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Historisches aus der Gemeinde Sandersdorf

Straßennamen – Zeugen der Geschichte

Klaus Peter Synnatzschke

Einleitung

Namen von Straßen, Plätzen und Gebäuden geben den Menschen örtliche Orientierung. Mit dem Gebrauch der Namen prägt sich auch das soziale und kulturelle Umfeld der genannten Straßen und Plätze ein. Das kann dem Heimatgefühl der dort wohnenden Menschen förderlich oder abträglich sein.

Der Wechsel eines politischen Systems hat erfahrungsgemäß in erheblichem Umfang Namensänderungen zur Folge. Mit neuen Namen sollen einerseits die Geschichtsbilder einer abgelösten Gesellschaftsform schnell verdrängt werden, andererseits die Vision eines neuen Geschichtsbildes überzeugend in die alltägliche Lebenswelt eingebracht werden. Straßennamen werden dann ein Feld der ideologischen Auseinandersetzung und Konfrontation.

Zu den nach Persönlichkeiten benannten Straßen konnten bisher keine Biografien in den Sandersdorfer Verwaltungsakten gefunden werden. In der vorliegenden Abhandlung werden deshalb die Biografien und die Herkunft auch zu bereits getilgten Straßennamen in das Glossar gestellt (in Tab. 2 und 3 blau gekennzeichnet).

Die Benennung der Straßen und Plätze folgt unmittelbar der Dorferweiterung und dem Bau der Straßen. Die Namen repräsentieren den Zeitgeist jener Epoche.
Umbenennungen der Straßen und Plätze sind begleitender Brauch gesellschaftlicher Umgestaltung. Hierbei wird die Achtung vor dem geschichtlichen Ursprung der Benennung freigebig in dem Bewusstsein beiseitegeschoben, dass der Name für alle Zeit aus dem Register der Straßennamen verschwindet.

Straßennamen halten Geschichte nur dann fest, wenn sie nicht verändert werden!

In Anbetracht der unterschiedlichen Gründe für Benennungen und Umbenennungen von Straßennamen werden diese nun in jeweils eigenen Kapiteln für die politischen Zeitabschnitte

beschrieben.

Benennungen

Mitte des 19. Jahrhunderts listet der Ortsrichter August Reichenbach alle Einwohner zu Sandersdorf auf, nennt deren Namen, Alter, Tätigkeit, verwandtschaftliche Beziehung ersten Grades und die Nummer des Hauses, in dem sie leben. Im Jahr 1852 zählt er 310 evangelische Christen, die in 69 Familien und in 50 Wohnhäusern leben. Für die 50 benummerten Wohnhäuser nennt er keine Standorte. [35]
Die nach den benachbarten Dörfern führenden Wege werden allgemein als "Communikationsweg" bezeichnet.

Wann die erste amtliche Festlegung von Straßennamen in Sandersdorf erfolgt, geht aus der bisher vorliegenden Aktenüberlieferung nicht hervor.

Bis ungefähr 1900 werden die Häuser im Kerngebiet des Ortes dem "Dorfplatz" zugeordnet. Zum "Dorfplatz" gehörten folglich die Häuser in den zukünftig benannten Lagen "Altes Gut", "Am Wasserturm", "Bahnhofstraße 4", "Hauptstraße", "Kirchplatz", "Poststraße", "Querstraße" und "Schulplatz".
Die Straßennamen Hauptstraße und Greppiner Straße gab es noch nicht. Die Zscherndorfer Straße verlief bis zum Abzweig "Kurze Straße" und die Zörbiger Straße mündet in die Zscherndorfer Straße ein. [41]

In anderen schriftlichen Überlieferungen werden nebenbei Straßennamen erwähnt, die folgend wiedergegeben werden.

KRUG [2] zitiert aus nicht genannter Quelle:
1661 "Die alte Schenke, die sich gegenüber der Kirche in der Schenkgasse (jetzt Poststraße Haus Nr. 4) befand, wird wieder neu errichtet" [2, S.31].
1795 "brach hier ein großes Feuer aus, welches die Querreihe Haus 2-6 am alten Schulplatz, sowie die große Linde einäscherte, hierbei sind 9 Stück Rindvieh und vieles andere Vieh umgekommen." [2, S.36]
1868 - 1869 Kreisstraße erbaut [2, S. 54].
1875 Zörbiger Straße erbaut [2, S. 44].
1876 - 1878 Teichstraße erbaut [2, S. 43].
1880 Greppiner Straße angelegt [2, S. 44].
Ramsiner Straße erbaut [2, S. 44].
1885 Anzeige im Bitterfelder Kreisblatt:
              Haus - Verkauf
	"Ich bin Willens mein in Sandersdorf
	Holländerstraße Nr.82 belegenes neu
	erbaute Wohnhaus mit Stallung und 
	Garten freihändig zu verkaufen."
	           Gustav Dittmar
                   Zscherndorf
  
