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Karsta Synnatzschke


Stück von der Berliner Mauer


Wende - Notizen

Veröffentlicht in den Anthologien
Das Gedicht lebt!
Band 3 ISBN 3-8301-0429-4
Band 4 ISBN 3-8301-0563-0
edition fischer
im R. G. Fischer Verlag

"Unser Land braucht Gelassenheit
und Nachdenklichkeit und Zeit.
Nicht, wie viele fürchten,
für leichtsinnige Experimente,
sondern zum Aufarbeiten dessen,
was hinter uns liegt."

Konrad Weiß 1990

Vorboten 1989

Urlaubstage im Herbst
wie immer, alles
wohlgeordnet im Land
auch in diesem September.
Spürbarer denn je
das Ende
mancher Vision.

Nur plötzlich keine Zeitung.
Wir haben von Nichts zuviel.
Meine rote Lederjacke,
gebraucht, aus dem Westen
gibt ebenfalls Ordnung
an mir und Körpergefühl.

Feuchte Luft
zwischen den Bergen
in abendlicher Dämmerung,
unter den Füßen
das nasse Laub.
Wir halten uns aneinander fest,
wir würden uns sonst verlieren.

2000 / Erinnerung an September `89

Nachts

Haus am Hang,
von der Straße,
dort unten,
den Fluß entlang
kommen Geräusche,
der Tag ist noch fern.

Nächste Nacht
am Hang,
unten am Wasser
die Straße entlang
wieder Geräusche
im vierten Gang.

Dritte Nacht,
noch kein Vogellaut,
doch Motorengesang
von Wartburg und Trabant
hin zur Grenze
das Tal entlang.

Tags sagen die Leute
im Dorf, sie fliehen
Richtung Prag, in den Westen.
Ich weiß nun,
daß wieder Menschen ziehn,
wie damals, über Berlin.

Leipzig

Neuntausend in den Kirchen
die bitten ihren Gott
mancher hat auch keinen
die Hoffnung trägt ihn mit fort.
Zehn mal mehr auf den Straßen,
oh das hat Gewicht,
die Wahrheit zeigt so ihr Gesicht.
Und Wahrheit dabei,
das macht alle frei.
Ich wollte Euch sehen
und mit Euch gehen
bin Stunden gefahren,
erstes Umsetzen von Gefühlen
nach vielen Jahren.
Nun war ich dabei
und das macht mich so frei !

23.10.1989

Für die Menschen auf der Straße

(Leipzig 23.10.1989)

Die Menschen sind dort, wo man sie versteht.
Auch in den Kirchen zum Friedensgebet.

Tausende sind in den Kirchen und noch mehr wollen hinein,
diese Denkmäler von gestern sind heute zu klein.
Menschentrauben sind vor den Türen,
sie warten an diesem Ort,
nicht jeder von ihnen hat einen Gott.

Hier wird zum Frieden gemahnt,
mit sich Frieden gemacht,
dann treten die Menschen hinaus in die erleuchtete Stadt.
Der Himmel ist schon dunkel wie Nacht.

Der Verkehr läuft wie immer auf Straßen und Schienen,
wie soll es allen diesen Menschen gelingen,
sich zu versammeln ohne ein Chaos zu beginnen?
Da geht schon ein kleiner, lockerer Zug
in das Herz der Stadt, vom Verkehr fernab.

Sind das alle?
Ach, es kommen viel mehr,
und sie kommen freiwillig,
es wird ein Menschenmeer.

Man drückt aneinander,
es wird eng in der Menge.
"Loslaufen" wünscht ein Chor
- es gibt kein Gedränge.

Und mit dem Ruf "keine Gewalt"
geht es ganz langsam los,
die Menschen setzen Fuß vor Fuß.
Kein Organisator und die Disziplin!
Darum laßt sie zieh`n!
Erst viel später, geschlossen
kommen sie wieder aus dem Stadtinnern her
auf die breiten Straßen;
die Polizei schützt sie vor dem Verkehr.

