunderte von DDR-Bürgern Nutzen das »Paneuropäische Picknick« bei Sopron zur Flucht über die »grüne« ungarisch-österreichische Grenze.

1989, 4. Sept.
Die erste Montagsdemonstration findet in Leipzig im Anschluss an das traditionelle Friedensgebet in der Nikolaikirche statt. Etwa 1200 Bürger fordern »Reisefreiheit statt Massenflucht« und »Stasi raus«. Seitdem finden wöchentlich die Montagsdemonstrationen statt, die von Sicherheitskräften observiert, behindert und teilweise aufgelöst werden.

1989, 9./10. Sept.
Mitglieder der Friedensbewegung Bärbel Bohley, Rolf Henrich, Jens Reich u.a. unterzeichnen den Gründungsaufruf Neues Forum.

1989, 10 Sept.
Außenminister Horn entscheidet nach Rücksprache mit Regierungschef Németh, dass die in Ungarn wartenden DDR-Bürger das Land frei verlassen können.

1989, 11. Sept.
Ungarn öffnet 0.00 Uhr seine Westgrenze für alle DDR-Bürger. Binnen drei Tagen fliehen ca. 15000, bis Monatsende ca. 30000 DDR-Bürger nach Österreich und von dort in die BRD.

1989, 12. Sept.
Gründungsaufruf der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt (DJ), unterzeichnet von Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß, Ulrike Pope, u. a.

1989, 30. Sept.
Außenminister Genscher teilt in der völlig überfüllten Botschaft in Prag mit, dass die »Landsleute« ausreisen dürfen.
Als im nahen Leipzig schon die Montagsdemonstrationen erfolgen, findet in Bitterfeld die Kreiskonferenz für sozialistische Wehrerziehung statt:
Den Frieden stets sicher schützen
Zu Aufgaben der Gewinnung militärischen Berufsnachwuchses

Bitterfeld (VK) Gerade jetzt, wo die aggressivsten Kreise des Imperialismus wieder verstärkt einen Kurs der Hochrüstung und Konfrontation steuern, komme es darauf an, alle Aufgaben der militärischen Berufsnachwuchssicherung mit hoher persönlicher Verantwortung zu führen, so forderte der Vorsitzende des Rates des Kreises, Genosse August Pietsch, auf der 7. Kreiskonferenz für sozialistische Wehrerziehung von Pädagogen, Beauftragten für militärische Nachwuchssicherung sowie zahlreichen Gästen aus unserem Kreis. Dabei gelte es gerade heute, den Jugendlichen immer wieder beim Erkennen zu helfen, wie sich die Klassenauseinandersetzung vollzieht und daß die historischen Errungenschaften als unveräußerliche Werte des Sozialismus verteidigungswürdig sind. Für die Arbeit mit dem militärischen

Berufsnachwuchs bedeutet dies, daß sich alle Beteiligten bewußt werden, diesen Prozeß langfristig, kontinuierlich und mit hoher persönlicher Verantwortung zu führen.

... In seinem Schlußwort wies der 1. Sekretär der Kreisleitung Bitterfeld der SED, Genosse Joachim Thel, noch einmal auf den untrennbaren Zusammenhang von militärischem Schutz und sicherem Frieden hin. Die erfolgreiche 40jährige Entwicklung unserer Republik war nur dank einer hohen, durch unsere Landesverteidigung gewährleistete Sicherheit, möglich. Diese gelte es auch, zukünftig zu garantieren. Jeder habe seine Verantwortung wahrzunehmen, um jederzeit abrechenbare Ergebnisse zu erzielen.
[9, 26.09.1989, S.12 (leicht gekürzte Abschrift)]


In der 3. Sitzung der örtlichen Volksvertretung am 28. September 1989 steht der Bericht des Rates der Gemeinde über den "Stand der Erfüllung der Aufgaben auf dem Gebiet der komplexen Versorgungswirtschaft und der Dienstleistungen" auf der Tagesordnung. Der aktuelle Stand ist aber die zunehmend mangelhafte Versorgung der Einwohner mit den Waren des täglichen Bedarfs. Fast alle Verkaufsstellen und Gaststätten im Ort sind von der nicht ausreichenden Bereitstellung von Waren betroffen. Die Lieferrückstände an den Handel nehmen in der Tendenz zu.

Abgeordneter H. – Sekretär der Ortsparteileitung der SED – "machte auch einige Ausführungen zur heutigen Sitzung und wies auf den bevorstehenden 40. Jahrestag der Republik hin. Er machte auch auf die Schwierigkeiten in der heutigen Zeit aufmerksam und deutete an, daß sich Reformen nicht umgehen lassen werden. Bestimmte Dinge können wir uns in Zukunft nicht mehr gefallen lassen. Er verwies weiter auf einige Probleme innerhalb unseres Ortes, die es zu realisieren gilt und gut durchdacht werden müssen:
- Betonieren des Sportplatzes, warum nicht die Straßen?
- Fertigstellung des Jugendclubs. Es wird Zeit, sich um die Jugend zu kümmern.
- Straße der DSF: Wann wird nach Verlegen der Wasserleitung zugeschachtet?
- F 183: Radwege wurden aufgerissen, aber nicht gearbeitet." [8. 29. Sept. 1989]

Tätigkeitsbericht des Rates zwischen der 2. u. 3. Sitzung der Volksvertretung:
"... konzentrierte er seine gesamte Arbeit auf die weitere Durchsetzung der staatlichen Aufgaben. ...im Interesse der weiteren Erhöhung des materiellen sowie geistig-kulturellen Lebensniveaus unserer Bürger. In der gesamten Arbeit wurde die Vorbereitung des 40. Jahrestages der Gründung der DDR als Wegweiser für hohe gesellschaftlich wirksame Ergebnisse betrachtet, weil dieses Jubiläum eine wichtige Etappe im Leben unserer Republik sowie bei der Vorbereitung des XII. Parteitages der SED darstellt." [8. 29. Sept. 1989]
Tätigkeitsbereiche sind:
- Reparatur der Straßen
- Erneuerung der Trinkwasserleitung in der Straße der DSF
- Unterstützung der Wasserwirtschaft zur Behebung der Rohrbrüche [8. 29. Sept. 1989]