1893 - 1895 Hauptstraße erbaut [2, S. 43].
1893 - 1898 Bitterfelder Straße erbaut [2, S. 43].
1898 wird der Bau der Bahnhofstraße begonnen [2, S. 43].
1900 - 1903 Zscherndorfer Straße erbaut [2, S. 43].
1903
Die in dieser Anschrift 1903 bezeichnete Krondorferstraße** wird 1908 mit Ramsinerstr. 2 angegeben [36].
1927 Borsbachstraße erbaut [2, S. 60].
1928 Thalheimer Straße neu angelegt [2, S. 31].
"Das Stück Hauptstraße Nr. 15 bis Nr. 24 (Gottlöber) hieß früher die Brandgasse." [2, S. 45]

Bis um 1900 gehörte das gesamte mittlere Gebiet des Dorfes — Poststraße, Kirchplatz, Altes Gut, Hauptstraße, Querstraße, Bahnhofstraße 4, Schulplatz und Am Wasserturm — zum Dorfplatz [41].

Ab 1928 werden von der "Baugenossenschaft Sandersdorf" Wohnhäuser nördlich der Karl-Ferdinand-Str. (Paul-Schiebel-Str.) errichtet. Im Norden dieses Baugebietes verläuft die Kasernenstr. (Bild 1). Nachdem um 1930 nördlich der Kasernenstr. ein Sportplatz angelegt wird, erhält die Kasernenstr. die Bezeichnung "Am Sportplatz" [44]. 1937 wird eine Arbeiterkaserne am Ende und westlich der Teichstr. errichtet. Der zu dieser Arbeiterkaserne von der Teichstr. aus führende Weg wird "Kasernenstraße" genannt wie der folgende Eintrag in die Gebäudesteuerrolle [41] zeigt.

Bild 1. Kasernenstr. [43]
Straße Name des Eigentümers Gebäude, Nutzfläche
Kasernenstraße 1
(an der Teichstraße)
Hoch- und Tiefbau-Gesellschaft Deutschland G. m. b. H. in Halle a/S.
1917:
Voigt, Gustav, Maurermeister
Arbeiterkaserne, Pumpenhaus
Kasernenstraße 2
(an der Teichstraße)
Gemeinde Sandersdorf Obdachlosenheim, Stallgebäude 1937: Neubau

Die im Adressbuch von 1937 [37] aufgeführten Adressen für Bewohner in Baracke Säurekreuzung, Deutsche Grube, Griesheimstraße, Grube Marie, Grube Antonie, Baracke Grube Louise, Grube Elsa, Schrebergartengelände, Säurefabrik, Äußere Bitterfelder Straße, Am Sportplatz und Kasernenstraße werden in den folgenden Jahrzehnten im Straßenverzeichnis nicht mehr genannt, weil 1956 die Ortsteile "Deutsche Grube", "Grube Marie", "Grube Antonie" u. a. von der Stadt Bitterfeld übernommen werden, Wohnhäuser und Wohnbaracken der stillgelegten Grubenbetriebe und andere Bebauungen abgerissen werden.

Straßennamen, die an frühere Bezeichnungen von Landschaftsgebieten oder den auf ihnen befindlichen Gewässern, Flurstücken und Gruben erinnern, sind in Sandersdorf selten. Braunkohle wird in den um Sandersdorf liegenden Feldfluren von 1842 bis 1951 gefördert. Das über dem Kohleflöz abgetragene Deckgebirge wird an anderer Stelle wieder verkippt, es entsteht eine neue "Landschaft aus zweiter Hand", die alten Flurbezeichnungen (Bild 2) geraten in Vergessenheit.

Möhrings Mühle (1845 - 1907) stand direkt vor dem 1901 angelegten kommunalen Friedhof (Straße der Freundschaft) [2, S.45].