Ihr seid nun von unten die treibende Kraft,
die das starre Gefüge in Bewegung gebracht.
Wieso soll führen auf Ewigkeit eine Partei?
Macht das frei?

Und warum nur ein Staat für Arbeiter und Bauern,
in dem deren Kinder als Intelligenzler versauern?
Und wir brauchen nicht das hohle, leere Gerüst,
zu dem unser Staatsgefüge geworden ist;

Es sprechen viele Menschen wie Ihr
und stehen doch an ihren Plätzen nach alter Manier.
Die Rede allein bringt nicht das Gelingen.
Wir wurden erst munter als viele gingen.
Unsere Opfer sind in der BRD.
Tränen beim Fernsehen, es tut uns weh.

Das Rad der Geschichte dreht sich weiter
hat man uns gelehrt.
Man so11te es bedenken, wenn das Volk sich wehrt.

Wenn es irgendwo gar nicht mehr weiter geht,
man endlich zu der Wahrheit steht;
so mancher Mensch hat das schon erfahren
nun auch ein Staat nach vierzig Jahren.
Erst durch Euch Menschen auf den Straßen
können Kader mittlerer Ebene wagen
ihre Sorgen weiter nach oben zu tragen;
Vorher war's nicht lohnend,
man fand kein Gehör,
und so war es geblieben - wie bisher.

Darum sollte man auch nicht daransetzen alle Kraft,
daß der Mensch von der Straße wieder herunter geschafft.
Hier sehn ihn alle, und das ist ein Gewinn!
Hat er Vertrauen gewonnen bleibt er von selbst wieder drin.

Dann wird es passieren,
daß er wieder erscheint
einfach deshalb, weil er nicht mehr so vieles verneint.
Dann tritt er auf um Dank zu sagen
für die Lösung seiner Lebensfragen.

Dann hat er die Probleme nicht mehr;
aber erst wird wieder Montag in unserem Land DDR.

Offenbarung

Feuchtschöner November,
unser Land ist verändert.
Wir haben Dialoge geführt,
Begriffe wie Freiheit
und Macht analysiert.
Die Arbeit kam fast zum Erliegen,
weil wir tagelang diskutiert,
es war, als ob das ganze Volk studiert.
Wir haben Demokratie begriffen,
indem wir diese praktiziert
und haben niemanden mehr hofiert.
Wir, das waren nicht alle,
manche wahrten das Gesicht,
nur nach dem vierten November
da ging das nicht.
Da waren ihnen die Masken entglitten,
sie redeten keinem mehr das Wort,
waren erstaunlich stumm am vertrauten Ort.
Sie gaben sich später als besonnen.
Von Zögerlichen wurden sie unterschieden,
indem sich diese gleich geblieben.
Es waren nur Stunden, ohne Gericht,
wir waren froh gelöst
und jene täuschten uns mal nicht.

Novembernacht

Der Tag war gelungen,
es ist abends gegen zehn,
Zeit noch um fern zu sehn
was im bürgerbewegten Land geschehn;
ich bin an meinem Lieblingsplatz
und höre wortstückweise
einen unbegreiflichen Satz.
Es ist Sonderbares zu sehn,
Menschen, die an der Mauer stehn.
Ich rief:
Die Grenze ist offen!
Mein Mann schlief.
Es ist Stunde Null, das Empfinden weg.
Es gibt kein Adjektiv, für das was da geschieht.
Ich war nachts versonnen
in mein Bett gekommen
und sagte noch einmal:
Die Mauer ist auf.
Doch es hörte niemand drauf.
Dann schlief ich auch.

Enttäuschung

Lachen sah ich Euch
auf Straßen und Plätzen.
Es war das Lachen vor Glück
über ungeahnt Erreichtes
im gewachsenen Gefühl Eurer Kraft.
Privilegien fielen,
die Mauer fiel,
Freude, Staunen,
stilles Glück der Genugtuung;
für die Erinnerung wieder Platz.
Begegnungen, Gedanken, Gutes.