Im Bericht zum "Stand der Erfüllung der Aufgaben auf dem Gebiet der komplexen Versorgungswirtschaft und der Dienstleistungen" wird noch über die stimulierende Wirkung der erreichten Versorgungsleistungen geschrieben:

... "Von besonderer Bedeutung ist dabei die Tatsache, daß die erreichten Versorgungsleistungen unmittelbar in allen Schichten der Bevölkerung des Territoriums spürbar werden und so weit zugleich die Aktivität der Bürger in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen stimulieren." [8. 29. Sept. 1989]

Gegenstand des Berichtes sind :
- Einschätzung der im Ort angebotenen Dienstleistungen
- Probleme bei der Versorgung mit Getränken und der Rückführung des Leergutes
- Bezeichnung der in den Verkaufsstellen fehlenden Waren [8. 29. Sept. 1989]
1989, 1. Okt.
Die Oppositionsgruppe Demokratischer Aufbruch (DA) konstituiert sich, ab 30.10. erste oppositionelle Partei, repräsentiert durch Wolfgang Schnur, Rainer Eppelmann, Friedrich Schorlemmer. Sie fordert die deutsche Einheit und eine sozial-ökologische Marktwirtschaft.

1989, 6. Okt.
Honecker erklärt: »40 Jahre DDR - das waren 40 Jahre heroische Arbeit, 40 Jahre erfolgreicher Kampf für den Aufstieg unserer sozialistischen Republik, für das Wohl des Volkes. Das wird auch weiter so sein.«

1989, 7. Okt.
Der 40. Jahrestag der DDR-Gründung wird mit Militärparaden und Aufmärschen gefeiert. Der als Gast anwesende sowjetische Partei- und Staatschef Gorbatschow mahnt Reformen an und er äußert beiläufig: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« In vielen Städten kommt es zu spontanen Protesten gegen das SED-Regime.
Die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SPD) konstituiert sich. Sie strebt eine »konsequente Demokratisierung von Staat und Gesellschaft« mit der Zielsetzung an, eine »ökologisch orientierte soziale Demokratie« zu verwirklichen.

1989, 16. Okt.
Nach den Friedensgebeten versammeln sich in Leipzig ca. 120000 Bürger zur bisher größten Montagsdemonstration.

1989, 18. Okt.
Das ZK der SED entlässt Erich Honecker als Generalsekretär und Politbüromitglied.

1989, 24. Okt.
Die Volkskammer wählt Egon Krenz (SED) in offener Abstimmung zum Vorsitzenden des Staats- und des Nationalen Verteidigungsrats. Krenz stellt den Sozialismus auf deutschem Boden nicht zur Disposition.

1989, 27. Okt.
Eine geheime ökonomische Analyse für das ZK der SED kommt zu dem Ergebnis, dass die sozialistische Planwirtschaft zusammenzubrechen und die DDR zahlungsunfähig zu werden drohe.

1989, 3. Nov.
Die DDR-Regierung beschließt, dass DDR-Bürger die Grenze zur CSSR und von dort zur BRD ohne weitere Formalitäten mit ihrem Personalausweis überqueren dürfen. Es setzt eine neue Massenflucht ein.

1989, 4. Nov.
Etwa 700000 Menschen versammeln sich friedlich in Ost-Berlin zu einer von Oppositionsgruppen und Künstlern organisierten, polizeilich genehmigten Großkundgebung. Sie fordern unverzüglich politische Reformen.

1989, 7. Nov.
Der Ministerrat unter seinem Vorsitzenden Willi Stoph (SED) tritt geschlossen zurück.

1989, 8. Nov.
Das Politbüro der SED tritt unter dem Zwang pausenloser Massenproteste zurück.

1989, 9. Nov.
In Berlin fällt die Mauer, die Grenzübergänge zur BRD und zu West-Berlin werden gegen Mitternacht geöffnet. Etwa drei Millionen DDR-Bürger besuchen über das folgende Wochenende die BRD und West-Berlin.

1989, 17./18. Nov.
Der neue Ministerpräsident Modrow (SED) stellt in der Volkskammer seine » Regierung des Friedens und des Sozialismus« vor. Die Volkskammer bestätigt en bloc in öffentlicher Abstimmung das Kabinett Modrow. Der SED bleiben die Schlüsselressorts vorbehalten.

1989, 24. Nov.
In Ost-Berlin konstituiert sich die »Grüne Partei«. Sie will ökologisch, feministisch und gewaltfrei sein.

1989, 28. Nov.
Bundeskanzler Kohl legt dem Bundestag ein Zehnpunkteprogramm zur schrittweisen Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas vor

1989, 1. Dez.
Die Volkskammer beschließt auf Antrag aller Fraktionen, den in der Verfassung verankerten Führungsanspruch der SED zu streichen.
In einer Beratung am 02. November 1989 gibt es mit allen Vorsitzenden der Parteien, welche Mandatsträger für die örtliche Volksvertretung sind, volle Übereinstimmung darüber, dass der Führungsanspruch der SED nicht mehr existent ist.

"... ,daß wir in gemeinsamer Verantwortung die uns selbst gestellten territorialen Aufgaben im Interesse unserer Bürger und des Territoriums abarbeiten wollen. Es ist trotzdem notwendig zu sagen, daß die Vorsitzenden der Ortsgruppen der LDPD, der NDPD, der CDU und des Ortsausschusses der Nationalen Front in ihrer Argumentation der weiteren Zusammenarbeit davon ausgingen, daß der für sich allein in Anspruch genommene Führungsanspruch der SED nicht mehr existent ist, so daß künftig bei allen Handlungen auch in unserem Territorium die konsequente Gleichberechtigung aller politischen Parteien durchzusetzen ist." [8, 14. Dez. 1989]

Der sturen Parteipolitik der SED war man überdrüssig. Unter dem Druck der Ereignisse gab es von der Ortsparteileitung der SED keinen Widerstand. Die auf das SED-Regime eingeschworenen Kommunisten hatten im Ort nicht die Oberhand. Die große Revolution auf der Straße hat in Sandersdorf nicht stattgefunden. [12]