Von den "wüsten" noch vor und während des 30jährigen Krieges untergegangenen Dörfern Preddel, Kolpin, Stakendorf, Krottendorf (oder Krondorf), Odeley und Eckeln stammen die sinngemäßen Namen der Feldmarken (Bild 2) [2, S.12].
Bild 2. Bezeichnung der Fluren um 1850 [18]

Der Bauernteich, nördlich der Schule (Platz der Deutschen Einheit) gelegen, war der größte, fischreichste und beliebteste Teich in Sandersdorf. Bis 1910 war er noch mit Wasser gefüllt, diente nach dem Austrocknen als Sportplatz und wurde gegen 1928 von der Grube "Hermine" ausgebaggert [2, S.44].
Pfingstanger, Teichstraße (zum Bauernteich führend) und An der Richard (1842 aufgeschlossene Braunkohlen- und Tongrube) reflektieren Bezeichnungen in den Marken um 1850 (Bild 2).



Bild 3. Das Straßennetz in Sandersdorf im Jahr 2007
Tab. 1 Straßennamen in Sandersdorf im Jahr 2005 mit den Änderungen im Jahr 2007 (Anm.: Die Straßen sind vom Autor nummeriert, um diese im Straßennetz in Bild 3 zu kennzeichnen)
Nr. Straßenname
1 Ahornweg 24 Glück-Auf-Siedlung 47 Schlippe
2 Akazienweg 25 Goethestraße 48 Straße der Aktivisten
3 Altes Gut 26 Greppiner Straße 49 Straße der Bauarbeiter
4 Am Bahnhof 27 Hauptstraße 50 Straße der Freiheit
5 Amselstieg 28 Heinrich-Heine-Straße 51 Straße der Freundschaft
6 Am Waldesrand 29 Holunderweg 52 Straße der Jugend
7 An der Hermine 30 Kirchplatz 53 Straße der Neuen Zeit
8 An der Richard 31 Kurze Straße
Marienstraße
54 Südstraße
9 Bahnhofstraße 32 Lindenplatz 55 Teichstraße
10 Bergmannswinkel 33 Mittelweg 56 Thalheimer Straße
11 Bitterfelder Straße 34 Mühlstraße
An der Mühle
57 Uthmannstraße
12 Buchenweg 35 Neuer Weg 58 Walther-Rathenau-Straße
13 Dorfplatz
Kirchplatz
36 Nordstraße 59 Weißdornweg
14 Eigenheimstraße 37 Paul-Schiebel-Straße 60 Zörbiger Straße
15 Ernst-Borsbach-Straße 38 Pfingstanger 61 Zscherndorfer Straße
Am Sportzentrum
16 Feldstraße 39 Platz der Deutschen Einheit 62 Louisenweg
17 Finkenhain 40 Platz des Friedens 63 Marienweg
18 Freiligrathstraße 41 Poststraße 64 Charlottenweg
19 Friedensstraße 42 Querstraße
20 Friedrich-Ebert-Straße 43 Ramsiner Straße
21 Fritz-Reuter-Straße 44 Ring der Chemiearbeiter
22 Gartenstraße
Am Sportzentrum
45 Rosenweg
23 Ginsterweg 46 Schillerstraße

        Umbenennungen im Jahr 2007

Die Namen der Straßen und Plätze in Sandersdorf im Jahr 2005 lassen sich Kategorien zuordnen, sodass diese überschaubar Vorstellungen bei der Vergabe der Namen widerspiegeln. (Tab. 2).

Tab.2 Namen der Straßen, Plätze und Gebäude in Sandersdorf im Jahr 2005 nach Kategorien geordnet
Orte Flur und Richtung Siedlungsplätze Öffentliche Gebäude
Bitterfelder Straße
Greppiner Straße
Ramsiner Straße
Thalheimer Straße
Zörbiger Straße
Zscherndorfer Straße
Am Waldesrand
Feldstraße
Gartenstraße
Pfingstanger
Teichstraße
Nordstraße
Südstraße
Bergmannswinkel
Dorfplatz
Eigenheimstraße
Glück-Auf-Siedlung
Am Bahnhof
Bahnhofstraße
Kirchplatz
Poststraße
Rang, Wertigkeit Gewerbe Flora und Fauna Zeitgeist
Hauptstraße
Kurze Straße
Mittelweg
Neuer Weg
Querstraße
Schlippe
Altes Gut
An der Hermine
An der Richard
Mühlstraße
Ahornweg
Akazienweg
Buchenweg
Ginsterweg
Holunderweg
Lindenplatz
Rosenweg
Weißdornweg
Amsel stieg
Finkenhain
Friedensstraße
Platz der Deutschen Einheit
Platz des Friedens
Ring der Chemiearbeiter
Straße der Aktivisten
Straße der Bauarbeiter
Straße der Freiheit
Straße der Freundschaft
Straße der Jugend
Straße der Neuen Zeit
Politiker, Unternehmer, u. a. Literaten Schulen Gemeindezentrum
Ernst-Borsbach-Straße
Friedrich-Ebert-Straße
Paul-Schiebel-Straße
Uthmannstraße
Walther-Rathenau-Straße
Freiligrathstraße
Fritz-Reuter-Straße
Goethestraße
Heinrich-Heine-Straße
Schillerstraße
Gymnasium " Anne Frank"
Sekundarschule " Gisander"
" Paul-Othma-Haus"
Frauennamen
An der Hermine
Louisenweg
Marienweg
Charlottenweg