Lachen sehe ich Euch heute.
Es ist das Lachen
erwachsen aus Haß
und Überlegenheit,
geformt von dem eröffneten Blick
auf glänzende Materie,
blind opfernd das gerade erworbene
unkäufliche Gefühl des Glücks;
opfernd dem Gedanken der Wiedervereinigung,
dem gewesenen Traum getrennter,
ausgeträumt schon lange,
zur Phrase gemacht von Unbeteiligten
auf unvorbereitetem Boden.

Lachen möchte ich Euch morgen sehen.
Lachen über Euch selbst,
über uns,
verstehend die fremden,
nicht beherrschten Emotionen
des erschütterten Wesens
und endlich erkennend
wer wir sind!

Dezember 1989

Sprachlos in das Jahr 1990

Merkwürdig
war die Sprachlosigkeit.
Sie dauerte den Winter.
Erst als der Schnee
vor ihr geschmolzen war,
hatte man sie begriffen,
hat sie angegriffen
und konnte sie beschreiben.

Tag vor der Währungsunion 1990

Tag vor der Währungsunion 1990

Der Sinn meiner letzten Mark

Ich kaufte eine Tasche
und eine Uhr
aus dem Restbestand
der DDR-Kultur,
ein Zufall nur.
Als ich sie aus Karl-Marx-Stadt
nach Hause getragen
die Taschenwände
schon Schriften bargen
für künftige Gesetzeslagen.
Später bin ich nach
Chemnitz gekommen,
habe die Tasche mitgenommen.
Auch nach Weimar,
Frankfurt und Berlin,
ich nahm sie überall
mit hin, wo ich mich eingemischt
und mitgedacht, auch
für die Verfassung eingebracht.
Die Tasche trug die Akten,
die Uhr maß die Zeit,
in der ich mich mühte
für deutsche Einigkeit.

Wendepunkt

Uns hat es in die
Kreisstadt getrieben,
am letzten Tag,
der noch geblieben.
Die meisten Läden
hatten geschlossen,
wegen Inventur,
der Konsum war offen.
Ein Schaufenster
bot schon Textilien
aus der westlichen Welt,
die hatte ich mir besser
vorgestellt.
Die Ware erhalten Sie
ab zweiten Juli
stand auf dem Schild
am letzten Juni.
Auf der Rathaustreppe
war ganz allein
ein Blumenverkäufer
im Sonnenschein.



Er legte mir Gartenblumen
in den Arm,
sie waren blau und
von der Hitze warm.
Der Marktplatz war leer,
nur wir zu zwein,
vor Wochen lief hier
noch Stefan Heym.
Die Ex-Freie Republik
lud ihn damals ein.
Stadtauswärts ein Kiosk,
dort waren Männer
beim Bier,
die Büchsen gestapelt
zur Pyramide,
ein Lächeln, ein Foto,
das waren Vier.
Begießen sie
Anfang oder Ende?
Wir wußten es nicht,
alles ist Wende.

Nicht ohne ein Wort

Sie schließen ihre Türen ab und gehen.
Vorher sind schon andere gegangen,
aus verschiedenen Gründen.
Über die ersten war man froh,
manchmal schadenfroh,
es wurden weniger,
die eigenen Chancen stiegen.
Anfangs schwammen sie in verschiedenen Booten,
nebeneinander,
mit Ideen, die gut waren,
mit Hoffnung, die vorwärts trieb.
Auch die von früher hatten Geschick
und steuerten zu einem Ziel,
mit Argwohn betrachtet,
suchten, fanden, knüpften
mit neuen Herren die neue Beziehung.

Es gab Lehrende und Lernende in dem Haus
und viele andere,
die tätig waren für das gleiche Ziel.
Die Lernenden setzten sich ein neben den Lehrenden
für den Bestand der Bildungsstätte.
Was sie sprachen ging nahe;
weniger denen von drüben,
die nicht zweifelten an ihrem System.
Kürzlich sind die Lernenden gegangen,
die letzten mit Ehrenrunden um das Haus,
das viele wissender entließ,
dem Tradition nichts nützte.
Sie gingen mit Symphatie für das,
was sie zurückließen,
Worte findend oder nicht findend,
mit ihren neuen Problemen
und den hier geborenen Kindern,
die dazu gehörten.