"Sehr sachlich und konstruktiv, und trotzdem auch in vielen Fragen berechtigt sehr kritisch, war eine Gesprächsrunde mit Vertretern der Kirchenbeiräte der evangelischen und katholischen Kirche (im Gemeinschaftsraum der katholischen Kirche) in unserer Gemeinde, zu der ich als Bürgermeister und weitere Abgeordnete am 7. November eingeladen waren. Auch hier zeigte sich in sehr kritischen Bemerkungen die verfehlte Politik stalinistischer Prägung durch die Führungsspitzen der SED, aber und das ist wiederum das Wertvolle, keine Resignation oder rachsüchtige Äußerungen, sondern immer mit dem Blick nach vorn gerichtete Äußerungen, begangenes Unrecht oder begangene Fehler in einer neuen sozialistischen Demokratie nicht wieder aufkommen zu lassen. "[8, 14. Dez. 1989]

Konsens wird erzielt, dass die Gemeinde bei Entscheidungsfindungen die Kirche konsultiert.
Die Kirche kritisiert
- die Möglichkeit der ungehinderten christlichen Betätigung, den Druck an der Jugendweihe teilzunehmen,
- Probleme im Ort.
Die Kirche fordert den offenen und kritischen Dialog ein. Die Kirche betrachtet sich als demokratisch und öffentlich mit einer ihr einzuräumenden Möglichkeit der Mitsprache in Fragen der örtlichen Planung. [12]

Umweltdaten ab sofort regelmäßig veröffentlicht
Luftbelastung durch Schwefeldioxid und Schwebestaub
Mit einer neuen Smogverordnung vom 2.11.1989 wird dem demokratischen Recht der Bürger entsprochen, über den Zustand der Umwelt informiert zu sein, die ihre Lebensqualität wesentlich beeinflusst. [9, 07.11.1989, S.8, gekürzte Abschrift]
Vorerst teilt der Rat des Kreises in kontinuierlicher Folge die Messwerte für Schwefeldioxidimmissionswerte der lufthygienischen Pegelmessstation in Wolfen (Poliklinik) mit. Die Grenzwerte der Jahresdurchschnittsbelastung betragen für das 24-Stunden-Mittel 150 Mikrogramm/Kubikmeter und für den maximalen Halbstundenmittelwert 500 Mikrogramm/Kubikmeter. [9, 07.11.1989, S.8]

Unter der gemeinsamen Verantwortung der noch im demokratischen Block vereinten Parteien wird am 9. November 1989 das erste öffentliche Bürgerforum im Klubhaus der Werktätigen ("Thüringer Hof") organisiert [8, 14. Dez. 1989].

Angesprochen werden hier die Probleme bei den Baumaßnahmen der öffentlichen Infrastruktur Straßen und Abwasser. Bewohner aus der Siedlung und dem Mittelort beschwerten sich benachteiligt zu sein gegenüber dem Neubauviertel, dem so genannten "Hutviertel". Harsche Kritik muss sich der Schuldirektor R. anhören, dass er sehr diktatorisch den sozialistischen und kommunistischen Erziehungsstil durchsetzt. Er hat sich dem jugendlichen Anderssein der Schüler, das u.a. im Tragen von Jeans, der Frisur und dem Hören westlicher Musik zum Ausdruck kommt, entgegengestellt. Schüler mit christlichem Glauben fühlten sich benachteiligt. Die Wehrerziehung in der Schule sollte unterlassen werden. [12]

Noch am gleichen Abend verfolgen die Sandersdorfer Bürger "den Fall der Mauer in Berlin" vor dem Fernseher.

Zur Fortführung des Dialogs werden die öffentliche Wahlkreisberatung am 30.11.1989, ein Jugendforum am 25.11.1989 und das öffentliche Forum zu handelspolitischen Fragen am 07.12.1989 organisiert [8, 14. Dez. 1989].

Die 4. Sitzung der örtlichen Volksvertretung findet am 04. Dezember 1989 statt.
"Die erste Volksvertretersitzung im Rahmen der sich vollziehenden Wende!"
"Die Zeit zwischen der letzten Volksvertretersitzung am 28. September und heute ist auch für unsere Arbeit im Zusammenhang mit der sich vollziehenden Wende in unserer Republik geprägt. ..."
"Wir werden, ausgehend von umfangreichen Analysen unserer gesamtgesellschaftlichen Arbeit, zielgerichtet daran weiter arbeiten müssen, die Lebens-, Wohn- und Arbeitsbedingungen in unserem Territorium positiv zu gestalten. Ich glaube, diese Zielstellung wird immer bestehen bleiben, welche Regierung auch immer die Interessen der Menschen in unserer Republik und damit auch in unserer Gemeinde vertritt."
[8, 14. Dez. 1989]

Referate und Agitationen zur Politik der SED und deren Parteitage sind nicht mehr Gegenstand örtlicher Volksvertretersitzungen.

Die Volksverteter verlangen demokratische Strukturen:
..."Wenn man die Schwerpunkte der bisher geführten Dialoge zusammenfügt, ergaben bzw. ergeben sich an politischen Fragen eines notwendigen Demokratisierungsprozesses, den auch wir im Territorium als erste Voraussetzung für die freie Entfaltung eines neuen sozialistischen Weges ansehen, nachstehende Forderungen:
- Durchführung freier, gleicher und geheimer Wahlen
- Aufgabe des Führungsanspruches der SED und demzufolge Änderung des Artikels 1 der Verfassung
- Trennung der Verantwortung zwischen Staat und SED
- Durchführung einer Verwaltungsreform
- Gewährleistung neuer Strukturen im Zusammenhang einer komplexen Wirtschaftsreform u. a." [8, 14. Dez. 1989]

..."Die gegenwärtige Wende in unserer Republik führt dazu, dass sich die Anfragen bezüglich der Eröffnung von privaten Gewerben des Handels, aber auch der Dienstleistungen häufen. Der Rat der Gemeinde steht solchen Anfragen positiv gegenüber, muß aber immer wieder die Frage des Gewerberaumes in den Mittelpunkt stellen." [8, 14. Dez. 1989]