Nationalsozialismus 1933 - 1945

Die ersten bebauten Straßen in der Gemeinderandsiedlung: Gartenstraße, Siedlerweg, Theodor-Körner-Weg, Blücherstraße, Steinstraße und Mittelweg werden 1933 benannt [21]. Die Freiherr vom Stein - Straße, Scharnhorst-, Ludendorff-, Mackensen- und Litzmannstraße folgen 1938. Der bisherige Siedlerweg wird in Friedensstraße umbenannt. [22]
Erstmalig wird hier fast ein ganzes "Namensbündel" mit preußischen Generälen belegt (Tab. 3).

Nachkriegszeit und DDR 1945 - 1989

Für die in Plattenbauweise fertig gestellten Wohnkomplexe Sandersdorf-Nord I (1968) und II (1983) werden Straßennamen vergeben, die einerseits die alltägliche innerörtliche Orientierung erleichtern, andererseits den "sozialistischen Charakter des Neubauviertels" deutlich hervorheben sollen (Bild 4).

Der Anspruch der "humanen sozialistischen Gesellschaft" auf Frieden, Freiheit, Freundschaft, Jugend und Neue Zeit wird wirklichkeitsfern suggeriert. Mit Aktivisten, Bauarbeiter und Chemiearbeiter soll zeichenhaft die Herrschaft der Arbeiterklasse und die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht vermittelt werden.

Bild 4. Straßennamen in den Neubauvierteln I und II in Sandersdorf-Nord

Die nach dem Prinzip von "Namensfeldern" hier benannten Straßen sind zeitlich an Auffassungen im "real existierenden Sozialismus" und an das Flair der Plattenbausiedlungen gebunden.

Bereits ab 1990 gehören diese Benennungen zur Geschichte einer jüngst vergangenen Epoche.

Bei den Straßen und Plätzen im Wohngebiet Sandersdorf-Nord fällt besonders die aus dem russischen Sprachraum unbewusst entlehnte Bezeichnung mit nachfolgenden Attributen auf, die im deutschen Sprachraum nicht üblich ist.
Die Bezeichnung mit nachfolgenden Attributen erfolgt in Sandersdorf zum ersten Mal 1950 bei der "Straße der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft" und zum letzten Mal 1990 mit "Platz der Deutschen Einheit".

Deutschland nach der Wiedervereinigung ab 1990

Für die Straßen der neu entstehenden Siedlungen Wohngebiet "Am Wäldchen" (1992-1996), Wohnanlage "Finkenhain" (1998-1999), Baugebiet "Am Neuen Weg" (1999- ) und Wohnanlage "Amselstieg" (2000) werden Namen aus der Flora und Fauna (Tabelle 1 und 2) bevorzugt.

Bei der Entscheidung für Straßennamen aus "Flora und Fauna" werden auch der Klang und die Einprägsamkeit des Namens bedacht. Ein Namensbündel aus "Flora und Fauna" für die Straßen eines Wohngebietes kann den Menschen ein naturverbundenes Wohnen im Grünen und in einer heilen Welt vermitteln. [38]

Sie gehören zu den neutralen Namen, die in der Zukunft für die Geschichte wenig Bedeutung haben.

Mit dem Neubaugebiet "An der Richard" (1994-1995) wird an die erste und am längsten betriebene Braunkohlengrube "Richard" (1842-1944) erinnert.