Sommerhitze, endlich ohne Hoffnung.
Da sind alle in einem Boot,
das steckengeblieben ist
in erschreckender Bürokratie,
durch die Regie des Geldes,
das Besserwissen der Nichtbesserwisser
und die Ohnmacht  weniger Helfender,
ohne Antwort der Erhabenen,
die nicht Rechenschaft schulden.
Armut an Idealen!
Bequemes Totschweigen einer ganzen Stätte!

Hochschulerneuerung, welches Wort.
Anpassung! Mit Anpassungsfähigen.
Man braucht Vergangenheit,
um Zukunft zu haben.
Überlebende
und namenlose Opfer.
Immer noch auf
Irrwegen nach Einigungspapier.

Man denkt nach über das Gewesene,
vergißt niemanden, den man hier kannte,
im Müllkübel eine leere Flasche von Sekt,
ein anerkennendes Wort nur unter sich.
Keine Blumen, wie man es früher gewöhnt war!
Herausgerissen aus dem Tätigsein.
Mißachtet, nicht gebraucht für das
Gemeinschaftswerk.
Sie schließen ihre Türen ab,
aber wir wollen nicht gehen ohne Wort.

01. Oktober 1992

Nichtparlamentarische Vereinigung

Wir hatten längst aufgehört
uns zu vermissen,
unsere Sprache war anders
in ihren Begriffen,
uns fehlte das
geografische Wissen,
wir hatten uns wirklich
kaum noch gekannt.
Die Grenzen wurden weggenommen,
bevor Verträge noch ersonnen,
vieles hatte im Selbstlauf begonnen,
manches kam in fragwürdiges Licht,
wir verstanden fast alles nicht.

Dem Einheits-Sog
ist niemand entkommen,
jeder hat Belastungen
auf sich genommen,
doch vor allem wird Einheit
von Menschen vollbracht,
die sich nach Osten und Westen
aufgemacht, in ihnen fremdes Land,
mancher neue Heimat fand; von jenen,
die der Anderen Paradies begreifen,
durch die Verbindungen reifen,
die sich Notgemeinschaft nennen
und einander als Mensch erkennen.

Der Möbelwagen

Da stand er,
dieser Möbelwagen.
In ihn verpackten
wir unser Leben.
Wir waren mal Fünf,
hatten viel zu bewegen.
Bis drei Uhr hatten wir zu tragen,
sind am nächsten Morgen
nach kurzer Nacht
fast ohne Gefühle aufgewacht.
Wir waren leer und müde und ohne Kraft.
Eine Blume hat uns noch jemand gebracht.
Der Rest war bald zusammengepackt.
Noch einmal durch die Fenster sehn,
vor denen die Tanne und die Kastanie stehn,
Augenblicke, die schnell vergehn.

Dann am Lenkrad der Sohn,
wir fahren ab.
Der Wagen schwankt
den Berg herab. Wir sehen das Haus
hinter uns verschwinden,
am Weg ist ein Mann,
wir können uns winken.
Wir fügen uns der anderen Zeit
und sind zu neuem Anfang bereit.
Es hat uns in alle Winde verstreut.
Wir hatten uns noch so viel zu sagen,
doch es wäre nicht Recht, darüber zu klagen.
Viele mußten Umzüge schon ertragen
und hatten keinen Möbelwagen.

An G.

Die Welt verliert ihre Grenzen
rückt zusammen
und läßt deine Straßen doch weiter werden.

Ungleiche Gestalten kreuzen deinen Weg,
lassen dich zu dir selbst finden,
dich annehmen in deinem Sein.
Es sind bisher ungekannte, in Wohlstand
gekleidete Selbstherrlichkeiten,
schlichte Denker,
kaum nahbare Konservative,
selbstgefällig Zufriedene
neben den Zurückgefallenen,
Maß der Gesellschaft,
zwischen Kultur und Ursprünglichkeit.