Vom Abg. S. wird gefordert, eine Arbeitsgruppe "Umweltschutz" zu bilden, die mithilft, folgende Probleme im Ort zu lösen:
- Wasserqualität des Strandbades
- Kieswerk und Grube Hermine
- Sanierung der Grubenrestlöcher Richard I und II [8, 14. Dez. 1989]

Auf einen ersten Vorschlag zur Fraktionsbildung innerhalb der Gemeindevertretung reagiert der Rat der Gemeinde wie folgt:
"Über die Bildung von Fraktionen hat sich heute schon der Rat der Gemeinde in seiner Sitzung beschäftigt und ist der Meinung, daß sich dieses gegenwärtig in unserer Gemeinde nicht sehr sinnvoll darstellt. Die Meinung ist die, daß sich das neue Wahlgesetz völlig anders darstellen wird, als die Zusammensetzung der Volksvertretung.
.... in der gegenwärtigen Zusammensetzung der Volksvertretung Sandersdorf ist eine Arbeit in Fraktionen gemäß der Besetzung der Mandate als weniger effektiv einzuschätzen, als die bisherige Wirksamkeit der Ständigen Kommissionen." [8, 14. Dez. 1989]
1989, 3. Dez.
Das ZK und das neu gewählte Politbüro der SED mit Egon Krenz als Generalsekretär treten unter dem Druck anhaltender Massendemonstrationen zurück. Der Machtverfall der SED schreitet rapide voran.

1989, 7. Dez.
Unter der Moderation von Kirchenvertretern tritt der Runde Tisch zusammen. An diesem Organ der Beratung und Kontrolle der Regierung beteiligen sich je zur Hälfte Vertreter der »alten Kräfte« und der neuen Gruppen und Parteien.

1989, Dezember
Gegner und Anhänger der deutschen Einheit tragen zunehmend ihre Meinungsverschiedenheiten auf den Massendemonstrationen aus.

1989, 15./16. Dez.
Die CDU stellt ihren Sonderparteitag in Ost-Berlin unter das Motto » Erneuerung und Zukunft«. Sie distanziert sich vom Sozialismus und übernimmt als ehemalige Blockpartei die Mitverantwortung für die Krise der DDR.

1989, 19./20. Dez.
Bundeskanzler Kohl besucht Dresden, wo er stürmisch gefeiert wird, auch mit Rufen wie »Deutschland - einig Vaterland«.

1990, 8. Jan.
Die Leipziger Montagsdemonstration bekennt sich mehrheitlich zur deutschen Einheit.

1990, 11./12. Jan.
Volkskammertagung: Unter dem Druck öffentlicher Proteste und den Ultimaten des Runden Tisches rückt Modrow von den Plänen ab, Verfassungsschutz und Nachrichtendienst zu schaffen.

1990, 12./14. Jan.
Die Sozialdemokratische Partei der DDR nennt sich ab sofort SPD und strebt das politische Ziel der deutschen Einheit an.

1990, 15. Jan.
Während der Runde Tisch in Anwesenheit Modrows über die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit berät, stürmen Demonstranten die ehemalige Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg.

1990, 20. Jan.
Liberale, christliche und konservative Oppositionsgruppen beschließen in Leipzig die Deutsche Soziale Union (DSU) als Partei zu gründen.

1990, 20./21. Jan.
Der Vorstand der SED-PDS entscheidet die von Krisen geschüttelte Partei nicht aufzulösen, sondern als Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) weiterzuführen.

1990, 25. Jan.
Da die Planwirtschaft vor dem Kollaps steht, beschließt die Regierung Modrow die volle Gewerbefreiheit.
"Runder Tisch" in Sandersdorf 1989
Über den Anfang berichtet Pfarrer G. Neugebauer:
Die erste Zusammenkunft fand am 21.12.1989 statt. Ich hatte mit einem kleinen Merkblatt dazu eingeladen – in der Weise, dass ich eine Reihe von Personen angesprochen und um Mitarbeit gebeten hatte. Den damaligen Pfarrer der kath. Gemeinde Broeske hatte ich ebenfalls um Unterstützung gebeten und auch darum, dass wir den Pfarrsaal der kath. Gemeinde für die Zusammenkünfte nutzen konnten. Das Ev. Gemeindehaus war damals noch im Bau.
Es ergab sich dann so, dass der "Runde Tisch" von den beiden Kirchen des Ortes verantwortet wurde. So wurde auch die Gesprächsleitung organisiert. Etwas später habe ich dann auch den "Runden Tisch" in Zscherndorf angefangen.
Der "Runde Tisch" bestand bis zu den ersten Kommunalwahlen.
[13]

[9, 28.12.1989 S.8]

Runder Tisch in Sandersdorf – Anmerkungen in Stichworten von Pfarrer G. Neugebauer: [13]

1. Status
Bürgerinitiative zur demokratischen Erneuerung in einer Übergangszeit, in der es keine legitimierten Volksvertretungen gibt.

2. Zusammensetzung
Repräsentative Vertretung der demokratischen Kräfte unseres Ortes in gleichberechtigter, pluralistischer Zusammensetzung
Kriterium für die Mitarbeit: Bereitschaft, politische Verantwortung zu übernehmen (Wahlen!)

3. Arbeitsweise
Die Kirchengemeinden als unabhängige, überparteiliche Einrichtungen bieten an, die Verantwortung für die Organisation des "Runden Tisches" zu übernehmen:
Einladung, Tagungsort, Gesprächsleitung.