Für die an der Ramsiner Straße erschlossenen Baugebiete "Krotendorfer Weg" (Bebauungsplan Nr.16) und "Am Birkenwäldchen" (Bebauungsplan Nr.13) favorisiert der Gemeinderat bei der Benennung der Wege im Jahr 2004 die Vornamen von Frauen.
Mit den Namen "Louisenweg" und "Marienweg" im Baugebiet "Krotendorfer Weg" (ehemals Britkettfabrik) wird an vergangene Unternehmen des Braunkohlenbergbaus erinnert. Im 19. Jahrhundert war es üblich, dass die Eigentümer ihre Gruben mit den Vornamen ihrer Ehefrauen auszeichneten.
Der von der Ramsiner Straße ins Baugebiet "Am Birkenwäldchen" abzweigende "Charlottenweg" erhält den Vornamen der Tochter des hier tätigen Investors.

Umbenennungen

Die Namenspolitik kommt in Zeiten dominanter Ideologien nicht zum Stillstand. Namen, die politisch-ideologisch zeitlich an das jeweils herrschende System gebunden sind, wechseln häufig. Der bisher erste Hinweis auf eine Umbenennung ist in der Gebäudesteuerrolle von 1911 [41] für die Mühlstraße zu finden, die vorher als "Neuestr." bezeichnet wird. Einen Überblick zu den Umbenennungen von Straßen und Plätzen in den politischen Systemen vermittelt Tabelle 3.

Tab. 3 Umbenennung von Straßen und Plätzen nach dem Wechsel eines politischen Systems
Kaiserreich
Weimarer Republik
bis 1933
Nationalsozialismus
1933 - 1945
Nachkriegszeit
und DDR
1945 - 1989
Deutschland nach der
Wiedervereinigung
ab 1990
A
l
t
e
s

D
o
r
f
Zörbiger Straße [41]
Hauptstraße
Adolf-Hitler-Straße Rooseveltstraße
Hermann-Fahlke-Straße
Hauptstraße
Ramsiner Straße Straße der "Deutsch-
Sowjetischen-Freundschaft"
Ramsiner Straße
Am Wasserturm Platz der Einheit Platz der Deutschen Einheit
Schulplatz
Kirchplatz Rudolf-Breitscheid-Platz Kirchplatz
Karl-Ferdinand-Straße Paul-Schiebel-Straße
Friedrich-Ebert-Straße Hindenburgstraße Feldstraße
Ernst-Borsbach-Straße Ernst-Thälmann-Straße Ernst-Borsbach-Straße
Eigenheimstraße Emma-Martin-Straße Eigenheimstraße
S
i
e
d
l
u
n
g
Siedlerweg,
Friedensstraße
Friedensstraße
Theodor-Körner-Weg Fritz-Reuter-Straße
Blücherstraße Freiligrathstraße
Steinstraße,
Freiherr vom Stein-Straße
Goethestraße
Scharnhorststraße Schillerstraße
Ludendorffstraße Uthmannstraße ¹)
Mackensenstraße Heinrich-Heine-Straße
Litzmannstraße Walther-Rathenau-Straße
Kluckweg Friedrich-Ebert-Straße

¹) Da für den Namen Uthmann bisher der Vorname nicht oder nicht mehr bekannt ist, lässt sich eine Persönlichkeit nicht zuordnen. Die Straßennamen in der Siedlung haben keinen Bezug zur Region — ausgenommen hiervon Walther Rathenau. Steht die Uthmannstraße zu einer der folgend aufgeführten Persönlichkeiten ?

Uthmann, Barbara, auch Uttmann, Verlegerin und Unternehmerin,
* 1512, † 14.01.1575 Annaberg.

Uthmann, (Gustav) Adolf, Färber und Krankenkassenangestellter, Chordirigent, * 29. 6. 1867 Barmen (heute zu Wuppertal), † 22.06.1920 Barmen.

Nationalsozialismus 1933 - 1945

Nach der Ergreifung der Macht setzen die Nationalsozialisten im Gemeinderat von Sandersdorf die Umbenennung einer Straße nach dem "Führer und Reichskanzler" durch, um die totale Vergegenwärtigung seiner Person zu erreichen. Das Bitterfelder Tageblatt (Nr. 81 vom 05.04.1933, S.5) berichtet hierzu:

"- Vom Stützpunktleiter der NSDAP war ein Dringlichkeitsantrag auf Umbenennung der Hauptstraße in A.-Hitler-Straße eingegangen, ...
"- Gemeindevertreter Hahn stellt noch den Antrag, die Friedrich-Ebert-Straße in Hindenburg-Str. umzubenennen. Auch dieser Antrag wird mit 8 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen."

Nachkriegszeit und DDR 1945 - 1989

Im Zuge der Entnazifizierung der Straßen werden unmittelbar nach dem Kriegsende 1945 die Namen Hitler und Hindenburg gelöscht. Die Hauptstraße hat für wenige Wochen den Namen Roosevelt getragen (Tabelle 3).