Du begegnest Suchenden
und denen, die Glück sich gestalten
in den Nischen ohne Zwang,
in der Sicherheit rechtlosester Gemeinschaft
zwischen Mensch und Tier,
in sich ruhend bis zum Detail.

Das Land verliert seine Ordnung
und läßt dich fallen
in die alleinige Verantwortung
für Glück.

Februar 1995

Nachdenken im Osten

Bunte Blätter
bringen Erinnerungen
an die Stimmungen von damals
im November.

Hinzugesellt sind grelle Farben,
nicht naturgemacht,
ihre Vielfalt wird zum eintönigen Kunterbunt
und endet in Langeweile.

Neue Paläste zeigen kalten Prunk,
hinter manchen Türen geht es seinen Gang,
Leben mit und ohne Illussion,
in der Nähe steht im Park die Bank.

Feine Schuhe gehen auf dem Trottoir,
Mäntel bewegen sich leise im Wind,
der die Fahnen der Schlote mit sich nimmt,
denen wir wortlos zugestimmt.

Das Herz schlägt ruhig, ohne Emotionen,
umklammert von der neuen Zeit.
Sich erinnern kann sich lohnen.
Herbst ist nicht Unmöglichkeit.

Oktober 1995

Arbeitsbeschaffung

Ich werde mich erinnern
an ein Haus von Stil,
an Menschen,
Tätigkeiten und Gespräche,
die übliches sprengen
und Gedanken produzieren
über das Faßbare hinaus.

Ich werde vergessen
körperlichen Aufwand,
auch ertragene Langeweile,
die tägliche Berührung der Füße
mit dem harten, glänzenden Stein,
nicht aber den Stuhl an der Tischkante,
in Position zum Abtreten.

1995

MZ Artikel vom 02.02.01

Bitter Feld

Der Himmel hat eingebüßt
von seinem Rot.
Es fehlen die Nebel,
die das Licht färbten.

Die Erde trägt noch
das Jahrhundertwerk aus Stein
in schmutzigem Gelb, Rot, Grau,
auch das Haus von Rathenau.

Die Luft, bewegt vom Wind,
treibt den Geruch
der Böden und Mauern
überall hin.

Auf der Straße fehlt
die Bewegung
von Rädern, Bahnen,
Menschen.

Die Ruhe lastet,
ist nicht gewollt;
Pause vor dem Rückbau
von Lebensräumen als Müll.

Die Leere längst zerschlagener
Fenster verschwindet im Staub.
Legt er sich, ist Platz für Vielfalt,
bald sichtbar, unter dem Himmel
in Blau.

Hier verlief die innerdeutsche Grenze

Am Brocken

Ein Streifen Beton noch,
Rest der Mauer,
auf dem ich stehe
und nicht mal trauer
wegen der vergangnen Zeit,
um ein nicht gelebtes Leben,
man hat mir dafür ein
anderes gegeben.

Die Sonne scheint heiß
in den trockenen Wald,
ich seh`auf den Streifen,
ich fühl`mich nicht alt
und nicht jung genug,
um mich aufzuregen
über das unbekannte,
verpaßte Leben.

Und doch ist hier etwas,
das mich anspricht,
es ist der Streifen
im gleißenden Licht.
Ich laß es geschehen,
ich wehre mich nicht,
gegen alte Gedanken
und neue Sicht.

Beschluß der Stasi zum Allegen eines Oprativ-Vorganges

Wer zuletzt lacht . . . .