4. Aufgaben
- Entwicklung der politischen Kultur in unserem Ort
- Beitrag zur Stabilität
- Hilfestellung bei der Vorbereitung der Wahlen
- Aufnahme und Bearbeitung von Sachthemen
- Diskussion der politischen Grundsatzfragen
- Vorbereitung der Partnerschaft mit einem Ort ähnlicher Struktur [13]

Der "Runde Tisch" verfährt nach vorläufiger Geschäftsordnung: [13]
1. Teilnehmer
              Zahl Stimm-  Vor-
                   recht   schlags-
                           recht
Parteien
  CDU           4     2      1  
  SED-PDS       2     2
  SPD           3     2
  LDPD          3     2
  NDPD          2     2
Bürger-
initiative      3     2

Bereiche
  Rat d, Gem.
  Bürgermeister 1            1
  Gesundheits-
  wesen         1            1 
  Volksbildung  2            2 
  Handwerk      1            1 
  Ev. Kirche    1            1 
  Kath. Kirche  1            1 
Ferner können Sachverständige, Vertreter der Bereiche und Gäste eingeladen werden.
Die katholische Kirche und die evangelische Kirche stellen je einen Gesprächsleiter
Der Bürgermeister der Gemeinde Sandersdorf ist ständiger Gast am "Runden Tisch". Er besitzt das Vorschlagsrecht.

2. Die Tagungsleitung wird von Bürgerinitiative organisiert
3. Verhandlung und Redeordnung:
- Die Sprecher kommen nach der Reihenfolge der Meldungen zu Wort
- Anträge zur Geschäftsordnung gehen vor (Vertagung auf Überweisung an Ausschuss, Schluss der Rednerliste, Abbruch der Aussprache)
- Personen, die ein Tagesordnungspunkt betrifft, dürfen bei der Beratung und Abstimmung anwesend sein.
- Die Redezeit ist auf 3 Minuten begrenzt
4. Beschlüsse:
- Einfache Mehrheit
- Personalentscheidung durch geheime Wahl mit Stimmzetteln
5. Ergebnisprotokoll
6. Information der Öffentlichkeit: Aushang, Zeitungsbericht
7. Mitarbeit der Bevölkerung durch Eingaben

Vorschläge und Hinweise kann die Bevölkerung in drei dafür vorgesehene Briefkästen geben.
[9, 07.02.1990 S.8]

In einem Schreiben vom 26.03.1990 an den Ministerpräsident der DDR fordert der "Runde Tisch" die sofortige Einstellung der Baumaßnahme "Kieswerk II" aus Gründen des Umweltschutzes.
"Bis zum 21. 2. 1990 sind Abgeordnete der Gemeinde und Vertreter des "Runden Tisches" über diese Maßnahme nicht ausreichend durch den IAG Splittwerk Röcknitz informiert worden. ...
Eine noch laufende Prüfung des Standortgenehmigungsverfahrens hat nach ersten Ergebnissen bewiesen, daß grundlegende Forderungen vom IAG nicht eingehalten wurden.
"Die gesetzte Frist bis 10. 3. 1990 über eine abschließende Prüfung des Standortgenehmigungsverfahrens wurde ebenfalls vom IAG-Splittwerk Röcknitz nicht eingehalten und führte zu einer fortlaufenden aber erkennbaren Verschleppung. Ungeachtet aller Maßnahmen werden demnach Millionen Investmittel verschleudert."
Als Anlage liegt das erste Ergebnis einer Unterschriftensammlung bei. [13]

Laut Protokoll des Runden Tisches vom 17.01.- 18.01.1990 wird mehr Mitspracherecht eingefordert bei [12]
- Erschließung von Wohnstandorten
- Verkehrsregelungen
- Aufgaben zum Volkswirtschaftsplan 1990
- Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen
- Öffnungszeiten der Verkaufsstellen
- u.a.

Der Bürgermeister vermittelt die Kontakte zwischen "Runden Tisch" und Gemeindevertretung. Er wird aufgefordert den Runden Tisch zu informieren und Gedanken des Runden Tisches in Vorhaben und Beschlüsse der Gemeindevertretung einfließen zu lassen. [12]
1990, 1. Febr.
DDR-Ministerpräsident Modrow (SED-PDS) stellt das Konzept »Deutschland - einig Vaterland« als Vierstufenplan für die Vereinigung der beiden deutschen Staaten vor.

1990, 4. Febr.
Die FDP in der DDR konstituiert sich in Ost-Berlin aus liberalen Gruppen.

1990, 5. Febr.
In Anwesenheit von Bundeskanzler Kohl (CDU) verabreden die Parteivorsitzenden de Maizère (CDU), Ebeling (DSU) und Schnur das Wahlbündnis (DA) »Allianz für Deutschland« zur Volkskammerwahl am 18.3. zu bilden
.
Die Volkskammer beschließt die uneingeschränkte Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit. Fortan ist jede Zensur verboten.

1990, 7. Febr.
Neues Forum (NF), Demokratie Jetzt (DJ) und Initiative Frieden und Menschenrechte schließen sich im Bündnis 90 zusammen.
An der "Öffentlichen Anhörung zu Problemen der Sicherung der Ökologie und Ökonomie beim Betrieb des Kieswerkes Bitterfeld II" am 1. Februar 1990 nehmen ca.150 BürgerInnen teil. [8, 01. Febr. 1990]

"Umweltschutz war bisher ein allgemeines Tabu-Thema. Dieses Geheimnis beginnt sich endlich zu lüften. Die Offenlegung bei Bürgerforen und in der Presse zeigen, unter welchen Umweltbelastungen wir hier im Ballungsgebiet der Chemie- und Braunkohlenindustrie Bitterfeld leben und arbeiten müssen. Weitere Belastungen sind da unbedingt fern zu halten und bereits vorhandene abzubauen. Dafür kämpfen wir und lassen uns durch übergeordnete Organe keine weiteren Belastungen mehr administrativ auferlegen."
".... es gibt Forderungen aus der Bevölkerung, den weiteren Ausbau des Kieswerkes zu stoppen. Nach unseren Informationen wird das Kieswerk für eine Jahresleistung von 1,2 Mill. t ausgelegt. Davon sollen 700000 t/a per Bahn und 500000 t/a per Straße abgefrachtet werden. Gefordert wurde bereits durch die Freunde der Gartensparten, die Lärmbelastungen durch die Betriebsanlage auf die gesetzlich vorgeschriebenen Normative zu dämpfen. [8, 01. Febr. 1990]