Bei den Umbenennungen in der Siedlung handelt es sich um eine symbolische Entmilitarisierung. Die preußischen Generalsnamen werden konsequent abgeschafft. Das entspricht dem Kontrollratsgesetz Nr. 47 vom 25.02.1947, mit dem der Alliierte Kontrollrat die Auflösung des Staates Preußen mit der Begründung beschließt, er sei "seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen" [17, S. 23]. Die Straßen der Siedlung tragen bis heute vorzugsweise die Namen "klassischer" deutscher Dichter (Tabelle 3).

Kurzzeitig deutet sich damit eine Tendenz an, die zur offensichtlichen Regel späterer Benennungen werden könnte, die Namen sollen politisch-ideologisch neutral sein.

In der folgenden Zeit werden weitere Straßen nach Ernst Thälmann, Hermann Fahlke, Emma Martin, Paul Schiebel, Deutsch-Sowjetische-Freundschaft, Platz der Einheit umbenannt (Tabelle 3), wobei sie den Dogmen der "klassenmäßigen Erziehung und sozialistischen Bewusstseinsbildung" dienen sollen.

In der Zeit des 2. Weltkrieges (1938-1945) radikalisieren die Nationalsozialisten das Strafrecht, indem Bürger, die in ihren Äußerungen am Sieg des deutschen Heeres zweifeln oder das Recht des Krieges in Frage stellen, mit der Todesstrafe rechnen müssen [23, S. 687]. Die Zahl todeswürdiger Delikte wird erheblich vergrößert, bis hin zum Diebstahl von Nahrungsmitteln, er gilt als Wehrkraftzersetzung [23, S. 682]. Die an Emma Martin und Paul Schiebel 1943 vollstreckten Todesurteile sind hier einzuordnen. Die nach ihnen benannten Straßen werden dann symbolisch benutzt, den lokalen antifaschistischen Widerstandskampf im Kreis Bitterfeld zu belegen.

Die Umbenennung der Ramsiner Straße zur "Straße der Deutsch- Sowjetischen-Freundschaft" lässt sich nachweisen. Vom Rat des Landkreises Bitterfeld geht am 7. Nov. 1950 in der Gemeinde das folgende Schreiben ein [39].

Nach unten stehendem Protokollauszug [39] beschließt der Gemeinderat bereits am folgenden Tag die Umbenennung.

				Protokoll
zur 15 / 139 Gemeinderatssitzung am Mittwoch, den 8. November 1950

zu 4:
Nach eingehender Diskussion kam der Gemeinderat überein,
die ehemalige Ramsiner-Straße in "Straße der
Deutsch-Sowjetischen Freundschaft" umzubenennen.

Deutschland nach der Wiedervereinigung ab 1990

Der Zusammenbruch des sozialistischen Systems seit 1989 löst zahlreiche Namensänderungen aus. Es werden aus der Zeit von 1945 bis 1989 stammende Namen beseitigt, die sich auf die politische Geschichte der Sowjetunion, der DDR und die Entfaltung der kommunistischen Partei in Deutschland beziehen.
In Sandersdorf werden erste Rückbenennungen im Zeichen der Wiedervereinigung Deutschlands eingeleitet, die der folgende Protokollauszug [40] belegt.

Protokoll über die erste öffentliche Sitzung der Gemeindevertretung
Sandersdorf (6. Sitzung der Gemeindevertretung) am  06. September 1990

"Als ein äußeres Zeichen der Veränderung haben wir die
Umbenennung von vorerst drei Straßen und Plätzen beschlossen.
Die gilt für die Straße der DSF in Ramsiner Straße,
Rudolf-Breitscheid-Platz in Kirchplatz sowie auch durch die
aktuelle Lage begründet den Platz der Einheit in
Platz der Deutschen Einheit.
Dieser Umbenennung wollen wir am 03.10.1990 einen feierlichen
Rahmen geben."
(Beschluss Nr. 11 - 4/90 vom 19. Juli 1990)

Insgesamt werden die folgenden Rückbenennungen (vgl. Tab. 3) vollzogen:

Rudolf–Breitscheid–Platz
Hermann–Fahlke–Straße
Emma–Martin–Straße
Ernst–Thälmann–Straße
Straße der "Deutsch–Sowjetischen Freundschaft"
in       Kirchplatz
Hauptstraße
Eigenheimstraße
Ernst–Borsbach–Straße
Ramsiner Straße

Der »Platz der Einheit« wird zu »Platz der Deutschen Einheit« modifiziert.