Es war nicht einer, es waren mehre,
die mir gaben die fragliche Ehre.
Sie sollten begleiten, mich, und die Kinder,
manchen Frühling und Sommer, Herbste und Winter.
Sie sammelten meine Lebensdaten
für ihr System als Koordinaten.
Und haben an meinem Leben gestrickt,
nicht jede Masche ist ihnen geglückt.
Manchmal bin ich zuvorgekommen,
habe vom Schicksalsspiel ein Stück gewonnen.
Nicht immer haben sie mich verraten.
Manche wurden Opfer verketteter Taten.
Richtig habe ich heute erst kapiert,
was und wie sie inspiziert.
Sie haben manches an mir getan,
die Stasileute von nebenan.
Am Ende habe ich gelächelt und gedacht,
was habt Ihr für Mühe Euch mit mir gemacht.

Elias

Für Elias

Deutsch-deutsches Kind
gerade erst geboren
geworden durch anderer Vergangenheit
schon sehe ich dich neben mir
Blondhärchen, sie bringen Licht,
kleine Schritte
auf dem gepflasterten Weg ins Leben.

Deine Spuren verbinden,
denn arglos gehst du
in die Welt hinein.
Und feine Fäden weben
auch die späten Leben ein.
Hierfür Dankbarkeit empfinden
ist eine Form von Glücklichsein.

September 2000

Erwartung

Ich warte auf Rührung
am Einheitstag.
Auch davor und danach.
Denn ich kannte noch die Zeit,
als Deutschland ein Ganzes war.

Zehn Jahre habe ich gesucht.
Will nun nicht glauben,
nichts gefunden zu haben.
Gab es doch plötzlich
die Brücke zurück.

Es gibt nur Veränderungen,
sichtbare und unsichtbare,
die sichtbaren sind nicht
das Maß der Dinge,
die unsichtbaren trage ich in mir,
sie haben mich nicht besser gemacht.

Ich warte auf Rührung.
Es gibt keinen Grund.
Ich empfinde, viel zu ruhig,
Bedauern über das Nichts.

Oktober 2000

Aufbau Ost

Es wurden Plätze zugewiesen.
Sie sind eingenommen.
Die Aufgabe ist gelöst
bis auf den ungeraden Rest.

Überschuß West und Bestand Ost
durch Bedarf Ost und
Mensch in Ost-West
wird schwer zum Ganzen.

Die Turbulenz zwischen
gesteigertem Engagement und
unterdrückter Kreativität
klingt ab.

Am Haus neben uns
leuchtet warm
das gewaschene Gesicht
über dem brüchigen Weg.

Dezember 2000

Erkenntnis

Wir hatten uns von vielem befreit,
einen Teil dabei unbemerkt verloren,
uns weiteres abnehmen lassen
und kämpften endlich kleinlaut um den Rest.

Oktober 2000

Mentalität

Es gibt Opfer der Wende,
auch Verlierer.
Verlierer sind nur die,
die ihre Vergangenheit nicht bewahrt
und von dem Reichtum der Gegenwart
nichts aufgelesen haben.

Identität

Es war nicht so, daß Nichts gewesen.
Wir lebten mit, auch dafür und dagegen.
Verlangen und Enge, Wärme und Zwänge,
aus Vielem geprägt ist Unsere Identität.
Sie wurde still mit übernommen,
ist in den Papieren nicht vorgekommen.
Wir haben sie als alte Last
unbemerkt mit eingebracht.
Es blieb uns noch der Stammbaum erhalten,
sonst ist nirgends etwas beim Alten.
Unser Resümee wird Jammern genannt.
Wir bleiben noch lange mit uns verwandt.

Unergründlich

Ich würde gern wissen
wie sie im Westen gelebt
doch ich werde es kaum erfahren
da sie nicht wie wir
darüber reden
weil ihnen das Tägliche blieb
und die Seele ruhiger.

DDR-Nostalgie

Impression der Vergangenheit.
Wir denken doch nur
an das Stück Zeit,
als wir jünger waren
und glücksbereit.

Die geschriebenen Worte

Die Worte sind gesagt
und nicht verloren,
für die Erinnerung geboren.
Sie sind die Schritte
in die neue Zeit,
in der ich lebe
und lesen werde
von der Vergangenheit.
Sie geben Halt und Sicherheit.

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