"Unsere Forderung nach Ausbau der F183 in der Ortslage ist begonnen worden, der Bau einer neuen Straße zur F183 außerhalb des Ortes inzwischen realisiert." [8, 01. Febr. 1990]

"Bleibt trotzdem für die Anlieger der F183 eine erhebliche Belastung durch das Streugut von den Kiesfahrzeugen. Die bisherigen Erfahrungen diesbezüglich sind nicht die besten. Bei noch dichterem Schwerlastverkehr ist es keinem mehr zuzumuten, daß die Bürger die Straße sauber halten. So viel Kies benötigen sie auch gar nicht, wie jede Woche zusammenkommt." [8, 01. Febr. 1990]
"....der Schwerlastverkehr über den Bahnhof Sdf. wird also auch zunehmen. Es liegen schon jetzt Eingaben vor, in denen sich die Bürger über Erschütterungen und dadurch hervorgerufene Rißbildungen in den Häusern beschweren. Wir vermuten, daß die Strecke dem Schwerlastverkehr gar nicht gewachsen ist. Hinzu kommt, daß das Wohngebiet auf Kippengelände errichtet ist und die locker gelagerten Böden die Schwingungen vor allem der schweren Dieselloks (V 300) besonders gut übertragen." [8, 01. Febr. 1990]

Bei der Anhörung ist kein offizieller Vertreter des Kieswerkes Bitterfeld II anwesend. Die Gemeinde Sandersdorf will einen Baustopp erreichen. [8, 01. Febr. 1990]

Vor den ersten freien Kommunalwahlen wetteifern nach Jahrzehnten wieder Parteien und Bürgerbewegung um die Gunst der Wähler.
[9, 10.02.1990, S.8]
1990, 18. März
Bei der ersten freien Volkskammerwahl geht die »Allianz für Deutschland« als Sieger hervor. Die Mehrheit der Wähler/innen stimmt für eine rasche Währungsunion und Vereinigung der DDR mit der BRD.

1990, 20. März
Die Bundesregierung schlägt der DDR eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion vor.

1990, 27. April.
Neben den laufenden Expertengesprächen beginnen die Regierungsverhandlungen über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.

1990, 6. Mai
Erste freie Kommunalwahlen für Kreistage und Stadtverordneten in der DDR.

1990, 16. Mai
Der Fonds »Deutsche Einheit« zur Finanzierung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion wird mit 115 Milliarden DM ausgestattet

1990, 18. Mai
Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unterzeichnet

1990, 15. Juni
Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen.

1990, 1. Juli
Der Staatsvertrag vom 18.5. tritt in Kraft.
Die Währungsunion beginnt mit der Einführung der DM in der DDR.

1990, 15./16. Juli
Bundeskanzler Kohl erzielt in Verhandlungen mit Präsident Gorbatschow in Moskau einen historischen Durchbruch bei der außenpolitischen Absicherung des deutschen Einigungsprozesses.

1990, 22. Aug.
Drei bundesdeutsche Großkonzerne übernehmen die Stromversorgung der DDR.

1990, 12. Sept.
Die Außenminister der zwei deutschen Staaten und die Außenminister der Vier Mächte (USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich) unterzeichnen in Moskau das 2+4-Abschlußdokument. Dieser Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland hat den Stellenwert eines Friedensvertrages. Die Außengrenzen des vereinten Deutschlands entsprechen endgültig den Grenzen der BRD und der DDR.
Aus dem Protokoll der 6. Sitzung der örtlichen Volksvertretung vom 1. März 1990:

"Im Zuge der sich vollziehenden Demokratisierung und der damit im Zusammenhang stehenden Wahlen am 18. März und am 6. Mai werden zwangsläufig neue oder weiter gehende Orientierungen mit sich bringen, die letzten Endes dann durch die später arbeitende Gemeindevertretung sicherlich neu geregelt werden müssen." [8, 1. März 1990]

..."In den vergangenen Tagen und Wochen haben sehr viele Bürger Gewerbeanträge beim Rat der Gemeinde eingereicht. Die größte Anzahl mit bereits über 10 Gewerbebestätigungen liegt im Bereich Taxi-Betrieb einschließlich Gütertaxi sowie Kurierdienstleistungen und PKW-Ausleihdienst. Vom Rat wurden weiter bestätigt 3 Gewerbeanträge für gastronomische Versorgung und 3 Geschäfte. 2 Genehmigungen für das Betreiben von Getränkestützpunkten wurden erteilt." [8, 1. März 1990]

"Es ist festzustellen, daß solche Gewerbe wie Dachdecker, Tischler, Schlosser, Maler und andere Handwerksberufe gar nicht oder nur vereinzelt angemeldet sind. Diese Tatsache ist deshalb unbefriedigend, weil wir gerade solche Gewerke für den Bau von neuen Objekten und für die Werterhaltung, besonders bei den Wohnhäusern dringend benötigen." [8, 1. März 1990]

..."Es ist festzustellen, daß die Disziplinlosigkeit bezüglich der ungenehmigten Ablagerung von Müll und Hausunrat durch die Bürger größer geworden ist. In den Bürgerinformationen müssen wir immer deutlicher machen, daß wir als die örtliche Deponiefläche die Ablagestelle am Grubenrestloch "Hermine" hinter der Gartenanlage "Brödel" nennen. Es kann nicht darauf Rücksicht genommen werden, indem einige Bürger des Mittelortes und der Siedlung von zu einer großen Wegstrecke sprechen, weil jene jedoch zu bequem sind, diesen Weg zu gehen, nehmen sie sich die Freiheit heraus, in der Großen Richard, im Waldstück der Bitterfelder Str. und in anderen Buschbereichen ihren Unrat abzulagern." [8, 1. März 1990]

... "Seit Beginn der Wende sprechen wir in unserer Republik besonders in unserem Raum Bitterfeld von der Umweltverschmutzung. Wir meinen, daß offensichtlich viele Bürger unserer Gemeinde damit nur die Betriebe und Einrichtungen sehen und nicht sich selber." [8, 1. März 1990]

Das Gespräch mit Vertretern vom Kieswerk II Bitterfeld und den Bezirks- und Kreisplankommissionen am 21.02.1990, bei Zugegensein von Abgeordneten, Mitgliedern der Umweltgruppe und Vertretern von Organisationen aus der Gemeinde, führt zum Konsens.