Die vorbereitete Umbenennung der in Sandersdorf-Nord liegenden Straßen wird nicht vollzogen [24].

Seit dem 1. Juli 2004 bilden die fünf Orte Heideloh, Ramsin, Renneritz, Sandersdorf und Zscherndorf, die bisher als Verwaltungsgemeinschaft Sandersdorf zusammengearbeitet haben, die Einheitsgemeinde Sandersdorf. Die Bemühung, die mehrfach vorhandenen Straßen mit ein und demselben Namen durch den Ortsnamen zu unterscheiden, muss nunmehr aus postalischen und melderechtlichen Gründen aufgegeben werden. Den Ortschaften eigene Postleitzahlen zu geben, wird von der Post AG abgelehnt.

Der Gemeinderat beschließt am 28. September 2006 die Umbenennung der mehrfach vorhandenen Straßennamen. Folgende Straßenumbenennungen werden im Ort Sandersdorf zum 23. Januar 2007 wirksam:

Bisheriger Name
Dorfplatz
Gartenstraße
Kurze Straße
Mühlstraße
Zscherndorfer Straße
Name ab 23.01.2007
Kirchplatz
Am Sportzentrum
Marienstraße
An der Mühle
Am Sportzentrum

Bild 5. Neue Straßennamen im Jahr 2007

In allen Ortschaften gilt nur der einheitliche Gemeindename Sandersdorf mit der Postleitzahl 06792. [47]