"Im Ergebnis der sehr kritisch geführten Gesprächsrunde wurde unsere vorher erarbeitete Forderung zur Neuaufnahme des Standortgenehmigungsverfahrens festgelegt. Daraus leitet sich ab, daß alle ursprünglich aufgemachten Forderungen zur Einhaltung der Umweltprobleme auf ihre Realisierung überprüft werden. ....
Darüber hinaus wurde die Forderung erhoben, die ökologischen Probleme in ihrer Gesamtheit schon so zu bewerten, als ob unter neuen marktwirtschaftlichen Bedingungen gearbeitet würde." [8, 1. März 1990]

Vorschlag für die Anzahl der zu wählenden Abgeordneten in den Gemeinderat am 6. Mai. 1990:
"In Abstimmung mit dem Runden Tisch schlagen wir der Volksvertretung vor, für die kommende Volksvertretung 30 Abgeordnete zu wählen." [8, 1. März 1990]

Aus der letzten Sitzung dieser örtlichen Volksvertretung vom 29. März 1990 vermerkt:

"In Kürze wird in unserem Ort eine Videothekausleihe aus der BRD sesshaft werden und zwar im ehemaligen Konsum für Kinderbekleidung. Die Firma ist weiterhin bereit, Gartenfeste, Frühlingsfeste usw. abzusichern und möchte weitere Objekte zur Verfügung haben, um die Entwicklung der Marktwirtschaft zu forcieren." [8, 29. März 1990]

Kieswerk Bitterfeld II:
"... Am heutigen Tage hat wiederum eine Beratung mit den Vertretern des Kieswerkes stattgefunden und auch dort konnten keine konkreten Antworten von Seiten des Koll. K. gegeben werden. ....
Die anwesenden Vertreter müssen sich erst mit ihrer Leitung beraten, aber sicher wird es werden, daß das Kieswerk die Arbeiten einstellen wird." [8, 29. März 1990]

Wann es mit den Bauarbeiten an der F183 innerhalb der Ortslage weitergeht bleibt ungewiss, da der beauftragte Betrieb aus Dessau sich in Auflösung befindet. [8, 29. März 1990]

Die Vorbereitung der ersten freien Kommunalwahl ist ständiger Tagesordnungspunkt am Runden Tisch, über die aufzustellenden Kandidaten und wahlrechtliche Probleme wird beraten [12] [13].

Kommunalwahlen vom 06.05.1990 [14]
Wahlberechtigte        6123
Wähler                 4404
Wahlbeteiligung          71,92 %
Gültige Stimmzettel    4178
Ungültige Stimmzettel   226

              Stimmen  Mandate
CDU             5455     13
SPD             2547      6
BFD             1750      4
PDS             1454      4
Bürgerbewegung  1107      3
                       -------
                         30
Es werden nur 28 Abgeordnete erreicht.
G. Bieder (vorher SED, Bürgermeister bis Mai 1990), kandidiert als Parteiloser auf der Liste der Bürgerbewegung. Die Liste der Bürgerbewegung erhält zur Wahl so viele Stimmen (1107), dass sie drei Abgeordnete hätte stellen können. G. Bieder stand allein auf dieser Liste.

Wahl des Vorstandes der Gemeindevertretung
3 Abgeordnete für den Vorstand der Gemeindevertretung.
Jeweils ein Sitz für die Fraktionen der CDU, SPD und BFD.
CDU und BFD gehen eine Koalition ein.
Die Koalition schlägt übereinstimmend Wolfgang Thiel (CDU) für das Amt des Bürgermeisters vor, welcher daraufhin gewählt wird.

Wahl der 3 Beigeordneten des Bürgermeisters:
Günter Bieder (parteilos) 1. Beigeordneter hauptamtlich
Dolores Schalling (CDU) als Beigeordnete hauptamtlich
Bernd Frey (BFD) als Beigeordneter ehrenamtlich
1990, 20. Sept.
Der Einigungsvertrag wird mehrheitlich in der Volkskammer und im Bundestag verabschiedet.

1990, 24. Sept.
Die DDR scheidet aus dem Warschauer Pakt aus.

1990, 30. Sept.
Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) löst sich auf.

1990, 2. Okt.
Die diplomatischen Beziehungen der DDR enden.
Die Nationale Volksarmee (NVA) löst sich offiziell auf.

1990, 3. Okt.
Tag der Deutschen Einheit: Der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Art. 23 wird wirksam.
Durch den Zwang schnelle Beschlüsse zu fassen hat die Gemeindevertretung umgehend sechs Ausschüsse gebildet, die auf ihrem jeweiligen Gebiet die Vorarbeit dazu leisten müssen. Es handelt sich im Einzelnen um folgende Ausschüsse: [8, 6. Sept.1990, Beschluss Nr. 4 - 3/90 vom 05.07.1990 ]
                              Vorsitz
1. Hauptausschuss                CDU
2. Finanzausschuss               BFD
3. Bau-, Wirtschafs-, Planungs-, 
   Verkehrs-, Energie- und 
   Umweltausschuss               CDU
4. Ausschuss für Soziales, 
   Kultur, Bildung, Jugend und 
   Sport                         CDU
5. Ausschuss für Rechts-, 
   Ordnungs- und 
   Sicherheitsfragen             PDS
6. Rechnungs- und 
   Prüfungsausschuss             SPD
In der 6. Sitzung der Gemeindevertretung am 06. September 1990 (erste öffentliche Sitzung) stehen u.a auf der Tagesordnung die
Erläuterung der Betriebsentwicklungskonzeption des Betriebes Ökobaustoffe GmbH (ehemals PGH Bauhütte - Kieswerk Sandersdorf) und die
Umbenennung der ersten Straßen. [8, 6. Sept.1990]

"Als ein äußeres Zeichen der Veränderung haben wir die Umbenennung von vorerst drei Straßen und Plätzen beschlossen. Die gilt für die

Straße der DSF in Ramsiner Straße,
Rudolf-Breitscheid-Platz in Kirchplatz sowie auch durch die aktuelle Lage begründet den
Platz der Einheit in Platz der Deutschen Einheit.

Dieser Umbenennung wollen wir am 03.10.1990 einen feierlichen Rahmen geben." [8, 6. Sept.1990, Beschluss Nr. 11 - 4/90 vom 19. Juli 1990]

Anfrage: Besteht in Sandersdorf Wohnungsnot?
Antwort: Die Gebäudewirtschaft weiß mitunter nicht, welche Wohnungen frei gelenkt sind. Die Bürger werden um Mithilfe gebeten die entsprechenden Hausnummern bekannt zu gegeben, in denen Wohnungen über längere Zeit leer stehen. [8, 6. Sept.1990]

[15]
Seit 1981 verringert sich die Einwohnerzahl in Sandersdorf. Die merkliche Abnahme im Jahr 1990 lässt den seither bestehenden Mangel an Wohnungen verschwinden.

Die Wende befreit viele Menschen von der Partei-Diktatur der SED, die fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beherrschte. Die über vier Jahrzehnte eingegrenzten Bewohner der DDR können frei nach außen reisen, das lang ersehnte Wiedersehen mit ihren Verwandten und Freunden feiern. Nach der Währungsunion mit der DM in der Hand – mehr oder weniger – steht jeder auch hier vor dem üppigen Warensortiment aus der alten Bundesrepublik.
Der soziale Umbruch bringt auch für die Sandersdorfer nicht nur neuen Wohlstand, sondern auch Verunsicherung und eine Fülle von schmerzlichen Erfahrungen. 1990 schließen im nahen Industriegebiet die ersten Betriebe, im Ort trifft es den VEB "Zuckerverarbeitung Sandersdorf". Arbeitslos sein ist bisher eine unbekannte Lebenserfahrung, zumal hier nicht nur der "Job" verloren geht. Die Betriebe erfüllten außer der Beschäftigung des einzelnen Arbeitnehmers auch eine soziale Funktion. Zu nennen sind ein Betriebsgesundheitswesen, Werksverpflegung, Arbeit und Leben in der Brigade, Betriebssportverein, Kinderbetreuung, Einkaufsmöglichkeiten und sonstige Dienstleistungen, der Betriebsferienplatz, die Tätigkeit in Kulturgruppen und Zirkeln, u. a.. Andererseits waren für den einzelnen Arbeitnehmer Einflussnahme und Kontrolle der SED-Parteigruppen in Brigaden, Betriebsorganisationen wie FDGB, DSF und FDJ, Kulturgruppen usw. immer gegenwärtig.

Abkürzungen:

Abg.
Abgeordnete[r]
BDS
Bezirksdirektion Straßenwesen
BFD
Bund Freier Demokraten
BRD
Bundesrepublik Deutschland
BT
Betriebsteil
CDU
Christlich Demokratische Union
CKB
Chemisches Kombinat Bitterfeld
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DLK
Dienstleistungskombinat
DM
Deutsche Mark
FDGB
Freier Deutscher Gewerkschaftsbund
FDJ
Freie Deutsche Jugend
DSF
[Gesellschaft] Deutsch-Sowjetische Freundschaft
FDP
Freie Demokratische Partei
F183
Fernverkehrsstraße F183
GW
Großwäscherei
HO
Handelsorganisation (Handelskette in der DDR)
KiKo
Kinderkombination (Wochen- und Tageskrippe)
PDS
Partei des Demokratischen Sozialismus
PGH
Produktionsgenossenschaft des Handwerks
POS
Polytechnische Oberschule
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VdN
Verfolgte[r] des Naziregimes
VEB
Volkseigener Betrieb
VKSK
Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter
Vst
Verkaufsstelle
WAB
Wasserversorgung und Abwasserbehandlung
WtB
Waren täglicher Bedarf
ZBE
ZBE Landbaugemeinschaft "Einheit"
Quellenverzeichnis:
[1] H.G. Lehmann: Deutschland-Chronik 1945 bis 1995, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 332, Bonn 1996
[2] Chronik der Deutschen, Chronik Verlag im Bertelsmann-Lexikon Verlag GmbH, Gütersloh/München 1996
[3] Wasser und Abwasser Sandersdorf, allgem. Schriftverkehr, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 663
[4] R. Geißler: Materielle Lebensbedingungen. Bundeszentrale für politische Bildung, Informationen zur politischen Bildung (Heft 269)
[5] Annette Kaminsky: Illustrierte Konsumgeschichte der DDR. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 1999, ISBN 3-931426-31-9
[6] Zivilgesetzbuch der DDR. Herausgegeben vom Ministerium für Justiz. Staatsverlag der DDR, Berlin 1983.
[7] Wohnungsantrag, Vordruck von 1987, u. a. Diverse Unterlagen Chronik, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 4722
[8] Protokolle der 1.-7. Sitzung der örtlichen Volksvertretung / des Rates vom 01.Juni 1989 bis 29.März 1990. Archiv der Gemeinde Sandersdorf AKZ 1024.10/05
[9] "Freiheit", Organ der Bezirksleitung Halle der SED
[10] H.-J. Maaz: Der Gefühlsstau - Ein Psychogramm der DDR. Argon Verlag GmbH, Berlin 1990.
[11] H.-J. Plötze; E. Ahrberg: "... mal gibt es kein Brot am Nachmittag, mal kein Schnittkäse, mal kein Quark ...". Die Versorgung der Bevölkerung 1989 im Bezirk Halle mit Waren täglichen Bedarfs, Sachbeiträge (12), Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen- Anhalt.
[12] G. Bieder, Bürgermeister a. D., Sandersdorf
[13] G. Neugebauer, Pfarrer i. R., Parey
[14] Bericht der Gemeindewahlkommission zur konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung Sandersdorf am 31.05.1990 zum Ergebnis der Kommunalwahlen am 06. Mai 1990, Archiv der Gemeinde Sandersdorf, Aktenzeichen 1024.10/05
[15] Statistisches Landesamt Halle

Letzte Änderung: 25. September 2005

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