Quellenverzeichnis:
[1] Chronik des Braunkohlenbergbaues im Revier Bitterfeld
Herausgeber: Bitterfelder Bergleute e. V. 1998
[2] Krug, Gustav: Chronik von Sandersdorf (Kr. Bitterfeld), Druck von Wilhelm Lauffs, Holzweissig-Bitterfeld, 1929
[3] Das kluge Alphabet, Propyläen-Verlag GmbH, Berlin 1935
[4] Chronik der Deutschen, Chronik Verlag im Bertelsmann-Lexikon Verlag GmbH, Gütersloh/München 1996
[5] Familienchronik Lewess-Litzmann, 2001, http://www.lehwess-litzmann.de
[6] Aichele, Dietmar: Was blüht denn da?: Wildwachsende Blütenpflanzen Mitteleuropas.
49. Aufl.- Stuttgart: Franckh, 1986
[7] Große Männer der Weltgeschichte, Neuer Kaiser Verlag - Gesellschaft m. b. H., Klagenfurt, 1998
[8] ©Friedrich Ebert Stiftung | Net Edition Robert & Joachim | July 1997
http://www.fes.de/robert/bio_a-b.html
[9] Bitterfeld: 775 Jahre Bitterfeld, Halle (Saale): Mitteldt. Verl., 1999, ISBN 3-932776-79-7
[10] "Lebendiges virtuelles Museum Online" (LeMO)
http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/RathenauWalther/
[11] "Lebendiges virtuelles Museum Online" (LeMO)
http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/ThaelmannErnst/
[12] TiRA e. V., Telematik im Ländlichen Raum, Eisenstraße 7, 09456 Mildenau
http://www.tira.de/tira/infos/erzgebirge/uthmann.htm
[13] Große Frauen der Weltgeschichte, Neuer Kaiser Verlag - Gesellschaft m.b.H., Klagenfurt, 1987
[14] "Lebendiges virtuelles Museum Online" (LeMO)
http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/FrankAnne/
[15] ICA-D online- und offline-Services, M. Detering, Röntgenstr. 18 D-76751 Jockgrim
http://www.geschichte.2me.net/bio/cethegus/f/frank.html
[16] "Lebendiges virtuelles Museum Online" (LeMO)
http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/RooseveltFranklin/
[17] H. G. Lehmann: Deutschland - Chronik, 1945-1995,
Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd.332, Bonn 1996
[18] Flurkarte, Landesmuseum Halle (S), BV, 67/1, 155
[19] Bebauungsplan Siedlung Sandersdorf, Nr 42.93a, gändert 21.10.1942. Nachlass: Richard Leiter, Sandersdorf, mit handschriftlichen Eintragungen.
[20] Siedlersparte Sandersdorf, Gemarkung Sandersdorf, Flur 3, 08.02.1956. Nachlass: Richard Leiter, Sandersdorf, mit handschriftlichen Eintragungen.
[21] Bitterfelder Tageblatt, Nr. 304 vom 30.12.1933, S.6
[22] Mitteldeutsche Nationalzeitung Nr.61 vom 03.03.1938
[23] H.-U. Thamer: Verführung und Gewalt, Deutschland 1933-1945. Wolf Jobst Siedler Verlag GmbH, Berlin 1994.
[24] "Der Lindenstein", Amts- und Mitteilungsblatt der Verwaltungsgemeinschaft Sandersdorf, Jahrgang 7, 21.02.1997, Nummer 4, S.1-2
[25] K. Menzel: Der antifaschistische Widerstandskampf im Kreis Bitterfeld. Herausgeber: Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Kreisleitung Bitterfeld der SED, 1985.
[26] H.J. Schiebel, R. Mederake aus Roitzsch, mündliche Überlieferung
[27] Sammlung Winfried Pötsch: Persönlichkeiten des Kreises Bitterfeld, Stadtarchiv Bitterfeld, Archivsignatur 120
[28] LHASA, Abt. MER, Rep. C50 Bitterfeld B 383-385 und 705
[29] J. Busse: Beitrag zur Entwicklung der Arbeiterbewegung in Sandersdorf, Kreis Bitterfeld. Bitterfelder Kulturkalender, Ausgabe Juli 1959
[30] Die Sandersdorfer Ausschreitungen durch ortsfremde Hetzer geschürt.
Die blutige "Kraftprobe" - Massenverhaftungen.
Mitteldeutsche Nationalzeitung, Nr. 158 vom 08.07.1932, S. 5
[31] Richard Leiter, Sandersdorf, Nachlass.
[32] Volk, G.: Handschriftlicher Erlebnisbericht 2003
[33] Heidemarie Schmidt, Paul Werner Wagner:...man muß doch mal zu seinem Recht kommen..."
Paul Othma - Streikführer am 17. Juni 1953 in Bitterfeld, Reihe Sachbeiträge, Teil 17.
Herausgeber: Die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, Magdeburg, Juni 2001.
[34] Olaf Freier: Der Juni-Aufstand 1953 im Industrierevier Bitterfeld-Wolfen. (1995)
www.paper.olaf-freier.de/btf.htm
[35] Liste der sämtlichen Einwohner zu Sandersdorf Nr.1 bis 310.
Aufgenommen am 18. Dezember 1852 von Ortsrichter August Reichenbach LHASA.
Abt. MER, Rep. C50 Bitterfeld IIIa 267, 266, 265, 264 und 263.
[36] Braust/Synnatzschke, Sandersdorf.
[37] Adreßbuch der Stadt Bitterfeld und der Orte Wolfen, Greppin, Sandersdorf 1937. Druck und Verlag Wilh. Meißner Nachf. Bitterfeld
[38] D. Lukowiak: Ordnungs- und Sozialamt Sandersdorf, 2003
[39] Protokolle zur Gemeinderatssitzung 1949-1951, auch Schriftverkehr, Landkreis Bitterfeld, Archiv, Bestand Gemeinde Sandersdorf, Signatur 41
[40] Archiv der Gemeinde Sandersdorf AKZ 1024.10/05
[41] Abschrift der Gebäudesteuerrolle der Gemeinde Sandersdorf v. 15.06.1911, Bd. I, Gemeindearchiv Sandersdorf
[42] Adreßbuch für den Kreis Bitterfeld umfassend 5 Städte und 130 Landgemeinden und Gutsbezirke, 1925. Druck und Verlag Wilhelm Meißner Nachf. Bitterfeld, Kreismuseum Bitterfeld
[43] Flurkarten, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 6240.09
[44] Teilkanalisation der Nord- und -Hindenburgstraße, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 664
[45] www.dasrotewien.at
[46] © Edition Luisenstadt, 2005
www.berlingeschichte.de/Strassen
[47] Der Lindenstein, Amts- und Mitteilungsblatt der Gemeinde Sandersdorf und der Ortschaften. 16. Jahrgang, Nummer 19, 6. Oktober 2006, Seite 3 und Nummer 23, 1. Dezember 2006, Seite 3.
Bildnachweis
Bild
1Flurkarten, Gemeindearchiv Sandersdorf, AKZ 6240.09
2Skizziert von K.P. Synnatzschke, Sandersdorf nach [18]
3Straßennetz gezeichnet von K.P. Synnatzschke, Sandersdorf
4, 5K.P. Synnatzschke, Sandersdorf

Letzte Änderung: 03. Februar 2007

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